Als Internetanschlussinhaber haften Eltern als Störer für ihre (jugendlichen) Kinder

12. Januar 2011
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Eigener Leitsatz:

Erneut wurde entschieden, dass Eltern für Urheberrechtsverstöße ihrer jugendlichen Kinder als Störer haften, wenn sie ihrer durch die Bereitstellung eines Internetanschlusses gesteigerten Aufsichtspflicht nicht nachkommen. Durch die mittlerweile regelmäßige Berichterstatung sollte die Tatsache, dass durch das Überlassen eines Internetanschlusses an Dritte Rechtsverletzungen nicht unwahrscheinlich werden, in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt sein. Aus diesem Grunde dürfen Eltern nicht ihre Augen verschließen, sondern müssen vielmehr durch konsequente Ausübung ihrer Prüf- und Handlungspflichten dafür sorgen, dass Urheberrechtsverletzungen verhindert werden.

Landgericht Köln

Beschluss vom 01.12.2010

Az.: 28 O 594/10

Tenor:

Den Beklagten wird Prozesskostenhilfe bewilligt in Bezug auf die Rechtsverteidigung gegen den angekündigten Antrag der Klägerinnen, soweit der Antrag einen Betrag von 5.180,60 € übersteigt.

Im Übrigen wird der Prozesskostenhilfeantrag der Beklagten zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Entscheidungsgründe:

I.
Die Parteien streiten um Schadensersatzersatzansprüche sowie Zahlungsansprüche hinsichtlich der Abmahnkosten aufgrund von Filesharing über den Internetzugang der Beklagten zu 1).

Die Klägerinnen zählen zu den führenden deutschen Tonträgerherstellern. Sie sind jeweils Inhaber von zahlreichen Leistungsschutz- und Urheberrechten an verschiedenen Musikstücken. Ob die Klägerinnen Inhaberinnen der ausschließlichen Nutzungsrechte an den in der Klageschrift S. 5 – 6 aufgezählten Musikstücken sind, ist streitig. In sog. Online-Tauschbörsen werden Musikstücke als MP3-Dateien von den jeweiligen Beteiligten zum Download angeboten. Hier kann jeder Nutzer der Tauschbörse Musikstücke von den Computern des Anbietenden herunterladen. Hierdurch entstehen den Klägerinnen jährlich erhebliche Schäden.

Die Beklagte zu 1), deren Tochter die Beklagte zu 2) ist, ist Inhaberin eines Internetzuganges in M. Neben ihr nutzte auch die Beklagte zu 2) diesen Internetzugang.

Nachdem die Firma P GmbH im Auftrag der Klägerin über die IP-Adresse 217.226.216.72 am 28.02.2007 um 11:04:12 Uhr MESZ eine Urheberrechtsverletzung in Form von 614 Musikdateien feststellte, erstattete sie Strafanzeige gegen Unbekannt und teilte der Staatsanwaltschaft die IP-Adresse des Internetnutzers mit, von dem die angeblichen Downloads ermöglicht wurden. Die hiernach durchgeführte Anfrage bei der U AG ergab, dass diese IP-Adresse zum fraglichen Zeitpunkt dem Internetanschluss der Beklagten zu 1) zugeordnet war. Im weiteren Verlauf stellte sich heraus, dass die Beklagte zu 2) hierfür verantwortlich war.

Die Klägerinnen mahnten die Beklagten hierauf ab und forderten sie auf, eine entsprechende Unterlassungsverpflichtungserklärung abzugeben. Gleichzeitig wurde über die Zahlung einer Vergleichssumme zur Abgeltung sämtlicher etwaig bestehender Schadensersatz- und Kostenerstattungsansprüche verhandelt. Die Beklagten gaben jedoch im weiteren Verlauf nur eine Unterlassungsverpflichtungserklärung ab, im Übrigen erfolgte keine vergleichsweise Einigung.

Die Klägerinnen machen neben den anwaltlichen Abmahnkosten aus einem Streitwert von 200.000,- € einen Lizenzschaden von jeweils 200,- € für 15 Musikdateien geltend.

