Einsatz des Postident-Spezial-Verfahrens nur nach vorheriger Belehrung des Verbrauchers

19. September 2016
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Ein Postbote bringt ein Paket, die Empfängerin unterschreibt Urteil des LG Düsseldorf vom 22.01.2016, Az.: 38 O 52/15

Ein Unternehmen darf sich nur dann des Postident-Spezial-Verfahrens (hier: Vermittlung von Krankenversicherungen) bedienen, wenn der Verbraucher über dessen rechtliche Konsequenzen ausführlich belehrt worden ist. Ansonsten erkennt der juristische Laie die rechtsgeschäftliche Bedeutung seiner Unterschrift nicht, er geht vielmehr davon aus, lediglich den Empfang der jeweiligen Sendung zu quittieren. Im betreffenden Fall wurden die Verbraucher vorab telefonisch kontaktiert und mit der Unterschrift beim Empfang eines Schriftstückes kündigten diese ihre bisherigen Verträge.

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 22.01.2016

Az.: 38 O 52/15

Tenor

I.

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 250.000,00 Euro, ersatzweise von Ordnungshaft, oder von Ordnungshaft bis Dauer von 6 Monaten zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr

1.

Verbraucher ohne deren vorherige ausdrückliche Einwilligung zu Werbezwecken anzurufen, nämlich zu dem Zweck, den Verbraucher zu einem Wechsel der Krankenkasse zu veranlassen,

und/oder

2.

Verbraucher mittels des Postident-Spezial-Verfahrens der Deutschen Post, wie nachstehend wiedergegeben, vorgefertigte Kündigungsschreiben zuzustellen, wenn der Verbraucher nicht deutlicher als aus den auf der Anlage 2 zur Klageschrift beigefügten CD gespeicherten Gesprächsmitschnitten ersichtlich über die Bedeutung seiner Unterschrift in Postident-Spezial-Verfahren aufgeklärt wurde:

„Bild/Grafik nur in der Originalentscheidung vorhanden“

und/oder

„Bild/Grafik nur in der Originalentscheidung vorhanden“

und/oder

„Bild/Grafik nur in der Originalentscheidung vorhanden“

und/oder

„Bild/Grafik nur in der Originalentscheidung vorhanden“

II.

Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 246,10 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.07.2015

zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.000,00 Euro vorläufig vollstreckbar.

Die Sicherheitsleistung kann durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand

Die Klägerin ist ein Verband im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben es gehört, die Einhaltung der Regeln des unlauteren Wettbewerbs zu überprüfen.

Die Beklagte vermittelt Verträge über Krankenversicherungsleistungen am Verbraucher. Sie ruft in diesem Zusammenhang bei Verbrauchern an. Im Falle erfolgreicher Vermittlung hat die Beklagte in der Vergangenheit im Wege des sogenannten Postident-Spezial-Verfahrens den Verbrauchern schriftliche Unterlagen zugeschickt, bei denen die Verbraucher mit der in Anwesenheit des überbringenden Postbediensteten zu leistenden Unterschrift die sofortige Kündigung der Mitgliedschaft in der bisherigen Krankenkasse erklärten. Wegen der Einzelheiten der Erklärungen wird auf die Anlagen 3, 5, 6 und 7 zur Klageschrift verwiesen.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe sich jedenfalls in den im Einzelnen aufgeführten Fällen geschäftlich unlauter verhalten, weil sie Verbraucher ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung angerufen habe.

Zudem seien die Verbraucher über die Funktionen des Postident-Spezial-Verfahrens nicht ausreichend aufgeklärt worden, sodass sie über die Bedeutung der Unterschrift als Kündigungserklärung in die Irre geführt worden seien.

Im Einzelnen bezieht sich die Klägerin auf Vorfälle aus dem Zeitraum Februar/März 2015 betreffend die Kunden B, I, S und T.

Neben der Unterlassung verlangt die Klägerin die Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten.

Die Klägerin beantragt,

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die Angerufenen hätten sich freiwillig auf eine Liste mit Interessenten setzen lassen, die um Rückruf durch die Beklagte gebeten hätten. Jeder der benannten Verbraucher habe ausweislich eines Gewinnfragebogens zum Thema Krankenkassen mindestens an einer Stelle den Bereich „Mehr Infos bitte“ angeklickt.

Bei den von der Klägerin vorgelegten Gesprächsmitschnitten habe es sich um Anrufe zur Qualitätssicherung gehandelt, denen Telefongespräche vorausgingen, in denen ausführlich auch auf die Bedeutung dieses Postident-Spezial-Verfahrens im Hinblick auf die Kündigung hingewiesen wurde. Missverständnisse seien auszuschließen. Vor der Zustellung erfolgten nochmalige Erläuterungen. Auch sei der zu unterschreibende Text eindeutig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung des im Tenor unter I. beschriebenen Verhaltens gemäß den §§ 3, 7 Abs. 2 Nr. 2, 8 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 2 UWG.

