Kein grundsätzlicher Anspruch auf Ausdruck digitalisierter Akten

05. Januar 2015
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Geschäftsmann steht mit verschränkten Armen vor einem Drucker. Beschluss des OLG Düsseldorf vom 22.09.2014, Az.: III-1 Ws 236/14

Im Rahmen eines Strafverfahrens hat ein Verteidiger grundsätzlich keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für den Ausdruck einer kompletten übersandten e-Akte, sofern nicht der vollumfängliche Ausdruck zur sachgemäßen Durchführung der Verteidigung erforderlich ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn ihm die Akte dauerhaft in digitalisierter Form als Arbeitsgrundlage zur Verfügung steht. Es ist dem Verteidiger zuzumuten, sich zunächst mit Hilfe der e-Akte einzuarbeiten und basierend darauf zu entscheiden, welche Aktenbestandteile auch in Papierform benötigt werden.

Oberlandesgericht Düsseldorf

Beschluss vom 22.09.2014

Az.: III-1 Ws 236/14

Tenor

Die Beschwerde des Bezirksrevisors gegen den Beschluss der 10. großen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 4. Februar 2014 wird als unzulässig verworfen.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Entscheidungsgründe

I.

In dem derzeit vor der 10. großen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf anhängigen Strafverfahren 10 KLs 5/13 gegen M. u. a. wird der (Mit-)Angeklagten Y. (geborene K.) aufgrund der Ende Februar 2013 angebrachten Anklage (50 Js 509/11 StA Düsseldorf) vorgeworfen, sich als Servicekraft und Kassiererin der Bordellbetriebe  in zwei Fällen an einer gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung zum Nachteil von Bordellkunden beteiligt zu haben. Die Hauptverhandlung hat am 1. Juli 2013 begonnen und dauert zurzeit an; Termine sind noch für den Zeitraum bis Juni 2015 anberaumt.

Der Antragsteller als Pflichtverteidiger der Angeklagten Y. hatte bereits im Zwischenverfahren am 18. April 2013 ein Exemplar der Papierakte (30 Kartons) erhalten. Auf seinen Antrag vom 27. Januar 2014 hat die Kammer ferner durch Beschluss vom 4. Februar 2014 gemäß § 46 Abs. 2 Satz 3 RVG die Erforderlichkeit eines „Komplettausdruck der übersandten e-Akte“ zur sachgemäßen Durchführung der Verteidigung festgestellt, soweit dem Antragsteller „die Papierakte nicht bereits vollständig durch gerichtlich gefertigte Kopien überlassen“ wurde. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Bezirksrevisor mit seiner Beschwerde, der die Kammer nicht abgeholfen hat.

Der Antragsteller hat unter Bezugnahme auf die gerichtliche Feststellungsentscheidung mit Schriftsatz vom 12. März 2014 die vorschussweise Festsetzung entstandener Auslagen (Dokumentenpauschale) in Höhe von 46.194,10 € netto (= 54.970,98 € brutto) für insgesamt 307.844 Ausdrucke aus ihm überlassenen elektronischen Datenträgern beantragt. Über dieses Festsetzungsgesuch ist noch nicht entschieden.

II.

Die Beschwerde des Bezirksrevisors gegen den Beschluss der Kammer vom 4. Februar 2014 ist unzulässig.

1. Bei der im angefochtenen Beschluss getroffenen Feststellung, dass „ein Komplettausdruck der übersandten e-Akte erforderlich“ sei, handelt es sich – entgegen der Ansicht des Bezirksrevisors – um eine für das Festsetzungsverfahren (§ 55 RVG) bindende Entscheidung des Gerichts im Sinne von § 46 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 3 RVG.

