Notwendigkeit der Widerrufsbelehrung und des Muster-Widerrufsformulars auf Werbeprospekten mit Bestellkarte
Bundesgerichtshof
Beschluss vom 14.06.2017
Az.: I ZR 54/16
Tenor
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 2. März 2017 beschlossen:
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. h und Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2011 Nr. L 304, S. 64) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Kommt es bei der Anwendung von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83/EU für die Frage, ob bei einem Fernkommunikationsmittel (hier: Werbeprospekt mit Bestellpostkarte) für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum oder begrenzte Zeit zur Verfügung steht, darauf an,
a) ob das Fernkommunikationsmittel (abstrakt) seiner Art nach nur begrenzten Raum oder begrenzte Zeit zur Verfügung stellt,
oder darauf,
b) ob es (konkret) in seiner vom Unternehmer gewählten Gestaltung nur begrenzten Raum oder begrenzte Zeit bietet?
2. Ist es mit Art. 8 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83/EU vereinbar, die Information über das Widerrufsrecht im Fall begrenzter Darstellungsmöglichkeit im Sinne von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83/EU auf die Information über das Bestehen eines Widerrufsrechts zu beschränken?
3. Ist es nach Art. 8 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83/EU vor einem Vertragsabschluss im Fernabsatz auch im Fall begrenzter Darstellungsmöglichkeit stets zwingend geboten, dem Fernkommunikationsmittel das Muster-Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B der Richtlinie 2011/83/EU beizufügen?
Entscheidungsgründe
I. Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte verbreitete im Jahr 2014 als Beilage zu verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen einen ausklappbaren Werbeprospekt, der einen Umfang von sechs Seiten im Format von 19 x 23, 7 cm hatte. Der Prospekt enthielt auf der unteren Hälfte der rechten Ausklappseite eine heraustrennbare Bestellpostkarte. Sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite der Postkarte wurde auf das gesetzliche Widerrufsrecht hingewiesen. Auf einem Abschnitt neben der Vorderseite der Bestellpostkarte waren unter der Überschrift „So bestellen Sie bei …“ Telefon- und Faxnummer, Internetadresse und Postanschrift der Beklagten angegeben, in der Fußleiste auf Vorder- und Rückseite des zusammengeklappten Werbeprospekts fanden sich unter der Überschrift „Bestellservice“ Telefonnummer und Internetadresse der Beklagten. Bei Eingabe der Internetadresse erschien die Startseite des Internetauftritts der Beklagten. Über den Link „AGB“ unter der Überschrift „Rechtliches“ waren die Widerrufsbelehrung und das Muster-Widerrufsformular aufrufbar.
Die Klägerin beanstandet den Prospekt als unlauter, weil es an einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung fehle und das Muster-Widerrufsformular nicht beigefügt sei. Nach erfolgloser Abmahnung hat die Klägerin Klage auf Unterlassung und Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten in Höhe von 246,10 € nebst Zinsen erhoben.
Die Klage hatte vor dem Landgericht im Wesentlichen Erfolg (LG Wuppertal, WRP 2015, 1401). Das Berufungsgericht (OLG Düsseldorf, WRP 2016, 739) hat dieses Urteil teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Verbrauchern den Abschluss von Fernabsatzverträgen über den Kauf von Waren mittels eines Printmediums zu ermöglichen,
ohne in diesem Printmedium selbst unmittelbar über Folgendes zu informieren: Die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts, insbesondere Namen und Anschrift desjenigen, dem gegenüber der Widerruf zu erklären ist,
und ohne das Muster-Widerrufsformular dem Printmedium beizufügen, wenn das geschieht wie im nachfolgend eingelichteten Werbeprospekt mit Bestellformular:
[es folgen die sechs Seiten des Werbeprospekts, von denen nachfolgend die erste,
vorletzte und letzte Seite wiedergegeben sind].
Außerdem hat das Berufungsgericht die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung von Abmahnkosten in der von der Klägerin beantragten Höhe bestätigt.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. h und Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83/EU ab. Vor einer Entscheidung ist das Verfahren deshalb auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.
