Kein Schmerzensgeld für Beschimpfung als „Corona-Leugner“

19. Oktober 2021
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Das Wort Datenschutz wird fett in einem Text dargestellt Urteil des LG Köln vom 03.08.2021, Az.: 5 O 84/21

Ein Spielhallenbetreiber klagte gegen die Stadt Bergisch Gladbach auf Schmerzensgeld wegen Verstoßes gegen die DSGVO. Der Kläger ging zuvor gegen eine Allgemeinverfügung, die die coronabedingte Schließung seiner Spielhalle betraf, vor. Die gerichtliche Entscheidung in dieser Sache wurde dann ohne jegliche Anonymisierung unter anderem von der Stadt weitergeleitet. Dies soll laut Kläger dazu geführt haben, dass er als „Corona-Leugner“ beschimpft wurde. Das Gericht entschied, dass eine nicht anonymisierte Weiterleitung zwar eine Datenschutzverletzung darstelle, der Kläger im vorliegenden Fall aber nicht darlegen konnte, dass ihm gerade dadurch ein Schaden entstanden ist.

Landgericht Köln

Urteil vom 03.08.2021

Az.: 5 O 84/21

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Im Zuge der Corona-Pandemie erließ die Beklagte eine Allgemeinverfügung, wonach Spielhallen – so auch die Spielhallen der T GmbH & Co. KG, deren Gesellschafter-Geschäftsführer der Kläger ist – unter Anordnung des Sofortvollzugs vorerst nicht mehr betrieben werden durften. Mit Antrag auf Eilrechtsschutz vom 18.03.2020 beantragte die T GmbH & Co. KG vor dem VG Köln die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Mit Telefax vom 23.03.2020 (14.00 Uhr) übermittelte das VG Köln der Beklagten seinen Beschluss vom 20.03.2020 in der Rechtsschutzsache Az. 7 L 526/20. Gegen 14:30 Uhr, nachdem der Beklagten der vorgenannte Beschluss des VG Köln zugestellt wurde, übersandte die Beklagte durch ihren Amtsträger Herrn D mit Email vom gleichen Tage (23.03.2020, 14.31 Uhr) den vorgenannten Beschluss ohne jede Anonymisierung und insofern mit den Klarnamen der T GmbH & Co. KG und dem Klarnamen des Klägers als deren Geschäftsführer an 62 Empfänger, die zu einer „Arbeitsgemeinschaft der Rechtsamtsleiterinnen und Rechtsamtsleiter der großen und mittleren kreisangehörigen Städte in NRW“ gehörten.

Aufgrund vorgenannter Ausführungen machte der Kläger gegenüber der Beklagten Auskunfts- und Unterlassungsansprüche geltend und forderte die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 31.03.2020 um 12:00 Uhr zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung auf. Mit Schreiben vom 01.04.2020 erklärte die Beklagte, sie werde künftig die Versendung des hier beschwerdegegenständlichen Beschlusses in nicht anonymisierter Form an nicht am Verfahren beteiligte Dritte unterlassen und hierüber auch keine Auskünfte mehr erteilen.

Der Kläger behauptet, er sei wegen Übersendung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung durch die Beklagte „ehrenrührigen, unzumutbaren und beängstigenden Anwürfen seitens anderer Spielhallenbetreiber und unbekannter Dritter“ ausgesetzt gewesen. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln sei durch einen unbekannten Dritten aus dem beklagtenseits gewählten Adressatenkreis an den Branchenverband der Geldspielautomatenbetreiber gelangt.

Der Kläger sei in seiner Funktion als Vorstand im Fachverband Spielhallen e.V. offen angefeindet und als „Corona-Leugner“ diffamiert worden, was die Beklagte mit Nichtwissen bestreitet.

Ferner sei der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 20.03.2020 zusammen mit einem Zettel mit der Aufschrift „Ihr seid es“ unter den Scheibenwischer seines am Wohnhaus geparkten Fahrzeugs geheftet worden.

Die Beklagte habe mit Schreiben vom 05.06.2020 ein Anerkenntnis erklärt, indem sie unstreitig ohne entsprechende Vorbehalte erklärt hat, es wäre aus ihrer Sicht allein eine abschließende Entschädigungsleistung im niederschwelligen vierstelligen Bereich denkbar. Dies habe der Kläger als Anerkenntnis dem Grunde nach verstehen dürfen.

Hinsichtlich der Kausalität der Pflichtverletzung greife eine Beweislastumkehr.