Die Berechtigung der Klägerin, wettbewerbsrechtlich begründete Unterlassungsansprüche gegenüber der Beklagten geltend zu machen, ist zwischen den Parteien nicht im Streit.

Unstreitig ist auch, dass die Beklagte zur Werbung für die Vermittlung von Krankenversicherungsverträgen Verbraucher zu Hause angerufen hat und solche Anrufe nur dann keine geschäftlich unlauteren Verhaltensweisen im Sinne einer unzumutbaren Belästigung darstellen, wenn eine vorherige ausdrückliche Einwilligung für solche Anrufe vorliegt.

Darlegungs- und beweisbelastet ist insoweit die Beklagte, die sich darauf beruft, die Einwilligungen hätten vorgelegen. Dieser Vortrag allein ist jedoch nicht ausreichend, um gegebenenfalls eine Prüfung auf seine Richtigkeit vornehmen zu können. Erforderlich im Sinne vollständiger Erklärung über tatsächliche Umstände, § 138 Abs. 1 ZPO, ist jeweils eine konkrete Darlegung der Einzelheiten, aus denen erkennbar wird, wie und in welcher Form die Einwilligung durch den Verbraucher erklärt worden ist.

Hierin fehlt es vorliegend. Soweit die Beklagte für alle in Rede stehenden Verbraucher auf Opt-In-Verfahren verweist, hat sie selbst vorgetragen, die Einwilligungen seien im Rahmen von Gewinnspielen im Internet erteilt worden. Die Gewinnspiele weisen keinen erkennbaren Bezug zu Krankenversicherungen auf. Etwaige Einwilligungserklärungen sind eng auszulegen. Sie sind grundsätzlich auf ein konkret anzubahnendes Geschäft beschränkt. Eine für die Anbahnung von Krankenversicherungsverträgen gültige Einwilligung lässt sich weder aus den von der Beklagten aus den Anlagen B 2 und B 3 vorgelegten Datenauskünften noch den „Gewinnspielfragebogen“ erkennen. Letztere enthält zwar Fragen zu Krankenversicherungen. Selbst wenn jedoch unterstellt wird, dass Teilnehmer der Befragung Rubriken angekreuzt haben, die Informationsanforderungen beinhalten, fehlt jeder Hinweis darauf, dass solche Informationen telefonisch erbeten werden. Eine ausdrückliche Einwilligung auch nur eines der hier konkret in Rede stehenden Verbraucher wird daher von der Beklagten nicht hinreichend  substantiiert dargelegt.

An dieser Beurteilung ändert die Schilderung im nachgelassenen Schriftsatz vom 11. Januar 2016 nichts:

Die als Anlagenkonvolute überreichten Kontakt- und Auswahlseiten (Anlagen B 4 und B 5) entsprechen schon nicht den Anforderungen, die nach den Kriterien des sogenannten Opt-In-Verfahrens einzuhalten sind. Erkennbar wird vielmehr, dass im Vordergrund stets die kostenlose Teilnahme an irgendeinem Gewinnspiel steht. Die Formulierung, den in der Sponsorenliste aufgeführten Unternehmen „für die jeweils angegebenen Produkte oder Dienstleistungen“ eine Einverständnis für E-Mail, Post- und/oder Telefonwerbung zu erteilen, ist weder ausreichend konkret noch deutlich bestimmt genug. Erfasst werden so unterschiedliche Geschäftsbereiche wie etwa Versicherungen und Finanzen einerseits und Strom andererseits. Insoweit war es auch nicht erforderlich, der Klägerin durch Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung weitere Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme einzuräumen.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte ferner einen Anspruch auf Unterlassung des im Tenor zu II. beschriebenen Verhaltens gemäß den § 3, 5 Abs. 1 Satz 1 UWG.

