DS-GVO findet keine Anwendung auf abgeschaltete Kameras

26. Juli 2021
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Eine weiße Überwachungskamera hängt an einer grauen Wand. Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 25.06.2021, Az.: 10 A 10302/21

Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz bekräftigte die Entscheidung der Vorinstanz, wonach die Anordnung einer Datenschutzbehörde auf Abbau einer abgeschalteten Kamera rechtswidrig ist. Es führte heran, dass die Vorschriften der DS-GVO in einem solchen Fall keine Anwendung finden, da eine "Verarbeitung" i. S. d. Art. 4 Nr. 2 DS-GVO von personenbezogenen Daten bei abgeschalteter Kamera nicht stattfindet. Darüber hinaus befugt Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO eine Datenschutzbehörde lediglich zur Anordnung der Einstellung, nicht jedoch zur Anordnung des Abbaus der Kamera.

Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom 25.06.2021

Az.: 10 A 10302/21

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um eine datenschutzrechtliche Anordnung des Abbaus einer Videokamera.

Der Kläger ist Eigentümer eines mit einem Einkaufszentrum und einem Parkplatz bebauten Grundstücks in einem Gewerbegebiet in B… . Auf dem Parkplatz, der über einen Abzweig von der vorbeiführenden Bundesstraße … erreicht werden kann, hat der Kläger auf zwei Betonpfeilern eine doppelseitige LED-Werbetafel im Wert von ca. 200.000 Euro errichtet, die von insgesamt vier an der Tafel angebrachten Videokameras überwacht wird. Zwei der Kameras erfassen jeweils eine Seite der Tafel, die anderen beiden Kameras sind auf den jeweiligen Bereich vor der Reklametafel ausgerichtet. Dabei filmt eine Kamera den Parkplatz und das Einkaufszentrum, die andere – im Berufungsverfahren allein noch streitgegenständliche – Überwachungskamera (Videokamera 01) den Einmündungsbereich der B … in den Parkplatz. Die Aufnahmen der rund um die Uhr betriebenen Kameras, auf die der Kläger von einem Rechner in seinem Büro aus Zugriff hat, werden in einem gesondert verschlossenen Aufzeichnungsgerät im Inneren der Installation für 48 Stunden gespeichert und danach automatisch gelöscht.

Mit Bescheid vom 23. November 2018 verwarnte der Beklagte den Kläger betreffend die Datenverarbeitung durch die Videokamera 01 nach Art. 58 Abs. 1 lit. b Datenschutz-Grundverordnung – DS-GVO – (Ziffer 1), forderte den Kläger nach Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO auf, die Datenverarbeitung durch diese Kamera einzustellen und die Kamera abzubauen (Ziffer 2) sowie den Abbau gemäß Art. 58 Abs. 1 lit. a DS-GVO durch ein entsprechendes Lichtbild nachzuweisen (Ziffer 4). Weiter gab er dem Kläger auf, die Datenverarbeitung durch Kamera 02 auf den Zeitraum außerhalb der Öffnungszeiten der umliegenden Geschäfte zu beschränken (Ziffer 3) und dies durch einen Ausdruck oder ein Lichtbild der entsprechenden Einstellungen nachzuweisen (Ziffer 5) sowie die Videokameras 03 und 04 so auszurichten, dass die darauf teilweise ersichtliche Straße, der Parkplatz und das Wohnhaus nicht mehr in den Erfassungswinkel der Videokameras fallen (Ziffer 6) und dies durch Bildschirmausdrucke nachzuweisen (Ziffer 7). Für diese Maßnahmen setzte der Beklagte dem Kläger eine Frist bis zum 15. Dezember 2018 und drohte für die Missachtung der Anordnung des Abbaus der Videokameras ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,– € an.

Der Kläger hat am 26. Juni 2019 Klage erhoben, mit der er im Wesentlichen geltend gemacht hat, die Videoüberwachung sei rechtmäßig. Die Kameras dienten dem Schutz der Werbetafel vor Beschädigungen, nachdem es auf dem Gelände in der Vergangenheit u.a. zu Einbrüchen in Geschäfte des Einkaufszentrums, Sachbeschädigungen durch Graffitis, Entsorgung von Altöl und Fällen von Fahrerflucht gekommen sei. Nur das Zusammenspiel aller vier Kameras sichere einen effektiven Schutz der Werbeanlage. Darüber hinaus sei die Abbauverfügung betreffend Kamera 01 rechtswidrig, weil bereits deren Abschaltung ausreiche, um eine weitere Datenverarbeitung zu verhindern.