Nach diesen Vorschriften kann der beigeordnete Rechtsanwalt für beabsichtigte Aufwendungen gemäß § 670 BGB eine gerichtliche Feststellung ihrer Erforderlichkeit zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheit erwirken. Der Feststellung zugänglich sind sämtliche Aufwendungen, die zum Zwecke der Ausführung der Beiordnung getätigt werden, jedoch neben den allgemein anfallenden Geschäftskosten entstehen (vgl. Vorbem. 7 Abs. 1 VV RVG). Unter den Begriff der Aufwendungen gemäß § 670 BGB fallen daher insbesondere die in Teil 7 VV RVG ausdrücklich aufgeführten Auslagen (Mayer/Kroiß-Ebert, RVG, 6. Auflage [2013], § 46 Rdnr. 14, 15), für die das Gesetz an Stelle der Abrechnung nach tatsächlichem Aufwand die Geltendmachung von Pauschalen vorsieht. Der bei Erstellung von Ausdrucken aus einer e-Akte anfallende Kostenaufwand gehört hierbei zum Anwendungsbereich der Nr. 7000 VV RVG (Nr. 1 Buchstabe a), die für Kopien und Ausdrucke aus Behörden- und Gerichtsakten eine Dokumentenpauschale vorsieht. Zwar ist die elektronische Aktenführung im Strafverfahren bislang nicht gesetzlich eingeführt. Mit der Ergänzung der Nr. 7000 VV RVG (Nr. 1 Buchstabe a) um den Zusatz „und Ausdrucke“ durch das Justizkommunikationsgesetz vom 22. März 2005 wollte der Gesetzgeber jedoch nicht nur die Ausdrucke aus elektronisch geführten Akten, sondern auch Ausdrucke aus sonstigen elektronisch gespeicherten Dateien in Bezug auf die Dokumentenpauschale den auf herkömmliche Weise erstellten Ablichtungen aus Papierakten gleichstellen (vgl. BT-Drucks. 15/4067 S. 57: „Ausdrucke aus elektronisch gespeicherten Dateien, insbesondere aus elektronisch geführten Akten“).

2. Gegen die Entscheidungen nach § 46 Abs. 2 Satz 1 und 3 RVG ist eine Beschwerde nicht statthaft.

Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz sieht insoweit kein Rechtsmittel vor. Daher sind nach ganz herrschender Meinung die – für das Festsetzungsverfahren ohnehin nicht bindenden – negativen Feststellungsentscheidungen unanfechtbar (OLG Celle NStZ-RR 2012, 326; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 20. Auflage [2012], § 46 Rdnr. 89; vgl. ferner Senat JurBüro 1986, 891 und MDR 1994, 517, jeweils noch zu § 126 Abs. 2 BRAGO). Gleiches hat nach zutreffender Ansicht aber auch für die mit Bindungswirkung versehenen positiven Vorabentscheidungen der hier zur Rede stehenden Art zu gelten (OLG München 2 Ws 1090/88 vom 25. November 1988 <juris>; Volpert, in: Burhoff [Hrsg.], RVG, 3. Auflage [2012], Vergütungs-ABC Rdnr. 210). Die Zulassung einer – noch dazu unbefristeten – Beschwerde würde nämlich dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung zuwiderlaufen, die dem Pflichtverteidiger vor der unter Umständen kurzfristig erforderlichen Tätigung von Auslagen für die Verteidigung eine verlässliche Vertrauensgrundlage für deren spätere Erstattungsfähigkeit verschaffen soll, sofern er hierauf anträgt.

3. Ob bei einer willkürlichen oder offenkundig gesetzeswidrigen Entscheidung des Gerichts ein außerordentliches Beschwerderecht der Staatskasse anzuerkennen wäre (vgl. hierzu OLG München, aaO <juris Rz. 6>), kann dahinstehen, denn ein derartiger Ausnahmefall ist hier nicht gegeben.

Der angefochtene Beschluss bezieht sich auf die einer Feststellungsentscheidung gemäß § 46 Abs. 2 Satz 3 RVG zugänglichen Aufwendungen (s. o. II 1) und orientiert sich bei sachgerechter Auslegung (vgl. hierzu die nachfolgenden Ausführungen zu III 3) an einem grundsätzlich vertretbaren und damit jedenfalls nicht willkürlichen Verständnis des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Erforderlichkeit“ zur sachgemäßen Durchführung der Verteidigung. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der „zur Vorbereitung der weiteren Hauptverhandlung“ gestellte Antrag auf Gestattung eines Ausdrucks der noch nicht in Papierform vorhandenen Teile der e-Akte erst mehr als ein halbes Jahr nach Beginn der Hauptverhandlung gestellt worden ist, was durchaus Zweifel an der tatsächlichen Erforderlichkeit der beantragten Maßnahme zu Verteidigungszwecken hätte begründen können. Da ein Ende der Hauptverhandlung jedoch bei Beschlusserlass nicht absehbar war und dies auch derzeit noch nicht der Fall ist, beruht die Feststellungsentscheidung noch auf vertretbarer Grundlage und entfaltet nach wie vor Bindungswirkung.