1. Das Berufungsgericht hat den Unterlassungsantrag der Klägerin als aus §§ 8, 3a, 3 UWG (§ 4 Nr. 11, § 3 UWG aF) in Verbindung mit § 312d Abs. 1 BGB, Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 und 3 EGBGB und den Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten als aus § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG begründet erachtet. Dazu hat es ausgeführt:
Die Beklagte habe mit dem beanstandeten Werbeprospekt ihrer Verpflichtung zuwidergehandelt, bei Fernabsatzverträgen den Verbraucher vor Abgabe von dessen Vertragserklärung über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts sowie das Muster- Widerrufsformular zu informieren. Die Belehrung sei in dem Printmedium selbst unmittelbar zu erteilen; das Formular sei ihm zwingend beizufügen. Die Beklagte könne sich nicht auf die erleichterten Informationspflichten bei begrenzter Darstellungsmöglichkeit berufen. Der Werbeprospekt sei kein Fernkommunikationsmittel, das „nur begrenzten Raum oder begrenzte Zeit für die dem Verbraucher zu erteilenden Informationen“ biete. Ob der Raum oder die Zeit bei dem verwendeten Fernkommunikationsmittel begrenzt seien, bestimme sich objektiv anhand der technischen und tatsächlichen Möglichkeiten. Der Unternehmer könne nicht durch die Art und Weise der Ausgestaltung des Fernkommunikationsmittels, etwa durch Festlegung von Format und Umfang eines Werbeprospekts, selbst bestimmen, ob die Pflichtinformationen in diesem oder in einem anderen Fernkommunikationsmittel zu erteilen seien. Danach seien in dem beanstandeten Werbeprospekt die vollständigen Informationen zum Widerrufsrecht und zum Muster-Widerrufsformular zu erteilen. Da die Beklagte den mehrseitigen Werbeprospekt anders gestalten könne als tatsächlich geschehen, stehe nicht nur begrenzter Raum zur Verfügung.
2. Im Streitfall kommt es auf die Frage an, ob sich die Beklagte mit Erfolg auf die erleichterten Informationspflichten bei begrenzter Darstellungsmöglichkeit nach Art. 246a § 3 Satz 1 Nr. 4 EGBGB und Art. 8 Abs. 4 Satz 1, Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83/EU berufen kann.
a) Zu Recht hat das Berufungsgericht die Vorschriften der § 312d Abs. 1 BGB, Art. 246a §§ 1, 3 und 4 EGBGB als Marktverhaltensregelungen im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG aF und § 3a UWG angesehen.
b) Gemäß § 312d Abs. 1 Satz 1 BGB ist der Unternehmer bei Fernabsatzverträgen verpflichtet, den Verbraucher nach Maßgabe des Art. 246a EG- BGB zu informieren. Nach Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB ist der Verbraucher bei Fernabsatzverträgen, bei denen ihm ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB zusteht, zu informieren über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 355 Abs. 1 BGB sowie das Muster-Widerrufsformular in der Anlage 2. Soll ein Fernabsatzvertrag mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen werden, das nur begrenzten Raum oder begrenzte Zeit für die dem Verbraucher zu erteilenden Informationen bietet, hat der Unternehmer den Verbraucher nach Art. 246a § 3 Satz 1 Nr. 4 EGBGB mittels dieses Fernkommunikationsmittels zumindest über das Bestehen eines Widerrufsrechts zu informieren. Die weiteren Angaben nach Art. 246a § 1 EGBGB hat der Unternehmer dem Verbraucher gemäß Art. 246a § 3 Satz 2 EGBGB in geeigneter Weise unter Beachtung von Art. 246a § 4 Abs. 3 EGBGB zugänglich zu machen. Nach Art. 246a § 4 Abs. 1 EGBGB muss der Unternehmer dem Verbraucher die Informationen nach Art. 246a §§ 1 bis 3 EGBGB vor Abgabe von dessen Vertragserklärung in klarer und verständlicher Weise zur Verfügung stellen. Bei einem Fernabsatzvertrag muss der Unternehmer dem Verbraucher die Informationen nach Art. 246a § 4 Abs. 3 Satz 1 EGBGB in einer den benutzten Fernkommunikationsmitteln angepassten Weise zur Verfügung stellen. Abweichend hiervon kann der Unternehmer dem Verbraucher die in Art. 246a § 3 Satz 2 EGBGB genannten Informationen nach Art. 246a § 4 Abs. 3 Satz 3 EGBGB in geeigneter Weise zugänglich machen.
