Regelmäßiger Biergenuss schützt vor Demenz

05. Oktober 2011
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Eigener Leitsatz:

Unlauter ist die Bewerbung von alkoholischen Getränken – hier Bier – mit gesundheitsförderlichen Angaben. 

Landesgericht Berlin

Urteil vom 10.05.2011

Az.: 16 O 259/10

 

Tenor:

1. Der Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an ihrem Vorstand

zu unterlassen,

im Rahmen geschäftlicher Handlungen für Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent mit folgenden Aussagen zu werben oder werben zu lassen:

a) "Wer moderat Alkohol genießt, ist im Alter weniger gefährdet, an Demenz zu ertranken."

b) "Wer mäßig Alkohol trinkt, verringert die Gefahr, an Alters-Diabetes zu erkranken, um rund 30 Prozent."

c) "Bier ist reich an Vitaminen und arm an Kalorien, es regt den Stoffwechsel und die Durchblutung an, stärkt die Knochen und mindern das Herzinfarktrisiko. Manchen Inhaltsstoffen des Hopfens wird sogar nachgesagt, sie könnten das Krebsrisiko mindern."

d) "Wichtige Fitmacher sind die leicht verdaulichen Kohlenhydrate des Bieres, aus denen der Körper schnell verfügbare Energie gewinnt. Für Schönheit, aber auch für Gesundheit und Wohlbefinden sorgen die im Bier enthaltenen B-Vitamine: Sie sind nämlich nicht nur wichtig für eine reine Haut und schönes Haar, sondern auch für den gesamten Stoffwechsel, für Nerven, Immunsystem, Blutbildung und Sehvermögen. Die B-Vitamine gehören zu den Vitaminen, die der Körper nur in sehr geringen Mengen speichern kann. […] Bier enthält außerdem die Mineralstoffe Magnesium und Kalium, die vom Körper benötigt werden, damit Muskeln und Nerven richtig funktionieren. Magnesium unterstützt die Muskeltätigkeit und die Reizübertragung der Nerven. Kalium ist wichtig für Herz- und Muskelfunktion, spielt aber auch bei der Wasserausscheidung aus dem Körper und bei der Regulierung des Blutdrucks eine wichtige Rolle. So kann eine hohe Kaliumaufnahme den Blutdruck senken. Natrium und Kalzium sind dagegen kaum in Bier zu finden. Ein Plus für die Gesundheit, denn Kombination von Kalziumarmut und Magnesiumreichtum beugt Herzerkrankungen, Gallen- und Harnstein vor."

e) "In vielen wissenschaftlichen Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass Bier das Herzinfarktrisiko senken kann. Beim Vergleich von Abstinenzlern mit Biertrinkern stellte sich heraus: Maßvolle Biertrinker erleiden nur halb so oft einen Herzinfarkt. Außerdem gibt es Hinweise, dass leichter bis mäßiger Alkoholgenuss auch gegen andere Herz / Kreislauf-Erkrankungen und gegen einen Schlaganfall vorbeugen kann. […] Natürliche Inhaltstoffe im Bier, sogenannte Polyphenole, verbessern die körpereigene Abwehr gegen aggressive Umwelteinflüsse wie z.B. frei Radikale, welche u.a. zur Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen. […] Wer mäßig aber regelmäßig Bier trinkt, tut seinem Herzen also etwas Gutes."

f) "Eine simple Möglichkeit, die Knochen zu stärken und zu erhalten, ist: Jeden Tag ein Glas Bier trinken. […] Das ist vor allem für Frauen interessant: Osteoporose, einer Schwächung des Knochenbaus, von der verstärkt Frauen. In den Wechseljahren betroffen sind, kann durch Bier vorgebeugt werden. Verantwortlich für diese Wirkung des Bieres ist die Gerste, in der das mineralische Silizium enthalten ist."

g) "Regelmäßiger leichter Alkoholgenuss kann vor Demenz schützen."

2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 200,00 Euro zu zahlen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 1/5 und der Beklagte 4/5.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, wegen des Tenors zu 1. jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,00 Euro und im Übrigen für den Kläger nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Hohe des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern der Beklagte vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der Kläger ist der Dachverband aller 16 Verbraucherzentralen und weiterer Verbraucherorganisationen in Deutschland. Zu seinen satzungemäßen Aufgaben zählt die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen. Er ist in der beim Bundesamt für Justiz geführten Liste qualifizierter Einrichtungen eingetragen.

