Unterlassungsanspruch im Rahmen des Energieversorgerwechsels

06. Mai 2025
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Paragraphenzeichen vor einem Wettbewerbsrecht-Ordner Beschluss des KG Berlin vom 12.12.2024, Az.: 5 U 77/22

§ 312h BGB ist eine Marktverhaltensvorschrift i.S.d. § 3a UWG. Somit besteht bei einem Verstoß gegen die verbraucherrechtlichen Vorgaben bei der Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses im Rahmen des Energieversorgerwechsels ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch. Leitet der Unternehmer nämlich auf dieser Grundlage einen Versorgerwechsel ein, sind die wettbewerblichen Interessen der Konkurrenten gefährdet, da dem Wettbewerber droht, dass er einen Kunden verliert, obwohl der Neuversorger den bestehenden Altvertrag bei Außerachtlassung des Textformerfordernisses nicht zivilrechtlich wirksam kündigen kann. Selbst bei unwirksamer Kündigung, werden viele Verbraucher in Unkenntnis dieses Umstandes die Kündigung als gegeben hinnehmen und davon ausgehen, dass das Vertragsverhältnis mit dem bisherigen Versorger beendet ist. Der Verbraucher könnte so unter Umständen von einem Widerruf abgehalten werden, da er befürchten könnte, dass er im Falle des Widerrufs des Vertrages mit dem neuen Versorger ohne Vertrag dasteht.

Kammergericht Berlin

Beschluss vom 12.12.2024

Az.: 5 U 77/22

Tenor

1.

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 14. Juli 2022 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 93 des Landgerichts Berlin (jetzt: Landgericht Berlin II) – 93 O 56/22 – durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

2.

Der Senat beabsichtigt, den Wert des Berufungsverfahrens auf 50.000,00 € festzusetzen.

Gründe

A.

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Antragsgegnerin gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts im Urteilswege. Eine mündliche Verhandlung erscheint nicht geboten. Der Senat beabsichtigt daher, das Rechtsmittel nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, und gewährt hiermit zuvor rechtliches Gehör, § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO.

B.

1.

Die Berufung ist gemäß §§ 511, 517, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt, mit einer Begründung versehen und auch im Übrigen zulässig.

2.

Die Berufung der Antragsgegnerin keinen Erfolg, da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zulässig und begründet ist.

2.1.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig. Insbesondere besteht ein Verfügungsgrund, wobei sich die Antragstellerin auf die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG berufen kann.

2.2.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch begründet. Der von der Antragstellerin – Mitbewerberin der Antragsgegnerin – geltend gemachte Unterlassungsanspruch folgt aus §§ 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, Abs. 3 Nr. 1; 3 Abs. 1; 3a UWG in Verbindung mit § 312h Nr. 2 BGB.

2.2.1.

§ 312h BGB ist eine Marktverhaltensvorschrift im Sinne des § 3a UWG.

2.2.1.1.

Wird zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher ein Dauerschuldverhältnis unter Verwendung besonderer Vertriebsformen begründet, das ein zwischen dem Verbraucher und einem anderen Unternehmen bestehendes Dauerschuldverhältnis ersetzen soll, und wird der Unternehmer dabei mit der Kündigung des Altvertrags beauftragt, bedarf die für die Kündigung maßgebliche Erklärung des Verbrauchers gem. § 312 h BGB der Textform. Der Begriff der Textform ist im Sinne des § 126b BGB zu verstehen (vgl. BT-Drucks. 16/10734, S. 12; Busch in: BeckOGK/BGB, Stand: 1.7.2023, § 312h Rn. 17). Handelt der Unternehmer als Bote, unterliegt die Kündigungserklärung des Verbrauchers dem Formerfordernis (§ 312 h Nr. 1 BGB). Kündigt der Unternehmer als Vertreter, bedarf die Bevollmächtigung hierzu der Textform (§ 312 h Nr. 2 BGB). Ein Unternehmer, der den Wechselprozess im Auftrag des Kunden durchführen möchte, muss danach die (Vollmacht zur) Kündigung des Verbrauchers auf einem dauerhaften Datenträger im Sinne des § 126 b S. 2 BGB einholen (vgl. etwa Martens in: BeckOK BGB, 70. Ed. 1.5.2024, § 312h Rn. 10; Thüsing in: Staudinger, BGB, Bearbeitung 2019, § 312h Rn. 14). Erklärt der Verbraucher die (Bevollmächtigung zur) Kündigung des Altvertrages nur mündlich, ist die Erklärung gem. § 125 Abs. 1 BGB wegen Formmangels nichtig.