Der Kläger ist der Auffassung, das Gericht sei wegen Artikel 101 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet, dem Europäischen Gerichtshof die Frage zur Entscheidung vorzulegen, unter welchen Voraussetzungen Art. 82 Abs. 1 DSGVO einen Geldentschädigungsanspruch gewähre und welches Verständnis dieser Vorschrift insbesondere im Hinblick auf Erwägungsgrund 146 Satz 3 zu geben sei.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird und den Betrag von 8.000,00 EUR nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen EZB-Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten abzüglich eines Betrages in Höhe von 565,40 € freizustellen hat.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, es handele sich vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes um eine unzulässige Teilklage, da die Klägerin vorgerichtlich Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 € geltend gemacht habe.

Nach Auffassung der Beklagten habe der Kläger einen für die Zubilligung eines Schadensersatzanspruchs erforderlichen Schadenseintritt weder dargelegt noch bewiesen. Es werde bereits nicht vorgetragen, welche konkreten Nachteile der Kläger erlitten haben solle, zumal dessen persönliche Daten aus dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren aufgrund des auch dort geltenden Öffentlichkeitsgrundsatzes ohnehin weder geheim gehalten noch intim gewesen seien.

Aus dem als Anlage K3 vorgelegten Chatverlauf ergebe sich nicht die Kausalität, da Auslöser dieses Chats eine Berichterstattung im „Express“ gewesen sei. Weder der Kläger noch einer der übrigen 23 Spielhallenbetreiber würden im Chatverlauf namentlich genannt. Im Übrigen werde im Chat lediglich Unverständnis hinsichtlich des beim Verwaltungsgericht eingereichten Antrags geäußert.

Dass die Nachricht am Scheibenwischer auf den vorgeworfenen Verstoß gegen die DSGVO zurückzuführen sei, sei auch nicht ersichtlich. Bei der Vielzahl an Antragstellern vor dem Verwaltungsgericht und dem nachvollziehbaren Interesse am Ausgang des Verfahrens könne der Beschluss auch auf anderem Wege in die Hände Dritter gelangt sein.

Zudem ergebe sich aus der Klageschrift lediglich, dass der Kläger den Eintritt von Nachteilen befürchte, was nicht ausreichend sei, um einen immateriellen Schadenersatzanspruch zu begründen. Dauerhafte Anfeindungen würden weder dargelegt noch seien solche ersichtlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Klageantrag zu 1) ist zulässig, da keine verdeckte Teilklage vorliegt. Der Kläger begehrt ein angemessenes Schmerzensgeld für den Schaden, den er infolge der streitgegenständlichen Datenschutzverletzung erlitten haben will. Nur weil er außergerichtlich ein höheres Schmerzensgeld gefordert hat, kann nicht bereits von einer Teilklage ausgegangen werden.

Die Beklagte hat den Anspruch nicht dem Grunde nach anerkannt. Ein entsprechender Rechtsbindungswille der Beklagten geht aus dem Schreiben vom 05.06.2020 nicht hervor. Nur weil die Beklagte äußerte, eine Entschädigungsleistung sei denkbar, hat sie noch nicht anerkannt, dass eine Haftung dem Grunde nach besteht.

Ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld besteht nicht, da der Kläger nicht dargelegt hat, dass ihm infolge der streitgegenständlichen Datenschutzverletzung ein immaterieller Schaden entstanden ist. Nach § 82 Abs. 1 DS-GVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter. Die streitgegenständliche Übersendung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Köln an die Rechtsamtsleiterinnen und Rechtsamtsleiter anderer Kommunen stellt einen Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung dar. Die Beklagte durfte den Beschluss zur Information und zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung jedenfalls nicht unanonymisiert übersenden.
Allerdings reicht ein Verstoß alleine zur Anspruchsbegründung nicht aus, es muss auch ein Schaden eingetreten sein (Paal/Pauly/Frenzel, 3. Aufl. 2021, DS-GVO Art. 82 Rn. 10). Der Schaden muss auf den Verstoß zurückzuführen sein, wobei eine Mitursächlichkeit genügt (Quaas, in: BeckOK DatenschutzR, 35. Ed. 1.11.2020, DS-GVO Art. 82 Rn. 26).

