Schutzrechtsverwarnung oder Berechtigungsanfrage?

26. August 2014
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Urteil des OLG Düsseldorf vom 06.03.2014, Az.: I-2 U 90/13

Für die Frage des Vorliegens einer Abmahnung oder lediglich einer Berechtigungsanfrage muss für den Empfänger erkennbar sein, ob an ihn ein ernsthaftes und endgültiges Unterlassungsbegehren gerichtet ist. Bereits die Beifügung einer vorformulierten Verpflichtungserklärung macht eine gewisse Erwartungshaltung bezüglich eines Verhaltens deutlich. Die Androhung der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens für den Fall der Nichtunterzeichnung verleiht einem solchen Verlangen besonderen Nachdruck, womit im Ergebnis bereits von einer Abmahnung (hier: unberechtigte Schutzrechtsverwarnung) auszugehen ist.

Oberlandesgericht Düsseldorf

Urteil vom 06.03.2014

Az.: I-2 U 90/13

Tenor

I. Auf die Berufung wird das am 7. November 2013 verkündete Urteil der 4c Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.380,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. März 2012 zu zahlen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Erstattung von Anwaltskosten für die Abwehr einer ihrer Auffassung nach rechtswidrigen Abnehmerverwarnung in Anspruch.

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des Gebrauchsmusters 202 21 XXX, das eine Priorität vom 25.05.2002 in Anspruch nimmt und dessen Eintragung am 22.07.2010 bekannt gemacht worden ist. Schutzanspruch 1 des Gebrauchsmusters lautet wie folgt:

Behältnis zum Bestatten Verstorbener mit einem Behälter und einem Deckel,

dadurch gekennzeichnet, dass

Behälter und Deckel aus leicht verrottetbaren Materialien, vorzugsweise nachwachsenden Rohstoffen, gefertigt sind, und durch Spritzguss- oder Spritzpressverfahren herstellbar sind.

Die Klägerin stellt Urnen und Aschekapseln im Spritzgussverfahren aus biologischen Rohstoffen her und liefert diese an Bestattungsunternehmen.

Mit Anwaltsschreiben vom 12.01.2012 (Anl. K 4) und 09.02.2012 (Anl. K 5) wandte sich die Beklagte – in der Reihenfolge der vorstehenden Aufzählung – an die Firma C GmbH sowie das Bestattungsinstitut D. Beide Schreiben hatten im wesentlichen denselben Wortlaut wie folgt (Anl. K 5):

Potentielle Verletzung des Gebrauchsmusters DE 202 21 XXX.8

Berechtigungsanfrage

Sehr geehrte Damen und Herren,

unter Vorlage anliegender Vollmacht zeige ich die Vertretung der Firma elargo GmbH an, die mich mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen in o. b. Angelegenheit beauftragt hat.

Gegenstand meines Mandats ist die potentielle Verletzung eines von meiner Mandantin von der Firma E GmbH erworbenen Gebrauchsmusters über die Herstellung von Särgen und Urnen aus nachwachsenden Rohstoffen im Spritzguss- oder Spritzpressverfahren.

Die entsprechende Urkunde über die Eintragung des Gebrauchsmusters mit der Nr. DE 202 21 XXX.8 und die Gebrauchsmusterschrift des Deutschen Patent- und Markenamtes füge ich als Anlage bei.

Meine Mandantschaft hat davon Kenntnis erlangt, dass Sie oben genannte Bio-Urnen zum Kauf anbieten, so dass anzunehmen ist, dass Sie ohne den aus nachwachsenden Rohstoffen, die im Spritzguss- bzw. Spritzpressverfahren hergestellt worden sind, angeboten, eingekauft und in den Verkehr gebracht haben.

Dadurch könnte Ihrerseits eine Gebrauchsmusterverletzung begangen worden sein.

Ich habe Sie daher aufzufordern, bis spätestens

24.02.2012 (hier eingehend)

mitzuteilen, woraus Sie ein Recht zur Benutzung des Gebrauchsmusterrechts herleiten. Sie können sich dazu auch meines Faxanschlusses bedienen.