Die Klägerinnen behaupten, dass sie jeweils die Inhaberinnen der ausschließlichen Nutzungsrechte an den auf Bl. 5 – 6 der Klageschrift im Einzelnen aufgezählten Musikstücken sind.

Die Klägerinnen haben angekündigt zu beantragen,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerinnen zur gesamten Hand 5.380,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten haben angekündigt zu beantragen,

die Klage abzuweisen.

Für die Geltendmachung dieses Antrages beantragen die Beklagten, ihnen Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Sie halten das Landgericht Köln für örtlich unzuständig und bestreiten, dass 614 Dateien mit entsprechend geschütztem Inhalt öffentlich zugänglich gemacht wurden. Die Klägerinnen zu 3) und 4) seien schon nach ihrem eigenen Vortrag hinsichtlich des geltend gemachten Lizenzanspruches nicht aktivlegitimiert. Auch seien sie im Übrigen nicht Rechteinhaber. Ferner sei die Beklagte zu 1) unstreitig nicht die Verletzerin und müsse sich nicht eine fremde Verletzungshandlung der Tochter als eigene zurechnen lassen. Eine Verletzung der Aufsichtspflichten sei ebenfalls nicht ersichtlich, da die Tochter zu dem fraglichen Zeitpunkt bereits 17 Jahre alt gewesen sei. Auch die Beklagte zu 2) hafte nicht, da ihr die entsprechende Einsichtsfähigkeit gefehlt habe. So habe sie zum Zeitpunkt der Verwendung des Tauschbörsenprogramms nicht über das Wissen verfügt, hiermit Rechtsverletzungen gegenüber Dritten zu begehen. Es habe ein Informationsdefizit im Hinblick auf die aktuelle Rechtslage vorgelegen. Im Übrigen sei der geltend gemachte Schadensersatz zu hoch. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen hätten zudem nicht nach dem RVG abgerechnet.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.
Die beabsichtigte Rechtsverteidigung bietet nach dem bisherigen Vorbringen der Parteien in Bezug auf den bewilligten Teil Aussicht auf Erfolg. Soweit der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt wurde, liegen keine hinreichenden Erfolgsaussichten vor:

Die Klägerinnen haben gegen die Beklagten nach dem bisherigen Vortrag der Parteien einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 3.000,- € gemäß § 97 UrhG bzw. § 832 BGB sowie hinsichtlich der Abmahnkosten in Höhe von 2.180,60 € aus einem Streitwert von 160.000,- € nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag.

Im Einzelnen:

Das Landgericht Köln ist örtlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Köln ist gegeben, da die Verletzungshandlung – das Downloadangebot der streitgegenständlichen Musikstücke – planmäßig über das Internet auch in Köln und damit im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts Köln erfolgte. Die Zuständigkeit gemäß § 32 ZPO ist daher gegeben, da die unerlaubte Handlung auch in Köln begangen wurde (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 27. Auflage, § 32 Rn. 17, m.w.N.). Da der geltend gemachte Anspruch von der Klägerin schlüssig auch auf § 97 UrhG gestützt wird – dies reicht für die Begründung der Zuständigkeit aus (vgl. Vollkommer a.a.O., § 32 Rn. 19, m.w.N.)-, können im Rahmen der Prüfung auch alle weiteren Ansprüche berücksichtigt werden (vgl. Vollkommer, a.a.O., § 32 Rn. 20, m.w.N.).

1. Die Abmahnkosten sind über das Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag zu ersetzen. Denn derjenige, der vom Störer die Beseitigung einer Störung bzw. Unterlassung verlangen kann, hat nach ständiger Rechtsprechung im Urheberrecht grundsätzlich über dieses Institut einen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen gem. §§ 683 S. 1, 670 BGB, soweit er bei der Störungsbeseitigung hilft und im Interesse und im Einklang mit dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Störers tätig wird (BGH, NJW 1970, 243; 2002, 1494). Die gesetzliche Sonderregelung in § 12 Abs. 1 S. 2 UWG schließt außerhalb des Wettbewerbsrechts den Ersatz von Abmahnkosten über den vorgenannten Weg nicht aus. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit § 12 UWG nur die Grundsätze nochmals ausdrücklich anerkannt, die zuvor die Rechtsprechung zum Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten im Rahmen der Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen bereits entwickelt hatte (vgl. Bornkamm, in: Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 23. Aufl. 2004 § 12 Rn 1.77 f. 1.85 ff.) Es entspricht dem mutmaßlichen Willen des Störers, die durch die Verletzungshandlung entstehenden Kosten, auch die der Abmahnung selbst, möglichst gering zu halten. Insbesondere die durch Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts veranlassten Kosten sind daher zu ersetzen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind.