Es kann ferner offen bleiben, ob eine positive Feststellungsentscheidung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 und 3 RVG ausnahmsweise anfechtbar ist, wenn ihr ein unzulässiger Antrag des Verteidigers zugrunde lag, denn letzteres ist hier – entgegen der Ansicht des Bezirksrevisors – nicht feststellbar. Zwar muss der Antrag auf Feststellung der Erforderlichkeit einer bestimmten Aufwendung gestellt werden, bevor diese anfällt, denn danach besteht kein Rechtsschutzbedürfnis an der Herbeiführung einer Feststellungsentscheidung mehr (Mayer/Kroiß-Ebert, aaO, § 46 Rdnr. 161; Hartmann, Kostengesetze, 44. Auflage [2014], § 46 RVG Rdnr. 43). Dass der Antragsteller seine unter dem 12. März 2014 als entstanden angemeldeten Auslagen für 307.844 Ausdrucke – ganz oder zumindest teilweise – vor Anbringung des Feststellungsantrags vom 27. Januar 2014 getätigt haben muss, ergibt sich allein aus den zeitlichen Abläufen nicht hinreichend eindeutig und wäre auch im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr sicher zu ermitteln.

III.

Zu dem noch anhängigen Kostenfestsetzungsverfahren weist der Senat – anlässlich seiner zeitgleich ergangenen Beschwerdeentscheidungen zu den diesbezüglichen Anträgen weiterer Verteidiger in diesem Verfahren – bereits jetzt vorsorglich auf Folgendes hin:

1. Der Antragsteller hat zwar mit Schriftsatz vom 2. April 2014 eine grobe Aufstellung der Dateien vorgelegt, die ihm gerichtlicherseits in Papierform zur Verfügung gestellt wurden und deshalb nicht Gegenstand des anhängigen Kostenfestsetzungsgesuchs sein sollen (Bl. 18-46 Kostenbd.). Dieser Sachvortrag enthält indes keine schlüssige Darlegung der konkret geltend gemachten Auslagenhöhe. Hierfür bedarf es vielmehr der Vorlage einer Kopierliste, die das tatsächlich in Ansatz gebrachte Druckvolumen (hier: 307.844 Blatt) unter Bezeichnung der im Einzelnen ausgedruckten Dateien sowie ihres Umfangs nachvollziehbar aufschlüsselt.

Die Vorlage einer derartigen Auflistung ist nicht nur ohne weiteres möglich (da dem Festsetzungsantrag bereits eine konkrete Zählung des Druckaufwandes zugrundelag), sondern im vorliegenden Einzelfall auch zumutbar und erforderlich. Zum Einen rechtfertigt bereits die außergewöhnliche Höhe der angemeldeten Auslagen entsprechend hohe Anforderungen an deren Darlegung zwecks Vermeidung einer unangemessenen Belastung der Staatskasse (vgl. hierzu OLG Köln, III-2 Ws 686/13 vom 18. Dezember 2013 <juris Rz. 11>). Zum Anderen ist zu berücksichtigen, dass im bisherigen Verlauf des Verfahrens zahlreiche Datenträger – teils mehrfach und sukzessive in jeweils aktualisierter Fassung – an die Rechtsanwälte übersandt und für deren Ausdruck seitens mehrerer Pflichtverteidiger Dokumentenpauschalen in unterschiedlichster Höhe angemeldet wurden. Ein nicht näher aufgeschlüsseltes Festsetzungsgesuch lässt weder die schlichte Richtigkeitskontrolle auf Zählfehler zu noch erlaubt es die Prüfung der Frage, inwieweit das angemeldete Druckvolumen vom Anwendungsbereich des landgerichtlichen Feststellungsbeschlusses erfasst ist (vgl. hierzu die nachfolgenden Ausführungen zu III 3).