Diese Regelungen beruhen auf Art. 6 Abs. 1 Buchst. h, Art. 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 der Richtlinie 2011/83/EU und sind daher richtlinienkonform auszulegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gemäß Art. 4 und Erwägungsgrund 7 der Richtlinie eine Vollharmonisierung der von ihr erfassten Aspekte des Verbraucherschutzes bezweckt wird, so dass die Mitgliedstaaten insoweit weder strengere noch weniger strenge Rechtsvorschriften aufrechterhalten oder einführen dürfen. Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83/EU informiert der Unternehmer den Verbraucher, bevor dieser durch einen Fernabsatzvertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, in klarer und verständlicher Weise bei Bestehen eines Widerrufsrechts über die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung dieses Rechts gemäß Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83/EU sowie das Muster-Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B der Richtlinie 2011/83/EU. Bei Fernabsatzverträgen erteilt der Unternehmer dem Verbraucher diese Information nach Art. 8 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2011/83/EU in klarer und verständlicher Sprache in einer den benutzten Fernkommunikationsmitteln angepassten Weise oder stellt diese Informationen entsprechend zur Verfügung. Wird der Vertrag mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen, auf dem für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum oder begrenzte Zeit zur Verfügung steht, so hat der Unternehmer nach Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2011/83/EU über das jeweilige Fernkommunikationsmittel vor dem Abschluss des Vertrags (unter anderem) zumindest diejenigen vorvertraglichen Informationen zu erteilen, die das in Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83/EU genannte Widerrufsrecht betreffen. Die anderen in Art. 6 Abs. 1 genannten Informationen hat der Unternehmer dem Verbraucher nach Art. 8 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2011/83/EU in geeigneter Weise im Einklang mit Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie zu erteilen.
c) Der Werbeprospekt der Beklagten soll Verbrauchern mittels der darin enthaltenen Bestellpostkarte den Abschluss eines Fernabsatzvertrags im Sinne von § 312c Abs. 1 BGB und Art. 2 Nr. 7 der Richtlinie 2011/83/EU ermöglichen.
d) In dem beanstandeten Prospekt hat die Beklagte den Verbrauchern die Informationen über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts sowie das Muster-Widerrufsformular nicht zur Verfügung gestellt. Sowohl die Vorder- als auch die Rückseite der Bestellpostkarte enthalten zwar einen Hinweis auf das gesetzliche Widerrufsrecht. Angaben über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren zu seiner Ausübung sowie zum Muster-Widerrufsformular finden sich in dem Prospekt aber nicht.
e) Die nach Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB und Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83/EU erforderlichen Informationen hatte die Beklagte grundsätzlich unmittelbar in ihrem Prospekt selbst zu erteilen. Das ergibt sich aus Art. 246a § 3 Satz 1 EGBGB und Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2011/83/EU. Diese Vorschriften beschränken die mittels des Fernkommunikationsmittels zwingend zu erteilenden Informationen. Außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Ausnahme und damit im Regelfall sind danach alle Pflichtangaben in dem für den Abschluss des Fernabsatzvertrags benutzten Fernkommunikationsmittel zu erteilen.
f) Für die Entscheidung des Streitfalls kommt es darauf an, ob sich die Beklagte mit Erfolg auf die erleichterten Informationspflichten bei begrenzter Darstellungsmöglichkeit nach Art. 246a § 3 Satz 1 Nr. 4 EGBGB berufen kann. Soll ein Fernabsatzvertrag mittels eines Fernkommunikationsmittels geschlossen werden, das nur begrenzten Raum oder begrenzte Zeit für die dem Verbraucher zu erteilenden Informationen bietet, hat der Unternehmer den Verbraucher nach dieser Bestimmung mittels dieses Fernkommunikationsmittels zumindest über das Bestehen eines Widerrufsrechts zu informieren. Die Antwort auf die Frage, ob für die Prospektwerbung der Beklagten diese erleichterten Informationspflichten gelten, hängt von der Auslegung von Art. 8 Abs. 4 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83/EU ab.
aa) Zunächst stellt sich die Frage, worauf bei der Beurteilung abzustellen ist, ob bei einem Fernkommunikationsmittel (hier: Werbeprospekt mit Bestellpostkarte) für die Darstellung der Informationen nach Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2011/83/EU nur begrenzter Raum oder begrenzte Zeit zur Verfügung steht. Kommt es dafür (1) darauf an, ob das Fernkommunikationsmittel (abstrakt) seiner Art nach nur begrenzten Raum oder begrenzte Zeit zur Verfügung stellt, oder (2) darauf, ob es (konkret) in seiner vom Unternehmer gewählten Gestaltung nur begrenzten Raum oder begrenzte Zeit bietet (Vorlagefrage 1)?