Bei der Schaffung des § 312h BGB hatte der Gesetzgeber folgenden Fall vor Augen (vgl. Staudinger, aaO., Rn. 4 f.): Der Verbraucher schließt in einer besonderen Vertriebsform einen Vertrag ab, der seine Versorgung mit faktisch unverzichtbaren Leistungen wie Strom, Wasser oder Telekommunikationsdienstleistungen betrifft. Üblicherweise hat der Verbraucher bereits einen solchen Vertrag und kein Interesse an einer doppelten Bindung, so dass der Unternehmer ihm gleichzeitig anbietet, die Kündigung dieses Vertrages entweder als Bote (§ 312h Nr. 1 BGB) oder Stellvertreter des Verbrauchers (§ 312h Nr. 2 BGB) zu übernehmen. Kündigt der Unternehmer den Altvertrag, führt dies dazu, dass der Verbraucher zwar den Neuvertrag durch sein Widerrufsrecht ohne Schwierigkeiten lösen kann, der Altvertrag aber nicht mehr besteht. Die daraus herrührende Sorge, gänzlich ohne die benötigte Dienstleistung dazustehen, kann den Verbraucher dazu bewegen, sein Widerrufsrecht hinsichtlich des Neuvertrages nicht auszuüben. Dies soll § 312h BGB verhindern und verlangt, dass der Verbraucher entweder die Kündigung selbst oder die Bevollmächtigung zur Kündigung in Textform erklärt. In der Gesetzesbegründung heißt es: „Mit dem Textformerfordernis soll das ‚Unterschieben‘ von Verträgen erschwert und den Verbraucherinnen und Verbrauchern deutlicher als bisher vor Augen geführt werden (Warnfunktion), dass sie bei Widerruf des neu abgeschlossenen Vertrages an die Kündigung des bestehenden Dauerschuldverhältnisses gebunden bleiben, sie also weder den alten noch den neuen Vertrag haben“ (BT-Drucks 16/10734, S. 12).

2.2.1.2.

§ 312h BGB ist eine Marktverhaltensvorschrift im Sinne des § 3a UWG (so auch LG Berlin Beschluss vom 13. April 2017 – 103 O 35/17 -, BeckRS 2017, 156897 Rn. 3; LG Landau Teilurteil vom 28. März 2018 – HK O 2/17 -, BeckRS 2018, 45219 Rn. 16; Busch in: BeckOGK/BGB, Stand: 1.7.2023, § 312h Rn. 24; Jahn, VuR 2020, 191, 193; Pommerening, GRUR-Prax 2019, 371, 373. Im Rahmen des § 4 Nr. 4 UWG berücksichtigend: OLG München, Urteil vom 28. Februar 2019 – 6 U 914/18 –, Rn. 72, juris; LG München I, Urteil vom 9. November 2021 – 33 O 480/21 –, Rn. 80, juris. Ein gegen § 312h BGB verstoßendes Verhaltes als „unlauter“ im Sinne des § 4 Nr. 4 UWG qualifizierend: Köhler/Alexander in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, aaO., § 4 Rn. 4.27a; keine Marktverhaltensregelung, aber Ansprüche des Altversorgers gem. § 5a UWG: OLG Köln, Urteil vom 15. März 2019 – I-6 U 216/18 –, Rn. 22, juris)..

