Vergabe von ein- und zweistelligen Domains nach dem Prioritätsprinzip zulässig

04. Mai 2010
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Eigener Leitsatz:

Die Vergabe von ein- und zweistelligen Domains unter der Top-Level-Domain ".de" nach dem "First come – first served"-Prinzip ab einem Stichtag gewährleistet ein Höchstmaß an Chancengleichheit für alle Bewerber der entsprechenden Domains. Eine vorzeitige Registrierung unter der Firmenbezeichnung "TV" ist somit nicht möglich. Der Einwand, dass Internet-Nutzer die Suche nach der Firma abbrechen, wenn die angewählte Domain unter der Firmenbezeichnung nicht das gewünschte Ergebnis bringt, setzte sich nicht gegen die Argumente des bewährten Prioritätsprinzips durch.   

 

Landgericht Frankfurt am Main

Beschluss vom 21.10.2009

Az.: 3 – 10 O 38/09

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

– Antragstellerin –
– Verfahrensbevollmächtigter:

gegen

– Antragsgegnerin –

hat das Landgericht Frankfurt/Main – 10. Kammer für Handelssachen – durch Vorsitzende Richterin am Landgericht am 21. Oktober 2009 beschlossen:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 20.10.2009 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

Der Streitwert wird auf 25.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.
Die Antragstellerin ist eine seit 2004 im Companies House für England und Wales eingetragene Firma. Sie ist zudem Lizenznehmerin der beim Deutschen Patent- und Markenamt eingetragenen Wortmarke "Tv.de".

Mit einer Pressemitteilung vom 15.10.2009, wegen deren Inhalt im Einzelnen auf die Anlage 7 Bezug genommen wird, kündigte die Antragsgegnerin an, sie werde die aktuellen Domain-Richtlinien dahingehend erweitern, dass künftig auf ein- und zweistellige Domains sowie reine Zifferndomains registriert werden könnten. Das Registrierungsverfahren starte am 23.10.2009. Um ein Höchstmaß an Chancengleichheit zu gewährleisten, gelte bei der Registrierung das in vielen Bereichen bewährte "First come – first served"-Prinzip, nach dem der erste eingegangene Auftrag zu einer Domain auch die Registrierung erhalte.

Der Antrag der Antragstellerin auf Eintragung der Domain "tv.de" wurde mit NACK-Nachricht der Antragsgegnerin vom 18.10.2009 (Anlage 4) abgelehnt.

Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung in erster Linie die Registrierung der Domain "tv.de" auf sich und verlangt hilfsweise, der Antragsgegnerin zu verbieten, die Domain bis zur Entscheidung in der Hauptsache auf sich und/oder Dritte zu registrieren. Wegen der weiteren hilfsweise geltend gemachten Ansprüche sowie des Vorbringens der Antragstellerin wird auf die Antragsschrift und die vorgelegten Anlagen Bezug genommen.

II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat keinen Erfolg.

Dabei war der Hauptantrag, mit dem die Antragstellerin begehrt, der Antragsgegnerin unter Verbot der Registrierung auf sich selbst und/oder Dritte zu gebieten, die Domain "tv.de" auf die Antragstellerin zu registrieren, schon deshalb zurückzuweisen, weil er eine – grundsätzlich unzulässige – Vorwegnahme der Hauptsache bedeutet. Würde die streitgegenständliche Domain im Wege der einstweiligen Verfügung auf die Antragstellerin registriert, hätte dies eine endgültige rechtsgestaltende Wirkung, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten ist, solange durch eine vorläufige Sicherung keine Ansprüche der Antragstellerin vereitelt werden.

Darüber hinaus hat die Antragstellerin – auch hinsichtlich der hilfsweise geltend gemachten Ansprüche – keinen Verfügungsanspruch gemäß §§ 20 Abs. 1, 33 Abs. 1 GWB glaubhaft gemacht.

Zwar ist die Antragsgegnerin Normadressatin des § 20 GWB. Sie hat eine marktbeherrschende Stellung, weil sie in der Bundesrepublik Deutschland als dem sachlich und räumlich relevanten Markt ohne Wettbewerber ist (vgl. dazu im Einzelnen OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 13.02.2007, Az. 11 U 24/06 (Kart) und 29.04.2008, Az. 11 U 32/04 (Kart), jeweils zitiert nach Juris). Im Hinblick darauf darf sie gemäß § 20 Abs. 1 GWB ein anderes Unternehmen in einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist, weder unmittelbar noch mittelbar unbillig behindern oder gegenüber gleichartigen Unternehmen ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar oder mittelbar unterschiedlich behandeln.

Die Antragstellerin hat jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass sie derzeit gegenüber gleichartigen Unternehmen von der Antragsgegnerin ohne sachlichen Grund unterschiedlich behandelt wird. Dabei kann offen bleiben, ob als maßgebliche Vergleichsgruppe – wie in der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 29.04.2008 (Az. 11 U 32/04 (Kart)) – weiterhin sämtliche Unternehmen anzusehen sind, die für ihre Werbeauftritte im Internet nach der Registrierung unter der Top-Level-Domain ".de" nachsuchen, oder ob sich die Vergleichsgruppe nach der ab dem 23.10.2009 möglichen Registrierung auch ein- und zweistelliger sowie Zifferndomains auf diejenigen beschränkt, die um eine entsprechende Registrierung nachsuchen.