2. Die Glaubhaftmachung der Auslagenentstehung mittels einer – vom Antragsteller bereits angebotenen – Sichtung des ausgedruckten Aktenmaterials vor Ort durch Vertreter der Staatskasse ist nach Ansicht des Senats ebenfalls erforderlich (vgl. Parallelentscheidung zu III-1 Ws 246+272/14 vom heutigen Tage; OLG Köln, III-2 Ws 686/13 vom 18. Dezember 2013 <juris>).

3. Angesichts der Bindungswirkung des Feststellungsbeschlusses unterliegt im Festsetzungsverfahren nur noch die Höhe der Dokumentenpauschale einer Überprüfung. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die landgerichtliche Vorabentscheidung nicht etwa einen „Anspruch“ begründet hat, jeden im Verfahrensablauf überreichten Datenträger wahllos auf Kosten der Staatskasse auszudrucken. Ein Feststellungsbeschluss mit derartigem Regelungsgehalt wäre willkürlich, da er in nicht mehr vertretbarer Verkennung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Satz 3 RVG nur noch darauf hinausliefe, dem Pflichtverteidiger über die Dokumentenpauschale ein in den gesetzlichen Gebühren- und Auslagenregelungen nicht vorgesehenes „Zusatzentgelt“ zu verschaffen. Für ein dahingehendes Verständnis der landgerichtlichen Feststellungsentscheidung bestand indes bei einer an Treu und Glauben orientierten Auslegung von vornherein kein Anlass. Vielmehr ist dem zum Verfahren 10 KLs 5/13 (= 50 Js 509/11 StA Düsseldorf) ergangenen Beschluss schon aufgrund seines Wortlauts („Komplettausdruck der übersandten e-Akte“) lediglich die Genehmigung eines kostenpflichtigen Ausdrucks der e-Akte dieses Verfahrens zu entnehmen. Ferner verfolgt die Entscheidung nach ihrem Sinn und Zweck erkennbar das Ziel, dem Pflichtverteidiger in gleicher Weise die Arbeit mit einer Papierakte zu ermöglichen wie der Kammer (Prinzip der Waffengleichheit).

Hieraus folgt zum Einen, dass sich die Pflichtverteidiger beim Ausdruck der e-Akte nicht auf eine Formatverkleinerung (zwei Seiten auf einem Ausdruck) einlassen mussten. Die mit der Feststellungsentscheidung verbundene Intention, insbesondere der in ihr zum Ausdruck gekommene Gedanke der Waffengleichheit, beschränkt allerdings zum Anderen auch den abrechenbaren Druckaufwand in mehrfacher Hinsicht:

a) Da die im Ermittlungsverfahren erstellten TKÜ-Mitschriften selbst der Kammer zu keinem Zeitpunkt in Papierform zur Verfügung gestanden haben, war ihr Ausdruck von dem am Grundsatz der Waffengleichheit orientierten Sinn und Zweck des landgerichtlichen Feststellungsbeschlusses nicht erfasst. Er war auch nicht „zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten“ im Sinne der Nr. 7000 VV RVG (Nr. 1 Buchstabe a). Die seitens der Ermittlungsbehörden als verfahrensrelevant angesehenen TKÜ-Mitschriften sind Bestandteil diverser Sonderbände der eigentlichen Verfahrensakte (e-Akte) geworden, deren Ausdruck vom Feststellungsbeschluss der Kammer erfasst ist. Die unter Verteidigungsgesichtspunkten unter Umständen relevante Suche nach entlastenden Gesprächsmitschnitten kann angesichts der Fülle des hier zur Rede stehenden Materials ohnehin nur mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung sinnvoll erfolgen und erfordert unter keinen Umständen den unbesehenen Ausdruck aller im Ermittlungsverfahren angefallenen TKÜ-Mitschriften.