2.2.1.2.1.

Gem. § 3a UWG handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzungen erfüllt § 312h BGB.

2.2.1.2.2.

Als Marktverhalten ist jede Tätigkeit auf einem Markt anzusehen, die objektiv der Förderung des Absatzes oder Bezugs dient und durch die ein Unternehmer auf Mitbewerber, Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer einwirkt. Dazu gehören nicht nur das Angebot und die Nachfrage von Waren oder Dienstleistungen, sondern auch der Abschluss und die Durchführung von Verträgen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 25. März 2021 – I ZR 203/19 –, Rn. 14, juris – Nutzungsentgelt für bargeldlose Zahlungen). Eine Vorschrift, die dem Schutz von Rechten, Rechtsgütern oder sonstigen Interessen von Marktmitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern dient, stellt eine Marktverhaltensregelung dar, wenn das geschützte Interesse gerade durch die Marktteilnahme, also durch den Abschluss von Austauschverträgen und den nachfolgenden Verbrauch oder Gebrauch der erworbenen Ware oder in Anspruch genommenen Dienstleistung berührt wird. Nicht erforderlich ist dabei eine spezifisch wettbewerbsbezogene Schutzfunktion in dem Sinne, dass die Regelung die Marktteilnehmer speziell vor dem Risiko einer unlauteren Beeinflussung ihres Marktverhaltens schützt. Die Vorschrift muss aber zumindest auch den Schutz der wettbewerblichen Interessen der Marktteilnehmer bezwecken; lediglich reflexartige Auswirkungen zu deren Gunsten genügen daher nicht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 10. November 2022 – I ZR 16/22 –, Rn. 19, juris – Stickstoffgenerator, mwN). Unerheblich ist, ob die Vorschrift den Schutz aller Marktteilnehmer oder nur der Mitbewerber oder nur der Verbraucher oder nur der sonstigen Marktteilnehmer (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG) zum Ziel hat (vgl. etwa Köhler/Odörfer in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl., § 3a Rn. 1.65). Dem Interesse der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer dient eine Norm, wenn sie deren Informationsinteresse sowie deren Entscheidungs- und Verhaltensfreiheit in Bezug auf die Marktteilnahme schützt (Köhler/Odörfer in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl., § 3a Rn. 1.67).

2.2.1.2.3.

Eine Marktverhaltensregelung hat der BGH auch für Vorschriften im BGB angenommen, die auf den ersten Blick nur eine vertragsrechtliche Folge regeln und keine Pflichten des Unternehmers begründen. Dies gilt etwa für § 476 Abs. 1 Satz 1 BGB, der die Unwirksamkeit von Vereinbarungen regelt, die die Gewährleistungsrechte bei Verbrauchsgüterkaufverträgen einschränken (vgl. etwa BGH, Urteil vom 31. März 2010 – I ZR 34/08 –, Rn. 29, juris – Gewährleistungsausschluss im Internet) oder für die Regelung der Unwirksamkeit unangemessen benachteiligender AGB in §§ 307 ff. BGB (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 2012 – I ZR 45/11 –, Rn. 46, juris – Missbräuchliche Vertragsstrafe; Urteil vom 14. Dezember 2017 – I ZR 184/15 –, Rn. 41, juris – Klauselersetzung; zustimmend Köhler/Odörfer in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, aaO., § 3a Rn. 1.288). Zur Begründung hat der BGH darauf verwiesen, dass diese Vorschriften dem Schutz der Verbraucher dienen. Auch wenn etwaige gegen die Vorschriften verstoßende Vertragsvereinbarungen unwirksam sind, können sie gleichwohl Verbraucher von der Geltendmachung ihrer Rechte abhalten. Damit sind Verstöße gegen diese Vorschriften geeignet, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteil vom 31. März 2010 – I ZR 34/08 –, Rn. 29 f., juris – Gewährleistungsausschluss im Internet; Urteil vom 31. Mai 2012 – I ZR 45/11 –, Rn. 46, juris – Missbräuchliche Vertragsstrafe).

