Filesharing eines Computerspiels: Schadensersatz mit Faktor 227 angemessen

27. Juni 2018
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Mann mit dunklem Kapuzenpullover und hochgezogener Kapuze sitzt in einem schwach beleuchteten Raum vor einem Computer-Bildschirm Urteil des OLG Schleswig-Holstein vom 26.04.2018, Az.: 6 U 41/17

Ein nach Lizenzanalogie berechneter Schadensersatz, der das 227-fache des mittleren Preises eines per Filesharing verbreiteten Computer-Spiels beträgt, kann unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls angemessen sein. An der grundsätzlichen Haftung ändert auch die Tatsache, dass nur kleine oder kleinste Dateifragmente bereitgestellt werden und das Werk in der Tauschbörse erst durch das Zusammenwirken aller Teilnehmer entsteht, nichts. Jeder Teilnehmer begeht dabei eine selbstständige Verletzungshandlung, indem er die Zugriffsmöglichkeit auf das geschützte Werk für Dritte eröffnet.

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein

Urteil vom 26.04.2018

Az.: 6 U 41/17

 

In dem Rechtsstreit (…) gegen (…) wegen Schadenersatzes wegen Urheberrechtsverletzung hat der 6. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 29.03.2018 für Recht erkannt:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klägerin ist Inhaberin der Urheberechte an dem Computerspiel „Dead Island“, das im September 2011 erschien. Die Klägerin hat der Beklagten vorgeworfen, in der Zeit vom Oktober 2011 bis Juli 2013 wiederholt – in 172 Fällen an 52 Tagen – an einer Tauschbörse teilgenommen zu haben, in der das Computerspiel urheberrechtswidrig verwertet wurde. Sie hat sie klageweise auf Schadensersatz wegen der Kosten für die Ermittlung ihres Anschlusses (429,63 €) und der Einschaltung eines Rechtsanwalts (859,80 €) und ferner Schadensersatz wegen entgangener Lizenzgebühren in Höhe von 5.000 € in Anspruch genommen. Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten. Sie hat bestritten, dass sie, ihr Ehemann oder ihr Sohn die Handlungen begangen hätten.

Das Landgericht hat es für erwiesen erachtet, dass entweder die Beklagte oder – näherliegend -Ihr Sohn an dem Computerspiel teilgenommen habe. Jedenfalls sei die Beklagte täterschaftlich verantwortlich. Im Ergebnis hat es der Klage unter geringfügiger Kürzung der Rechtsanwaltskosten stattgegeben. Die Beklagte nimmt die Verurteilung zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 € hin, im übrigen hat sie Berufung eingelegt. Sie hält den Schadensersatzbetrag für übersetzt, Ihre Einwände stützt sie nicht nur auf einen ihres Erachtens gegebenen Werbeeffekt durch die Nutzung des Spieles, sondern auch darauf, dass die Anwendung der Grundsätze des BGH zur mittäterschaftlichen und gesamtschuldnerischen Haftung der Teilnehmer einer Tauschbörse zu unangemessenen Ergebnissen führten.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage hinsichtlich des geltend gemachten Schadensersatzbetrages in Höhe von 5.000 € sowie der geltend gemachten außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 608,24 € abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Im übrigen wird von einer Darstellung des Tatbestands abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO).

Die Berufung hat keinen Erfolg.

Der Klägerin steht aus den §§ 19 a UrhG i. V. mit § 97 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 UrhG, 832 BGB wegen einer von der Beklagten zu verantwortenden Verletzung des Rechts der Klägerin auf öffentliches Zugänglichmachen des Computerspiels in der zuerkannten Höhe zu.

Die grundsätzliche Haftung der Beklagten steht im Berufungsverfahren nicht mehr im Streit. Umstritten ist noch die Höhe des zuzuerkennenden Schadens. Hierzu lässt § 97 Abs. 2 UrhG drei verschiedene Berechnungsweisen zu: die immer zulässige konkrete Schadensberechnung, die Geltendmachung des entgangenen Gewinns (§ 252 S. 2 BGB) und die Berechnung nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie. Diese – gebräuchlichste – Form hat die Klägerin gewählt. Danach kann der Anspruchsteller von dem Verletzer die Vergütung verlangen, die ihm bei ordnungsgemäßer Nutzungsrechtseinräumung gewährt worden wäre. Es wird der Abschluss eines Lizenzvertrages zu angemessenen Bedingungen fingiert. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Parteien bereit gewesen wären, einen Lizenzvertrag abzuschließen, ob der Verletzer die Vergütung hätte zahlen können oder ob er mit der Verwertung des Werkes Gewinn oder Verlust erzielt hat. Grundlegender Ansatz dieser Berechnungsweise ist vielmehr, dass der Verletzer sich das Werk und den in ihm verkörperten wirtschaftlichen Wert zunutze macht, ohne hierzu berechtigt zu sein (s. im Einzelnen Reber in BeckOK Urheberrecht, Stand 01_03.2018, § 97 Rnrn. 119 –121).

