Beweisverwertungsverbot für im Auskunftsverfahren erlangte Daten

17. September 2015
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"Reseller" in bunten Farben vor einem schwarzen Hintergrund. Urteil des LG Frankenthal vom 11.08.2015, Az.: 6 O 55/15

1. Ist der Vertragspartner eines Anschlussinhabers nicht identisch mit dem Netzbetreiber, so muss sich das Auskunftsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG auch gegen den als Vertragspartner in Erscheinung tretenden Accessprovider („Reseller“) richten. Wird hingegen nur der Netzbetreiber beteiligt, hat dies zur Folge, dass die aus dem Verfahren erlangten Daten dem Beweisverwertungsverbot unterliegen.

2. Das Zurverfügungstellen eines Dateifragments stellt mangels Lauffähigkeit keine Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Werks dar.

Landgericht Frankenthal

Urteil vom 11.08.2015

Az.: 6 O 55/15

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch.

Die Klägerin macht ausschließliche Nutzungs- und Vertriebsrechte an dem im April 2013 veröffentlichten Computerspiel „Dead Island – Riptide“ geltend.

Der Beklagte ist Inhaber eines im Rahmen eines Vertragsverhältnisses mit der 1&1 Internet AG zur Verfügung gestellten Internetanschlusses und war von der Beklagten bereits im Dezember 2012 wegen einer internetbasierten Urheberrechtsverletzung im Hinblick auf das unerlaubte Zurverfügungstellen des Computerspiels „Dead Island“ am 25. August 2012 abgemahnt worden. Am 26. August 2013 erfolgte sodann die Abmahnung wegen eines unerlaubten Angebotes des eingangs genannten Nachfolgespieles zum Download durch Dritte im Zeitraum 24./25. Mai 2013. Auf Antrag der Klägerin wurde ein Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG vor dem Landgericht Köln betrieben, an dem die Deutsche Telekom AG, nicht aber die 1&1 Internet AG beteiligt worden ist. Letztere erteilte der Klägerin dann im August 2013 die begehrte Auskunft (vgl. Anschreiben Anl. K 4).

Die Klägerin behauptet,

über den Internetanschluss des Beklagten sei am 24./25. Mai 2013 zu drei verschiedenen Zeitpunkten das PC-Spiel „Dead Island – Riptide“ in einer vollständigen und lauffähigen Version zum Herunterladen zur Verfügung gestellt worden. Dies habe in ihrem Auftrag eine E. UG (inzwischen: E. GmbH) mit Hilfe der Software „NARS“ korrekt und zuverlässig ermittelt. Der Beklagte hafte als Störer, weil ihn wegen der vorangegangenen Abmahnung gesteigerte Sorgfalts-, Prüf- und Aufsichtspflichten getroffen hätten, denen er nicht nachgekommen sei. Die Nichtbeteiligung der 1&1 Internet AG als Provider und Vertragspartner des Beklagten am Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG sei unschädlich, weil diese ja lediglich Auskunft über Bestandsdaten, nämlich Namen und Anschrift des Beklagten erteilt habe.

Die Klägerin beantragt,

dem Beklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000.- €, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) zu verbieten, Dritten zu ermöglichen, das Computerspiel „Dead Island – Riptide“ ohne Einwilligung der Klägerin über den eigenen Internetanschluss in Peer-to-Peer-Netzwerken zum Herunterladen bereit zu halten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor,

die Klägerin sei nicht Inhaberin der behaupteten Nutzungs- und Vertriebsrechte an dem streitgegenständlichen Spiel. Zudem habe er das Spiel weder heruntergeladen noch zum Herunterladen angeboten. Sein Internetanschluss sei zum angeblichen Tatzeitpunkt außer von ihm auch von seiner Ehefrau und seinen beiden minderjährigen (damals 11 und 7 Jahre alten) Kindern genutzt worden, die er allesamt vor Urheberrechtsverstößen im Internet gewarnt und denen er die Nutzung von Tauschbörsen verboten habe; zu weitergehenden Prüf- oder Kontrollmaßnahmen sei er mangels konkreter, auf über seinen Anschluss stattfindende Urheberrechtsverletzungen hindeutender Anhaltspunkte nicht verpflichtet gewesen. Die Ermittlung seines Anschlusses durch die vom beauftragten Unternehmen verwendete Software sei fehlerhaft erfolgt, das Spiel über seinen Anschluss auch nicht von seinem Sohn D. in einer vollständigen und lauffähigen Version angeboten worden.

Ergänzend wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23. Juni 2015.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.

  1. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin zur Geltendmachung des streitgegenständlichen Unterlassungsanspruchs aktiv legitimiert ist, die beiden später dem Anschluss des Beklagten zugeordneten IP-Adressen im Auftrag der Klägerin am 24. und 25. Mai 2015 zutreffend ermittelt wurden und eine Haftung des Beklagten als Störer nach den einschlägigen höchstrichterlichen Grundsätzen (vgl. zu diesen insbesondere BGH NJW 2014, 2360 – BearShare und BGH NJW 2013, 1441 – Morpheus) überhaupt in Betracht kommt.
  2. Ebenso kann offen bleiben, ob über den Anschluss des Beklagten tatsächlich eine vollständige und lauffähige Version des PC-Spiels „Dead Island – Riptide“ zum Herunterladen angeboten worden ist. Letzteres ist nach Ansicht der Kammer freilich Voraussetzung für das Vorliegen des hier geltend gemachten Anspruchs.