Dasselbe gilt auch für § 312h BGB (vgl. hierzu Jahn, VuR 2020, 191, 193; Pommerening, GRUR-Prax 2019, 371, 373). Leitet der Unternehmer auf dieser Grundlage einen Versorgerwechsel ein, sind die wettbewerblichen Interessen der Konkurrenten sogar unmittelbarer und weit stärker gefährdet, als dies bei Verstößen gegen andere vertragsrechtliche Verbraucherschutzvorschriften der Fall ist, deren Verletzung anerkanntermaßen auch wettbewerbsrechtliche Sanktionen nach sich zieht (vgl. etwa BGH, Urteil vom 31. März 2010 – I ZR 34/08 –, Rn. 29, juris – Gewährleistungsausschluss im Internet: ausreichend, dass Unternehmer durch gemäß § 476 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksamen Gewährleistungsausschluss Kosten sparen und günstigere Preise kalkulieren können). Der Wettbewerber droht einen Kunden zu verlieren, obwohl der Neuversorger den bestehenden Altvertrag bei Außerachtlassung des Textformerfordernisses nicht zivilrechtlich wirksam kündigen kann. Auch wenn ein Verstoß gegen das dort geregelte Textformerfordernis dazu führt, dass die Kündigung unwirksam ist, werden viele Verbraucher in Unkenntnis dieses Umstandes die Kündigung als gegeben hinnehmen. Sie werden so unter Umständen von dem Widerruf abgehalten, weil sie befürchten, ohne einen Sonderkundenvertrag dazustehen und in die – regelmäßig sehr viel teurere – Grundversorgung (vgl. § 36 EnWG) zu fallen. Hinzu kommt, dass das Widerrufsrecht (§ 312g BGB) den Verbraucher zwar davor schützt, an den Neuvertrag gebunden zu sein, aber nicht davor, den Altvertrag zu verlieren; er befindet sich daher leicht in einer Zwangssituation, die ihn davon abhalten kann, den unerwünschten Neuvertrag zu widerrufen (vgl. MüKoBGB/Wendehorst, 9. Aufl. 2022, § 312h Rn. 2). Genau dieses Hemmnis bei der Ausübung des Widerrufsrechts sollte § 312h BGB beseitigen, indem sie das Erfordernis der Textform von Kündigung bzw. Vollmacht zur Kündigung vorschreibt, um Verbrauchern die Reichweite der Kündigungserklärung vor Augen zu führen (Warnfunktion; vgl. etwa BeckOGK/Busch, BGB [1.7.2023], § 312 h Rn. 2; Koch in: Erman, BGB, 17. Aufl. 2023, § 312h Rn. 1). Zudem dient die Vorschrift nach dem ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor unseriösen Geschäftspraktiken, weil das zuvor mögliche „Unterschieben“ von Verträgen erschwert wird (vgl. BT-Drs. 16/10734, 12; BeckOGK/Busch, BGB [1.7.2023], § 312 h Rn. 4; Koch in: Erman, BGB, 17. Aufl. 2023, § 312h Rn. 1; MüKoBGB/Wendehorst, 9. Aufl. 2022, § 312h Rn. 2); sie schützt damit auch dieEntscheidungs- und Verhaltensfreiheit der Verbraucher und das geschützte Interesse wird gerade durch die Marktteilnahme berührt.

2.2.1.2.4.