Der Kläger hat beantragt,

die in dem Bescheid des Beklagten vom 23. November 2018 unter Ziffern 1 bis 7 verfügten Anordnungen bzw. Maßnahmen sowie die unter Ziffer 9 des Bescheids verfügten Zwangsmittelandrohungen aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, die Anordnung der Betriebseinstellung sowie des Abbaus von Kamera 01 seien erforderlich, weil der Kläger nicht berechtigt sei, den öffentlichen Verkehrsraum zu überwachen. Dadurch sei eine erhebliche Anzahl rechtswidriger Verarbeitungsvorgänge erfolgt. Die Überwachung des Verkehrsraums sei eine staatliche Aufgabe, deren Wahrnehmung durch den Kläger ohne Bezug zu konkretem deliktischen Verhalten die Rechte der Verkehrsteilnehmer beeinträchtige. Die bloße Abschaltung der Kamera sei nicht ausreichend, denn die Kamera bewirke bei einem Verbleib an der Tafel als faktische Attrappe einen unzulässigen Überwachungsdruck. Nur durch die Entfernung könne sichergestellt werden, dass der Betrieb nicht wieder aufgenommen werde. Betreffend die anderen Kameras sei zur Beseitigung der datenschutzrechtlichen Verstöße eine Betriebsbeschränkung auf Zeiten außerhalb der Geschäftsöffnungszeiten (Kamera 02) bzw. eine veränderte Ausrichtung der Kameras ausschließlich auf die Werbetafel (Kameras 03 und 04) erforderlich.

Das Verwaltungsgericht hat die Anordnung des Abbaus von Kamera 01 sowie die Ziffern 4 und 9 des angefochtenen Bescheids mit Urteil vom 24. September 2020 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Überwachung des Einmündungsbereichs der B … in den Parkplatz sei mangels Einwilligung der betroffenen Personen nach Art. 6 Abs. 1 UA 1 Satz 1 lit. a DS-GVO rechtswidrig. Die Datenverarbeitung sei auch nicht nach Art. 6 Abs. 1 UA 1 lit. f DS-GVO gerechtfertigt, insbesondere während der Öffnungszeiten des Einkaufszentrums nicht erforderlich. Die gezielte heimliche Überwachung von Personen auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen sei grundsätzlich unzulässig. Die personen- und kennzeichengenaue Überwachung der Verkehrsbereiche durch Kamera 01 erfolge regelmäßig, anlasslos und sei für vorbeifahrende Autofahrer, die das Eigentum des Klägers offensichtlich nicht beeinträchtigen wollten, nicht ohne weiteres erkennbar. Zwar sei eine besondere Gefährdungslage für die Werbetafel außerhalb der Öffnungszeiten des Einkaufszentrums anzunehmen, jedoch überwögen die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Personen das Interesse des Klägers am Schutz seines Eigentums. Aufgrund dessen sei sowohl die Verwarnung als auch die Anordnung der Betriebseinstellung der Kamera 01 rechtmäßig. Demgegenüber könne der Abbau dieser Kamera nicht auf Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO gestützt werden, denn diese Vorschrift erlaube der Aufsichtsbehörde lediglich, eine Datenverarbeitung vorübergehend oder endgültig zu beschränken oder zu verbieten. Das Verbot der Datenverarbeitung beziehe sich auf eine bestimmte Handlung, nicht aber auf das Vorhandensein einer – ausgeschalteten – Datenverarbeitungsanlage. Zwar sei für den Beklagten nur beschränkt überprüfbar, ob die Kamera tatsächlich ausgeschaltet sei. Soweit er sich auf Schwierigkeiten bei der effektiven Rechtsdurchsetzung berufe, sei er jedoch darauf zu verweisen, dass es dem deutschen Gesetzgeber unbenommen sei, die Aufsichtsbehörde gemäß Art. 58 Abs. 6 Satz 1 DS-GVO mit zusätzlichen Befugnissen auszustatten. Unabhängig davon verarbeite eine abgeschaltete Kamera keine Daten, so dass der Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung nicht eröffnet sei.