Der Beklagte ist ein Dachverband, dem fünf Regionalverbände und ein Fachverband der Brauereiwirtschaft angehören. Er nimmt die Interessen der Brauereiwirtschaft in Deutschland wahr, indem er fairen Wettbewerb fördert seinen Mitgliedern ein Forum für Erfahrungsaustausch bietet und sich für den Erhalt des Reinheitsgebotes einsetzt. Ein Angebot absatzfördernder Maßnahmen zugunsten einzelner Unternehmen gehört nicht zu seinen Aufgaben.

Auf seiner unter www…de abrufbaren Internetseite erläuterte er, welche Auswirkungen Bier auf die Gesundheit und den menschlichen Körper hat. Dabei äußerte er sich wie aus dem Tenor ersichtlich. Die Einzelheiten sind der Anlage K 2 zu entnehmen.

Der Kläger mahnte ihn deshalb mit Schreiben vom 06. April 2010 erfolglos ab. Hierfür beansprucht er Kostenerstattung in Höhe von 200,00 €.

Der Kläger meint, bei den Darstellungen handele es sich um Image-Werbung. Für eine geschäftliche Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG genüge ein Marktbezug. Einer Wettbewerbsförderungsabsicht bedürfe es nicht Die Aussagen verstießen gegen § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (Health Claims VO, im folgenden HCV), da sie einen Zusammenhang zwischen dem Verzehr eines Lebensmittels und der Gesundheit herstelle. Das Verwendungsverbot des Art. 4 Abs. 3 HCV gelte auch für Werbung.

Im Übrigen handele die Beklagte auch § 12 LFGB zuwider, da die angegriffenen Aussagen sämtlich Krankheitsbezug aufwiesen.

Der Kläger hat ursprünglich einen Antrag dahin angekündigt, den Beklagten unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen für Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent mit gesundheitsbezogenen Angaben zu werben oder werben zu lassen, insbesondere durch die Verwendung folgender Aussagen: <es folgen die im Tenor wiedergegebenen Aussagen>.

Der Kläger beantragt nunmehr,

was erkannt wurde.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint:

Er habe mit der Wiedergabe der beanstandeten Textpassagen im Internet keine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG vorgenommen, weil er keine Maßnahmen zur Absatzförderung betreibe. Das Merkmal des objektiven Zusammenhangs in der genannten Vorschrift sei funktional zu verstehen, so dass die beanstandete Handlung darauf gerichtet sein müsse, durch die Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung der Verbraucher den Absatz eines Produktes zu fördern. Diese Voraussetzung fehle bei Beträgen wie den beanstandeten, die nur der Unterrichtung der Öffentlichkeit dienten. Diese Ansicht finde ihre Stütze in Art. 2 lit. d) der als höherrangiges Recht heranzuziehenden UGP-Richtlinie.

Der Anwendungsbereich der HCV sei nicht eröffnet. Dem Erwägungsgrund 1. sei zu entnehmen, dass die Verordnung nur für Erzeugnisse gelte, die als solche, d.h. konfektioniert und etikettiert an den Verbraucher abgegeben würden und sich deshalb im Handel befänden. Lebensmittelgruppen fielen nicht darunter. Die angegriffenen Aussagen stellten auch keine kommerzielle Mitteilung dar, Erwägungsgrund 4 deute darauf hin, dass dieser Begriff Werbung im Sinne einer auf die konkrete Absatzförderung bezogenen Aussage voraussetze. Die Wiedergabe von und die Berichterstattung über wissenschaftliche Abhandlungen erfüllten diese Vorgabe nicht. Ohnehin greife die Regelung des Art. 4 Abs. 3 VO 1924/2006 in unverhältnismäßiger Weise in die Meinungsfreiheit ein und sei daher nichtig. Die Meinungsfreiheit sei deshalb berührt, weil gesundheitsbezogene Aussagen in Bezug auf Getränke mit mehr als 1,2 Volumenprozent Alkohol unabhängig von Wahrheitsgehalt und Qualität der Aussage – bspw. Aussagen, die auf allgemein, anerkannten wissenschaftlichen Kriterien beruhten – verboten seien. Schließlich finde Art. 4 HCV auf Angaben im Internet keine Anwendung, weil die Getränke die Angaben "tragen" müssten, was nur als Hinweis auf eine unmittelbar am Produkt angebrachte Etikettierung verstanden werden könne. Eine erweiternde Auslegung, für die ohnehin kein Anlass bestehe, scheide nach Wortlaut, Systematik und Charakter der Vorschrift aus.