Dieser Bewertung steht auch der in Art. 4 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken – nachfolgend auch nur: UGP-RL) normierte Vollharmonisierungsansatz nicht entgegen. Die UGP-RL kennt zwar keinen dem § 3a UWG vergleichbaren Verbotstatbestand (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – I ZR 213/13 –, Rn. 11, juris – Fahrdienst zur Augenklinik) und sieht in ihrem Anwendungsbereich eine vollständige Harmonisierung des Rechts der unlauteren Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vor (EuGH, Urteil vom 14. Januar 2010 – C-304/08 –, Rn. 41 – Zentrale/Warenhandelsgesellschaft). Für den Regelungsgehalt des § 312h BGB ist der Anwendungsbereich der UGP-RL jedoch nicht eröffnet, denn nach Art. 3 Abs. 2 UGP-RL und ErwGr. 9 S. 2 UGP-RL bleiben das Vertragsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen oder die Wirkungen eines Vertrags unberührt. Marktverhaltensregelungen im Sinne des § 3a UWG, die sich auf den Abschluss und den Inhalt von Verträgen beziehen, stehen daher grundsätzlich im Einklang mit der UGP-RL (vgl. etwa Köhler/Odörfer in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, aaO., § 3a Rn. 1.22). § 312h BGB ist eine solche das Vertragsrecht betreffende Regelung, so dass die Bundesrepublik Deutschland insoweit eine eigene lauterkeitsrechtliche Bewertung vornehmen kann.

2.2.2.

Die Antragstellerin hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin gegen § 312h Nr. 2 BGB verstoßen hat, da sie hinsichtlich des Versorgungsvertrages des Herrn … S… mit der Antragstellerin eine Kündigung erklärt hat, ohne von Herrn S… hierzu (mindestens) in Textform bevollmächtigt gewesen zu sein.

2.2.2.1.

Die Antragstellerin hat vorgetragen, dass Herr S… keinen Auftrag zum Wechsel des Energieversorgers und erst recht keinerlei Vollmacht zur Kündigung des bestehenden Energieversorgungsvertrages erteilt hat. Den gegenteiligen Vortrag der Antragsgegnerin, wonach Herr S… eine Vollmacht zur Kündigung „digital unterschrieben“ habe, hat sie bestritten.

Die Antragstellerin hat ihren Vortrag glaubhaft gemacht durch eine eidesstattliche Versicherung des Herrn S… (Anlage AS 4).

2.2.2.2.

Die Antragsgegnerin hat ihren Vortrag nicht glaubhaft gemacht.

Die Antragsgegnerin hat – zur Substantiierung ihres Parteivortrages – sog. „Wortlautprotokolle“ zu den Akten gereicht (Anlage AG 5 zum Schriftsatz vom 08. Juli 2022, Bl. I/33ff, 50 ff., entspricht Anlage AG 3 zur Schutzschrift vom 01. Juni 2022, und Anlage zum Protokoll zur mündlichen Verhandlung, Bl. I/37 d. A.), woraus sich nach ihrer – von der Antragstellerin bestrittenen – Darstellung der Inhalt eines Telefonates ergeben soll, das eine Mitarbeiterin eines von der Antragsgegnerin beauftragten Unternehmens mit Herrn S…geführt haben soll. Zur Glaubhaftmachung dieses bestrittenen Vortrages beruft sich die Antragsgegnerin auf „Gesprächsmitschnitte“, die sie als auf CDs gebrannte Audiofiles zu den Akten gereicht hat (als Anlage AG 4 eingereichte CD und eine als Anlage zum Protokoll genommene CD, Bl. I/38 d. A.). Schließlich beruft sie sich auf eine eidesstattliche Versicherung einer Frau S…(Anlage AG 5 zur Berufungsbegründung, Bl. II/16 ff., 25 d. A.), die nach dem – von der Antragstellerin bestrittenen – Vortrag der Antragsgegnerin das Telefonat mit Herrn S… geführt haben soll.

2.2.2.2.1.