Als Schadensersatz geschuldet ist die nach § 287 ZPO zu schätzende angemessene Lizenzgebühr. Sie lässt sich am Einfachsten bemessen, wenn es zwischen den Parteien bereits einmal einen Lizenzvertrag gegeben hatte oder wenn es jedenfalls übliche Vergütungssätze für die in Frage stehende urheberrechtswidrige Handlung gibt. An beidem fehlt es hier. In solchen Fällen ist die angemessene Lizenzgebühr nach den Umständen des Einzelfalls zu schätzen. Von Einfluss sind hierbei die Intensität, der Umfang und die Dauer der Rechtsverletzung, Gewinn und Umsatz für den Verletzer und umgekehrt der Verlust für den Verletzten, die Bekanntheit des Werks u. a. (ebd. Rn. 121).

Der im angefochtenen Urteil zuerkannte Betrag von 5.000 E hält sich im Rahmen dessen, was bei einer Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO als Verletzungsfolge zugebilligt werden kann. Der Betrag entspricht in seiner Höhe noch dem, was vernünftigerweise für die Vergabe einer Unterlizenz, die die hier fragliche Verletzungshandlung abgedeckt hätte, hätte vereinbart werden können. Dabei ist einerseits die Neuheit des Spiels zu Beginn der Verletzungshandlungen und seine anhaltende Beliebtheit zu berücksichtigen, andererseits der Umfang der Nutzung durch die Beklagte oder ihren Sohn, die das Computerspiel in großem Umfang über einen längeren Zeitraum hinweg allen Teilnehmern der Tauschbörse zugänglich gemacht haben. Dies waren letztlich mehrere 1.000 oder gar 10.000 Nutzer, wie die Klägerin mit Schriftsatz vom 30.06.2017 Seite 2 unbestritten vorgetragen hat und wie es im Hinblick auf den Umfang und die Dauer der Teilnahme der Beklagten oder ihres Sohnes an der Tauschbörse auch naheliegend ist. Unter diesen Umständen hält sich ein Schadensbetrag in Höhe von etwa dem 227fachen des mittleren Preises für
das Computerspiel – rund 22 € – im Rahmen des Vertretbaren.

Die Einwände der Beklagten gegen die Schadensberechnung der Klägerin greifen nicht durch.

Ihrem Einwand, sie habe nur kleine und kleinste Dateifragmente in die Tauschbörse eingestellt, ist entgegenzuhalten, dass es auf den Umfang der von dem einzelnen Teilnehmer des Netzwerks heruntergeladenen Dateien nicht ankommt. Der Tatbeitrag des einzelnen Teilnehmers an einer Internettauschbörse liegt in der Bereitstellung von Dateifragmenten, die gemeinsam mit weiteren von anderen Teilnehmern der Tauschbörse bereitgestellten Dateifragmenten auf dem Computer des herunterladenden Nutzers zur Gesamtdatei zusammengefügt werden können. Das Filesharing dient damit der Erlangung und Bereitstellung funktionsfähiger Dateien; die Teilnehmer handeln als Mittäter (BGH, Urteil vom 06.12.2017 -1 ZR 186/16 – Ls. und Rnrn. 25 – 27 – Konferenz der Tiere). Mit den schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung ausführlich dargestellten Fällen eines Ladendiebstahls oder der Weitergabe einer Cassette mit urheberrechtswidrigem Inhalt hat die Situation in einer Tauschbörse nichts gemein. Der Dieb handelt für sich allein und ist deshalb Alleintäter, auch dann, wenn es davor und danach im selben Geschäft zu weiteren Diebstählen durch Dritte kommt. Wer eine Cassette weitergibt, handelt zwar im Einvernehmen mit dem Empfänger; zwischen beiden mag daher Mittäterschaft an einer Urheberrechtsverletzung bestehen. Damit aber ist die Verletzungshandlung für den Weggebenden beendet, selbst dann, wenn die Cassette sodann von Hand zu Hand weitergereicht wird. Es bedarf auch keines gemeinschaftlichen Zusammenwirkens mehrerer, um den Inhalt der Cassette nutzbar zu machen. Sie enthält bereits das geschützte Werk. In einer Tauschbörse hingegen entsteht das Werk erst durch das Zusammenwirken aller Teilnehmer. Von diesen begeht jeder eine eigene Verletzungshandlung durch die Eröffnung der Zugriffsmöglichkeit auf das geschützte Werk für Dritte. Im gemeinsamen Zusammenwirken wird dabei die Nutzung des Werkes möglich. Der Filesharing-Vorgang unterscheidet sich damit schon grundlegend von dem Absenden und Empfangen eines Dateifragments im Zweipersonenverhältnis (BGH, Urteile vom 11.06.2015 – I ZR 19114 Rn. 64 – Tauschbörse I, – I ZR 7114 Rn. 51 – Tauschbörse II, – 1 ZR 75114 Rn. 56 – Tauschbörse IH), erst recht von der Weitergabe vollständig nutzungsfähiger Werke wie Dateien oder Cassetten im Zweipersonenverhältnis.

