Seit Gefahrübergang aufgetretener Sachmangel geht bei unaufklärbarer Ursache zu Lasten des Verbrauchers

15. Januar 2016
[Gesamt: 0   Durchschnitt:  0/5]
742 mal gelesen
0 Shares
junge Frau hat Autopanne und telefoniert mit dem Handy Urteil des OLG Frankfurt a. M. vom 14.04.2015, Az.: 10 U 133/13

Die in § 476 BGB angeordnete Beweislastumkehr zu Gunsten des Käufers gilt nicht für die Frage, ob überhaupt ein Sachmangel vorliegt. Sie setzt vielmehr einen binnen sechs Monaten seit Gefahrübergang aufgetretenen Sachmangel voraus und enthält lediglich die Vermutung, dass der Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlag. Kommen mehrere Ursachen für einen binnen sechs Monaten seit Gefahrübergang auftretenden Schaden in Betracht, von denen die eine eine vertragswidrige Beschaffenheit begründet, die andere jedoch nicht, und lässt sich nicht aufklären, worauf der Schaden beruht, geht dies zu Lasten des Käufers.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Urteil vom 14.04.2015

Az.: 10 U 133/13

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27.5.2013 – Az.: 2/18 O 443/10 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das angefochtene Urteil und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach den Urteilen vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des nach den Urteilen vollstreckbaren Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.

Der Kläger hat von der Beklagten Rückabwicklung eines Gebrauchtwagenkaufs und Schadensersatz verlangt.

Der Kläger erwarb von der beklagten Fahrzeughändlerin am 27.3.2010 einen gebrauchten Marke1 …. Anfang August 2010, nachdem der Kläger das Fahrzeug ca. 13.000 km gefahren hatte, schaltete die Automatikschaltung in der Einstellung „D“ nicht mehr selbständig in den Leerlauf, stattdessen „starb“ der Motor „ab“. Ein Anfahren oder Rückwärtsfahren an Steigungen war nicht mehr möglich.

Nach erfolgloser Fristsetzung zur Mängelbeseitigung erklärte der Kläger mit Schreiben vom 8.9.2010 den Rücktritt vom Kaufvertrag sowie die Anfechtung seiner kaufvertraglichen Willenserklärung.

Mit der Klage hat er die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Ersatz von Kosten für den Austausch defekter Bremsen und der Sommerreifen (1.549,73 €), für Kosten der Fehlersuche durch eine Fachwerkstatt (534,70 €), eines Ersatzfahrzeugs (46,01 €) sowie Nutzungsausfallentschädigung für die Zeit von 5.3.2011 bis 4.3.2012 (365Tage) von 28.835 € (Bl. 149/150 d.A.) verlangt.

Die Beklagte hat bestritten, dass bereits bei Übergabe ein Mangel vorgelegen habe.

Das Landgericht hat nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen A die Klage abgewiesen. Dem Kläger sei der Nachweis, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Übergabe mangelhaft gewesen sei, nicht gelungen. Der Sachverständige habe festgestellt, dass ein Schaden am Freilauf des hydrodynamischen Drehmomentwandlers aufgetreten sei. Da sich der Freilauf in einem ölführenden Bereich befinde und keiner stoßförmigen Belastung ausgesetzt sei, seien in der Regel keine Ausfälle des Freilaufs über die Gesamtlebensdauer des Fahrzeugs zu erwarten. Nach Ansicht des Sachverständigen dürfte der Schaden erst in dem Zeitpunkt eingetreten sein, als das Getriebe die klägerseits benannten Auffälligkeiten aufgewiesen habe. Zwar sei auch ein Fahren mit einem defekten Freilauf möglich, hierbei wären jedoch deutliche Auffälligkeiten bei den Schaltungen zu erwarten gewesen, die der Kläger allerdings nicht geschildert habe. Vielmehr sei der Kläger nach Erwerb des Fahrzeugs noch ca. 13.000 km gefahren, bevor die Getriebeprobleme aufgetreten seien. Es sei daher ausgeschlossen, dass der Defekt am Freilauf bereits bei Übergabe vorgelegen habe. Dem Kläger helfe die Beweislastumkehr des § 476 BGB nicht, weil eine solche Vermutung mit der Art des Mangels unvereinbar wäre. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei es zwar grundsätzlich möglich, dass der Freilauf bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine Vorschädigung aufgewiesen habe, die sich dann bis zu der letztlich im Fahrbetrieb bemerkbaren Form ausgeweitet habe. Derartige mechanische Veränderungen, wie z.B. Mikrorisse oder sog. Pittings könnten auch bereits vor Übergabe vorgelegen haben, worin grundsätzlich ein Sachmangel zu sehen sei. Nach dem Sachverständigen könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass zum Zeitpunkt der Übergabe keinerlei mechanische Veränderungen vorhanden gewesen seien. Als Ursache könne auch eine Überlastung des Freilaufs in Betracht kommen. Der Sachverständige habe keine Feststellung dazu treffen können, ob bzw. wann ein solches schädigendes, anormales Ereignis aufgetreten sei. Damit stehe nicht fest, dass überhaupt ein Sachmangel vorgelegen habe. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei nicht ausgeschlossen, dass der Schaden ausschließlich aufgrund des Fahrverhaltens des Klägers zustande gekommen sei. Die Beweislastumkehr des § 476 BGB gelte aber nicht für die hier offene Frage, ob überhaupt ein Sachmangel vorliege, sondern setze einen binnen sechs Monaten seit Gefahrübergang aufgetretenen Sachmangel voraus. Auch der Vortrag des Klägers hinsichtlich der abgefahrenen Sommerreifen und Bremsbeläge begründe keinen Sachmangel. Eine Beschaffenheitsvereinbarung hätten die Parteien insoweit nicht getroffen, ein normaler Verschleiß sei bei einem Gebrauchtwagen kein Sachmangel. Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, der vom Landgericht festgestellten Tatsachen und der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidung des Landgerichts verwiesen.