Geht man von letzterem aus, besteht schon keine unterschiedliche Behandlung der gleichartigen Unternehmen: Sämtliche Aufträge für die Registrierung neuer Domains werden nach demselben von der Antragsgegnerin vorgesehen Verfahren behandelt, das am 23.10.2009 um 9.00 Uhr beginnt.

Auch bei der Annahme, dass als gleichartige Unternehmen im Sinne des § 20 Abs. 1 GWB
sämtliche Unternehmen anzusehen sind, die für ihre Werbeauftritte im Internet nach der
Registrierung unter der Top-Level-Domain ".de" nachsuchen, ergibt sich keine abweichende
Beurteilung. Zwar liegt gegenüber diesen Unternehmen eine Ungleichbehandlung vor, weil sie im Gegensatz zur Antragstellerin ihre Registrierung jederzeit, nicht erst ab dem 23.10.2009, 9.00 Uhr beantragen können. Dies führt jedoch nicht zu einer unbilligen Behinderung der Antragstellerin, da die unterschiedliche Behandlung schon nach den aus der Antragsschrift ersichtlichen Erwägungen der Antragsgegnerin sachlich gerechtfertigt ist. Die Antragsgegnerin hat sich für die Einführung der neuen Domains zu einem bestimmten Stichtag entschieden, um damit nach dem "First come – first served"-Prinzip eine größtmögliche Chancengleichheit für diejenigen zu gewähren, die eine der neuen Domains für sich registrieren lassen möchten. Dies ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Ob es für die unterschiedliche Behandlung einen sachlich gerechtfertigten Grund gibt, ist aufgrund einer umfassenden Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vorzunehmen. Dabei ist auf Seiten der Antragsgegnerin zu berücksichtigen, dass sie die – offenbar aufgrund des die Nichtzulassungsbeschwerde zurückweisenden Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 29.09.2009 – getroffene Entscheidung, die bisherigen Einschränkungen bei der Registrierung weitgehend aufzugeben, einerseits möglichst schnell (vgl. dazu die Mitteilung an die Mitglieder, Einblendung Seite 7 der Antragsschrift) und andererseits in einer Weise umsetzen wollte, die ein Höchstmaß an Chancengleichheit gewährleistet (vgl. Anlage 7 der Antragsschrift). Beides sind sachliche Gründe, die auch im Einklang mit den Zielsetzungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen stehen. Im Gegensatz dazu hat die Antragstellerin kein Interesse dargelegt und glaubhaft gemacht, das dem Interesse der Antragsgegnerin an einer schnell umzusetzenden Einführung, die sämtlichen Interessenten neuer Domains die gleichen Chancen bietet, überwiegt. Zwar ist auf Seiten der Antragstellerin zu berücksichtigen, dass sie eine Registrierung unter ihrer Firmenbezeichnung "TV" beziehungsweise als Lizenznehmerin der Marke "Tv.de" unter der Top-Level-Domain ".de" wünscht, weil – wie die Antragstellerin ausführt – der Verkehr erwarte, dass Unternehmen, die auf dem deutschen Markt tätig und im Internet präsent
seien, auf einfache Weise gefunden werden können. Diesem Aspekt vermag jedoch unter
Abwägung mit den Interessen der Antragsgegnerin kein besonderes Gewicht zuzukommen. Zum
einen hat die Antragstellerin nicht vorgetragen, welcher konkrete Nachteil ihr droht, wenn die streitgegenständliche Domain nicht auf sie registriert würde. Soweit sie anführt, der Nachteil sei nicht konkret zu bemessen, es sei aber davon auszugehen, dass ein gewisser Teil der Internet-Nutzer die Suche nach der Web-Seite der Antragstellerin aufgeben werde, wenn sie nicht unter der zuerst angewählten Domain erreichbar ist, genügt dies nicht. Insofern fehlt es schon an der Darlegung, dass die Antragstellerin überhaupt auf dem deutschen Markt tätig ist und deshalb für die Darstellung ihres Geschäftsbereichs auf die Second-Level-Domain "tv" angewiesen sein könnte. Zum anderen
bestehen – gerade bei dem wenig unterscheidungskräftigen Firmen- und Markennamen – gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass nicht nur die Antragstellerin, sondern auch Dritte ein berechtigtes Interesse an der Registrierung der streitgegenständlichen Domain haben könnten. Im Hinblick darauf erscheint das von der Antragsgegnerin nach dem "First come – first served"-Prinzip zum Stichtag 23.10.2009 gewählte Verfahren jedenfalls unter Berücksichtigung der vorgetragenen Interessen der Antragstellerin nicht zu beanstanden.

