Veröffentlichungsverbot für Werk mit Zitaten aus „Mein Kampf“

20. Juni 2012
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Eigener Leitsatz:

Zitate zum Zwecke eines Belegs oder als Erörterungsgrundlage für selbstständige Ausführungen sind grundsätzlich zulässig und bedürfen keiner Zustimmung durch den Urheber. Tritt das Zitat jedoch in den Vordergrund und wird hierdurch der Leser vielmehr dazu veranlasst, sich ein eigenes Bild über das Originalwerk zu machen, ist die Grenze des zulässigen Zitatzwecks überschritten. Aus diesem Grund darf eine britische Verlagsgesellschaft ihr wissenschaftliches Werk "Das unlesbare Buch", welches Auszüge aus dem Buch Adolf Hitlers "Mein Kampf" beinhaltet, nicht veröffentlichen. Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit oder auch gegen das Zensurverbot ist durch die Untersagung der Veröffentlichung nicht zu erkennen.

Oberlandesgericht München

Pressemitteilung Nr. 5/12 vom 15.06.2012 zum Urteil vom 14.06.2012

Az.: 29 U 1204/12

Mit Urteil vom 14.06.2012 hat das Oberlandesgericht München das zuletzt vom Landgericht München I am 08.03.2012 verfügte Veröffentlichungsverbot für kommentierte Auszüge aus dem Buch „Mein Kampf“ von Adolf Hitler bestätigt.


Auf Antrag des Freistaats Bayern hatte das Landgericht München I bereits am 25.01.2012 eine einstweilige Verfügung erlassen, mit der einer britischen Verlagsgesellschaft und deren Geschäftsführer als Antragsgegnern ein entsprechendes Vorhaben untersagt wurde. Mit landgerichtlichem Urteil vom 08.03.2012 wurde diese einstweilige Verfügung aufrechterhalten. Die dagegen gerichtete Berufung hat der 29. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München nunmehr zurückgewiesen.

Die Antragsgegner hatten unter anderem argumentiert, ihre geplante Publikation mit dem Titel "Das unlesbare Buch" sei ein wissenschaftliches Werk, in dem gerade einmal 1% des Originalwerks exemplarisch zitiert würde. Die Textübernahmen seien daher durch das urheberrechtliche Zitatrecht gerechtfertigt. Das Verbot der Veröffentlichung komme zudem einer Zensur gleich.

Dies hat das Oberlandesgericht – wie bereits das Landgericht – anders gesehen.

Die Berufung wurde laut mündlicher Urteilsbegründung im Wesentlichen mit folgenden Erwägungen zurückgewiesen:

1. Dem Freistaat Bayern als Inhaber der urheberrechtlichen Verwertungsrechte an Hitlers „Mein Kampf“ stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche gegen beide Antragsgegner aus § 97 Abs. 1 Satz 2 UrhG (Urheberrechtsgesetz) zu.

Die Ankündigung, dass der Verlag die Beilage „Das unlesbare Buch“ veröffentlichen werde, zeigt, dass der Verlag sich in naher Zukunft in der entsprechenden Weise rechtswidrig verhalten werde. Dies genügt für die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs. Auch der Geschäftsführer des Verlags haftet für die drohende Urheberrechtsverletzung, weil er zumindest Kenntnis von der bevorstehenden Veröffentlichung hatte und nichts zu deren Verhinderung unternommen hat.

2. Die Veröffentlichung ist nicht durch die urheberrechtliche Schranke des Zitatrechts gerechtfertigt.

Zitate sollen als Belegstelle oder Erörterungsgrundlage für selbständige Ausführungen des Zitierenden der Erleichterung der geistigen Auseinandersetzung dienen. Das zitierende Werk muss dabei aber die Hauptsache, das Zitat die Nebensache bleiben. So ist es aber im Streitfall nicht, da hier die in eigenen Spalten wiedergegebenen Textstellen aus „Mein Kampf“ nicht als Beleg oder Erörterungsgrundlage für die ihnen zugeordneten Kommentare dienen. Der Leser wird vielmehr letztlich dazu aufgefordert, sich durch die Lektüre der Auszüge des Originalwerks, nicht der Kommentare, ein eigenes Bild zu machen. Die Grenze des zulässigen Zitatzwecks ist damit überschritten.