§ 12 LFGB komme nicht zum Zuge, weil es, wie dargestellt, an einer geschäftlichen Handlung fehle. Im Übrigen hätten auch nicht alle Aussagen Krankheitsbezug.

Wegen des übrigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist in der beantragten Beschränkung auf die konkrete Verletzungsform zulässig. Insbesondere fehlt es unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 24. März 2011 – I ZR 108/09 – TÜV) auch nicht an einer Klarstellung der Reihenfolge, in der die verschiedenen Anspruchsgrundlagen zu prüfen sind; denn dass der Kläger seinen Anspruch in erster Linie auf die Bestimmungen der HCV stützt, ergibt sich bereits daraus, dass diese Anspruchsgrundlage in der Klageschrift als einzige genannt ist. Die mit Blick auf die Klageerwiderung am Ende der Replik vorgenommene Ergänzung steht dem nicht entgegen.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen den Beklagte aus §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 HCV zu.

Eine geschäftliche Handlung im Sinne der §§ 3, 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG liegt vor. Der Begriff ist richtlinienkonform im Sinne der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (im folgenden: UGP-RL) auszulegen, weil der Kläger ausschließlich Verbraucherinteressen und nicht auch solche der Mitbewerber wahrnimmt.

Die beanstandeten Textpassagen beinhalten eine kommerzielle Mitteilung und damit eine Geschäftspraktik im Sinne des Art. 2 lit. d der UGP-RL. Dieser Begriff schließt die mittelbare Absatzförderung ein, wie die Bezugnahme auf das Sponsoring in Art. 6 offenbart (Köhler, 29. Aufl., Rn. 14 zu § 2). Eine solche mittelbare Förderung des Absatzes von Bier liegt hier vor, denn der Beklägte betont die (vermeintlichen) Vorteile dieses Getränks im Interesse seiner mittelbaren Mitglieder, der Brauer. Er nimmt damit eine geschäftliche Handlung zugunsten eines fremden Unternehmens, nämlich seiner mittelbaren Mitglieder, vor.

Es besteht auch ein objektiver Zusammenhang mit der Absatzförderung. Es genügt ein Marktbezug, der gegeben ist, wenn die Handlung ihrer Art nach auf die Marktteilnehmer und damit auch auf die Verbraucher einwirken und damit das Marktgeschehen beeinflussen kann. Diese Voraussetzung liegt vor, denn die Aussagen sind geeignet, den Verbraucher bei der Wahl seines Getränkes zu beeinflussen. Der Begriff des "objektiven Zusammenhangs" setzt den Begriff des "unmittelbaren Zusammenhangs" aus Art. 2 lit. d der UGP-RL um, so dass dessen Verständnis maßgebend ist. Nach dem Schutzzweck der Richtlinie, den Erwägungsgründen und dem einzelnen Regelungen sollen Geschäftspraktiken erfasst werden, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der geschäftlichen Entscheidung des Verbrauchers stehen. Erforderlich ist ein funktionaler Zusammenhang, der weit zu verstehen ist (Köhler, aaO, Rn. 43, 48 zu § 2). Im Zweifel ist darauf abzustellen, ob der Handelnde an der geschäftlichen Entscheidung des Verbrauchers ein wirtschaftliches Interesse hat. Das ist hier der Fall, weil der Beklagte als Dachverband die Interessen der Brauer vertritt. Der objektive Zusammenhang entfällt auch nicht deshalb, weil der Beklagte, wie er geltend macht, vornehmlich andere Ziele als die Absatzförderung, nämlich insbesondere die redaktionelle Information der Verbraucher verfolgt. Der Beklagte ist ein Interessenverband und fungiert als Lobbyist für seine mittelbaren Mitglieder, indem er deren Marktposition zu stärken trachtet (Köhler, aaO, Rn. 57 zu § 2). Damit ist die notwendige Finalität der gerügten Handlung gegeben. Eine Unterscheidung zwischen "Finalität" und einer "potentiellen Kausalität" ist nicht angezeigt, weil sich die Mitteilung nicht nur an die Mitglieder des Klägers, sondern an das breite Publikum richtet. Bei Mitteilungen, die primär anderen zwecken dienen, wie bspw. ein Geschäftsbericht, für den eine Publizitätspflicht besteht, mag das anders zu beurteilen sein.