Der Einsatz des Postident-Spezial-Verfahrens ohne ausführliche vorherige Belehrung über die Bedeutung und Tragweite der zu leistenden Unterschriften stellt eine irreführende geschäftliche Handlung dar. Ein durchschnittlicher Verbraucher ist mit dem Postident-Spezial-Verfahren nicht vertraut. Er geht davon aus, dass beim Empfang von postalischen Sendungen zu leistende Unterschriften ausschließlich dazu dienen, den Empfang der Sendung zu quittieren. Ohne vorherige Aufklärung fehlt dem Unterzeichnenden das Bewusstsein, irgendeine rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Postbedienstete ein Formular zur Unterzeichnung vorlegt, aus dem sich bei Lektüre eine rechtsgeschäftliche Bedeutung erkennen lässt. Die Übergabe der Sendung und die Unterschriftenanforderungen erfolgen an der Haustür oder gar am Postschalter unmittelbar beim Erhalt der Sendung. Der Verbraucher hat weder Zeit noch Anlass, jedes Schriftstück vor Unterzeichnung zu lesen oder gar zu prüfen. Nur wenn der Empfänger einer Postident-Spezial-Sendung vorher in einer Weise aufgeklärt wird, die keinen Zweifel an der – auch – rechtsgeschäftlichen Bedeutung der Unterschriftsleistungen zulässt, bestehen an  der Zulässigkeit des Einsatzes des Postident-Spezial-Verfahrens im Sinne lauteren geschäftlichen Verhaltens keine Bedenken.  Dass eine derartige Aufklärung der hier in Rede stehenden Verbraucher jeweils erfolgt ist, trägt die Beklagte jedoch wiederum selbst nicht konkret vor. Sie behauptet lediglich in pauschaler Weise, eine umfassende Aufklärung über das Postident-Spezial-Verfahren sei bei den Telefongesprächen erfolgt, die den aufgezeichneten Gesprächen vorangegangen sind. In welcher Weise dies jeweils geschehen ist, wird nicht im Einzelnen beschrieben. Insbesondere fehlen aber auch jegliche Angaben dazu, dass und in welcher Weise der Telefonmitarbeiter sich davon überzeugt hat, gerade im Punkt der Bedeutung der Unterschrift beim Postboten auch vom Kunden verstanden worden zu sein. Zu berücksichtigen ist, dass es sich um eine für juristische Laien schwierig zu verstehende Materie handelt, mit der sie nicht vertraut sind. Die Einzelheiten des Wechsels eines Anbieters von Krankenkassenleistungen sind ohnehin nicht einfach zu verstehen. Zu beachten sind eine Vielzahl von tariflichen Besonderheiten, Vorerkrankungen und weitere Umstände, sodass es erheblicher zusätzlicher Bemühungen bedarf, im Rahmen eines Telefongespräches, das der Werbung dient, auch noch zu erklären, welche Bedeutung Unterschriftsleistungen im Rahmen des Postident-Spezial-Verfahrens haben.

Die als Tonmitschnitte dokumentierten Ausführungen der Anrufer sind jedenfalls nicht ausreichend. Es zeigt sich vielmehr, dass die Mitarbeiter der Beklagten entweder selbst nicht genau die Funktionsweise durchschaut haben, oder aber – qualitätssichernd – nicht in der Lage waren, diesbezüglich eindeutige Erklärungen vorzunehmen. Gegenüber der Kundin B wurde erklärt, sie bräuchte sich selber um die Kündigung nicht zu kümmern: „Wir werden ihnen die Kündigung vorbereiten. Die wird ihnen also ein Postbeamter im Postident-Verfahren persönlich vorbeibringen…“.

Der Zeugin I wurde diesbezüglich gesagt:

„Und dann werden sie in den kommenden Tagen vom Postboten persönlich sowohl die Kündigung für die L als auch die Beitrittserklärung für die C ausgehändigt bekommen. Das bei ihnen bitte unterschreiben…“.

Hinsichtlich der Kundin S wird der Begriff Postident-Verfahren erwähnt und weiter heißt es:

„Das Ganze beim Briefträger unterschreiben wie auch den kompletten Rest dort für sie übernehmen…“.

Auch vor dem Hintergrund des als Anlage B 2 vorgelegten Schreibens, in welchem unter anderem erwähnt ist, dass ein Postbote „für die Unterschrift auf der Kündigung der alten Krankenkasse kommt“, wird ein situationsadäquat aufmerksamer, durchschnittlicher Verbraucher nicht erkennen können, dass an der Haustür bzw. beim Postschalter die Unterschrift vor Entgegennahme und Prüfungsmöglichkeit der Sendung bereits die Kündigung als einseitige Willenserklärung gegenüber der Krankenkasse ausgesprochen wird. Da eine solche Kündigung nicht ohne Weiteres zurückgenommen werden kann, handelt es sich auch um eine für den Verbraucher und seine Rechtsstellung bedeutsamen Vorgang, dem im Rahmen der Prüfung geschäftlich unlauteren Verhaltens durch Irreführung entsprechende Relevanz zukommt.

Neben der Unterlassung schuldet die Beklagte gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG die Erstattung der in ihrer Höhe nicht streitigen Kosten der Abmahnung.

Der Betrag von 246,10 Euro ist antragsgemäß ab dem 14. Juli 2015 mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz wegen Verzuges zu verzinsen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 ZPO.

Der Streitwert wird auf 25.000,00 Euro festgesetzt.

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