Gratis-Inspektion bei Hörgeräten ist nicht unlauter
Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Urteil vom 03.08.2017
Az.: 6 U 35/17
Tenor
Auf die Berufung der Antragstellerin gegen das am 07.02.2017 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt teilweise abgeändert. Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 05.12.2016 wird hinsichtlich Ziffer I. 2.) des Tenors aufgehoben. Insoweit wird der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Eilverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Entscheidungsgründe
Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 II i.V.m. 313a ZPO abgesehen.
1. Die zulässige Berufung hat in der Sache teilweise, nämlich hinsichtlich Ziffer 2. der Beschlussverfügung vom 5.12.2016, Erfolg, da das insoweit beanstandete Verhalten der Antragsgegnerin unter keinem Gesichtspunkt unlauter ist.
Die Unlauterkeit der angebotenen Gratis-Inspektion für gebrauchte Hörgeräte kann nicht mit der Erwägung begründet werden, dass es dem Kunden, der ein anderswo gekauftes Hörgerät bei der Antragsgegnerin kostenlos reinigen lasse, peinlich sein werde, dann nichts bei der Antragsgegnerin zu kaufen.
Fälle eines derartigen „psychischen Kaufzwangs“ werden zunächst nicht von der Regelung des § 4a UWG über unlautere aggressive Geschäftspraktiken erfasst (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Aufl., Rdz. 1.80 zu § 4a). In Betracht kommt daher allenfalls ein Verstoß gegen die – vom Landgericht auch herangezogene – „Verbrauchergeneralklausel“ des § 3 II UWG (vgl. allgemein zur Anwendbarkeit Köhler/Bornkamm, a.a.O., Rdz. 1.60 zu § 4a). Allerdings ist die Gewährung von kostenlosen Waren und Dienstleistungen zum Zwecke des Kaufanreizes heute derart verbreitet, dass der Verbraucher mit ihnen im Allgemeinen „umgehen“ kann; d.h. die Zuwendung wird bei ihm grundsätzlich kein Gefühl der Dankbarkeit oder Peinlichkeit hervorrufen, das – was der Wortlaut des § 3 II UWG verlangt – sein wirtschaftliches Verhalten „wesentlich“ beeinflusst (vgl. Köhler/Bornkamm, a.a.O. Rdz. 1.81 zu § 4a). Eine unlautere Beeinflussung im Sinne der Generalklausel durch „psychischen Kaufzwang“ kommt daher allenfalls in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht.
Ein solcher Ausnahmefall ist hier aber nicht gegeben. Schon der vergleichsweise hohe Preis eines Hörgeräts und – vor allem – dessen große Bedeutung für das persönliche Wohlbefinden lassen es fernliegend erscheinen, dass sich ein Verbraucher nur deswegen zum Kauf entschließt, weil es ihm unangenehm ist, die kostenlose Inspektion ohne einen solchen Kauf in Anspruch zu nehmen.
2. Dagegen hat die Berufung hinsichtlich Ziffer 1. der Beschlussverfügung keinen Erfolg, da das insoweit beanstandete Verhalten – wie das Landgericht mit Recht angenommen hat – irreführend (§ 5 I UWG) ist.
Nach Einschätzung des Senats, dessen Mitglieder zu den (potentiell) angesprochenen Verkehrskreisen gehören, wird der Begriff „Zentrum“ als Bestandteil einer Geschäftsbezeichnung (hier: „Firma1 Hörzentrum“) vom Durchschnittsverbraucher grundsätzlich immer noch als Hinweis auf eine gewisse Größe und Marktbedeutung des so bezeichneten Unternehmens verstanden (vgl. hierzu BGH GRUR 2012, 942 [BGH 18.01.2012 – I ZR 104/10] – Neurologisch/Vaskuläres Zentrum, Tz. 17); an dieser vom Senat vorzunehmenden tatsächlichen Einschätzung vermag die von der Antragsgegnervertreter in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2005 – 1 BvR 2751/04 – nichts zu ändern. Der dargestellten Verkehrserwartung wird das Ladengeschäft der Antragsgegnerin aus den vom Landgericht dargestellten Gründen nicht gerecht.
Ohne Erfolg beruft sich die Antragsgegnerin darauf, dass gerade der Begriff des „Hörzentrums“ für Hörgeräteakustik-Händler inzwischen weit verbreitet sei und der Verkehr diesem Begriff daher keine besondere Bedeutung mehr beimesse. Die von der Antragsgegnerin bundesweit aufgefundenen „Hörzentren“ könnten die Verkehrserwartung nur dann in der von der Antragsgegnerin behaupteten Weise beeinflusst haben, wenn und soweit die jeweiligen Unternehmen die herkömmlichen Erwartungen an ein „Zentrum“ gerade nicht erfüllen. Das hat die Antragsgegnerin nicht dargetan. Unabhängig davon reicht auch die Anzahl dieser Benutzungsbeispiele nicht aus, um eine solche Änderung der Verkehrsauffassung zu belegen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der mit Schriftsatz der Antragsgegnervertreterin vom 7.7.2017 vorgetragenen Beispiele.
Soweit die Antragsgegnervertreterin in der mündlichen Verhandlung sinngemäß weiter vorgetragen hat, schon die Vielzahl von „Hörzentren“, denen man bei einer Recherche im Internet begegne, verdeutliche dem Nutzer, dass es sich bei all diesen Unternehmen nicht um Anbieter einer bestimmten Größe oder Bedeutung handeln könne, rechtfertigt auch dies keine abweichende Beurteilung. Denn der Durchschnittsverbraucher, der der beanstandeten Unternehmensbezeichnung der Antragsgegnerin begegnet, wird diese Bezeichnung in dem ihm geläufigen Sinne verstehen, ohne zuvor eine Internetrecherche über die Berechtigung dieses Verständnisses durchzuführen.
Der gegenüber der Antragstellerin erhobene „unclean hands“-Einwand verfängt bei einem Irreführungsvorwurf nach § 5 UWG von vornherein nicht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 I ZPO.