Der in Art. 1 Abs. 2 HCV beschriebene Anwendungsbereich ist eröffnet. Ohne Frage handelt es sich bei den angegriffenen Aussagen um gesundheitsbezogene Angaben. Sie bilden auch den Gegenstand einer kommerziellen Mitteilung, denn es handelt sich um allgemeine Werbeaussagen zu den positiven Wirkungen des Bieres. Den Gegenpol bilden nach dem Erwägungsgrund Nr. 4 nichtkommerzielle Mitteilungen, für die beispielhaft staatliche Empfehlungen oder Informationen der Presse genannt werden. Der Beklagte ist einem Presseorgan nicht gleichzustellen, denn er handelt als reiner Interessenverband, der darauf bedacht ist, die von seinen mittelbaren Mitgliedern erzeugten Produkte in ein positives Licht zu rücken. Von einer kritischen Auseinandersetzung kann in Bezug auf die angegriffene Veröffentlichung nicht die Rede sein. Zwar widmet sich der Internetauftritt des Beklagten auch den Gefahren des Alkohols, dies jedoch an völlig anderer, Stelle und ohne dass ein nahe liegender Zusammenhang zwischen gesundheitlichem Nutzen und Schaden des Produktes hergestellt wird. Die Vor- und Nachteile des Getränkes werden völlig getrennt voneinander beleuchtet, ohne sie gegeneinander abzuwägen oder sonst sicher zu stellen, dass derjenige Verbraucher, der sich über die gesundheitsfördernden Aspekte informiert, zugleich auch von den Gefahren Kenntnis nimmt, wie es eine kritische Auseinandersetzung verlangt.

Die kommerzielle Mitteilung betrifft Lebensmittel, die als solche an den Verbraucher abgegeben werden sollen. Da Lebensmittel auch in Form von Funktions- und Präsentationsarzneimitteln angeboten werden können – man denke nur an die Werbung für Nahrungsergänzungsmittel -, dient der Halbsatz lediglich der Klarstellung, dass dann, wenn es sich zwar tatsächlich um ein Lebensmittel handelt, dieses aber zu anderen als Ernährungszwecken, insbesondere als Heilmittel an den Verbraucher abgegeben wird, die Vorschriften der HCV keine Anwendung finden sollen. Ein Indiz für diese Auslegung findet sich in Erwägungsgrund 3 am Ende. Dort wird auf die RL 2000/13 EG (Etikettierungsrichtlinie) Bezug genommen und ausgeführt, dass diese allgemein die Verwendung von Informationen untersagt, die Lebensmitteln medizinische Eigenschaften zuschreiben. Daran knüpft der letzte Satz an mit dem Halbsatz "bei Lebensmittel", die als solche an den Endverbraucher abgegeben werden sollen. Daraus erhellt, dass die HCV nur auf Lebensmittel Anwendung finden soll, die "als solche", also als Mittel zur Ernährung, angeboten werden. Die abweichende Ansicht des Beklagten überzeugt nicht. Danach sei die Formulierung "Lebensmitteln, die als solche an den Endverbraucher abgegeben werden sollen" als Ausschluss von Lebensmittelgruppen vom Anwendungsbereich der HCV zu verstehen. Gemeint seien nur Lebensmittel, die dem Verbraucher konkret als Ware, bei der er nur zuzugreifen brauche, angeboten würden, wie es bspw. bei abgepackten Lebensmitteln in der Auslage im Warenregal der Fall ist.

Das soll sich daraus ergeben, dass Erwägungsgrund 1 an die Etikettierung anknüpft, die wiederum nur einem konkreten Gebinde anhaftet. Diese Auffassung kann schon deshalb nicht beitreten werden, weil Art. 4 Abs. 1 HCV ausdrücklich auch Lebensmittelkategorien anspricht. Sie können daher nicht generell vom Anwendungsbereich ausgenommen sein.

Die materiellen Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 3 HCV liegen vor. Bier verfügt, sofern es nicht ausdrücklich als alkoholfrei oder alkoholarm angeboten wird, unstreitig über einen Alkoholgehalt von mehr als 1,2 % Volumenprozent. Dass die beanstandeten Angaben Gesundheitsbezug aufweisen, steht ebenfalls außer Streit.

Art. 4. Abs. 3 HCV gilt auch für Werbeaussagen, die im Internet getätigt werden. Die Formulierung, wonach die Getränke keine gesundheitsbezogenen Angaben "tragen" dürfen, beschränkt den Verbotsumfang nicht auf Angaben, die dem Lebensmittel unmittelbar anhaften wie bspw. solche auf der Etikettierung. Zwar ist dem Beklagten zuzugeben, dass der Gebrauch des Verbs "tragen" weder dem üblichen juristischen, noch dem üblichen allgemeinen Sprachschatz entspricht und Raum für Zweifel lässt.