(1) Im ersten Fall der abstrakten Bestimmung wären „Fernkommunikationsmittel, die nur begrenzten Raum oder begrenzte Zeit für die dem Verbraucher zu erteilenden Informationen bieten“, nur solche Fernkommunikationsmittel, bei denen wegen der ihrer Art nach räumlich oder zeitlich begrenzten Darstellungsmöglichkeit die vollständigen Pflichtinformationen nicht in einer diesem Fernkommunikationsmittel angepassten, klaren und verständlichen Weise zur Verfügung gestellt werden könnten. So müssten etwa in Katalogen und Broschüren stets sämtliche Angaben zum Widerrufsrecht gemacht werden, während bei einer Zeitungsanzeige oder einem Flyer im Postkartenformat, die eine Bestellmöglichkeit eröffnen, der bloße Hinweis auf das Bestehen eines Widerrufsrechts ausreichen könnte. Nach dieser Auslegung müsste für die hier in Rede stehende Prospektwerbung aufgrund ihrer allgemeinen technischen Eigenschaften die Anwendung der Sonderregel für erleichterte Informationspflichten verneint werden. Nach dem Vortrag der Beklagten würden die vollständigen Informationen zum Widerrufsrecht eineinhalb DIN-A 4-Seiten füllen und zusammen mit der Bestellpostkarte ein Drittel des insgesamt sechs Seiten umfassenden Werbeprospekts einnehmen. Es wäre technisch und tatsächlich möglich, die vorhandenen Seiten des Werbeprospekts anders zu gestalten, dessen Format zu ändern oder seinen Umfang um den notwendigen Raum für die Pflichtinformationen zu erweitern. Die Freiheit des Unternehmers bei der Gestaltung seiner Werbung würde damit dahingehend eingeschränkt, dass er bei Verwendung bestimmter Werbemedien stets ausreichend Raum für die vollständige Widerrufsbelehrung und die anderen Pflichtangaben schaffen müsste.
Ist dagegen die konkrete Ausgestaltung des Fernkommunikationsmittels durch den Unternehmer maßgeblich, wären die Informationsanforderungen erleichtert, wenn der Raum eines Flugblattes, einer Broschüre oder eines Werbeprospekts allein aufgrund der gestalterischen Entscheidung des werbenden Unternehmens zu Layout und Grafik oder Umfang des Werbeträgers nicht für die Pflichtangaben ausreicht (so Schirmbacher in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl., Art. 246a EGBGB Rn. 166; aA Buchmann/Hoffmann, K & R 2016, 462, 465). Dafür könnte entscheidend sein, welchen Raum die zu erteilenden Informationen in dem vom Unternehmer konkret gestalteten Werbeträger einnehmen würden. So könnte die Ausnahmeregelung in Bezug auf ein Printwerbemittel mit Bestellmöglichkeit etwa eingreifen, wenn die vollständige Pflichtinformation einen nennenswerten Anteil des Werbemediums beispielsweise mehr als 10 % der verfügbaren Fläche – benötigte (so Schirmbacher, WRP 2015, 1402, 1404; aA Busch in BeckOGK, Stand 1. April 2017, Art. 246a § 3 EGBGB Rn. 5). Im Streitfall müsste auf der Grundlage dieser Auslegung angenommen werden, dass sich die Beklagte bei der von ihr gewählten Gestaltung des sechsseitigen Werbeprospekts mit Bestellpostkarte auf die Ausnahme des Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2011/83/EU berufen könnte.
