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Rücktrittsvoraussetzungen eines Käufers beim Verbrauchsgüterkauf

11. Mai 2012
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Weißer Einkaufswagen auf einem blauen Oval.

Eigener Leitsatz:

Die Vorschrift des § 323 BGB ist im Hinblick auf die Verbrauchsgüterrichtlinie der Europäischen Union (EU RL 1999/44) richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass für den Rücktritt alleine der Ablauf, nicht aber das Setzen einer angemessenen Frist erforderlich ist. Einer Fristsetzung bedurfte es daher entgegen dem Wortlaut des § 323 BGB nicht. Vielmehr genügt es, wenn eine angemessene Frist für die gegebene Gelegenheit der Nacherfüllung verstrichen ist, ohne dass der Käufer jene gesetzt hatte. Der Käufer konnte daher wirksam vom Kaufvertrag zurücktreten und den gezahlten Kaufpreis zurückverlangen, obwohl dieser keine Frist zum Rücktritt gesetzt hatte.

Landgericht Stuttgart

Urteil vom 08.02.2012

Az.: 13 S 160/11

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Waiblingen vom 06.09.2011 (Az.: 7 C 2244/10) wird

zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsrechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die vorläufige Vollstreckung der Klägerin abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages, es sei denn, dass die Klägerin vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Berufungsstreitwert: 1.140,00 Euro

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klägerin kaufte für ihre Wohnung bei der Beklagten, einem gewerblich auftretenden Möbelhaus, am 28.12.2009 eine lederne Polstergarnitur mit Zusatzleistungen zum Gesamtpreis von 3.850,00 EUR. Auf diesen Kaufpreis zahlte sie bei Abschluss des Vertrages 1.140,00 EUR an. Nach Rücktritt vom Kaufvertrag verlangt die Klägerin von der Beklagten die Rückerstattung dieser Anzahlung.

Die Beklagte ließ die Polstergarnitur am 06.04.2010 durch ein Transportunternehmen bei der Klägerin anliefern und aufstellen. Bei der Aufstellung erkannte die Klägerin, dass sich jene nicht in einem vertragsgemäßen Zustand befand; die Parteien sind sich darüber einig, dass ein erheblicher Sachmangel vorlag. Weil der Transportunternehmer Weisung der Beklagten hatte, die Polstergarnitur nur Zug um Zug gegen Zahlung des Restkaufpreises bei der Klägerin zu belassen, die Klägerin wegen des Mangels aber nicht zur vollständigen Zahlung bereit war, nahm der Transportunternehmer die Polstergarnitur wieder mit. Zwischen den Parteien gab es noch am 06.04.2010 eine Kontaktaufnahme, deren Inhalt streitig ist.

Unter dem Datum des 06.04.2010 schrieb die Beklagte an die Klägerin, dass sie deren Beanstandung an den Hersteller weitergeleitet habe. Die Klägerin werde deswegen um ein wenig Geduld gebeten (Anl. K 5, Bl. 20 d.A.). Nachdem die Klägerin bis zum 18.04.2010 keine weitere Nachricht von der Beklagten erhalten hatte, schrieb sie jener, dass sie, weil nicht abzusehen sei, wie und wann die Beanstandung beantwortet werde, vom Kaufvertrag zurücktrete (Anl. K 6, Bl. 21 d.A.). Darauf antwortete die Beklagte mit Schreiben vom 20.04.2010, in welchem sie den Rücktritt zurückwies und mitteilte, dass sie ihr Nachbesserungsrecht in Anspruch nehmen wolle; sie werde unaufgefordert wieder auf die Klägerin zukommen (Anl. K 7, Bl. 22 d.A.). Die Beklagte meldete sich erneut bei der Klägerin mit Schreiben vom 10.05.2010, in welchem sie mitteilte, dass die Polstergarnitur nunmehr zunächst zum Hersteller transportiert werden müsse. Mit einer Rücklieferung an die Klägerin sei nicht vor Ende Juni 2010 zu rechnen (Anl. K 8, Bl. 23 d.A.). Daraufhin suchte die Klägerin ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten auf, welcher der Beklagten im Namen der Klägerin schrieb, dass der Klägerin angesichts des Zeitablaufs und der Ankündigung einer weiteren langen Frist ein Zuwarten nun endgültig nicht mehr zumutbar sei, weswegen sie vom Kaufvertrag zurücktrete (Anl. K 9, Bl. 24 d.A.).

