Werbungen mit wissenschaftlich nicht nachgewiesenen Wirkungen eines Medizinprodukts sind irreführend
Landgericht Dortmund
Urteil vom 17.05.2016
Az.: 25 O 154/16
Tenor:
Der Verfügungsbeklagten wird bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der künftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an den Geschäftsführern der persönlich haftenden Gesellschafterin, einstweilen untersagt, im geschäftlichen Verkehr für das Mittel „N“ mit der Angabe zu werben:
1. „Schnelle Wundheilung“,
sofern dies geschieht wie in Anl. A3 wiedergegeben;
2. „Schneller Verheilt“,
sofern dies geschieht wie in Anl. A4 wiedergegeben;
3. „Für die optimale Heilung“,
sofern dies geschieht wie in Anlage A3 wiedergegeben;
4. „So geht Wundheilung heute“,
sofern dies geschieht wie in Anlage A4 wiedergegeben;
5. „Für wunden Babypopo“,
sofern dies geschieht wie in Anlage A4 wiedergegeben;
6. „Rasche Schmerzlinderung“,
sofern dies geschieht wie in Anlage A3 wiedergegeben;
7. „Reduziert die Schwellung“,
sofern dies geschieht wie in Anlage A3 wiedergegeben;
8. „Verringert die Infektionsgefahr“,
sofern dies geschieht wie in Anlage A3 wiedergegeben.
Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Die Parteien streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens um die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit von Werbeaussagen bezüglich des Produkts „N“ der Verfügungsbeklagten.
Der Verfügungskläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, insbesondere die Achtung darauf gehört, dass die Regeln des lauteren Wettbewerbs eingehalten werden.
Die Verfügungsbeklagte ist Herstellerin und Vertreiberin des Produktes „N“, welches sie als Medizinprodukt in den Verkehr bringt. Laut Kennzeichnung handelt es sich bei dem Produkt um ein hydroaktives Lipogel mit den Hauptbestandteilen Zink und Eisen. Gemäß den Angaben in der Gebrauchsanweisung hat das Produkt folgende Zweckbestimmung: „… Zur äußerlichen Behandlung von Wunden (z.B. Schürf-, Schnitt-, Kratz- und Bisswunden* sowie Platz- und Risswunden) und Verbrennungen 1. und 2. Grades (Blasenbildung) sowie Sonnenbrand.
… auch bei gereinigten, mäßig nässenden, nicht infizierten chronischen Wunden (Dekubitus 2. Grades) – hier nur unter Aufsicht von medizinischem Fachpersonal –…“.
Die Verfügungsbeklagte lobt im Rahmen ihrer Gebrauchsanweisung (Anlage A3) das Produkt mit den Aussagen „Schnelle Wundheilung“, „Für die optimale Heilung“, „Rasche Schmerzlinderung“, „Reduziert die Schwellung“, „Verringert die Infektionsgefahr“ aus. Hierneben bewirbt die Verfügungsbeklagte das Produkt mit einer Abgabekarte (Anlage A4), auf welcher auch eine Probe des Produktes aufgeklebt ist, mit den Aussagen „Schneller verheilt“, „So geht Wundheilung heute“, „Für wunden Babypopo“.
Der Verfügungskläger mahnte die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 07.04.2016 ab, da er der Ansicht ist, die Aussagen seien irreführend.
Mit Schreiben vom 14.04.2016 wies die Verfügungsbeklagte neben Vermutungen zur fehlenden Dringlichkeit auf eine Zertifizierung der Gruppe TÜV Nord hin, womit die angegriffenen Aussagen als genehmigt gälten. Die Beanstandung sei aus formellen Gründen unbegründet. Im Übrigen existiere ein ausreichender wissenschaftlicher Nachweis hinsichtlich der streitgegenständlichen Aussagen.