Das an die Beklagten gerichtete Abmahnschreiben war veranlasst. Denn es lag eine Rechtsverletzung vor, für die die Beklagten als Verletzer bzw. Störer haften und die Einschaltung der Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen war nicht rechtswidrig:

Den Klägerinnen stand nach § 97 UrhG ein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagten zu. Die Aktivlegitimation der Klägerinnen für die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs ist gegeben, da die Klägerinnen Inhaberinnen der ausschließlichen Nutzungsrechte an den auf S. 5-6 der Klageschrift vom 23.08.2010 genannten Titeln sind. Zwar haben die Beklagten die Aktivlegitimation bestritten. Dies erfolgte jedoch ersichtlich ins Blaue hinein und ist daher unbeachtlich. Die Klägerinnen sind nicht verpflichtet gewesen, eine vollständige Rechtekette für jeden Titel im Einzelnen darzulegen, die sie lückenlos mit dem ursprünglichen Rechteinhaber verbindet. Grundsätzlich ist zwar davon auszugehen, dass eine entsprechende Darlegung erforderlich ist. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Verletzer seinerseits in abweichender Einspielung oder äußerer Gestaltung Tonträger oder digitale Versionen von Musikstücken angeboten bzw. vertrieben und sich darauf berufen hat, ihm seien von dritter Seite entsprechende Rechte eingeräumt worden bzw. das Schutzrecht des Anspruchstellers sei abgelaufen oder in Deutschland nicht rechtsbeständig (vgl. OLG Hamburg in GRUR-RR 2008, 282). Anders verhält es sich indes im vorliegenden Fall. Die Beklagten bestreiten die Rechteinhaberschaft der Klägerinnen insbesondere unter Berücksichtigung der von den Klägerinnen vorgelegten Katalogdatenbank www.anonym1.de der Q GmbH lediglich pauschal und unsubstantiiert. Sie tragen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Vortrag der Klägerinnen insoweit unzutreffend sein könnte. Die Kammer geht daher davon aus, dass sich die Beklagten nicht erfolgreich "ins Blaue hinein" auf ein pauschales Bestreiten der Rechteinhaberschaft beschränken können. Eine derartige Rechtsverteidigung kann nur erfolgreich sein, wenn die Beklagten einzelfallbezogen konkrete Anhaltspunkte vortragen, die Zweifel an der Rechteinhaberschaft der jeweiligen Klägerin wecken können. Dies ist vorliegend nicht geschehen (vgl. OLG Hamburg a.a.O.). Deshalb waren die Klägerinnen auch nicht verpflichtet, zu allen der geltend gemachten Verletzungstitel vollständige Rechteketten nachzuweisen. Ein derartiges Verlangen würde letztlich den Anspruch der Klägerinnen auf effektiven Rechtsschutz leer laufen lassen (vgl. OLG Hamburg a.a.O.).

Ohne weiteres handelt es sich bei den Musikdateien um geschützte Werke im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 UrhG bzw. um Musikstücke, an denen Leistungsschutzrechte gemäß §§ 73, 85 UrhG bestehen.