(2) Dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2011/83/EU ist nicht zu entnehmen, wann oder aus welchem Grund der Raum oder die Zeit bei Verwendung eines bestimmten Fernkommunikationsmittels beschränkt sein kann. Gemäß Erwägungsgrund 36 der Richtlinie 2011/83/EU sollen bei Fernabsatzverträgen die Informationspflichten der Unternehmen so angepasst werden, dass den technischen Beschränkungen, denen bestimmte Medien unterworfen sind, Rechnung getragen werden kann. Als Beispiele werden die beschränkte Anzahl der Zeichen auf bestimmten Displays von Mobiltelefonen oder der Zeitrahmen für Werbespots im Fernsehen genannt. Allerdings ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2011/83/EU kein Hinweis darauf, dass die Bestimmung nur solche Begrenzungen von Raum und Zeit erfasst, die aufgrund der Art des Fernkommunikationsmittels zwingend technisch vorgegeben sind. Eine derartige Einschränkung könnte im Hinblick auf die schon bei Erlass der Richtlinie 2011/83/EU eingetretene und seitdem rasch fortgeschrittene technische Entwicklung darauf hinauslaufen, dass für die Ausnahmebestimmung kaum ein Anwendungsbereich bliebe (vgl. Buchmann/Hoffmann, K & R 2016, 462, 464). Beschränkungen des Fernkommunikationsmittels im Sinne von Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2011/83/EU könnten danach jedenfalls auch darauf beruhen, dass der Verbraucher bei dem verwendeten Fernkommunikationsmittel nicht sämtliche Pflichtinformationen sachgerecht zur Kenntnis nehmen und zur Grundlage einer informierten Entscheidung machen kann, weil er nicht in der Lage ist, sie vollständig aufzunehmen und zu reflektieren.
(3) Zweck der Richtlinie 2011/83/EG ist es, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen (Art. 1 der Richtlinie) und einen sicheren Rechtsrahmen für Verbraucher und Unternehmen zu schaffen (vgl. Erwägungsgrund 7 der Richtlinie). Im Hinblick darauf darf der Verbraucher beim Fernabsatz nicht generell, sondern nur unter besonderen, objektiv begründeten Umständen für die Pflichtangaben auf ein anderes Fernkommunikationsmittel verwiesen werden.
(4) Dafür, den Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2011/83/EU abstrakt zu bestimmen und dabei nicht auf die gestalterischen Entscheidungen des werbenden Unternehmens abzustellen, spricht das von der Richtlinie gewollte Verhältnis von Regel und Ausnahme, das aufgehoben würde, wenn die Anwendbarkeit der Ausnahme allein von der gestalterischen Entscheidung des Unternehmers abhinge, so dass von ihr im Ergebnis beliebig Gebrauch gemacht werden könnte. Im Hinblick auf den Zweck der Richtlinie 2011/83/EG, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen (Art. 1 der Richtlinie), könnten willkürliche Beschränkungen der Informationspflicht infolge der Gestaltung eines Werbemediums als unzulässige Umgehung der Informationsanforderungen erscheinen (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., Art. 246a § 3 EGBGB Rn. 1). Sie könnten zudem das Ziel der Richtlinie beeinträchtigen, einen sicheren Rechtsrahmen für Verbraucher und Unternehmen zu schaffen (vgl. Erwägungsgrund 7 der Richtlinie). Soweit die Beklagte zur Erfüllung der Informationspflicht auf ihre Website oder eine Telefonnummer verweist, ist fraglich, ob dem Verbraucher ein Wechsel des Fernkommunikationsmittels zumutbar ist, um Kenntnis der Pflichtangaben zu erlangen. Grundsätzlich kann nicht vorausgesetzt werden, dass der Verbraucher über ein anderes Fernkommunikationsmittel verfügt und es beherrscht als dasjenige, dessen er sich zur Kenntnisnahme des Fernabsatzangebots des Unternehmers bereits bedient hat (vgl. MünchKomm. BGB/Wendehorst, 7. Aufl., Art. 246a EGBGB § 4 Rn. 66). Mit ihrer auf eine postalische Bestellung ausgerichteten Prospektwerbung zielt die Beklagte auf Verbraucher, die sich nicht zwangsläufig mit der Beschaffung von Informationen im Internet auskennen (vgl. Buchmann/Hoffmann, K & R 2016, 462, 466). Soweit die Gefahr besteht, die Werbebotschaft könne durch die zusätzlichen Pflichtinformationen verwässert werden, ist zu berücksichtigen, dass der Unternehmer die Werbeform, die ihm den größten Absatzerfolg verspricht, nur im Rahmen des geltenden Rechts wählen darf.