Mit seiner vom Senat zugelassenen und auf die Aufhebung der Abbauanordnung von Kamera 01 beschränkten Berufung macht der Beklagte geltend, der Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung sei eröffnet. Die Anordnung des Abbaus stelle ein Verbot der Verarbeitung im Sinne von Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO dar. Zwar verarbeite eine ausgeschaltete Kamera keine Daten; der sachliche Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung erstrecke sich jedoch auch auf das Verarbeitungsumfeld in Gestalt technischer und organisatorischer Maßnahmen mit mittelbarem Zusammenhang zu Vorgängen der Datenverarbeitung. Anders als eine bloße Attrappe bleibe eine (nur) deaktivierte Kamera voll funktionsfähig. Das von ihr ausgehende Risiko einer unbefugten oder unrechtmäßigen Verarbeitung sei für eine betroffene Person nicht wesentlich geringer einzuschätzen als während des Betriebs, da das bloße Anschalten genauso einfach möglich sei wie eine Zweckentfremdung während des laufenden Betriebs. Ausgehend von dem sog. risikobasierten Ansatz nehme der Verordnungsgeber nicht nur das von der Verarbeitung selbst ausgehende Risiko in den Blick, sondern auch das von dem Verarbeitungsumfeld ausgehende Risiko. Daher könne ein Verarbeitungsverbot auch das Verarbeitungsumfeld zum Gegenstand haben. Im Übrigen erweise sich die Abbauverfügung als verhältnismäßig; eine andere gleich geeignete, aber weniger eingriffsintensive Maßnahme komme nicht in Betracht. Eine reine Betriebseinstellung sei von außen nicht erkennbar, für den Beklagten nicht überprüfbar und widerspreche daher dem Effizienzgebot. Das bloße Verbot der Verarbeitung, dessen Umgehung nicht überprüft werden könne, könne Verstöße gegen die DS-GVO nicht wirksam verhindern.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils auch die Klage gegen die Abbauanordnung in Ziffer 2 der Verfügung vom 23. November 2018 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und trägt vor, der Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung sei nicht eröffnet. Nach Art. 2 Abs. 1 DS-GVO gelte die Verordnung für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung von Daten. Da eine abgeschaltete Kamera nichts aufzeichne und keine personenbezogenen Daten verarbeite, finde die DatenschutzGrundverordnung keine Anwendung. Die Befugnisnorm des Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO greife auch deshalb nicht, weil sich das Verbot auf eine bestimme Handlung beziehe und nicht an das bloße Vorhandensein einer – ausgeschalteten – Datenverarbeitungsanlage anknüpfe. Eine über die Abhilfebefugnisse der Datenschutz-Grundverordnung hinausgehende nationale Vorschrift im Sinne von Art. 58 Abs. 6 DS-GVO habe der deutsche Gesetzgeber bislang nicht geschaffen. Ungeachtet dessen erweise sich die angefochtene Verfügung jedenfalls als unverhältnismäßig. Anstelle des Abbaus hätte der Beklagte den Nachweis der Abschaltung – entsprechend der Regelungen in Ziffern 5 und 7 der Verfügung – durch Lichtbilder und einen Ausdruck über die Einstellung der Kamerasteuerung verlangen können. Umgekehrt stünden dem Kläger keine Mittel geringerer Eingriffsintensität zum Schutz seines Eigentums zur Verfügung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt des von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Die im Berufungsverfahren allein noch streitgegenständliche Anordnung des Abbaus von Kamera 01 in Ziffer 2 des Bescheids vom 23. November 2018 ist rechtswidrig und deshalb zu Recht vom Verwaltungsgericht aufgehoben worden. Die deaktivierte Kamera unterfällt bereits nicht dem Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung (1.). Überdies kommt Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO als Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung des Abbaus nicht in Betracht. Eine erweiternde Auslegung dieser Vorschrift, wie sie der Beklagte vornimmt, scheidet aus (2.).

1. Der Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung ist nicht eröffnet.

Nach Art. 2 Abs.1 DS-GVO gilt die Verordnung für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Dabei bezeichnet „Verarbeitung“ gemäß Art. 4 Nr. 2 DS-GVO jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung. Daran fehlt es vorliegend.