b) Abzusetzen wäre ferner das auf den Ausdruck der e-Akten anderer Verfahren gegen Mitangeklagte entfallende Druckvolumen. In Bezug auf diese Datenträger ist ein Ausdruck vom Regelungsgehalt der im hiesigen Verfahren ergangenen landgerichtlichen Feststellungsentscheidung schon aufgrund ihres Wortlauts nicht erfasst (s. o zu III) und im Übrigen auch zur sachgemäßen Verteidigung nicht geboten. Dies gilt auch und insbesondere für die elektronischen Akten der zum hiesigen Aktenzeichen hinzuverbundenen Verfahren gegen den Mitangeklagten M. B. T.: Die für den Gesamtkomplex der hier zur Rede stehenden Tatvorwürfe mitrelevanten Ermittlungserkenntnisse des Verfahrens 50 Js 492/11 StA Düsseldorf („EK Lobo“) sind bereits Bestandteil der hiesigen e-Akte geworden. Der Gegenstand des aus hiesigem Ermittlungskomplex zunächst abgetrennten und im weiteren Verlauf beim Landgericht wieder hinzuverbundenen Verfahrens 50 Js 14/13 ist sogar mit dem hier zur Rede stehenden Verfahrensstoff identisch.

c) Darüber hinaus wären bei der Berechnung der Dokumentenpauschale erkennbar erfolgte „Doppelausdrucke“ abzusetzen. Die im Feststellungsbeschluss der Kammer enthaltene „Genehmigung“ eines „Komplettausdrucks der e-Akte“ hat den beigeordneten Anwalt als Organ der Rechtspflege nämlich nicht der nach allgemeinen Kostengrundsätzen bestehenden Verpflichtung sparsamer Mandatsausübung enthoben (vgl. hierzu Hartmann, Kostengesetze, aaO, § 46 RVG Rdnr. 14; Mayer/Kroiß-Ebert, aaO, § 46 Rdnr. 119), die es im hier zur Rede stehenden Fall – schon angesichts des Umfangs der zu erwartenden Kostenbelastung für die Staatskasse – erforderlich und zumutbar erscheinen ließ, vor dem Ausdruck eine zumindest grobe Sichtung der e-Akte auf mehrfach eingestellte Inhalte vorzunehmen und deren mehrfachen Ausdruck zu vermeiden.

IV.

Der vorliegende Sachverhalt gibt ferner Anlass zu folgenden Hinweisen grundsätzlicher Art:

1. Mit den im hier anhängigen Verfahren ergangenen Feststellungsbeschlüssen hat die Kammer zu erkennen gegeben, dass sie den vollständigen Ausdruck der den Verteidigern überlassenen e-Akte schon aus Gründen der Waffengleichheit als eine zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache grundsätzlich erforderliche Aufwendung ansieht. Diese Ansicht vertritt der Senat nicht, denn das in § 147 Abs. 1 StPO vorgesehene Akteneinsichtsrecht lässt sich nicht in jedem Fall mit einem Anspruch auf Erhalt eines vollständigen Exemplars der Papierakte gleichsetzen. Zwar mag die (nahezu) vollständige Ablichtung der Verfahrensakte im Rahmen sachgemäßer Mandatsausübung erforderlich sein für einen Verteidiger, der die ausschließlich in Papierform existente Verfahrensakte nur vorübergehend erhält und der demzufolge darauf angewiesen ist, sich mittels Erstellung von Kopien binnen kurzer Frist erstmals eine alleinige Arbeitsgrundlage für die weitere Verteidigung zu verschaffen (vgl. hierzu Senat JurBüro 2000, 359 und III-1 Ws 12/07 vom 5. März 2007 <juris>; OLG Düsseldorf, 3. Strafsenat, JurBüro 1984, 713 und 4. Strafsenat, JurBüro 2002, 307). Eine derartige Fallkonstellation liegt jedoch gerade nicht vor, wenn dem Verteidiger die kompletten Akten dauerhaft in digitalisierter Form als Arbeitsgrundlage zur Verfügung stehen. Angesichts der Tatsache, dass die elektronische Aktenbearbeitung mittlerweile in weiten Teilen der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung – auch der Gerichte – zum Alltag gehört und den gezielten Zugriff auf bestimmte Informationen – gerade bei umfangreichem Verfahrensstoff – erheblich erleichtert, ist es auch dem Verteidiger zuzumuten, sich zunächst mit Hilfe der e-Akte in den Sachverhalt einzuarbeiten und erst auf dieser Grundlage zu entscheiden, welche (zentralen) Aktenbestandteile für die weitere Verteidigung auch in Papierform benötigt werden. Ein grundsätzlicher „Anspruch“ auf Ausdruck der kompletten e-Akte zum Zwecke der sachgerechten Verteidigung ist daher nicht anzuerkennen (OLG Rostock 20 Ws 193/14 vom 4. August 2014 <juris Rz. 16 ff.>; ebenso im Grundsatz auch OLG Köln 2 Ws 496/09 vom 11. Dezember 2009 <juris Rz. 5>; vgl. ferner OLG Düsseldorf – 2. Strafsenat – III-2 Ws 343/14 vom 15. August 2014; a. A. OLG Celle NJW 2012, 1671).