Der Verfügungskläger ist der Ansicht, die streitgegenständlichen Aussagen seien irreführend im Sinne der § 4 Abs. 2 Nr. 1 MPG, § 3 Nr. 1 HWG, § 5 UWG, da sie nicht dem Stand der Wissenschaft entsprächen. Die Verfügungsbeklagte lege ihrem Produkt Wirkungen bei, die es aufgrund seiner Zusammensetzung nicht haben könne. Irrelevant sei der Hinweis der Verfügungsbeklagten auf die Medizinproduktklasse. Die Zertifizierung eines Medizinproduktes stelle keinen Nachweis der behaupteten Wirkungen dar. Die Anforderungen eines Zertifizierungsverfahrens hätten nichts mit den Wirkungen des jeweils zu zertifizierenden Medizinproduktes zu tun, da von den zuständigen Stellen nicht geprüft wird, ob die vom Hersteller in Anspruch genommenen Wirkungen seitens des Produkts wissenschaftlich belegt sind.
Die von der Verfügungsbeklagten angeführte Studie scheide unter dem Aspekt, dass diese nicht veröffentlicht wurde, als Nachweis für die in Anspruch genommenen Wirkungen aus. Hinzu komme, dass ausweislich des Studienprotokolls die Studie mit einer zu geringen Anzahl Patienten durchgeführt worden sei. Zudem eigne sich die Studie für den Nachweis der „schnellen Wundheilung“ nicht, weil die angesprochenen Verkehrskreise davon ausgehen würden, dass bei der Anwendung des Produktes die ausgelobte schnelle Wirkung bereits innerhalb der ersten zwei Tage eintrete. Die Studie enthalte aber gemäß dem Studienprotokoll einen Vergleich der Wundheilung als Analyse der AUC (Area Under the Curve) zwischen den Tagen 3 und 15, d.h. erst ab dem dritten Tag.
Die anderweitig von der Verfügungsbeklagten vorgelegten Daten und Erkenntnisse zur feuchten Wundbehandlung seien nicht in der Lage, einen wissenschaftlichen Nachweis zu erbringen, da die Untersuchungen nicht mit dem Produkt, sondern mit anderen Grundlagen, in einigen Fällen sogar mit anderen Darreichungsformen (Pflaster und Verbände) durchgeführt worden seien.
Die Aussagen „Schnelle Wundheilung“, „Schneller verheilt“ und „Für die optimale Heilung“ seien unrichtig, da das Produkt nicht zu einer schnellen Wundheilung führen könne. Für die Aussagen lägen keinerlei Daten vor. Mit der Aussage „So geht Wundheilung heute“ nehme die Verfügungsbeklagte in Anspruch, es handele sich bei dem Produkt um ein solches, das nach aktuellem wissenschaftlichen Erkenntnisstand „state of the art“ sei, was nicht den Tatsachen entspreche. Bezüglich der Aussage „Für wunden Babypopo“ sei das Produkt sowohl bei der einfachen Windeldermatitis wie auch bei Windelsoor nicht geeignet. Dies ergebe sich bereits aus der Fußnote zu der Angabe, in welcher es heißt „… Achtung Hefepilz muss ausgeschlossen sein“, womit die Verfügungsbeklagte einräume, dass das Produkt keineswegs uneingeschränkt zur Behandlung eines wunden Babypo geeignet sei. Nach der Aussage „Rasche Schmerzlinderung“ müsse das Produkt einen sedierenden Effekt haben. Bei dem Produkt handelt es sich jedoch nicht um ein Schmerzmittel, jedenfalls lägen hierzu keinerlei Daten vor. Auch bezüglich der Aussagen „Reduziert die Schwellung“ und „Verringert die Infektionsgefahr“ lägen keine klinischen Daten vor.
Der Verfügungskläger beantragt,
es der Verfügungsbeklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der künftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an den Geschäftsführern der persönlich haftenden Gesellschafterin, zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr für das Mittel „N“ mit der Angabe zu werben:
1. „Schnelle Wundheilung“,
sofern dies geschieht wie in Anl. A3 wiedergegeben;
2. „Schneller Verheilt“,
sofern dies geschieht wie in Anl. A4 wiedergegeben;
3. „Für die optimale Heilung“,
sofern dies geschieht wie in Anlage A3 wiedergegeben;
4. „So geht Wundheilung heute“,
sofern dies geschieht wie in Anlage A4 wiedergegeben;
5. „Für wunden Babypopo“,
sofern dies geschieht wie in Anlage A4 wiedergegeben;
6. „Rasche Schmerzlinderung“,
sofern dies geschieht wie in Anlage A3 wiedergegeben;
7. „Reduziert die Schwellung“,
sofern dies geschieht wie in Anlage A3 wiedergegeben;
8. „Verringert die Infektionsgefahr“,
sofern dies geschieht wie in Anlage A3 wiedergegeben.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, der Verfügungskläger könne für sich keine Antragsbefugnis aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG in Anspruch nehmen. Das angerufene Gericht sei nicht zuständig, da der Verfügungskläger nicht die Voraussetzungen an eine anspruchsberechtigte Stelle im Sinne von § 3 Nr. 2 UKlaG erfülle. Es fehle an der vorausgesetzten Dringlichkeit, da die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 14.04.2016 darauf hinwies, dass das Medizinprodukt bereits seit dem 01.07.2014 auf dem Markt erhältlich ist und es lebensfremd sei, dass ein Mitbewerber erst kürzlich Kenntnis von der Bewerbung des Produktes erhalten habe. Daher erhebt die Verfügungsbeklagte auch die Einrede der Verjährung.