Da das Urheberrecht den Urheber vor der unberechtigten Nutzung seines Werkes schützt (§ 11 UrhG), hat der Anspruchsteller in sog. „Filesharing“-Fällen grundsätzlich substantiiert darzulegen, dass über den Anschluss des in Anspruch Genommenen tatsächlich eine vollständige und lauffähige, das fragliche Werk beinhaltende Datei zum Download bereitgestellt worden ist. Eine nur teilweise zur Verfügung gestellte Datei ist im Hinblick auf die darin enthaltenen Daten nämlich regelmäßig nicht lauffähig und konsumierbar, weshalb das Zurverfügungstellen einer derartigen Teildatei keine auch nur teilweise Nutzung des geschützten Werkes darstellt; es handelt sich in diesem Fall demnach nicht um isoliert nutz- oder wahrnehmbare Werkteile, sondern lediglich um sog. „Datenmüll“ (ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. zuletzt Urteil vom 30.09.2014 – 6 O 518/13 Rn. 26 mwN, zit.n. juris = ZUM-RD 2015, 277; insbesondere zum technischen Hintergrund anschaulich Heinemeyer/Kreitlow/Nordmeyer/Sabellek, MMR 2012, 279, 281). Dies unterscheidet „Filesharing“-Fälle wie den vorliegenden grundlegend u.a. von Fällen, in denen kleine oder auch nur kleinste Teile eines Werkes durch einen Dritten unberechtigter Weise genutzt werden (vgl. etwa zu kleinsten Tonfetzen bei Werken der Musik BGH, NJW 2009, 770, 771 – Metall auf Metall). Diese Überlegungen gelten in besonderem Maße, soweit es sich bei dem betroffenen Werk um ein solches handelt, bei dem anders als bei Musik-, Schrift- oder Filmwerken einzelne Teile ohnehin nicht sinnvoll nutzbar sind, d.h. insbesondere bei Computerprogrammen wie dem hier gegenständlichen PC-Spiel.

Kann dagegen nicht nachgewiesen werden, dass die beklagte Partei eine vollständige und lauffähige, das fragliche Werk (oder Teile davon) enthaltende Datei zum Herunterladen zur Verfügung gestellt hat oder war dies unstreitig nicht der Fall, hat der Anspruchsteller darzulegen und im Bestreitensfall nachzuweisen, dass die vom in Anspruch Genommenen konkret zum Download bereit gestellten Dateifragmente tatsächlich zumindest auch Werkfragmente enthalten, die sich mit Hilfe gängiger oder zumindest allgemein zugänglicher Hard- und Software wiedergeben bzw. in sonstiger Weise sinnvoll im Sinne des § 11 UrhG nutzen lassen und damit mehr darstellen als bloßen „Datenmüll“. Erst wenn dieser Beweis erfolgreich geführt werden kann, wäre im Hinblick auf die Höhe etwaiger Schadensersatzansprüche weiter zu prüfen, in welchem konkreten Umfang Werkfragmente genutzt worden sind. Die Prüfung, ob eine Inanspruchnahme der beklagten Partei insofern noch als verhältnismäßig angesehen werden kann, hat dagegen gemäß § 101 Abs. 4 UrhG bereits im vorgelagerten Auskunftsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG zu erfolgen, wenngleich die Vornahme eine solche Prüfung nach dem Eindruck der Kammer nicht der derzeit üblichen Rechtspraxis entspricht.

  1. Jedenfalls kommt hier eine Verwertung der von dem an dem offenbar vor dem Landgericht Köln durchgeführten Verfahren nach § 101 Abs. 9 ZPO (Az. 225 O 50/13) nicht beteiligten Internetaccessprovider (1&1 Internet AG) erlangten Auskünfte nicht in Betracht.

Soweit Netzbetreiber und Endkundenanbieter nicht identisch sind wie sich bereits aus dem entsprechenden Vortrag der Klägerin ergibt, war hier nicht die Deutsche Telekom AG, sondern die 1&1 Internet AG Vertragspartner des Beklagten -, ist am Auskunftsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG der allein als Vertragspartner des Anschlussinhabers in Erscheinung tretende Accessprovider („Reseller“) zu beteiligen; ohne ein solches Verfahren erlangte Daten unterliegen nach ständiger Rechtsprechung der Kammer in einem späteren Verfahren gegen den Anschlussinhaber regelmäßig einem Beweisverwertungsverbot (vgl. zuletzt etwa Kammerbeschluss v. 06.07.2015 – 6 S 70/15; ebenso etwa Zimmermann, K&R 2015, 73, 75 f.). Im Übrigen entscheidet bei Auseinanderfallen des Sitzes von Netzbetreiber und Endkundenanbieter in verschiedene Gerichtsbezirke wie hier aufgrund der in § 101 Abs. 9 Satz 2 UrhG geregelten ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit nur so der gesetzliche Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

Die gegen das Erfordernis eines gegen den Endkundenanbieter gerichteten Auskunftsverfahrens vorgetragenen Argumente der Klägerin können nicht überzeugen.