Sollten keine rechtfertigenden Gründe vorliegen, so füge ich eine Unterlassungsverpflichtungserklärung bei und räume Ihnen dadurch die Möglichkeit ein, ein kostspieliges und zeitaufwändiges gerichtliches Verfahren abzuwenden, indem Sie Gebrauchsmusterverletzungen durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung ausräumen.

Dies geschieht dadurch, dass Sie sich dazu verpflichten, die beanstandeten Gebrauchsmusterverletzungen künftig zu unterlassen und diese Verpflichtung durch das Versprechen einer Vertragsstrafe für den Fall der Wiederholung absichern.

Insoweit weise ich rein vorsorglich darauf hin, dass die Wiederholungsgefahr nach der Rechtsprechung nur dann als ausgeräumt gilt, wenn die Unterlassung mit dem Versprechen einer Vertragsstrafe in angemessener Höhe bewehrt ist.

Bei Bedarf wird Ihnen meine Mandantschaft auf Anfrage auch einen lizenzierten Lieferanten für oben genannte Bio–Urnen benennen, bei dem Sie die gewünschten Bio-Urnen beziehen können.

Für den Fall der Ablehnung oder nicht fristgemäßen Abgabe der Erklärung habe ich seitens meiner Mandantschaft den Auftrag, ohne weitere Vorankündigung sowohl gerichtliche als auch – mit Blick auf § 25 GebrMG – strafrechtliche Schritte gegen Sie einzuleiten.

Mit Anwaltsschreiben vom 12.03.2012 (Anl. K 6) beanstandete die Klägerin die vorbezeichneten Schreiben gegenüber der Beklagten als rechtswidrige Abnehmerverwarnungen, weil es zum Prioritätszeitpunkt bereits längst bekannt gewesen sei, biologisch abbaubare Urnen im Spritzgussverfahren herzustellen. Sie verlangte deshalb von der Beklagten bis zum 19.03.2012 die Abgabe einer Unterlassungserklärung sowie die Erstattung der Anwaltskosten für das Aufforderungsschreiben vom 12.03.2012 i.H.v. 2380,80 € (1,3 Geschäftsgebühr bei einem Streitwert von 200.000 € zuzüglich Auslagenpauschale).

Nachdem die Beklagte vorgerichtlich nicht eingelenkt hat, verfolgt die Klägerin ihr Kostenerstattungsbegehren im Klagewege weiter.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Aufforderungsschreiben der Beklagten vom 12.01.2012 und 09.02.2012 lediglich Berechtigungsanfragen (und keine Abmahnungen) seien. Darüber hinaus handele es sich bei dem Anwaltsschreiben der Klägerin vom 12.03.2012 der Sache nach um eine Gegenabmahnung, deren Kosten nach der BGH-Rechtsprechung nur ausnahmsweise erstattungsfähig seien, nämlich dann, wenn entweder eine vorangegangene Abmahnung auf offensichtlich unzutreffenden tatsächlichen oder rechtlichen Annahmen beruht oder wenn seit der Abmahnung ein längerer Zeitraum ohne weitere Maßnahmen des Abmahnenden verstrichen ist. Beide Sachverhaltsalternativen seien im Streitfall nicht erfüllt.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin das in 1. Instanz erfolglos gebliebene Zahlungsbegehren weiter. Sie hält daran fest, dass die von ihr beanstandeten Aufforderungsschreiben rechtswidrige Abnehmerverwarnungen seien, weswegen die Beklagte für die Kosten ihrer Abwehr einzustehen habe. Die Grundsätze zur Gegenabmahnung seien nicht einschlägig, weil sie (die Klägerin) selbst nicht Adressat der von der Beklagten ausgebrachten Abmahnungen sei.