Die Passivlegitimation der Beklagten zu 2) ergibt sich aus dem Umstand, dass sie die Musikdateien zum Tausch angeboten hat. Die Passivlegitimation der Beklagten zu 1) ist im Rahmen einer Haftung als Störerin ebenfalls gegeben. Im Rahmen des Unterlassungsanspruchs haftet in entsprechender Anwendung des § 1004 BGB jeder als Störer für eine Schutzrechtsverletzung, der – ohne selbst Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal an der rechtswidrigen Beeinträchtigung mitgewirkt hat (vgl. BGH GRUR 2010, 633 ff.; Urteil des OLG Köln vom 23.12.2009, Az. 6 U 101/09, m.w.N.). Wenn die Beklagte zu 1) Dritten, auch und gerade Mitgliedern ihres Haushalts, innerhalb ihres Haushalts einen Computer und einen Internetzugang zur Verfügung stellte und ihnen dadurch die Teilnahme an der Musiktauschbörse ermöglichte, dann war dieses willentliche Verhalten adäquat kausal für die Schutzrechtsverletzung. Jedenfalls seit dem Auftreten der Filesharing-Software "Napster" im Herbst 1999 ist derartiges auch nicht mehr ungewöhnlich und wird insbesondere und gerade von Jugendlichen vielfältig in Anspruch genommen. Durch die gesetzgeberischen Bemühungen, dem entgegenzuwirken, und dem verstärkten Tätigwerden der Strafverfolgungsbehörden ist dieser Umstand in den letzten Jahren auch nachhaltig in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt worden. Diese Diskussion wird in den Medien bis zum heutigen Tag regelmäßig zum Gegenstand der Berichterstattung gemacht. Vor diesem Hintergrund kann niemand – auch nicht die Beklagte zu 1) – die Augen davor verschließen, dass das Überlassen eines Internetzugangs an Dritte die nicht unwahrscheinliche Möglichkeit mit sich bringt, dass von diesen derartige Rechtsverletzungen begangen werden. Dieses Risiko löst Prüf- und Handlungspflichten desjenigen aus, der den Internetzugang ermöglicht, um der Möglichkeit solcher Rechtsverletzungen vorzubeugen (vgl. hierzu BGH GRUR 2010, 633 ff.).

Hiernach hätte es der Beklagten zu 1) nicht nur oblegen, den zugangberechtigten Dritten ausdrücklich und konkret zu untersagen, Musik mittels Filesharing-Software aus dem Internet herunterzuladen. Sie hätte weiterhin wirksame Maßnahmen zur Verhinderung der Rechtsverletzungen ergreifen müssen. Hierzu war sie als Inhaberin des Internetanschlusses auch unzweifelhaft in der Lage. So hätte ein eigenes Benutzerkonto mit beschränkten Rechten eingeräumt werden können. Des Weiteren wäre auch die Einrichtung einer wirksamen "firewall" möglich und zumutbar gewesen, durch die die Nutzung einer Filesharing-Software verhindert werden kann (vgl. auch LG Hamburg ZUM 2006, 661).

Wenn demnach von einer Rechtsverletzung auszugehen ist, sind die Beklagten auch zur Erstattung der Abmahnkosten nach den Grundsätzen der GOA verpflichtet.

Die Einschaltung eines Rechtsanwalts war auch grundsätzlich erforderlich im Sinne von § 670 BGB (vgl. OLG Köln a.a.O.).

Die Klägerinnen haben jedoch einen Anspruch nur in Höhe von 2.180,60 €. Hinsichtlich der Höhe der Abmahnkosten hat das OLG Köln (a.a.O.) in einem ähnlichen Fall folgendes ausgeführt:

"Der Höhe nach steht den Klägerinnen neben der Portopauschale von 20 € nur eine 1,3 Gebühr nach VV 2300 zum RVG in Höhe von 2.360,00 € zu.