Der Hinweis, dass es sich bei Namen und Anschrift des Anschlussinhabers um Bestandsdaten handelt, ist ebenso zutreffend wie unbehelflich. Denn die Auskunft über diese Bestandsdaten kann ja gerade nur unter Verwendung von Verkehrsdaten (dynamische IP-Adresse) erteilt werden und genau deshalb wurde eigens das Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG geschaffen (vgl. BT-Drs. 16/5048, S. 39 f.). Damit (vgl. insbesondere die dem Zitiergebot entsprechende Bestimmung in § 101 Abs. 10 UrhG) wurde durch den Gesetzgeber auch vor dem Hintergrund der zuvor in Rechtsprechung und Literatur bestehenden Unsicherheit gleichsam klargestellt, dass die Mitteilung, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt der Nutzer einer dynamischen IP-Adresse war, das Grundrecht des Anschlussinhabers auf Wahrung des Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 GG tangiert (aA vor der Neuregelung in § 101 UrhG etwa noch OLG Zweibrücken, CR 2009, 42). Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht aus dem Umstand, dass hier auf einer Zwischenstufe durch den Netzbetreiber zunächst eine Auskunft über die Benutzerkennung erteilt wird. Denn letztlich kann auch die auf dieser Information beruhende Auskunft des Endkundenanbieters nur aufgrund der zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebenen Zuordnung der dynamischen IP-Adresse und damit unter Verwendung von Verkehrsdaten erteilt werden. Hinzu kommt, dass bereits die Mitteilung der in § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 TKG als Verkehrsdatum im Sinne des § 3 Nr. 30 TKG definierten Kennung weder vom Tenor des erwirkten Auskunftsbeschlusses, noch vom Wortlaut des § 101 Abs. 3 Nr. 1 UrhG gedeckt ist, wonach (nur) dem am Verfahren beteiligten Telekommunikationsunternehmen lediglich gestattet wird, unter Verwendung von Verkehrsdaten Auskunft über Name und Anschrift des Nutzers der Dienstleistung zu erteilen. Bei genauer Betrachtung ist somit bereits die Auskunft der Deutschen Telekom AG über die Benutzerkennung ohne rechtliche Grundlage erfolgt.

Ausreichend, aber eben auch erforderlich ist demgegenüber ein Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG, welches sich eigentlich selbstverständlich gegen denjenigen richten muss bzw. an dem zwingend derjenige zu beteiligen ist, der als Endkundenanbieter und Dienstleister im Sinne des § 101 Abs. 2 Nr. 3 UrhG als einziger die begehrte Auskunft erteilen kann. Ansonsten wäre eine Beauskunftung auch dann möglich, wenn in der Angelegenheit nur irgendein Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG gegen irgendeinen Dritten durchgeführt worden ist. Dass das nicht richtig sein kann, liegt auf der Hand. Die Kammer teilt im Übrigen die im Schrifttum vertretene Auffassung, wonach ein zusätzliches bzw. vorgeschaltetes Verfahren gemäß § 101 Abs. 9 UrhG gegen den Netzbetreiber nicht zwingend erforderlich ist (vgl. Zimmermann aaO S. 75). Selbst wenn man sich dieser Meinung nicht anschließen möchte, wäre aber jedenfalls ausgerechnet das Verfahren gegen den zur Auskunft verpflichteten Endkundenanbieter nicht entbehrlich.

Schließlich folgt aus der rechtswidrig erlangten Auskunft hier auch ein Beweisverwertungsverbot. Da eine rechtmäßige und zuverlässige Auskunft in dem in § 101 UrhG geregelten Verfahren ohne weiteres möglich und für den Anspruchsteller im Falle der fehlenden Identität von Netzbetreiber und Endkundenanbieter allenfalls umständlicher zu erlangen ist, ist ein überwiegendes, schutzwürdiges Interesse an der Verwertung der unter Verstoß gegen die Vorschrift erhaltenen Information nicht ersichtlich. Gerade um eine richterliche Prüfung und Anordnung im Bereich der Einschränkung des Grundrechts aus Art. 10 GG (vgl. § 101 Abs. 10 UrhG) zu erreichen, wurde die Regelung des § 101 Abs. 9 UrhG geschaffen (vgl. BT-Drs. 16/5048, S. 40). Eine sanktionslose Umgehung dieser Vorschrift wäre mit dem Schutzgedanken der Norm daher nicht zu vereinbaren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird gemäß den Angaben der Klägerin in der Klageschrift auf 20.000.- € festgesetzt (§ 3 ZPO).

 

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