Die Verfügungsbeklagte behauptet, die von ihr ausgelobten Wirkweisen seien in dem erforderlichen Umfang durch von ihr vorgelegte Studien und Literatur wissenschaftlich nachgewiesen und verweist diesbezüglich auf die von ihr zur Gerichtsakte gereichten Anlagen. Insbesondere sei im Rahmen der Anlage AG 12 in einer in-vivo-Studie am Schweine-Modell der Komplex bei oberflächlichen Wunden getestet worden und sei in der auch in dem Produkt eingesetzten Konzentration der trockenen Abheilung und der Vehikel-Kontrolle überlegen. Im Rahmen einer weiteren Untersuchung (Anlage AG 13) sei der Effekt mit dem sauren Zink- und Eisen-Komplex an insgesamt elf chronischen Wunden dokumentiert worden. In einer Prüfung (Anlage AG 22) an dem in der Dermatologie wegen der Nähe zur menschlichen Haut etablierten Schweinemodell habe sich für das Produkt im Vergleich zum Fenistil Wundheilgel (Hydrokolloid) und zur Bepanthen Wund- und Heilsalbe sowie im Vergleich zur luftexponierter Wundheilung und zur ausschließlich semi-okklusiv abgedeckten Wundheilung bei oberflächlichen Abrasivwunden eine signifikant schnellere Heilung gezeigt. Da die Verfügungsbeklagte unaufgefordert regelmäßig positive Rückmeldungen über die Erfolge bei der Wundheilung durch die Anwendung des Produktes erhalten habe, scheide eine Irreführung aus. Da das Produkt CE-zertifiziert ist, sei der erforderliche wissenschaftliche Nachweis der ausgelobten Wirkweisen erbracht. Daten aus experimentellen oder klinischen Studien würden nicht deshalb zum Nachweis einer Aussage ausscheiden, nur weil sie nicht publiziert seien. In der Medizin sei es üblich, dass sich nach jahrzehntelang erhobenen positiven präklinischen und klinischen Daten und erfolgreicher Anwendung am Menschen allgemeingültige Wirkprinzipien herausbilden und in der klinischen Praxis bzw. im Alltag etablieren, was für die feuchte Wundheilung gelte. Darüber hinaus sei der wissenschaftliche Nachweis geführt, da das Produkt bei der Bezirksregierung Arnsberg als Verbandmittel registriert ist und seit kurzem beim ABDATA Pharma-Daten-Service als Medizinprodukt (Verbandstoffe und Pflaster) geführt und von den gesetzlichen Krankenkassen als solches erstattet wird.
Entscheidungsgründe:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig und begründet.
A. Der Antrag ist zulässig.
Das Landgericht Dortmund ist vorliegend sachlich und örtlich zuständig. Dies folgt aus § 6 Abs. 2 UKlaG i.V.m. §§ 1, 2 VO UKlaG.
Der Verfügungskläger ist aktivlegitimiert. Dies folgt aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG bzw. §§ 2, 3 Abs. 1 Nr. 2 UKlaG. Denn der Verfügungskläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, insbesondere die Achtung darauf gehört, dass die Regeln des lau-teren Wettbewerbs eingehalten werden. Dem Antragsteller gehört eine erhebliche Anzahl von Gewerbetreibenden an, die Waren oder gewerbliche Leistungen gleicher oder verwandter Art wie diejenigen der Verfügungsbeklagten vertreiben. Zur Glaubhaftmachung legt der Verfügungskläger eine Mitgliederliste (Anlage A1) sowie eine eidesstattliche Versicherung der Geschäftsführerin des Verfügungsklägers (Anl. A2) vor. Aus dieser Liste ergibt sich eine erhebliche Zahl von Gewerbetreibenden, welche Waren oder gewerbliche Leistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. Der Verfügungskläger ist nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung in der Lage, seine satzungsmäßigen Aufgaben tatsächlich wahrzunehmen.