Zwar handelt es sich bei Videoaufnahmen und deren vorläufiger Speicherung durch eine Überwachungskamera um Datenverarbeitungsvorgänge im Sinne von Art. 4 DS-GVO. Jedoch werden von der streitgegenständlichen Kamera 01 keine Daten (mehr) verarbeitet. Denn die in Ziffer 2 des Bescheids vom 23. November 2018 angeordnete Einstellung des Betriebes dieser Kamera ist, nachdem das Verwaltungsgericht die Klage insoweit abgewiesen, der Kläger diesbezüglich die Zulassung der Berufung nicht beantragt und sich auch der Berufung des Beklagten nicht gemäß § 127 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – angeschlossen hat, bestandskräftig geworden. Ist die Kamera ausgeschaltet, findet – da Anhaltspunkte für einen fortdauernden und der Verfügung widersprechenden Betrieb nicht vorliegen und auch vom Beklagte nicht vorgetragen werden – eine Verarbeitung personenbezogener Daten nicht (mehr) statt. Der sachliche Anwendungsbereich der Datenschutzgrundverordnung gemäß Art. 2 Abs. 1 DS-GVO ist im Hinblick auf die bloß vorhandene, aber deaktivierte Kamera nicht eröffnet (vgl. Polenz in: Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann, Datenschutzrecht, 1. Auflage 2019, Anhang 1 zu Art. 6 Rn. 43; ebenso: Datenschutzkonferenz, Orientierungshilfe Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen, 17. Juli 2020, Nr. 1.1, S. 5).

2. Ungeachtet dessen ermächtigt Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO nicht zur Anordnung des Abbaus der stillgelegten Kamera; eine erweiternde Auslegung der Vorschrift, wie sie der Beklagte vornimmt, scheidet aus.

a) Nach Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO verfügt die Aufsichtsbehörde im Fall eines Datenschutzverstoßes über sämtliche Abhilfebefugnisse, die es ihr – lediglich – gestatten, eine vorübergehende oder endgültige Beschränkung der Verarbeitung, einschließlich eines Verbots, zu verhängen. Von dieser Befugnis hat der Beklagte durch die Anordnung zur Einstellung der Datenverarbeitung durch Kamera 01 Gebrauch gemacht; diese Verfügung ist bestandskräftig. Eine weitergehende Befugnis zur Anordnung auch des Abbaus der Kamera begründet Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO nicht. Vielmehr ermächtigt die Norm die Aufsichtsbehörde ihrem eindeutigen Wortlaut nach allein dazu, die Verarbeitung vorübergehend oder ganz zu beschränken bzw. zu verbieten. Ebenso wie die Untersagung in der Vorgängerregelung des § 38 Abs. 5 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz – BDSG – a.F. bezieht sich die Beschränkung bzw. das Verbot auf ein Verhalten – die Datenverarbei-tung -, erstreckt sich jedoch nicht auf die Beseitigung der zugehörigen Hardware (in diesem Sinne bereits zu § 38 Abs. 5 BDSG a.F.: VG Oldenburg, Urteil vom 12. März 2013 – 1 A 3850/12 -, juris, Rn. 22; Nguyen in: Gola, DS-GVO, a.a.O., Art. 58, Rn. 20).

b) Entgegen der Ansicht des Beklagten lässt sich die Anweisung zum Abbau einer deaktivierten Kamera nicht unter den Begriff des Verbots im Sinne der Vorschrift subsumieren. Gemäß Erwägungsgrund 129 Satz 4 DS-GVO darf ein Verbot nach Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur verhängt werden, wenn weniger einschneidende Maßnahmen wie die Beschränkung der Verarbeitung keinen Erfolg versprechen. Stellt sich das Verbot damit als ultima ratio der Abhilfemaßnahmen nach Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO dar (vgl. Simitis/Horn/Spiecker, a.a.O., Art. 58. Rn. 40; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Januar 2020 – 1 S 3001/19 – juris, Rn. 61), scheidet eine erweiternde Auslegung des Verbotsbegriffes im Sinne eines deutlich eingriffsintensiveren Gebots zum Abbau einer deaktivierten Kamera aus. Dies gilt umso mehr, als es sich bei dem Verbot nach Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO im Vergleich zu den anderen Maßnahmen aus dem Katalog des Art. 58 Abs. 2 wie etwa Verwarnungen (vgl. lit. b) und Anweisungen zu künftigem Verhalten (lit. d) ohnehin bereits um eine der belastendsten Maßnahmen für den Datenverarbeiter handelt.