Vorliegend bestreitet die Beklagte in zulässiger Weise, dass die klägerseits behaupteten Beeinträchtigungen durch den streitgegenständlichen Verstoß verursacht wurden. In Bezug auf den vorgelegten Chat im Internet ist festzuhalten, dass aus diesem nicht hervorgeht, dass er sich auf den Kläger bezieht. Auch ist nicht ersichtlich, warum die Chatteilnehmer die Information der Beteiligung des Klägers am verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausgerechnet über die Rechtsamtsleiterinnen und Rechtsamtsleiter erhalten haben sollen. Diesbezüglich hat die Beklagte dargelegt, dass insgesamt 24 Spielhallenbetreiber ein verwaltungsgerichtliches Verfahren angestrengt hätten. Es ist nicht auszuschließen, dass diese an den Beschluss gelangt sind und ihn verbreitet haben. Jedenfalls trägt die Klägerin keine Hinweise dafür vor, dass die streitgegenständliche Übersendung die einzige oder auch nur naheliegende Möglichkeit dafür war, dass weitere Personen Kenntnis von dem Beschluss erlangten.

Gleiches gilt für die hinterlassene Nachricht an der Windschutzscheibe. Der klägerische Vortrag lässt bereits offen, wer diese Nachricht hinterlassen hat.
Eine Beweislastumkehr oder eine Beweiserleichterung greift vorliegend zu Gunsten des Klägers nicht. Die Beweislast auch für diese Voraussetzung obliegt dem Anspruchsberechtigten, dies entspricht den allgemeinen deliktischen Voraussetzungen. Eine Beweislastumkehr ist der Norm ausdrücklich nur bezüglich des Gesichtspunkts des Verschuldens zu entnehmen (Quaas, in: BeckOK DatenschutzR, 36. Ed. 1.5.2021, DS-GVO Art. 82 Rn. 27). Dies ist auch interessengerecht, denn die Beklagte kann genauso wenig wie der Kläger wissen, wer noch Kenntnis von dem Beschluss des Verwaltungsgerichts hatte.
Nach alledem ist nicht ersichtlich, welchen immateriellen Schaden der Kläger dadurch erlitten haben soll, dass der Beschluss an 62 Rechtsamtsleiterinnen und Rechtsamtsleiter versandt wurde. Für den immateriellen Schadensersatz gelten dabei die im Rahmen von § 253 BGB entwickelten Grundsätze, die Ermittlung obliegt dem Gericht nach § 287 ZPO (Quaas, in: BeckOK DatenschutzR, 32. Ed. 1.2.2020, DS-GVO Art. 82 Rn. 31). Es können für die Bemessung die Kriterien des Art. 83 Abs. 2 DS-GVO herangezogen werden, z.B. die Art, Schwere und Dauer des Verstoßes unter Berücksichtigung der Art, des Umfangs oder des Zwecks der betreffenden Verarbeitung, die betroffenen Kategorien personenbezogener Daten. Zu berücksichtigen ist auch, dass die beabsichtigte abschreckende Wirkung nur durch für den Anspruchsverpflichtenden empfindliche Schmerzensgelder erreicht wird, insbesondere wenn eine Kommerzialisierung fehlt (LG Köln, ZD 2021, 47 Rn. 12). Vorliegend ist eine Beeinträchtigung des Klägers nicht ersichtlich, nachdem nicht feststeht, dass die von ihm behaupteten Vorfälle auf den streitgegenständlichen Verstoß zurückgeführt werden können. Da die Adressaten der streitgegenständlichen E-Mail selbst dienstlichen Verschwiegenheitspflichten obliegen, bleibt bereits unklar, ob der Beschluss auf diesem Wege weiteren Personen zur Kenntnis gelangt ist. Das Zuerkennen von Schmerzensgeld in einem derartigen Bagatellfall würde die Gefahr einer nahezu uferlosen Häufung der Geltendmachung von Ansprüchen bergen, was nicht Sinn und Zweck von Art. 82 DS-GVO entsprechen kann (vgl. LG Köln, ZD 2021, 47 Rn. 14). Zudem ist eine extensive Auslegung des Begriffs des immateriellen Schadens nicht geboten, weil nach Art. 83 DS-GVO die Möglichkeit besteht, Geldbußen in erheblichem Umfang zu verhängen (vgl. Franzen, in: EuArbRK, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 82 Rn. 22).

Eine Vorlagepflicht an den EuGH besteht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bereits deshalb nicht, weil vorliegend nicht letztinstanzlich entschieden wird.

Die mit dem Klageantrag zu 2) geltend gemachte Nebenforderung teilt das Schicksal der Hauptforderung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Der Streitwert wird auf 8.000,00 EUR festgesetzt.

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