Die Klägerin trägt vor, dass sie am Tag der Anlieferung, dem 06.04.2010, telefonisch gegenüber der Beklagten erklärt habe, dass sie die mangelhafte Polstergarnitur so nicht akzeptiere und von der Beklagten verlange, dass diese entweder die Polstergarnitur unverzüglich repariere oder ihr eine neue, mangelfreie liefere. Am Abend des 06.04.2010 habe sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten, dem Zeugen B., das Möbelhaus der Beklagten aufgesucht und dort mit dem Filialleiter gesprochen. Auch jenem habe sie gesagt, dass sie auf einer Reparatur oder einer mangelfreien Neulieferung bestehe. Damals habe sie keineswegs die Absicht gehabt, vom Kaufvertrag zurückzutreten. Ihr sei es darum gegangen, dass die Beklagte ihr eine mangelfreie Polstergarnitur liefere. Das habe sie auch deutlich zum Ausdruck gebracht. Die Klägerin steht auf dem Rechtsstandpunkt, dass eine Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht erforderlich gewesen sei. Wegen des langen Zeitablaufes und des zögerlichen Verhaltens der Beklagten sei für sie eine Fristsetzung unzumutbar gewesen.

Die Klägerin hat im ersten Rechtszug beantragt, die Beklagte zur Rückzahlung der angezahlten 1.140,00 EUR nebst Prozesszinsen seit Rechtshängigkeit zu verurteilen.

Die Beklagte hat im ersten Rechtszug Klagabweisung beantragt.

Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil der Klage stattgegeben. Das Urteil ist im Wesentlichen auf die Begründung gestützt, dass der Klägerin eine Fristsetzung nach § 440 BGB nicht zumutbar gewesen sei.

Die Beklagte wendet sich gegen das Urteil des Amtsgerichtes mit der Behauptung, dass die Klägerin niemals eine Nacherfüllung verlangt habe. Dies sei nicht telefonisch geschehen und die Klägerin sei auch nicht am 06.04.2010 im Möbelhaus gewesen. Zudem steht die Beklagte auf dem Rechtsstandpunkt, dass ein Rücktritt schon deswegen ausgeschlossen sei, weil die Klägerin der Beklagten keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt habe. Ein Fall der Unzumutbarkeit liege nicht vor.

Deswegen beantragt die Beklagte,

das Urteil des Amtsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird gem. § 540 Abs. 1 ZPO ergänzend Bezug genommen. Wegen des Berufungsvorbringens wird auf die vorgelegten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Das Berufungsgericht hat über die Frage, ob die Klägerin die Beklagte zur Nacherfüllung aufgefordert hat, Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen

B.

II.

Der form- und fristgerecht eingelegten und mit einer Begründung versehenen Berufung der Beklagten bleibt in der Sache der Erfolg versagt. Das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass die Klägerin wirksam von dem Kaufvertrag zurückgetreten ist und daher einen Anspruch auf Rückerstattung des angezahlten Kaufpreises hat.

1. Nachdem zwischen den Parteien unstreitig ist, dass die Polstergarnitur sachmangelbehaftet war, stehen der Klägerin die Gewährleistungsrechte des § 437 BGB zu. Die Klägerin kann gem. § 437 Nr. 2 BGB in Verbindung mit den dort genannten weiteren Vorschriften von dem Kaufvertrag zurücktreten und den teilweise gezahlten Kaufpreis zurückverlangen.