Der Berechnung ist ein Gegenstandswert von 50.000 € für jede der vier Klägerinnen, in der Summe mithin ein Wert von 200.000 € zugrunde zu legen. Die Abmahnung diente dem Ziel, ein weiteres Anbieten von zu Gunsten der jeweiligen Klägerin geschützten Musiktiteln im Internet zum Download zu verhindern. Dieses Interesse ist nicht in mathematischer Abhängigkeit von der Anzahl der in das Netz gestellten Titel zu bemessen, vielmehr sind die Gesamtumstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Jede der vier Klägerinnen hatte im Ausgangspunkt schon wegen der unberechtigten Nutzung eines der zu ihren Gunsten geschützten Titel ein erhebliches Interesse an der Durchsetzung ihrer Ansprüche, weil bei einer Fortsetzung der Teilnahme an der Tauschbörse ein erneutes Einstellen von Titeln in nicht vorherzusehender Anzahl drohte. Dieses Interesse war noch dadurch gesteigert, weil von dem Internetanschluss der Beklagten bereits in ganz erheblichem Umfang Rechtsverletzungen vorgenommen worden waren. Es sind am 9.8.2005 insgesamt 964 Musikdateien im MP-3 Format von dem Computer der Beklagten aus zum Download angeboten worden. Die Klägerinnen mussten danach befürchten, dass ohne ein erfolgreiches Einschreiten zukünftig in ähnlichem Umfang Rechtsverletzungen vorgenommen werden würden. Dabei ist es von untergeordneter Bedeutung, dass nur für 131 Titel die Rechtsinhaberschaft einer der Klägerinnen konkret dargelegt worden ist. Für den aus der hohen Zahl von nahezu 1000 Titeln folgenden Gefährdungsgrad ist es unerheblich, dass die Titel nicht alle zu Gunsten der jeweiligen einzelnen Klägerin geschützt waren. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass es sich zumindest bei einer Anzahl von Musikstücken – wie etwa denjenigen von "The Who” – nicht um aktuelle Neuerscheinungen gehandelt hat. Es kann danach nicht von einer besonders hohen Zugriffswahrscheinlichkeit ausgegangen werden. Nicht zuletzt angesichts der von den Klägerinnen selbst in deren als Anlage K 8 vorgelegtem Schreiben vom 11.1.2006 vorgenommenen Berechnung, wonach für den legalen Erwerb der in Rede stehenden 964 Titel ein Betrag von ca. 1.339 € aufzubringen gewesen wäre, schätzt der Senat unter Berücksichtigung dieser Umstände das Interesse der vier Klägerinnen einheitlich auf je 50.000 €, woraus sich der Gesamtwert von (4 x 50.000 € =) 200.000 € ergibt.

Entsprechend den Ausführungen der Klägerinnen auf S. 15 der Klageschrift ist eine 1,3 Gebühr aus VV 2300 der Anlage 1 zum RVG entstanden. Diese Gebühr ist nicht gem. VV 1800 der Anlage 1 zum RVG um insgesamt 0,9 Gebühren auf 2,2 Gebühren zu erhöhen, weil es sich für die Bevollmächtigten der Klägerinnen nicht um dieselbe Angelegenheit im Sinne der §§ 7 Abs. 1, 15 Abs. 2 RVG gehandelt hat. Die vier Klägerinnen machen nicht denselben, sondern jede eigene Ansprüche geltend, indem sie sich – wie es die Aufstellung auf S. 5 ff der Klageschrift ausweist – auf die Verletzung von speziellen, jeweils nur einer von ihnen zustehenden Rechten an unterschiedlichen Musiktiteln berufen. Entgegen der im Berufungsverfahren von den Beklagten im Schriftsatz vom 27.11.2009 geäußerten Auffassung steht ihnen die Gebühr auch nicht in einer den Satz von 1,3 übersteigenden Höhe zu, weil ihre Tätigkeit im Abmahnverfahren weder schwierig noch umfangreich war. Den Klägerinnen mag einzuräumen sein, dass die Materie nicht jedem Rechtsanwalt vertraut sein wird. Es ist aber davon auszugehen, dass die Erarbeitung der Abmahnung für ihre auf die Materie spezialisierten Rechtsanwälte keinen überdurchschnittlichen Aufwand erfordert hat und sogar weitgehend der Einsatz von Textbausteinen möglich war. Anhaltspunkte für besondere Schwierigkeiten des Einzelfalles sind nicht ersichtlich oder vorgetragen. Insbesondere brachte es auch keinen Mehraufwand mit sich, die Abmahnung statt nur für einen Mandanten für die vier Klägerinnen auszusprechen.

Zusätzlich zu der 1,3 Gebühr gem. VV 2300 in Höhe von 2.360 € hat die Beklagte auch die Portopauschale in Höhe von 20 € aus VV 7002 zum RVG zu zahlen, woraus sich der tenorierte Gesamtbetrag von 2.380 € ergibt.”