(5) Für eine Bestimmung des Anwendungsbereichs des Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2011/83/EU danach, ob das Fernkommunikationsmittel nach der konkreten gestalterischen Entscheidung des werbenden Unternehmens nur begrenzten Raum oder begrenzte Zeit bietet, könnte sprechen, eine Beschränkung der durch Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtecharta) gewährleisteten unternehmerischen Freiheit zu vermeiden, der kein entsprechender Vorteil des Verbrauchers entspricht. Die unternehmerische Freiheit schließt die Werbefreiheit ein (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2015 – C-157/14, LMuR 2016, 12 Rn. 67 – Neptune Distribution). Die Freiheit des Unternehmers bei der Wahl seiner Werbemittel darf nicht unverhältnismäßig beschränkt werden (Art. 52 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta). Kommt es bei der Anwendung des Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2011/83/EU nicht auf die vom Unternehmer gewählte Gestaltung des Fernkommunikationsmittels an, besteht die Gefahr, dass die Unternehmer bestimmte Werbeformen nicht mehr sinnvoll nutzen können, weil der Werbecharakter gegenüber der Fülle der Pflichtinformationen völlig in den Hintergrund gedrängt wird. Zugleich besteht die Gefahr, den Verbraucher mit umfangreichen Informationen zu überfrachten, die er bei der Werbung weder erwartet noch in gebotener Weise zur Kenntnis nimmt. Zudem müssen die Verbraucher auch bei gemäß Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie reduzierten Informationen nicht auf die übrigen Informationen verzichten, sondern sie erhalten diese gemäß Art. 8 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie auf andere geeignete Weise.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Unternehmer dem Verbraucher nach Art. 8 Abs. 7 Buchst. a der Richtlinie 2011/83/EU innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Abschluss des Fernabsatzvertrags und spätestens bei Lieferung der Waren die Bestätigung des geschlossenen Vertrags mit allen in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83/EU genannten Informationen auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung zu stellen hat, es sei denn, er hat ihm diese Informationen bereits vor dem Abschluss des Fernabsatzvertrags auf einem dauerhaften Datenträger zukommen lassen. Danach müsste die Beklagte einem Verbraucher die vollständige Information über die Ausübung des Widerrufsrechts und das Muster-Widerrufsformular nach dem Abschluss eines Fernabsatzvertrags und spätestens bei der Lieferung der Waren auf einem dauerhaften Datenträger erteilen. Dazu wäre sie nicht verpflichtet, wenn diese Information bereits in dem Werbeprospekt enthalten wäre, bei dem es sich um einen dauerhaften Datenträger im Sinne der Richtlinie handelt (vgl. Art. 2 Nr. 10 und Erwägungsgrund 23 der Richtlinie). Da nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass Kunden der Beklagten nach einer Bestellung den Werbeprospekt aufbewahren, sind deren Interessen möglicherweise besser geschützt, wenn sie erst nach dem Abschluss eines Fernabsatzvertrags und spätestens bei der Lieferung der Waren vollständig über die Ausübung des Widerrufrechts und das Muster-Widerrufsformular informiert werden.
bb) Soweit bei der Beurteilung, ob bei einem Fernkommunikationsmittel für die Darstellung der Informationen nur begrenzter Raum oder begrenzte Zeit zur Verfügung steht, darauf abzustellen ist, ob es (konkret) in seiner vom Unternehmer gewählten Gestaltung nur begrenzten Raum oder begrenzte Zeit bietet, stellt sich die weitere Frage, ob es mit Art. 8 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83/EU vereinbar ist, die Information über das Widerrufsrecht im Fall begrenzter Darstellungsmöglichkeit im Sinne von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2011/83/EU auf die Information über das Bestehen eines Widerrufsrechts zu beschränken (Vorlagefrage 2).
(1) Nach Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2011/83/EU sind über das jeweilige Fernkommunikationsmittel vor dem Abschluss des Vertrags zumindest bestimmte Informationen zu erteilen, einschließlich der Informationen, die das in Art. 6 Abs. 1 Buchstabe h genannte Widerrufsrecht betreffen; die anderen in Art. 6 Abs. 1 genannten Informationen hat der Unternehmer dem Verbraucher nach Art. 8 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2011/83/EU in geeigneter Weise in Einklang mit Art. 8 Abs. 1 zu erteilen. Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83/EU informiert der Unternehmer den Verbraucher in klarer und verständlicher Weise über die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts gemäß Art. 11 Abs. 1 sowie das Muster- Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B der Richtlinie 2011/83/EU. Eine Beschränkung der Informationspflicht auf das Bestehen eines Widerrufsrechts lässt sich dem nicht entnehmen.