Die CD Anlage AG 4 ist erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung beim Landgericht eingegangen und ist vom Landgericht daher zu Recht nicht mehr berücksichtigt worden, § 296a Satz 1 ZPO. Diese CD wird zwar im Schriftsatz vom 08. Juli 2022 (eingegangen beim Landgericht im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs am 11. Juli 2022, Bl. I/29 d. A.) auf dessen S. 2 (Bl. I/31 d. A.) erwähnt, sie ging aber erst mit dem per Post übersandten Exemplar des Schriftsatzes am 18. Juli 2022 beim Gericht ein (Bl. I/50 d. A.). In der Berufungsinstanz ist dieses Mittel zur Glaubhaftmachung ein neues Verteidigungsmittel (vgl. etwa Schilling in: Cepl/Voß, ZPO, 3. Aufl., § 296 Rn. 9) im Sinne des § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

§ 531 ZPO ist auch im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung anwendbar (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 4. Februar 2021 – I-15 U 37/20 –, Rn. 41, juris; OLG Köln, Urteil vom 14. Juli 2017 – 6 U 197/16 –, Rn. 94, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 7. Mai 2018 – 1 U 12/17 –, Rn. 26, juris; OLG Rostock, Urteil vom 21. Dezember 2016 – 2 U 15/16 –, Rn. 10, juris; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 28. Januar 2015 – 1 U 138/14 –, Rn. 54, 57, juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 22. Januar 2014 – 6 U 118/13 –, Rn. 28, juris; Heßler in: Zöller, ZPO, 35. Aufl., § 531 Rn. 1; Donle, GRUR 2024, 1607, 1608, 1611, 1612). Das Gesetz enthält keine Regelung, welche die Anwendbarkeit von § 531 ZPO im Verfügungsverfahren ausschließt. Auch die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit steht einer Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO nicht per se entgegen. Den Besonderheiten des Eilverfahrens kann, insbesondere, wenn Nachlässigkeit gemäß § 531 Abs. 2 ZPO im Raum steht, dadurch Rechnung getragen werden, dass etwa bei der Beantwortung der Frage, ob die Partei ihrer Prozessförderungspflicht genügt hat, auch die zeitliche Komponente des Einzelfalls und die Eigenheiten des Verfügungsverfahrens mit einfließen (vgl. nur OLG Düsseldorf, Urteil vom 4. Februar 2021 – I-15 U 37/20 –, Rn. 41, juris; Donle, GRUR 2024, 1607, 1611).

Im Streitfall liegen die Voraussetzungen der Zulassung (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 – 3 ZPO) nicht vor. Die Einreichung der CD erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung beim Landgericht war nachlässig; auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Eilverfahrens ergibt sich kein anderes Ergebnis. Dieses Verteidigungsmittel ist daher in der Berufungsinstanz nicht zu berücksichtigen.

2.2.2.2.2.

Gleiches gilt für die eidesstattliche Versicherung der Frau S…, die – nachlässig – erst in der Berufungsinstanz zu den Akten gereicht worden ist. Auch dies ist ein neues Verteidigungsmittel im Sinne des § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Die Voraussetzungen, dieses Verteidigungsmittel zweitinstanzlich zuzulassen, sind nicht erfüllt.

2.2.2.2.3.

Auch die CD, die als Anlage zum Protokoll genommen worden ist, ist nicht zu berücksichtigen:

Bei dem auf die CD gebrannten Audiofile handelt es sich um ein Augenscheinsobjekt (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 1981 – VI ZR 164/79 –, Rn. 7, juris), das grundsätzlich ein zulässiges Mittel der Glaubhaftmachung ist. Da im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung aber nach § 294 Abs. 2 ZPO eine Beweisaufnahme, die nicht sofort erfolgen kann, unstatthaft ist, dürfen nur sogenannte präsente Beweismittel Gegenstand der Beweisaufnahme und -würdigung sein (vgl. etwa Rinken/Thomas in: Cepl/Voß, aaO., § 294 Rn. 9). Ein Augenschein war aber im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht nicht möglich, da die CD nicht abgespielt werden konnte. Damit konnte das Gericht nicht sofort den Inhalt des Audiofiles zur Kenntnis nehmen, sodass eine sofortige Beweisaufnahme gerade nicht möglich war (vgl. hierzu auch Nober in: Anders/Gehle, ZPO, 82. Aufl., § 294 Rn. 15). Es war auch nicht Aufgabe des Gerichts, sondern vielmehr der Antragstellerin, eine Abspielmöglichkeit für das von ihr präsentierte Beweismittel zur Verfügung zu stellen. Es ist auch allgemein bekannt, dass CD-Player nicht zur Standardausstattung eines Sitzungssaales und eines Gerichts gehören, zumal selbst die wenigsten Computer überhaupt noch über ein Laufwerk verfügen, in der CDs (und DVDs) abgespielt werden können. Daher hat das Landgericht dieses Verteidigungsmittel zu Recht nicht berücksichtigt. Damit handelt es sich auch bei diesem Mittel der Glaubhaftmachung um ein Verteidigungsmittel, das „neu“ im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO ist, denn hierunter fallen auch Verteidigungsmittel, die in erster Instanz in unwirksamer Weise vorgebracht worden sind (Rimmelspacher in: MüKoZPO, 6. Aufl., § 520 Rn. 66; vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. August 2016 – VIII ZR 178/15 –, Rn. 22, juris). Auch insoweit liegen die Voraussetzungen der Zulassung (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 – 3 ZPO) nicht vor. Dass das Landgericht im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht sofort den Inhalt des Audiofiles zur Kenntnis nehmen konnte, beruhte auf der Nachlässigkeit der Antragsgegnerin. Dieses Verteidigungsmittel ist daher in der Berufungsinstanz nicht zu berücksichtigen.

2.2.2.3.

Aufgrund der eidesstattlichen Versicherung des Herrn S… sieht es der Senat als überwiegend wahrscheinlich an, dass Herr S… der Antragsgegnerin keine Vollmacht (mindestens) in Textform zur Kündigung eines Energieversorgungsvertrages erteilt hat.

2.2.2.4.

Überdies hätte die Antragsgegnerin das schlüssige Vorbringen der Antragstellerin selbst dann nicht erschüttert, würde man unterstellen, dass die von ihr eingereichten Gesprächsmitschnitte / Wortlautprotokolle zutreffend den Inhalt eines Telefonats zwischen einer Mitarbeiterin eines von der Antragsgegnerin beauftragten Unternehmens und Herrn S… wiedergeben würde.

2.2.2.4.1.

Aus dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vorgelegten Wortlautprotokoll ist schon nicht ersichtlich, welches Dokument in welcher Form unterschrieben ist, sodass daraus nicht hervorgeht, dass Herr S… eine Vollmacht zur Kündigung eines Energieversorgungsvertrages unterschrieben hätte. Zudem musste der Gesprächspartner laut dieses Protokolls vor der vermeintlichen Unterschrift auf drei Kästchen („Ja einverstanden“) sowie auf „Weiter“ drücken, nach der Unterschrift musste auf „Senden“ gedrückt werden und es erschien offenbar eine Anzeige „Unterschrift wird geprüft. Gleich geht’s weiter“. Dies alles widerspricht der Behauptung der Antragsgegnerin, Herr S… habe schlicht das als Anlage AG 2 vorgelegte Formular (nachfolgend auch nur: „AG2“) durch Anklicken eines E-Mail-Links aufgerufen und dann unterschrieben. Zudem ergibt sich aus dem Wortlautprotokoll, dass die Anruferin nach der Unterschrift feststellt: „Aber jetzt steht da H…“. Auf AG2 ist jedoch nur der Name „S…“ zu lesen. Auch dies spricht dafür, dass Gegenstand dieses Gespräches nicht AG2 gewesen ist.