2. Die rechtliche Voraussetzung des vorgelagerten Nacherfüllungsverlangens nach § 439 BGB ist erfüllt.

a) Die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Beklagte das behauptete Nacherfüllungsverlangen verspätet bestritten hat, kann dahingestellt bleiben, weil das Berufungsgericht ohne Verzögerung des Rechtsstreits über diese Frage Beweis erheben konnte. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin von der Beklagten eine Nacherfüllung verlangt hat. Der Zeuge B. hat den streitigen Vortrag der Klägerin glaubhaft bestätigt. Das Gericht hat bei der Würdigung der Aussage berücksichtigt, dass es sich bei dem Zeugen um den Lebensgefährten der Klägerin handelt. Ein gewisses Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits ist evident. Gleichwohl gibt das Näheverhältnis zwischen der Klägerin und dem Zeugen keinen Anlass, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln. Der Zeuge hat sowohl das Telefongespräch als auch das von der Beklagten bestrittene Gespräch mit dem Niederlassungsleiter in den Räumen des Möbelhauses widerspruchsfrei und detailreich geschildert. Angesichts des Umstandes, dass der Zeuge den Besuch im Möbelhaus und das Gespräch mit dem Filialleiter in allen Einzelheiten beschreiben konnte, bis hin zu dem von jenem angebotenen Glas Sekt, ist die Kammer davon überzeugt, dass dieses Gespräch entgegen den Behauptungen der Beklagten stattgefunden hat. Die Kammer ist weiter davon überzeugt, dass die Klägerin das Gespräch nicht mit dem Ziel geführt hat, sofort von dem Kaufvertrag zurückzutreten und die Anzahlung zurückzuerhalten. Vielmehr war es offensichtlich so, dass die Klägerin an dem Erhalt der mangelfreien Ware, wie bestellt, interessiert war. Der Schriftverkehr und vor allem die Äußerungen der Beklagten darin begründen keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass es der Klägerin zunächst um die Nacherfüllung ging und sie diese von der Beklagten deutlich verlangt hat. Nicht erst als die Klägerin Tage später die Rücktrittsabsicht bekundet hat, hat die Beklagte auf ihrem Nacherfüllungsrecht bestanden. Auch davor war von Seiten der Beklagten von Versuchen zur Mangelbeseitigung die Rede. Daraus ergibt sich für die Kammer in Verbindung mit der Zeugenaussage die sichere Überzeugung, dass die Klägerin zunächst von der Beklagten Nacherfüllung verlangt hat.

b) Entgegen den Rechtsausführungen der Klägerin und des Amtsgerichts in dem angefochtenen Urteil war für die Klägerin eine Fristsetzung zur Nacherfüllung nach § 440 BGB keineswegs unzumutbar. Die Klägerin hat keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich nachvollziehbar ergibt, dass eine Nacherfüllung nach Ablauf einer angemessenen Frist für sie wertlos oder aus anderen Gründen nicht zumutbar sei. Einer Fristsetzung nach § 323 BGB bedurfte es hier aber aus anderen Gründen nicht. Das Setzen einer Frist ist nämlich im Verbrauchsgüterkauf grundsätzlich nicht erforderlich. § 323 BGB sieht zwar – abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmefällen – das Erfordernis der Fristsetzung vor. Die Vorschrift des § 323 BGB ist jedoch im Hinblick auf die Verbrauchsgüterrichtlinie der Europäischen Union (EU RL 1999/44) richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass für den Rücktritt alleine der Ablauf, nicht aber das Setzen einer angemessenen Frist erforderlich ist. Immer dann, wenn ein nationales Gesetz nicht mit einer EU-Richtlinie übereinstimmt, besteht Anlass für die Prüfung einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung (vgl. BGH NJW 2009, 427). Ein Fall der fehlenden Übereinstimmung liegt hier vor. Während das deutsche Gesetz in § 323 Abs. 1 BGB ausdrücklich das Setzen einer Frist verlangt, genügt nach Art. 3 Abs. 5 2. Spiegelstrich EU RL 1999/44 der Ablauf einer Frist, indem es dort heißt: „…wenn der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe geschaffen hat…“. Damit hat das deutsche Gesetz die Voraussetzungen des Rücktritts für den Verbraucher in einer Weise erschwert, welche die Richtlinie so nicht vorgesehen hat. § 323 BGB hat einen erheblich weiteren Anwendungsbereich als Art. 3 Abs. 5 2. Spiegelstrich EU RL 1999/44. Die überschießende Umsetzung ist deswegen im Wege der richtlinienkonformen Auslegung einschränkend dahingehend auszulegen, dass es der Fristsetzung nach § 323 BGB bei Verbrauchsgüterkäufen als Voraussetzung für den Rücktritt nicht bedarf. Vielmehr genügt es, wenn eine angemessene Frist für die gegebene Gelegenheit der Nacherfüllung verstrichen ist, ohne dass der Käufer jene gesetzt hatte (ganz h.M. in der Rechtsliteratur, vgl. nur Ernst in Münchener Kommentar, 5. Auflage, § 323 BGB Rn 50a; Grothe in Bamberger/Roth, Edition 21, § 323 BGB Rn 11, jeweils m.w.N.). Weil die zu privaten Zwecken handelnde Klägerin Verbraucherin im Sinne des § 13 BGB und die Beklagte Unternehmerin im Sinne des § 14 BGB ist, liegt ein Fall des Verbrauchsgüterkaufes vor.