Die Auffassung der Antragstellerin, die Antragsgegnerin hätte bei der Freigabe der bislang nicht registrierungsfähigen Domains zumindest die Inhaber von Namens- und/oder Kennzeichenrechten vorrangig berücksichtigen müssen, trifft nicht zu. Die Antragsgegnerin kann als Normadressatin des § 20 Abs. 1 GWB ihr unternehmerisches Verhalten grundsätzlich nach eigenem Ermessen so ausgestalten, wie sie es für wirtschaftlich richtig und sinnvoll hält (vgl. dazu BGH, GRUR 2003, 893; vgl. auch Loewenheim, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht Bd. II GWB, 2006, § 20 Rdn. 71 m.w.N.). Ihr unternehmerischer Freiraum findet seine Grenze erst durch die Abwägung mit den Interessen anderer Beteiligter und der Berücksichtigung der Zielsetzungen des GWB. Unerheblich ist dagegen, ob das Verhalten nach objektiven Maßstäben vernünftig oder sinnvoll ist. Im Hinblick darauf kommt es nicht darauf an, ob die Antragsgegnerin die objektiv beste Form für Zulassung der bislang nicht möglichen Registrierungen gewählt hat. Vielmehr sind verschiedene zulässige Ausgestaltungen denkbar. Anhaltpunkte dafür, dass die von der Antragsgegnerin gewählte Verfahrensweise im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung die Interessen der Antragstellerin in sachlich nicht gerechtfertigter Weise vernachlässigt, ein milderes Mittel übergeht oder gesetzliche Wertungen nicht berücksichtigt, sind nicht ersichtlich. Stattdessen ist die Vergabe von Domainnamen nach dem Prioritätsprinzip grundsätzlich zulässig und eine darin liegende Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsfreiheit Einzelner hinzunehmen, solange der Erwerber einer Domain bei der Registrierung oder dem Halten der Domain nicht rechtsmissbräuchlich handelt (vgl. BGH, Urteil vom 19.02.2009, Az. I ZR 135/06, zitiert nach Juris).

Soweit die Antragstellerin meint, mit dem von der Antragstellerin vorgesehenen
Registrierungsverfahren könne das verlautbarte Ziel, "ein möglichst schnelles, sicheres,
transparentes und vor allem gerechtes Verfahren zu gewährleisten" sowie die Chancengleichheit bei der Einführungsphase durch das erprobte "First come – first served"-Prinzip nicht erreicht werden, hat sie keine hinreichenden Gründe dargetan, die der Zielsetzung entgegenstünden. Insbesondere hindert der Umstand, dass die Mitglieder der Antragsgegnerin vor dem Hintergrund der Beschränkung maximal vier Domains pro Minute registrieren zu dürfen, die Domainanträge veräußern, nicht die grundsätzliche Gleichheit der Chance sämtlicher Interessenten. Es bleibt vielmehr dabei, dass jeder Interessent – wenn auch gegen Entgelt – die Chance auf eine Registrierung hat und es – wie die Antragstellerin selbst bemerkt – dem Zufall überlassen bleibt, welcher Antrag für welche Domain tatsächlich als erster bei der Antragsgegnerin eingeht.

Auch der Einwand der Antragstellerin, durch das vorgesehene Verfahren, bei dem sie "so gut wie keine Chance" habe, als Inhaber der Domain "tv.de" eingetragen zu werden, würden ihre Namens- und Kennzeichenrechte nicht hinreichend gewahrt, greift nicht durch. Abgesehen davon, dass im Hinblick auf die geringe Unterscheidungskraft des Kürzels "TV" diese Rechte nicht als besonders gewichtig einzustufen sind, ist im Rahmen einer Interessenabwägung eine Bevorzugung der Antragstellerin schon deshalb nicht angezeigt, weil dadurch möglicherweise (bessere oder gleichrangige) Rechte Dritter beeinträchtigt würden.

Die Antragstellerin kann sich schließlich nicht darauf berufen, dass sie auch nach dem "First come – first served"-Prinzip eine Registrierung auf sich beanspruchen kann, weil ihr entsprechender Antrag bereits am 18.10.2009 abgelehnt wurde. Zum einen kann nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei der Antragsgegnerin bereits früher Anträge auf Registrierung der streitgegenständlichen Domain eingegangen sind. Zum anderen war eine Registrierung nach der Ankündigung vom 15.10.2009 und dem veröffentlichten Verweis auf die Registrierungsmöglichkeit ab dem 23.10.2009 vor diesem Stichtag nicht mehr möglich, ohne andere potentiell Berechtigte, die im Vertrauen auf die Ankündigung ihre Anträge im von der Antragsgegnerin vorgesehenen Verfahren stellen wollen, in unbilliger Weise zu behindern. Mit der am 15.10.2009 angekündigten Änderung ab dem Stichtag 23.10.2009 hat die Antragsgegnerin sich auf dieses Verfahren festgelegt und sich damit bezüglich vor diesem Zeitpunkt eingehender Anträge selbst beschränkt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 3 ZPO.

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