Gegen das am 4.6.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 4.7.2013 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel innerhalb der verlängerten Frist am 4.9.2013 begründet. Der Kläger macht geltend, das Landgericht habe § 476 BGB falsch angewendet. Nach dem Ergänzungsgutachten des Sachverständigen sei als Bereich der Vorschädigung der Bereich anzusehen, bei dem sich zwar mechanische Veränderungen, z. B. Mikrorisse oder sog. Pittings im Freilaufbereich einstellten, die erst zu einem späteren Zeitpunkt zu merkbaren Veränderungen oder zur Zerstörung einzelnen Teile des Gesamtsystems führten. Nach dem Ergänzungsgutachten könne eine Vorschädigung durch Überbelastung, wie z.B. Leistungssteigerungen, oder beim Einlegen der Fahrstufen bei erhöhten Drehzahlen auftreten. Ein zufälliger Ausfall bei Wälzlagerungen sei ebenfalls nicht ausgeschlossen. Er (Kläger) habe den Nachweis geführt, dass während eines Zeitraumes von 6 Monaten nach Übergabe ein Sachmangel, nämlich ein Schaden am Freilauf des hydrodynamischen Drehmomentwandlers aufgetreten sei.

Es sei davon auszugehen, dass die in der Beschaffenheit des Fahrzeugs liegende Ursache bereits bei Gefahrübergang angelegt gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts abzuändern und

1.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 16.200,00 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.9.2010 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Marke1, Fahrzeug-Ident-Nr. …;

2.

festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des unter 1. Bezeichneten Kraftfahrzeuges in Verzug befindet;

3.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.130,44 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.9.2010 zu zahlen;

4.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 961,28 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.9.2010 zu zahlen;

5.

die Beklagte zu verurteilen, an 28.835,00 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 23.4.2012 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

In der Sache ist das Rechtsmittel jedoch unbegründet.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Ohne Erfolg stützt der Kläger die Berufung darauf, dass das Landgericht § 476 BGB falsch angewendet habe. Die in § 476 BGB angeordnete Beweislastumkehr zu Gunsten des Käufers gilt nicht für die Frage, ob überhaupt ein Sachmangel vorliegt. Sie setzt vielmehr einen binnen sechs Monaten seit Gefahrübergang aufgetretenen Sachmangel voraus und enthält lediglich eine in zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung, dass dieser Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorhanden war (BGHZ 159, 215, 218; BGH Urteil vom 23.11.2005 – VIII ZR 43/05 = NJW 2006, 434, 436 Tz. 21). Wenn dagegen mehrere Ursachen für den akut aufgetretenen Schaden in Betracht kommen, von denen die eine eine vertragswidrige Beschaffenheit begründet, die andere dagegen nicht, und nicht aufklärbar ist, worauf der aufgetretene Schaden beruht, geht dies zu Lasten des Käufers (BGH NJW 2006 a. a. O. Tz. 20; Urteil vom 15.1.2014 – VIII ZR 70/13 = NJW 2014, 1086, 1087 Tz. 22). So liegt der Fall hier.

Nach dem Sachverständigengutachten kann die Schädigung des Freilaufs des Drehmomentwandlers durch eine Überlastung eingetreten sein, das heißt durch eine Leistungssteigerung oder durch Einlegen einer Fahrstufe bei erhöhter Drehzahl (Erstgutachten Seite 7 = Bl. 114 d.A., Ergänzungsgutachten Seite 4 = Bl. 171 d.A.). Darin läge kein Fehler der Beschaffenheit des Fahrzeugs, sondern allenfalls ein Bedienungsfehler. Da sich der Schaden zumindest durch Auffälligkeiten bei den Schaltungen gezeigt hätte (Ergänzungsgutachten Seite 3 = Bl. 170 d.A.), der Kläger aber solche seit Gefahrübergang bestehende Auffälligkeiten nicht behauptet, spricht alles dafür, dass die genannte Überlastung erst nach Gefahrübergang während seiner Besitzzeit eingetreten ist. Ebenso ist eine Vorschädigung nicht nachweisbar. Eine Vorschädigung in Form der vom Sachverständigen genannten Mikrorisse oder Pittings (Ergänzungsgutachten Seite 4 = Bl. 171 d.A.) würde zwar von der Vermutung des § 476 BGB erfasst. Es steht jedoch wiederum nicht fest, dass eine derartige Vorschädigung bestand. Der Sachverständige hat im Erstgutachten lediglich ausgeführt, dass eine Vorschädigung am Freilauf vorgelegen haben kann, also nicht etwa zwingend vorgelegen habe. Ob dies der Fall war, konnte er dagegen ebenso wenig klären wie er eine eindeutige Festlegung des Beginns der Schädigung für technisch nicht mehr möglich gehalten hat (Seite 7 = Bl. 114 d.A.).

Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht gemäß § 543 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern.

Vorinstanz:
LG Frankfurt am Main, Urteil vom 27.05.2013 – Az.: 2-18 O 443/10

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jetzt zum Newsletter anmelden!

Erlaubnis zum Versand des Newsletters: Ich möchte regelmäßig per E-Mail über aktuelle News und interessante Entwicklungen aus den Tätigkeitsfeldern der Anwaltskanzlei Hild & Kollegen informiert werden. Diese Einwilligung zur Nutzung meiner E-Mail-Adresse kann ich jederzeit für die Zukunft widerrufen, in dem ich z. B. eine E-Mail an newsletter [at] kanzlei.biz sende. Der Newsletter-Versand erfolgt entsprechend unserer Datenschutzerklärung.

n/a