Auch der Einwand, dass die Klägerin bei Inanspruchnahme mehrerer Teilnehmer an der Tauschbörse unter Umständen ein Vielfaches der ihr allenfalls zustehenden Lizenzgebühr erhalten könne, verfängt nicht. Sie übergeht mit diesem Einwand, dass jeder Teilnehmer, wie eben ausgeführt, eine eigene Verletzungshandlung begeht, indem er den Zugriff auf das Werk für Dritte zu eröffnet. Jeder Verletzer schuldet hierfür die in seinem Fall angemessene Lizenzgebühr. Die Beklagte kann auch nicht darauf verweisen, dass es unbillig wäre, sie als eine von vielen Gesamtschuldnern herauszugreifen und auf den vollen Schadensersatzbetrag in Anspruch zu nehmen, obwohl offenkundig sei, dass sie ihrerseits keinen Rückgriff bei den ihr nicht bekannten weiteren Teilnehmern der Tauschbörse nehmen könne. Zum Einen besteht diese Gefahr bei jeder Inanspruchnahme eines Gesamtschuldners. Das Gesetz nimmt sie zugunsten des Gläubigers in Kauf. Er ist gerade nicht gehalten, gegen jeden einzelnen Schuldner nur in Höhe des auf diesen entfallenden Anteils vorzugehen. Zum Anderen besteht aber auch nur in geringem Umfang eine Gesamtschuld zwischen den einzelnen Nutzern der Tauschbörse.. Sie besteht, soweit sie gemeinsam an einem Verlauf des Spiels teilnehmen. Daran aber ist im Laufe der Zeit niemals derselbe Teilnehmerkreis beteiligt. Beteiligt sind nur diejenigen Nutzer, deren Computer gerade eingeschaltet ist und die damit ihre heruntergeladenen Dateifragmente anderen Nutzern zum Heraufladen zur Verfügung stellen können. Für jeden Teilnehmer ergeben sich daraus verschiedene mittäterschaftliche Beziehungen, die sich überschneiden, aber niemals vollkommen decken werden.

Ob schließlich der auf eine Studie der EU-Kommission gestützte Einwand, die unerlaubte Nutzung habe auch eine der Klägerin zugute kommende Werbewirkung, wirksam in den Rechtsstreit eingeführt wurde oder nicht – wie die Klägerin rügt -, bedarf keiner Entscheidung. Er kann der Berufung jedenfalls nicht zum Erfolg verhelfen_ Dass der Klägerin durch das ungenehmigte Spielen des Computerspiels zunächst einmal ein Lizenzgewinn entgangen ist, steht fest; dies räumt auch die Beklagte ein. Fraglich kann nur sein, inwieweit der Schaden dadurch wieder ausgeglichen wurde, dass der Klägerin anschließend zusätzlicher Gewinn durch die Werbewirkung des unerlaubten Spielens zugeflossen ist. Die Berücksichtigung einer so begründeten Vorteilsausgleichung scheitert jedoch an zweierlei. Zum Einen bedarf es für die Anrechnung von Vorteilen stets einer wertenden Bettächtung, in die auch einzufließen hat, dass sie den Schädiger nicht unangemessen entlasten darf (Oetker in MüKAGR, 7, Aufl. 2016, § 249 Rn. 225). In diesem Zusammenhang ist hier zu bewerten, dass sich die Klägerin gegen eine Bewerbung ihres Spiels durch das Angebot zu kostenloser Nutzung entschieden hat. Ihr einen Vorteil anzurechnen, der durch eine solche Nutzung entstanden ist, hieße, ihr diese „Werbemethode‘ faktisch doch aufzuzwingen. Zum Anderen ist gänzlich ungewiss, dass und wann der Klägerin in welchem Umfang ein solcher Vorteil tatsächlich zufließt. Aus der Studie soll sich nur ergeben, dass sich statistisch bei Computerspielen hat feststellen lassen sollen, dass durch die unerlaubte Nutzung der Gewinn gesteigert werde. Dass dies auch hier der Fall ist, ab wann und für welchen vergangenen oder künftigen Zeitraum die Werbewirkung greift, ist nicht feststellbar.

Die zuerkannten Rechtsanwaltskosten kann die Klägerin als Anspruch auf Aufwendungsersatz erstattet verlangen. Auf die Ausführungen hierzu unter Ziff. 3. des angefochtenen Urteils, die die Beklagte als solche nicht angreift, wird Bezug genommen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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