Die Klägerin beantragt,

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil als zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

Die an verschiedene Bestattungsunternehmen gerichteten Aufforderungsschreiben der Beklagten vom 12.01.2012 und 09.02.2012 stellen Verwarnungen von Abnehmern der Klägerin dar. Sie begründen einen zum Schadenersatz verpflichtenden Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin (§ 823 Abs. 1 BGB), weil die Abmahnungen – mangels anderweitiger Anhaltspunkte – auf Schutzanspruch 1 des Gebrauchsmusters 202 21 XXX gestützt sind und dessen technische Lehre schutzunfähig ist. Die Beklagte trifft hinsichtlich ihrer rechtswidrigen Abmahnung ein mindestens fahrlässiges Verschulden. Bei hinreichender Recherche nach vorbekanntem Stand der Technik hätte die Beklagte ohne weiteres erkennen können, dass der Gegenstand von Schutzanspruch 1 teils nicht neu, im Übrigen jedenfalls nicht erfinderisch ist und deswegen nicht die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Gebrauchsmusterschutz erfüllt. Zur Abwehr der unberechtigten Abnehmerverwarnung durfte es die Klägerin für erforderlich halten, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die ihr dadurch entstandenen Kosten stellen mithin einen von der Beklagten zu ersetzenden Schaden dar.

1. Die unberechtigte Verwarnung aus einem Schutzrecht stellt einen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar. Sie verpflichtet den Abmahnenden zum Schadenersatz, wenn die Abmahnung rechtswidrig erfolgt, weil ein Schutzrechtseingriff tatsächlich nicht vorliegt, und den Abmahnenden ein Verschulden trifft, weil er die mangelnde Berechtigung seiner Verwarnung bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennen konnte (BGH, GRUR 2011, 955 – Besonderer Mechanismus). Anspruchsberechtigt ist auch der Lieferant, dessen Abnehmer – rechtswidrig und schuldhaft – abgemahnt werden (BGH, GRUR 2006, 433 – unbegründete Abnehmerverwarnung).

Ob eine Abmahnung – oder bloß eine grundsätzlich nicht anspruchsbegründende Berechtigungsanfrage – vorliegt, beurteilt sich maßgeblich danach, ob an den Adressaten ein ernsthaftes und endgültiges Unterlassungsverlangen gerichtet wird (BGH, GRUR 2011, 995 – Besonderer Mechanismus). Zu berücksichtigen sind dafür die gesamten Umstände aus der verständigen Sicht des Empfängerhorizonts.