Die Kammer schließt sich diesen Ausführungen an. In Anbetracht der Tatsache, dass die Anzahl der online gestellten Titel vorliegend bei 614 lag, schätzt die Kammer den Streitwert unter Berücksichtigung der durch das Oberlandesgericht dargestellten Kriterien auf 40.000,00 € pro Klägerin. Dabei hat die Kammer insbesondere berücksichtigt, dass die Zahl der öffentlich zugänglich gemachten Titel unterhalb der durch das OLG Köln zu beurteilenden Menge lag. Eine lineare Berechnung scheidet dennoch aus, da hierbei das individuelle Interesse der Klägerinnen an der Unterlassung nicht hinreichend und für jeden Einzelfall ausreichend berücksichtigt werden kann.

Soweit die Beklagten ausführen, es sei seitens der Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen nicht nach dem RVG abgerechnet worden, ist dies hoch spekulativ und nicht geeignet, den Anspruch hieran scheitern zu lassen.

2. Die Klägerinnen haben nach dem bisherigen Vortrag der Parteien auch einen Schadensersatzanspruch in der geltend gemachten Höhe. Dieser ergibt sich hinsichtlich der Beklagten zu 2) aus § 97 UrhG und hinsichtlich der Beklagten zu 1) aus § 832 BGB.

Die Beklagte zu 2) hat die Urheberrechtsverletzung unstreitig begangen. Sie handelte dabei auch zumindest fahrlässig, da sie hätte erkennen können, dass es sich hierbei um eine Urheberrechtsverletzung handelte. Soweit insoweit ausgeführt wird, ihr habe die fehlende Einsichtsfähigkeit gefehlt, vermag dies nicht zu überzeugen. Es handelt sich um eine zum Tatzeitpunkt 17-jährige, normal entwickelte Jugendliche. Die erforderliche Einsichtsfähigkeit ist gegeben, wenn der Minderjährige nach seiner individuellen Verstandesentwicklung fähig ist, das Gefährliche seines Tuns zu erkennen und sich der Verantwortung für die Folgen seines Tuns bewusst zu sein (Palandt, § 828, Rn. 6). Hierfür ist jedoch nichts ersichtlich. Insbesondere handelte es sich bei der Beklagten zu 2) nach dem eigenen Vortrag um einen aufgeweckten, freundlichen Teenager, welcher ein ihrem Alter entsprechendes Sozialverhalten aufwies. Es bestanden seitens der Beklagten zu 1) zu keinem Zeitpunkt Zweifel an der charakterlichen Stärke der Beklagten zu 2). Soweit ein Informationsdefizit hinsichtlich der gültigen Rechtslage beschrieben wird, ist dies nicht geeignet, eine fehlende Einsichtsfähigkeit zu begründen. Sollte insofern eine Unwissenheit bestanden haben, schützt dies nicht vor der Verantwortung für die eigenen Handlungen.

Hinsichtlich der Beklagten zu 1) ergibt sich ein Anspruch aus § 832 BGB. Der Bundesgerichtshof geht davon aus, dass Schutzrechtsverletzungen als unerlaubte Handlungen Ansprüche gegen den Täter, Mittäter (§ 830 I 1 BGB) oder Teilnehmer (§ 830 II BGB) der unerlaubten Handlung sowie daneben gegen denjenigen begründen können, dem das Verhalten des Handelnden zuzurechnen ist (vgl. BGH in NJW-RR 2002, 832, Meißner Dekor). Darüber hinaus eröffnet die Störerhaftung die Möglichkeit, auch denjenigen in Anspruch zu nehmen, der – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines geschützten Gutes oder zu einer verbotenen Handlung beigetragen hat (vgl. BGH a.a.O., m.W.N.) Diese Haftung, die ihre Grundlage nicht im Deliktsrecht, sondern in der Regelung über die Besitz- und die Eigentumsstörung in § 862 und in § 1004 BGB hat, vermittelt zwar nur Abwehransprüche. Für einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Störer fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BGH a.a.O., m.w.N.).