2. Die in Nr. 7000 VV RVG (Nr. 1 Buchstabe a) vorgesehene Dokumentenpauschale entspricht bei Ausdrucken des hier zur Rede stehenden Volumens mehr als dem Dreifachen des Durchschnittspreises, der an kommerzielle Anbieter für Massenkopien ab 1.000 Blatt einschließlich Gewinnanteil gezahlt werden muss (0,05 € brutto/Blatt nach eigener Recherche des Senats). Dieses Missverhältnis ist angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung jedoch im Grundsatz hinzunehmen: Der Gesetzgeber war sich bereits 1986 – bei Einführung der Dokumentenpauschale in ihrer noch heute geltenden Abstufung und Höhe – der schon damals deutlich niedrigeren Preise für gewerblich erstellte Kopien ausdrücklich bewusst (BT-Drucks. 10/5113 S. 48-49); er hat die auf einer „Mischkalkulation“ beruhenden Pauschalsätze für Kopien in der Folgezeit – trotz der mit steigender Anzahl von Umfangsverfahren häufiger werdenden Fälle einer „Massenproduktion“ von Ablichtungen aus Gerichtsakten – unverändert gelassen und durch das Justizkommunikationsgesetz vom 22. März 2005 (vgl. hierzu bereits die obigen Ausführungen zu II 1) sogar noch die Ausdrucke aus elektronisch gespeicherten Dateien in den Anwendungsbereich der Nr. 7000 VV RVG (Nr. 1 Buchstabe a) einbezogen, obwohl der tatsächliche Kostenaufwand für Ausdrucke die Dokumentenpauschale schon im Hinblick auf den geringeren Personaleinsatz noch deutlicher unterschreitet, als es bei Ablichtungen aus Papierakten der Fall ist.

Das OLG Stuttgart hat bereits im Jahr 2000 festgestellt, dass die Diskrepanz zwischen dem geltenden Vergütungssatz und den tatsächlichen Sachkosten – insbesondere bei „massenhafter“ Produktion von Ablichtungen – eine zusätzliche „Verdienstmöglichkeit“ eröffne, die vom ursprünglichen Gesichtspunkt der Aufwandsentschädigung nicht mehr gedeckt werde (8 W 236/00 vom 23. Mai 2000 <juris Rz. 14>). In welchem Ausmaß diese Überlegungen mittlerweile Geltung beanspruchen, zeigt der Umstand, dass im vorliegenden Verfahrenskomplex nach Kenntnis des Senats bislang fünf der insgesamt siebzehn Verteidiger aufgrund der landgerichtlichen Feststellungsbeschlüsse Dokumentenpauschalen in Höhe von bis zu 67.000 € brutto (für den in Bezug auf Lager- und Bearbeitungskapazitäten nicht mehr sinnvollen Ausdruck eines Papiervolumens von knapp 380.000 Seiten aus der e-Akte und den TKÜ-Mitschnitten) geltend gemacht haben (wobei die auf geringere Beträge lautenden Festsetzungsanträge ausdrücklich als vorläufig bezeichnet sind). Ob „Aufwandsentschädigungen“ in dieser Höhe vom gesetzgeberischen Willen bei der Einführung und weiteren Ausgestaltung der Dokumentenpauschale – insbesondere für Ausdrucke – erfasst waren und in welcher Weise eine diesbezüglich unter Umständen bestehende Gesetzeslücke seitens der Gerichte zu behandeln wäre, hat der Senat derzeit (noch) nicht zu entscheiden.

V.

Eine Kosten- und Auslagenentscheidung ist nicht veranlasst. Dies folgt aus dem Grundgedanken des für Rechtsmittelverfahren in Vergütungssachen des beigeordneten Rechtsanwalts geltenden § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG (vgl. OLG München 2 Ws 1090/88 vom 25. November 1988 <juris Rz. 7>).

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