Die Annahme des Landgerichts, die Aufforderungsschreiben der Beklagten zielten lediglich auf einen Meinungsaustausch über die Frage der Schutzrechtsverletzung ab, wird diesen Grundsätzen nicht gerecht. Richtig ist zwar, dass die streitbefangenen Anwaltsschreiben in ihrem ersten Teil als reine Berechtigungsanfrage formuliert sind und dementsprechend im Anschluss an die dem Adressaten gesetzte Äußerungsfrist die Aufforderung zu der Mitteilung enthalten, aus welchem Grund sich der Adressat für berechtigt hält, das Gebrauchsmuster 202 21 XXX der Beklagten zu benutzen. Damit enden die Schreiben der Beklagten jedoch nicht. Sie enthalten vielmehr einen vom Umfang her etwa gleichgewichtigen zweiten Teil, der sich auf die von der Beklagten ihrem Schreiben beigefügte Unterlassungsverpflichtungserklärung bezieht. Die diesbezügliche Textpassage erschöpft sich nicht in einer rechtlichen Belehrung des Adressaten darüber, welche Ansprüche der Beklagten zustehen würden, falls von einer Gebrauchsmusterverletzung auszugehen sein sollte. Bereits die Beifügung einer vorformulierten Unterlassungserklärung macht dem Adressaten vielmehr deutlich, dass die Beklagte von ihm ein bestimmtes Verhalten erwartet. Er soll sich nämlich durch Unterzeichnung der vorbereiteten Erklärung rechtsverbindlich zur Unterlassung des mit dem Aufforderungsschreiben in Bezug genommenen Verhaltens verpflichten. Besonderen Nachdruck erhält diese Forderung dadurch, dass dem Adressaten für den Fall, dass er die Unterlassungserklärung nicht fristgerecht abgibt, mit sofortigen, ohne weitere Vorankündigung einzuleitenden gerichtlichen und strafrechtlichen Maßnahmen gedroht wird. Zwar äußert die Beklagte ihr Verlangen nach Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung nur für den Fall, dass keine die Benutzung des Gebrauchsmusters rechtfertigenden Gründe vorliegen. Das ändert jedoch nichts daran, dass der Adressat bereits durch das Aufforderungsschreiben mit dem endgültigen und ernsthaften Begehren konfrontiert wird, weitere Benutzungshandlungen einzustellen (und dies rechtlich sogar durch eine vertragsstrafenbewehrte Verpflichtungserklärung abzusichern). Die Entscheidung darüber, ob ein Unterlassungsbegehren gestellt wird oder nicht, hat die Beklagte damit nicht einer späteren, erst noch zu treffenden Entscheidung vorbehalten, wie dies der Fall wäre, wenn, sollte die Frist zur Stellungnahme auf das Aufforderungsschreiben versäumt werden, lediglich mit der Einschaltung von Patentanwältin gedroht würde oder die Möglichkeit aufgezeigt würde, gerichtliche Schritte einzuleiten (Senat, Urteil vom 29.03.2012 – I-2 U 1/12). Unter derartigen Umständen bliebe gerade offen, was die Konsequenz aus der angedrohten Einschaltung der Patentanwälte sein und ob der erklärte Vorbehalt, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, im Sinne eines Unterlassungsbegehrens ausgeübt werden wird. Nichts anderes gilt, wenn die Aufforderung zur Rechtfertigung der Benutzungshandlungen mit der Ankündigung schließen würde, dass, wenn innerhalb einer gesetzten Frist keine zufriedenstellende Berechtigung nachgewiesen und auch kein akzeptabler Vorschlag für eine Einigung unterbreitet wird, Patentanwälte eingeschaltet und diese mit einer Verfolgung der Schutzrechtsverletzung beauftragt werden müssten (LG Mannheim, NJOZ 2011, 2707 – Wasserinjektionsanlage). Auch hier bleibt zunächst noch offen, ob die in Aussicht genommene rechtliche Beratung durch die eigenen Anwälte des Berechtigten schlussendlich zu einem Unterlassungsverlangen gegenüber dem Adressaten führt. Der Entscheidungsfall unterscheidet sich von den vorgenannten Sachverhalten grundlegend dadurch, dass nach dem Inhalt der von der Beklagten versandten Aufforderungsschreiben eine rechtliche Prüfung und Beratung von anwaltlicher Seite bereits stattgefunden hat, weil für den Fall einer fruchtlosen Versäumung der Stellungnahmefrist eine gerichtliche Rechtsverfolgung – die ersichtlich im Sinne der geforderten Unterlassungsverpflichtungserklärung gemeint ist – nicht nur als Option erwähnt und einem künftigen Entscheidungsprozess vorbehalten bleibt, sondern dem Adressaten als sofortige Maßnahme ohne jede weitere Ankündigung angedroht wird. Die von der Beklagten angegangenen Bestattungsunternehmen sehen sich daher infolge des Aufforderungsschreibens unmittelbar vor die Wahl gestellt, entweder Gründe gegen eine von ihnen begangene Gebrauchsmusterverletzung beizubringen oder aber ihre Benutzungshandlungen augenblicklich einzustellen. Mit diesem Inhalt sind sie durch die streitigen Anwaltsschreiben der Beklagten mit einem aktuellen ernsthaften und endgültigen Unterlassungsverlangen konfrontiert.

2. Die Abmahnungsschreiben der Beklagten sind sachlich nicht gerechtfertigt und damit rechtswidrig.

Welche einzelnen Merkmale des mehrere Schutzansprüche umfassenden Gebrauchsmusters 202 21 XXX die Beklagte durch die mit ihren Aufforderungsschreiben beanstandeten, nicht näher identifizierten Bio-Urnen verwirklicht sieht, geben die Abmahnschreiben der Beklagten nicht her. Der Adressat kann den erhobenen Vorwurf der Schutzrechtsverletzung deswegen nur dahingehend verstehen, dass ihm gegenüber ein Gebrauchsmusterschutz aus dem Hauptanspruch 1 des Abmahnungsschutzrechts geltend gemacht wird. Denn dass und gegebenenfalls welche Unteransprüche des Gebrauchsmusters zusätzlich benutzt sein sollen, ist aus den Schreiben der Beklagten nicht einmal ansatzweise erkennbar.