Allerdings haftet die Beklagte zu 1) hier dennoch nach § 832 BGB. Dabei ist davon auszugehen, dass sich bei Kindern das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter, aber auch nach der Voraussehbarkeit schädigen Verhaltes richtet (vgl. Sprau in Palandt, § 832, Rn. 8, m.w.N.). Insbesondere in Situationen mit erhöhtem Gefährdungspotential besteht eine gesteigerte Aufsichtspflicht (vgl. Sprau a.a.O.). Die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte zu 1) hat vorliegend nicht dargelegt, dass sie diesen Aufsichtspflichten nachgekommen ist. Insbesondere bestand nach ihrem eigenen Vortrag eine mangelnde Einsichtsfähigkeit ihrer Tochter. Vor diesem Hintergrund hätte die Beklagte zu 1) ungeachtet dessen, dass eine Haftung nach § 832 BGB keine Überwachungspflichten beinhaltet, in besonderem Maße auf die Beklagte zu 2) einwirken müssen.

Die Beklagte hat damit ihrer nach § 832 BGB bestehenden Aufsichtspflicht nicht genügt.

Für die Höhe des Schadensersatzanspruchs gilt folgendes:

Dem in seinem Urheberrecht Verletzten stehen nach allgemeiner Ansicht im Rahmen des Schadensersatzanspruches aus § 97 UrhG drei Möglichkeiten der Schadensberechnung zur Verfügung. Er kann zum einen die Herausgabe des Verletzergewinnes verlangen, zum anderen seinen Schaden als konkreten Schaden im Sinne des § 249 BGB berechnen. Er hat weiterhin die Möglichkeit, die von einem konkreten Schaden unabhängige angemessene Lizenzgebühr geltend zu machen (vgl. zur Schadensberechnung BGH GRUR 1973, 663 – Wählamt; Dreier/Schulze, UrhG, § 97 Rn. 58 m.w.N.). Zwischen diesen Möglichkeiten der Schadensberechnung besteht ein Wahlrecht des Verletzten (Dreier/Schulze, UrhG, § 97 Rn. 68). Vorliegend haben die Klägerinnen ihren Schaden auf der Grundlage der Lizenzanalogie berechnet und die Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr verlangt. Für diese Art der Schadensberechnung ist der Eintritt eines konkreten Schadens nicht erforderlich. Der Verletzer hat vielmehr dasjenige zu zahlen, was vernünftige Parteien bei Abschluss eines fiktiven Lizenzvertrages in Kenntnis der wahren Rechtslage und der Umstände des konkreten Einzelfalles als angemessene Lizenzgebühr vereinbart hätten (Dreier/Schulze, UrhG, § 97 Rn. 61 m.w.N.). Anhaltspunkt für die Bemessung der Höhe der angemessenen Lizenzgebühr kann ein branchenüblicher Tarif sein. Existiert kein unmittelbar anwendbarer Tarif, so ist von derjenigen Vergütung auszugehen, die nach Art und Umfang der Verwertung am nächsten liegt. Vor diesem Hintergrund erscheint vorliegend eine Lizenzgebühr von 200,- € für jede Musikdatei angemessen, § 287 ZPO. Der Anspruch besteht demnach in der geltend gemachten Höhe.

Soweit die Beklagten hinsichtlich des Schadensersatzanspruches die fehlende Aktivlegitimation der Klägerinnen zu 3) und 4) rügen, vermag auch dies kein anderes Ergebnis zu rechtfertigen, da die Verteidigung insoweit mutwillig ist, § 114 ZPO. Eine Rechtsverfolgung ist mutwillig, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde (Zöller, ZPO, § 114, Rn. 30). So verhält es sich hier. Zwar ist eine Aktivlegitimation der Klägerinnen zu 3) und 4) tatsächlich nicht erkennbar. Allerdings besteht der geltend gemachte Anspruch dennoch in unveränderter Höhe fort, da er den Klägerinnen zu 1) und 2) zusteht. Eine verständige Partei würde daher eine solche Verteidigung nicht verfolgen.

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