Die HCV gilt gemäß Art. 1 Abs. 2 und 3 Abs. 1 HCV für die Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln und die Werbung dafür. Der beide Anwendungsbereiche einschließende Oberbegriff ist die "Verwendung". Diesen Sprachgebrauch greift Art. 4 Abs. 1 HCV auf. Danach legt die Kommission Nährwertprofile fest, denen die Lebensmittel entsprechen müssen, um gesundheitsbezogenen Angaben "tragen" zu dürfen. Außerdem (zweiter Halbsatz) legt sie die Bedingungen fest, unter denen gesundheitsbezogene Angaben "verwendet" werden dürfen, was die Werbung einschließt. Dieser Teil bildet den Obersatz, in dem der Anwendungsbereich des gesamten Art. 4 beschrieben ist. Die Absätze 2 bis 4 des Art. 4 HCV enthalten sodann für bestimmte Konstellationen Abweichungen zu Abs. 1, was in Abs. 2 einleitend sogar ausdrücklich angegeben ist. Abs. 3 enthält eine Ausnahme für alkoholische Getränke, für die ein Totalverbot gesundheitsbezogener Angaben gilt, so dass sich die in Abs. 1 erwähnten Nährwertprofile generell erübrigen. Unter diesen systematischen Voraussetzungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass Art. 4 Abs. 3 HCV auch insoweit eine Ausnahme postulieren wollte, dass gesundheitsbezogene Angaben auf den Etiketten alkoholischer Getränke verboten, in der Werbung aber erlaubt sein sollten. Dafür spricht auch der Umstand, dass in Art. 10 Abs. 2 HCV der Begriff des "Tragens" – dort in der Form des "Informationen tragen" – ausdrücklich auch auf die Werbung bezogen wird, die bestimmte Informationen "tragen" muss, damit gesundheitsbezogene Angaben zulässig sind. Dieser Sprachgebrauch lässt erkennen, dass das Verb "tragen" in der Verordnung synonym für "enthalten" oder "aufweisen" gebraucht wird, wofür auch die französischen Fassung mit dem Verb "comporter" (aufweisen) und die spanische Fassung mit dem Verb "figurar" (erscheinen) spricht (OVG Koblenz, Urteil vom 19.08.2009 – 8 A 10579/09 -).

Die Kammer hegt auch keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Art. 4 Abs. 3 HCV. Die notwendige Güterabwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Verbraucher auf sachgerechte Angaben zu dem Getränk und dem Interesse des Herstellers auf Hervorhebung des gesundheitlichen Nutzens obliegt in erster Linie dem Europäischen Verordnungsgeber, der in Art. 4 Abs. 3 HCV dem Schutz des Verbrauchers Vorrang einräumt. Das daraus resultierende Totalverbot betrifft entsprechend dem Anwendungsbereich der HCV nur kommerzielle Mitteilungen und Werbung. Außerhalb dieses Bereiches darf der Beklagte selbstverständlich über alle, auch positive gesundheitliche Auswirkungen von Alkohol berichten, soweit sie bestehen. Ebenso können Forschungsergebnisse bekannt gegeben werden. Dem Beklagten ist deshalb keineswegs jede Möglichkeit genommen, dem Verbraucher Informationen zu vermitteln, die ihm aus seiner Sicht als nützlich erscheinen. Er darf dies nur nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Produktpräsentation tun. Ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Meinungsfreiheit ist daher nicht zu erkennen.

Die Klage ist danach im jetzt noch beantragten Umfang begründet.

Einer Entscheidung über die Frage, ob und in welchem Umfang die Aussagen auch gegen § 12 LFGB verstoßen, bedurfte es danach nicht mehr.

Der Anspruch auf Erstattung der Höhe nach unstreitigen Abmahnkostenpauschale beruht auf § 12 Abs. 1 S. 2 UWG.

Soweit der Kläger seinen Antrag auf die konkrete Verletzungsform beschränkte, liegt darin eine konkludente teilweise Klagerücknahme, die zu einer auf § 92 ZPO beruhenden Kostenteilung führt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

Die Ausführungen aus dem nach der Verkündung des Urteils eingegangenen, nicht nachgelassenen Schriftsatz des Klägers vom 16. Mai 2011 blieben unberücksichtigt.

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