Aus dem als Anlage AG 3 vorgelegten Wortlautprotokoll geht auch nicht hervor, dass eine Kündigungsvollmacht in Textform erteilt wurde.

2.2.2.4.2.

Unterstützt wird dieses Ergebnis durch folgende Umstände: Die Unterschrift auf AG2 unterscheidet sich signifikant sowohl von der Unterschrift von Herrn S… sowohl auf der eidesstattlichen Versicherung (Anlage AS 4) wie auch aus den handschriftlichen Notizen, wie sie aus Anlage AS 5 ersichtlich sind. Diese Unterschiede lassen sich angesichts deren Deutlichkeit nicht durch den – ohnehin – bestrittenen – Umstand erklären, dass Herr S… die Unterschrift auf AG2 auf dem Bildschirm seines Smartphones geleistet haben soll.

Hinzu kommt, dass selbst die Antragsgegnerin in ihrem als Anlage AS 5 vorgelegten Schreiben ausführt, Herr S… habe „keinen Auftrag unterschrieben“, was mit dem Vortrag der Antragstellerin im Einklang steht.

2.2.2.4.3.

Schließlich würde auch die Berücksichtigung der eidesstattlichen Versicherung der Frau S… der Antragsgegnerin nicht weiterhelfen. Wie aus deren Inhalt ersichtlich („aus dem System kann ich erkennen…“), hat Frau S… – wenig überraschend – keine eigene präsente Erinnerung an das Telefonat mehr, sodass der Glaubhaftmachungswert dieser eidesstattlichen hinter der des Herrn S… weit zurückbleibt.

2.2.3.

Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch das festgestellte rechtsverletzende Verhalten der Antragsgegnerin indiziert (vgl. nur BGH, Urteil vom 12. März 2020 – I ZR 126/18 –, Rn. 80, juris – WarnWetter-App; Urteil vom 13. September 2018 – I ZR 117/15 –, Rn. 52, juris – YouTube-Werbekanal II). Die Wiederholungsgefahr ist auch nicht dadurch ausgeräumt worden, dass die Antragsgegnerin eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hätte.

C.

Die beabsichtigte Festsetzung des Berufungswerts folgt aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1; 48; 40; 51 Abs. 2, Abs. 4 GKG und folgt der unbeanstandet gebliebenen Wertfestsetzung durch das Landgericht, die der Wertangabe in der Antragsschrift entspricht.

D.

Die Aussichtslosigkeit der Berufung ist offensichtlich. Offensichtlichkeit setzt nicht voraus, dass die Aussichtslosigkeit der Berufung gleichsam auf der Hand liegt; sie kann auch das Ergebnis einer gründlichen Prüfung sein (BT-Drs. 17/6406, S. 9, linke Spalte). Eine Berufung hat dann offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, wenn die Ausführungen des Berufungsführers zweifelsfrei keine Anhaltspunkte enthalten, die eine Abänderung des erstinstanzlichen Urteils aus rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen rechtfertigen (Heßler in: Zöller, ZPO, 35. Aufl., § 522 Rn. 36). So liegt es hier.

E.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts im Urteilswege. Die Entscheidung beruht – in Anwendung der ausreichend ergangenen, auch höchstrichterlichen Rechtsprechung auf den vorliegenden Einzelfall – auf den besonderen Umständen des vorliegend zu beurteilenden Sachverhalts.

F.

Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Ausreichende Gründe, aufgrund derer vorliegend eine mündliche Verhandlung geboten wäre (vgl. dazu BT-Drs. 17/6406, S. 9, linke Spalte), sind weder aufgezeigt noch sonst ersichtlich.

G.

Der Senat gibt ferner zu bedenken, dass sich nach KV-GKG Nr. 1222 die Gerichtsgebühren für das Berufungsverfahren von 4,0 auf 2,0 ermäßigen, wenn das Verfahren nicht durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO endet, sondern die Berufung zurückgenommen wird.

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