Schutzanspruch 1 des Gebrauchsmusters 202 21 XXX ist offensichtlich nicht schutzfähig und infolgedessen nicht im Stande, zu Gunsten der Beklagten einen Dritte von seiner Benutzung ausschließenden Gebrauchsmusterschutz zu begründen (§§ 13 Abs. 1, 15 GebrMG). Einer förmlichen Löschung des Gebrauchsmusters bedarf es insoweit nicht. Die am 29.08.1996 – und damit vor dem Prioritätstag des Gebrauchsmusters 202 21 XXX – offengelegte Patentanmeldung DE 196 08 XXY betrifft nach ihrem Patentanspruch 1 eine vergängliche Feuerbestattungsurne, deren Gefäß, Deckel, Fuß und Haube im Spritzgussverfahren aus einer Mischung von thermoplastisch eingestelltem Stärkederivat, Farbstoffen, Mineralstoffen und/oder pflanzlichen Faserstoffen hergestellt sind. Erklärtes Ziel des Anmeldungsgegenstandes ist es, das Problem zu beseitigen, dass Urnen aus unvergänglichen oder schwer vergänglichen Materialien es bei einer späteren Aufhebung des Urnengrabes erforderlich machen, unvergangene Urnenreste zu beseitigen. Es entspricht daher bereits dem Stand der Technik, eine Bestattungsurne aus leicht vergänglichen Materialien im Wege des Spritzgießens herzustellen. Die erste Alternative von Schutzanspruch 1 des Abmahnungsgebrauchsmusters ist damit neuheitsschädlich getroffen. Soweit das Gebrauchsmuster 202 21 XXX alternativ das Spritzpressverfahren erwähnt, liegt darin keinesfalls eine Leistung von erfinderischem Rang. Vielmehr handelt es sich um eine geläufige Fertigungsalternative zum Spritzgussverfahren, die dem Durchschnittsfachmann unmittelbar vor Augen steht. Für eine andere Beurteilung liefert auch der Sachvortrag der Beklagten keine Anhaltspunkte.

3. Ein Verschulden in Bezug auf die rechtswidrigen Abnehmerverwarnungen würde die Beklagte nur dann nicht treffen, wenn sie sich vorher durch eine gewissenhafte Prüfung und aufgrund vernünftiger und billiger Überlegungen die Überzeugung verschafft hätte, dass das gegen die Bestattungsunternehmen geltend gemachte Schutzrecht (Anspruch 1 des Gebrauchsmusters 202 21 XXX) rechtsbeständig und der Verletzungsvorwurf begründet ist. Gerade in Bezug auf den Rechtsbestand sind strenge Anforderungen zu stellen, weil es sich bei einem Gebrauchsmuster um ein reines Formalrecht handelt, das – anders als Patente – ohne jede materielle Prüfung auf Neuheit und Erfindungshöhe vom Patentamt eingetragen wird. Welche Anstrengungen konkret unternommen worden sind, um sich hinsichtlich der Schutzfähigkeit von Anspruch 1 des Abmahnungsgebrauchsmusters zu vergewissern, legt die Beklagte nicht näher dar. Unter den gegebenen Umständen erscheint es auch ausgeschlossen, dass die Beklagte eine hinreichende Recherche nach entgegenstehendem Stand der Technik durchgeführt hat. Die deutsche Offenlegungsschrift 196 08 XXY hat exakt dieselbe IPC-Hauptklasse (A61G  17/XXZ) wie das Abmahnungsgebrauchsmuster. Hätte die Beklagte vor Absendung ihrer Verwarnungsschreiben eine Datenbankrecherche durchgeführt, wie sie allgemein üblich ist, so wäre sie zuverlässig auf die DE-OS 196 08 XXY gestoßen und hätte bei deren Lektüre unschwer erkennen können, dass die im Schutzanspruch 1 ihres Gebrauchsmusters gegebene technische Lehre dort bereits weitestgehend vorbeschrieben ist.