(2) Es fragt sich allerdings, ob eine so umfassende Informationspflicht über das Widerrufsrecht mit den Zielen der Richtlinie 2011/83/EU und deren Art. 8 Abs. 4 vereinbar ist. Es könnte sich als unverhältnismäßige Beschränkung der Werbefreiheit erweisen, die Unternehmer ungeachtet räumlicher und zeitlicher Beschränkungen des von ihnen für die Werbung verwandten Fernkommunikationsmittels stets dazu zu verpflichten, die umfangreiche Widerrufsbelehrung sofort und unmittelbar in diesem Fernkommunikationsmittel zu erteilen und ihm das Muster-Widerrufsformular sogleich beizufügen.
(3) Der Senat hält es im Hinblick auf den erheblichen Umfang der zum Widerrufsrecht zu erteilenden Informationen für angemessen, auch insoweit Erleichterungen für den Fall begrenzter Darstellungsmöglichkeit zu erlauben. Nach Erwägungsgrund 4 bezweckt die Richtlinie, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu gewährleisten. Die Ausnahmevorschrift des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie soll dem begrenzten Raum oder der begrenzten Zeit von Fernkommunikationsmitteln Rechnung tragen (vgl. Erwägungsgrund 36) und dadurch unverhältnismäßigen Beschränkungen der Werbefreiheit der Unternehmen entgegenwirken. In diesem Zusammenhang dürfte das Schutzbedürfnis der Verbraucher bereits durch Art. 8 Abs. 7 Buchst. a der Richtlinie ausreichend erfüllt werden, wonach in jedem Fall alle weiteren Informationen zum Widerrufsrecht gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie innerhalb angemessener Frist nach Abschluss des Fernabsatzvertrags zu erteilen sind. Zudem erschiene es mit Sinn und Zweck der durch Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie für die Unternehmen vorgesehenen Erleichterungen schwer vereinbar, gerade den Bereich der Widerrufsbelehrung vollständig davon auszuschließen. Bei begrenzter Darstellungsmöglichkeit sollte es daher ausreichen, den Verbraucher vor Abschluss des Fernabsatzvertrags über das Bestehen eines Widerrufsrechts zu informieren. Ein hohes Verbraucherschutzniveau wird dadurch nicht in Frage gestellt.
cc) Für den Fall, dass bei begrenzter Darstellungsmöglichkeit die Information hinsichtlich des Widerrufsrechts nicht auf das Bestehen dieses Rechts beschränkt werden darf, stellt sich die weitere Frage, ob es nach Art. 8 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83/EU vor einem Vertragsabschluss im Fernabsatz auch im Fall begrenzter Darstellungsmöglichkeit stets zwingend geboten ist, dem Fernkommunikationsmittel das Muster-Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B der Richtlinie 2011/83/EU beizufügen (Vorlagefrage 3).
(1) In Betracht kommt, dass es dem Unternehmer freisteht, wie er den Verbraucher über das Muster-Widerrufsformular informiert. Der Unternehmer könnte dann seine Informationspflicht auch durch den Hinweis erfüllen, dass es ein Muster-Widerrufsformular gibt, wo dieses bezogen werden kann und wie es zu nutzen ist.
(2) Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie lässt offen, in welcher Form der Verbraucher über das Muster-Widerrufsformular zu informieren ist. Allerdings wird der Verbraucher in dem Muster-Widerrufsformular in Anhang I Teil B der Richtlinie mit „Sie“ angesprochen und aufgefordert, das Formular zurückzusenden. Die Muster-Widerrufsbelehrung in Anhang I Teil A der Richtlinie 2001/83/EU verweist auf das „beigefügte Muster-Widerrufsformular“. Das könnte darauf hindeuten, dass dem Verbraucher jedenfalls das Muster- Widerrufsformular zu übermitteln ist (zu Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB Heinig, MdR 2012, 323, 326; Schmidt/Brönneke, VuR 2013, 448, 455; Klocke, VuR 2015, 293, 296; Schirmbacher in Spindler/Schuster aaO Art. 246a § 4 EGBGB Rn. 123; MünchKomm. BGB/Wendehorst aaO Art. 246a § 4 EGBGB Rn. 33).
Vorinstanzen:
LG Wuppertal, Entscheidung vom 21.07.2015 – 11 O 40/15 –
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 18.02.2016 – I-15 U 54/15 –