c) Anders als der Beklagte meint, ermächtigt Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO auch nicht zur Anordnung des Abbaus als „technisch-organisatorische Maßnahme im Verarbeitungsumfeld“. Zwar ist der für die Verarbeitung Verantwortliche verpflichtet, durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen u.a. sicherzustellen, dass die Verarbeitung gemäß der Datenschutz-Grundverordnung erfolgt (Art. 24 Abs. 1 DS-GVO), dass die Datenschutzgrundsätze wie etwa Datenminimierung wirksam umgesetzt werden (Art. 25 Abs. 1 DS-GVO) und ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau gewährleistet ist (Art. 32 Abs. 1 DS-GVO). Die Verpflichtung zur Durchführung solcher Maßnahmen, deren Erforderlichkeit sich nach den jeweiligen Risiken der betreffenden Verarbeitung personenbezogener Daten richtet (sog. risikobasierter Ansatz, vgl. Erwägungsgrund 75 und 76 DS-GVO), besteht jedoch nicht isoliert. Vielmehr beziehen sich die vorgegebenen technischen und organisatorischen Maßnahmen ebenso wie die Beschränkungen und Verbote stets auf Datenverarbeitungsvorgänge, deren Vereinbarkeit mit der Datenschutz-Grundverordnung sie gewährleisten sollen. Derartige Verarbeitungsvorgänge finden jedoch bei einer deaktivierten Kamera wie dargelegt nicht statt. In Ermangelung von Datenverarbeitungsvorgängen lässt sich auch ein die Anordnung rechtfertigender mittelbarer Verarbeitungszusammenhang, wie er von der Beklagten behauptet wird, nicht feststellen.

d) Ebenso wenig lässt sich eine Abhilfebefugnis im Sinne einer Beseitigungsanordnung auf den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz stützen, wonach es den Mitgliedstaaten ebenso wie den nationalen Gerichten bei der Anwendung von Unionsrecht obliegt, die volle Wirkung seiner Bestimmungen zu gewährleisten („effet utile“, vgl. EuGH, Urteil vom 17. September 2002 – C-253/00 -, juris, Rn. 28 m.w.N.). Dafür, dass die datenschutzrechtlichen Regelungen zur Entfaltung ihrer vollen Wirksamkeit über das Verarbeitungsverbot des Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO hinaus einer weiteren Absicherung durch eine zusätzliche – nicht normierte – Befugnis zur Anordnung der Deinstallation von Datenverarbeitungsanlagen bedürfen, lässt sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm nichts herleiten. Art. 58 DS-GVO hat Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Richtlinie – DS-RL -) abgelöst, der im Vergleich relativ grobe Untersuchungs- und Einwirkungsbefugnisse sowie das Klagerecht und die Anzeigebefugnis der Aufsichtsbehörden normiert hat. Im Gegensatz zu den Befugnissen nach Art. 28 Abs. 3 DS-RL, die in ihrer Reichweite und Wirksamkeit wesentlich von den Vorgaben des nationalen Gesetzgebers in den einzelnen nationalen Umsetzungsgesetzen abhingen und deshalb erheblich zwischen den Mitgliedstaaten divergieren konnten (vgl. Ehmann/Selmayr, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Auflage 2018, Art. 58, Rn. 1), hat der Verordnungsgeber in Art. 58 DS-GVO die Befugnisse der Aufsichtsbehörde erstmals europaweit einheitlich und mit unmittelbarer Geltung geregelt, um ein einheitliches Datenschutzniveau innerhalb der EU herzustellen (vgl. Gesetzesbegründung der Kommission, KOM (2012) 11, S. 2). Angesichts der gegenüber der Vorgängernorm des § 28 Abs. 3 DS-RL deutlich erweiterten und präzisierten Abhilfebefugnisse – Art. 58 DS-GVO sieht 26 konkrete Untersuchungs-, Abhilfe- und Genehmigungsbefugnisse vor – kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber ein – die vorgesehenen Abhilfebefugnisse in seiner Intensität zudem deutlich übersteigendes – Gebot zur Deinstallation von Hardware versehentlich nicht normiert hat, diese Lücke systemwidrig wäre und nunmehr über den Grundsatz des „effet utile“ geschlossen werden müsste. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Frage, ob die Aufsichtsbehörde auch zur Anordnung des Abbaus einer Kamera ermächtigt ist, bereits unter der Geltung von Art. 28 Abs. 3 DS-RL bzw. § 38 Abs. 5 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) a.F. umstritten war (vgl. Nguyen in Gola, a.a.O., Art. 58, Rn. 20 m.w.N., VG Oldenburg, Urteil vom 12. März 2013 – 1 A 3850/12 -, a.a.O.). Eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage für eine Abbauanordnung hat jedoch trotz der bereits bekannten Problematik keinen Eingang in die Datenschutz-Grundverordnung gefunden. Im Gegenteil findet sich in der Gesetzesbegründung zu den Befugnissen der Aufsichtsbehörde (zum Entwurfszeitpunkt noch geregelt in Art. 53 der Verordnung) lediglich, dass Art. 53 – zum Teil gestützt auf die Vorgängerregelung des Art. 28 Abs. 3 DS-RL – die Befugnisse der Aufsichtsbehörde mit „einigen neuen Aspekten, darunter die Befugnis zur Verhängung verwaltungsrechtlicher Sanktionen“, regelt (vgl. Gesetzesbegründung der Kommission, a.a.O., S. 14). Anhaltspunkte dafür, dass zusätzlich zu den bislang ausschließlich als Verbot bzw. Beschränkung vorgesehenen Abhilfebefugnissen eine Abhilfebefugnis in Gestalt eines Handlungsgebotes (zum Abbau einer Datenverarbeitungsanlage) geschaffen werden sollte, fehlen.