4. Zur Abwehr der widerrechtlichen Abnehmerverwarnungen durfte die Klägerin ihre Rechtsanwälte einschalten. Abgesehen davon, dass auch die Beklagte für ihre Abmahnungen anwaltliche Hilfe hinzugezogen hatte, war die rechtliche Beurteilung der streitbefangenen Aufforderungsschreiben – wie die landgerichtliche Entscheidung zeigt – keineswegs einfach gelagert. Die durch das Abwehrschreiben vom 12.03.2012 verursachten Anwaltskosten stellen demgemäß einen ersatzfähigen Schaden der Klägerin dar.

a) Gegen die Höhe der geltend gemachten Gebühren ist nichts zu erinnern. Den Ansatz einer 1,3-Geschäftsgebühr zieht die Beklagte mit Recht nicht in Zweifel. Der Streitwert von 200.000,- € begegnet gleichfalls keinen Bedenken. Die Beklagte verweist zwar zutreffend darauf, dass der Gegenstandswert in dem gegen ein einzelnes abgemahntes Bestattungsunternehmen geführten Rechtsstreit mit lediglich 20.000,- € angenommen worden ist. Unstreitig hat die Beklagte jedoch mehrere Bestattungsunternehmen verwarnt. Aus der Sicht der Klägerin ging es deshalb am 12.03.2012 erkennbar darum, eine von der Beklagten offenbar ins Auge gefasste flächendeckende Abmahnaktion zu unterbinden, von der potenziell sämtliche Abnehmer der Klägerin betroffen sein konnten. Das Abwehrschreiben der Klägerin muss daher mit einem Mehrfachen des Gegenstandswertes der Einzelabmahnung bemessen werden. Dass der Betrag von 200.000,- € vor diesem Hintergrund unangemessen hoch ist, zeigt die Beklagte nicht auf; dafür bestehen auch keine Anhaltspunkte.

b) Die Ersatzpflicht der Beklagten kann nicht unter dem Gesichtspunkt der Gegenabmahnung verneint werden. Eine solche ist nur gegeben, wenn der zu Unrecht Abgemahnte aus Anlass der Abmahnung von dem Abmahnenden das Unterlassen der Verletzungsbehauptung verlangt, verbunden mit der Androhung einer negativen Feststellungsklage. In einer solchen Situation wird die Kostenerstattungspflicht in der Rechtsprechung unter besondere Voraussetzungen gestellt, weil der zu Unrecht Abgemahnte (auch zur Vermeidung der Kostenfolge aus § 93 ZPO) grundsätzlich nicht gehalten ist, vor Erhebung einer negativen Feststellungsklage eine Gegenabmahnung auszusprechen, weshalb eine solche prinzipiell auch nicht dem mutmaßlichen Willen und dem Interesse des Abmahnenden entspricht (BGH, GRUR 2004,790 – Gegenabmahnung). Vorliegend war die Klägerin nicht Adressatin einer Abmahnung der Beklagten. Ihr Abwehrschreiben war vielmehr notwendig (und das einzige der Klägerin zur Verfügung stehende Mittel), um der rechtswidrig in ihre Lieferbeziehungen eingreifenden Abmahnungaktion der Beklagten Einhalt zu gebieten.

Zuzüglich Kostenpauschale (Nr. 7002 VV-RVG) belaufen sich die von der Beklagten zu erstattenden Anwaltskosten (1,3-Geschäftsgebühr nach einem Streitwert von 200.000,- €, §§ 13, 14 Nr. 2300 VV-RVG) auf 2380,80 €.

5. Der Zinsanspruch findet seine Grundlage in §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Es handelt sich um eine reine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, mit der der Bundesgerichtshof auch nicht im Interesse einer Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung befasst werden muss (§ 543 Abs. 2 ZPO). Dass andere Gerichte das streitgegenständliche Schreiben abweichend als Berechtigungsanfrage bewertet haben, verleiht der Angelegenheit noch keine rechtliche Grundsätzlichkeit.

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