c) Jedenfalls bis zu der zweiten Erklärung des Rücktritts am 19.05.2010 war eine solche angemessene Frist abgelaufen. Der Verkäufer einer mangelhaften Sache muss sich auf das Nacherfüllungsverlangen des Käufers hin besonders anstrengen, den Mangel zügig zu beseitigen. Maßstab für die Nacherfüllungsfrist kann daher regelmäßig nicht die ursprüngliche Lieferfrist sein und der Verkäufer darf auch nicht mit der Nacherfüllung zuwarten, bis er seinerseits Gewährleistungsansprüche mit seinem Lieferanten geklärt hat (vgl. BGH NJW 1985, 320; Ernst in Münchener Kommentar, 5. Auflage, § 323 BGB Rn 70 ff., m.w.N.). Eine ausdrückliche Vereinbarung der Parteien für Nacherfüllungsfristen ist nicht vorgetragen, ebenso wenig sind es die wohl einbezogenen allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten. Bei Gebrauchsgegenständen aus Serienproduktion ist regelmäßig eine Nacherfüllung binnen weniger Tage zu erwarten. Beim Möbelkauf kann eine angemessene Frist für die Nacherfüllung wegen der Produktions- und Lieferdauer gegebenenfalls etwas länger sein. Ohne dass – wie hier – Besonderheiten einer längeren Produktions- und Lieferfrist vorgetragen sind, ist davon auszugehen, dass die maximale Nacherfüllungsfrist beim Möbelkauf vier Wochen beträgt (vgl. BGH aaO V.2.a.). Hier ist der Rücktritt erst sechs Wochen nach der mangelhaften Lieferung erklärt worden. Zudem hatte die Beklagte mitgeteilt, dass für eine Überprüfung durch den Hersteller und eine eventuelle Nacherfüllung einige weitere Wochen Zeit gebraucht werde. Unter diesen Umständen war bei der zweiten Rücktrittserklärung eine angemessene Nacherfüllungsfrist abgelaufen, so dass die Klägerin zum Rücktritt berechtigt war.

3. Die Klägerin hat neben der Hauptforderung gem. §§ 288, 291 BGB Anspruch auf Ersatz der Prozesszinsen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO. Weil es sich bei der entscheidungserheblichen Frage der richtlinienkonformen Auslegung des § 323 BGB um eine solche von grundsätzlicher Bedeutung handelt, die zudem eine Fortbildung des Rechts durch einheitliche Rechtsprechung erfordert und die bislang – soweit ersichtlich – nicht obergerichtlich entschieden sowie insbesondere in den Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 10.03.2010 (VIII ZR 310/08) und 13.07.2011 (VIII ZR 215/10) nicht behandelt worden ist, wird gem. § 543 ZPO die Revision zugelassen.

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