3. Die dem Freistaat Bayern zustehenden urheberrechtlichen Verwertungsrechte umfassen auch die Befugnis, von der Verwertung eines Werks abzusehen.

4. Für die Beurteilung nach dem Urheberrecht ist es ohne Belang, ob unabhängig davon ein hoheitliches Verbot der Vervielfältigung und Verbreitung des Werks besteht.

5. Die Rechtspositionen, auf die sich der Verlag und dessen Geschäftsführer berufen, haben gegenüber den dem Freistaat Bayern zustehenden Rechten keinen Vorrang.

a) Im Streitfall trägt die Wiedergabe der nicht von einem Zitatzweck getragenen Textstellen aus „Mein Kampf“ für sich genommen nicht zu einem Erkenntnisgewinn bei und fällt daher nicht unter die Wissenschaftsfreiheit.

b) Das Zensurverbot ist nicht betroffen, wenn zur Durchsetzung eines in einem allgemeinen Gesetz geschützten Rechtsguts die dort vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten genutzt werden. Eine behördliche Vorprüfung oder Genehmigung des Inhalts einer Veröffentlichung liegt damit nicht vor.

c) Das Grundrecht der Meinungsfreiheit wird durch die allgemeinen Gesetze eingeschränkt, zu denen auch das Urheberrechtsgesetz gehört. Dem Interesse der Allgemeinheit an einem ungehinderten Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken trägt § 51 UrhG dadurch Rechnung, dass eine Werknutzung erlaubt ist, sofern sie einem Zitatzweck dient. Ein darüber hinausgehender Eingriff ist nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt.

d) Der Freistaat Bayern verstößt durch die Geltendmachung der Unterlassungsansprüche auch nicht in treuwidriger Weise gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn er die Veröffentlichung des Werks von Christian Zentner „Adolf Hitlers Mein Kampf – Eine kommentierte Auswahl, Erstauflage 1974; 21. Auflage 2011“ hinnimmt, aber gegen die von den Antragsgegnern beabsichtigte Veröffentlichung vorgeht. Es handelt sich nicht um im wesentlichen gleichgelagerte Sachverhalte. Das genannte Werk unterscheidet sich erheblich von der streitgegenständlichen Broschüre und eignet sich anders als jene nicht für eine kurze, von bloßer Neugier getragene Lektüre. Eine unterschiedliche Behandlung der beiden Werke ist sachlich gerechtfertigt und auch nicht unverhältnismäßig.

6. Der Freistaat Bayern missbraucht mit der Verfolgung seiner urheberrechtlichen Unterlassungsansprüche auch nicht eine formale Rechtsposition zur Durchsetzung gesetzesfremder Zwecke. Es gibt keine gesetzgeberische Grundentscheidung, dass die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts nur durch die Anwendung strafrechtlicher Normen verhindert werden dürfe. Vielmehr ist es angesichts der Bedeutung, welche die Verhinderung einer propagandistischen Affirmation der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft für die deutsche Staatlichkeit hat, ohne weiteres gerechtfertigt, dass der Freistaat Bayern auch die ihm durch das Urheberrecht eröffneten Möglichkeiten nutzt, einer Verbreitung nationalsozialistischer Schriften entgegenzuwirken.

Wegen des Zeitablaufs bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache war, wie das Oberlandesgericht ausgeführt hat, eine Regelung durch einstweilige Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den Freistaat Bayern nötig. Diesem kann nicht zugemutet werden, die drohende Verletzung seiner Verwertungsrechte hinzunehmen. Die Beeinträchtigung, die ihm dadurch erwachsen würde, dass seine Entscheidung, „Mein Kampf“ nicht veröffentlichen zu lassen, unterlaufen wird, kann auch durch Sekundäransprüche (also z.B. spätere Schadensersatzansprüche) nicht angemessen ausgeglichen werden.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist rechtskräftig, da in Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung die deutsche Zivilprozessordnung weitere Rechtsmittel nicht vorsieht.

Der mögliche Streit der Parteien in der Hauptsache selbst ist damit nicht entschieden. Die Urteilsgründe im vorliegenden Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz dürften, wie zu vermuten ist, jedoch auch für diese Entscheidung Gewicht haben.

Das Aktenzeichen des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht lautet 29 U 1204/12.

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