e) Schließlich rechtfertigt der Umstand, dass von der abgeschalteten Kamera 01 ebenso wie von einer Attrappe ein sog. Überwachungsdruck ausgeht, nicht die Annahme einer Befugnis des Beklagten zur Anordnung des Abbaus. Soweit eine Videoüberwachung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Einzelnen in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung eingreift, sind evtl. Abwehr-, Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche vom Betroffenen im Zivilrechtsweg geltend zu machen (vgl. Datenschutzkonferenz, Orientierungshilfe Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen vom 17. Juli 2020, a.a.O., Ziffer 1.3 m.w.N. zur zivilgerichtlichen Rechtsprechung; VG Oldenburg, Urteil vom 12. März 2013 – 1 A 3850/12 – juris, Rn. 24; Simitis/Hornung/Spiecker, Datenschutzrecht, a.a.O., Anhang 1 zur Art. 6, Rn. 43).

f) Soweit der Beklagte geltend macht, ein isoliertes Verarbeitungsverbot vermöge Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung nicht wirksam zu begegnen, da der Kläger die Kamera jederzeit wieder in Betrieb nehmen könne, ohne dass die Aufsichtsbehörde dies kontrollieren und der Kläger seiner Rechenschaftspflicht nach Art. 5 Abs. 2 DS-GVO nachkommen könne, ist er angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift auf Art. 58 Abs. 6 Satz 1 DS-GVO zu verweisen, wonach es jedem Mitgliedstaat freisteht, durch Rechtsvorschriften vorzusehen, dass seine Aufsichtsbehörde neben den in den Absätzen 1 bis 3 aufgeführten Befugnissen über zusätzliche Befugnisse verfügt, die allerdings nicht die effektive Durchführung des Kapitels VII der Datenschutz-Grundverordnung beeinträchtigen dürfen (ebenso: Nguyen in: Gola, DS-GVO, a.a.O., Art. 58, Rn. 20 a.E.). Von dieser Öffnungsklausel hat der nationale Gesetzgeber bislang nur in Gestalt von § 40 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 6 Satz 2 BDSG (vgl. Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann, a.a.O., Art. 58, Rn. 74), nicht aber im Hinblick auf die Ermächtigung zum Erlass einer Beseitigungsanordnung Gebrauch gemacht.

Scheidet die Anordnung des Abbaus der Kamera auf der Grundlage von Art. 58 Abs. 2 lit. f DS-GVO aus, kommt es auf die Ausführungen der Beteiligten zur Verhältnismäßigkeit der Abbauanordnung nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten findet ihre Rechtsgrundlage in § 167 Abs. 2 VwGO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 5.000,00 € festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz).

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