Aufgrund der von dem Verfügungskläger behaupteten Beeinträchtigung des Wettbewerbs durch die streitgegenständlichen Werbeaussagen der Verfügungsbeklagten ergibt sich der erforderliche Verfügungsgrund. Dieser entfällt nicht dadurch, dass die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 14.04.2016 darauf hinwies, dass das Medizinprodukt „N“ bereits seit dem 01.07.2014 auf dem Markt erhältlich ist. Denn insoweit ist mangels anderweitigem Vortrag der Verfügungsbeklagten davon auszugehen, dass der Verfügungskläger erst mit Schreiben vom 14.04.2016 davon Kenntnis erlangt hat, dass das Produkt seit dem 01.07.2014 auf dem Markt erhältlich ist.
B. Der Antrag ist auch in der Sache begründet.
Der Verfügungskläger hat gegen die Verfügungsbeklagte einen Anspruch auf Unterlassung der Verwendung der streitgegenständlichen Aussagen in Bezug auf das Mittel „N“ zu Werbezwecken im geschäftlichen Verkehr aus § 2 Abs. 1 UklaG bzw. § 8 Abs. 1 S. 1 UWG jeweils i.V.m. § 4 Abs. 2 Nr. 1 MPG, § 3 Nr. 1 HWG, § 5 UWG.
Gemäß § 3 S. 1 HWG ist eine irreführende Werbung unzulässig. Nach § 3 S. 2 Nr. 1 HWG liegt eine Irreführung insbesondere dann vor, wenn Arzneimitteln, Medizinprodukten, Verfahren, Behandlungen, Gegenständen oder anderen Mitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben.
Diese Voraussetzungen der Irreführung sind bezogen auf die streitgegenständlichen Werbeaussagen der Verfügungsbeklagten vorliegend erfüllt.
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Die Werbeaussagen sind irreführend, da die durch den Verfügungskläger angegriffenen Aussagen nicht bzw. nicht hinreichend wissenschaftlich durch die Verfügungsbeklagte belegt sind.
In dem Fall, in dem werbliche Äußerungen Aussagen über die Wirkung und die Wirkweise eines Medizinproduktes treffen, sind die strengen Voraussetzungen der gesundheitsbezogenen Werbung anzuwenden. An die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussagen sind danach besonders strenge Anforderungen zu stellen, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Werbeangaben erhebliche Gefahren für das insoweit hohe Schutzgut der Gesundheit des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können (BGH GRUR 2013, 649, 652; OLG Hamburg GRUR-RR 2004,88).
Auf diesem Gebiet sind werbende Anpreisungen grundsätzlich nur dann zulässig, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen (BGH GRUR 171, 153, 155). In diesem Fall ist nicht die Unrichtigkeit der Werbeaussage irreführend, sondern der Umstand, dass sie jeder Grundlage entbehrt, während der Verkehr annimmt, niemand werde ohne qualifizierte Grundlage eine derartige Behauptung aufstellen (OLG Hamburg GRUR-RR 2004, 88 ff.; OLG Frankfurt GRUR-RR 2003, 295 f.; LG Berlin, Urteil vom 20.01.2009 – 15 O 969/07).
Von den Umständen des Einzelfalles ist abhängig, welche Anforderungen an den Nachweis einer gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis zu stellen sind. In der Regel sind Studien, die zum Beleg einer gesundheitsbezogenen Aussage angeführt werden, nur dann hinreichend aussagekräftig, wenn diese nach den allgemeinen Regeln und Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung durchgeführt und ausgewertet wurden. Grundsätzlich erforderlich ist hierfür, dass eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist (BGH GRUR 2013, 649; BGH GRUR 2012, 1164; BGH GRUR 2009, 75; OLG Düsseldorf PharmR 2010, 353; KG, Urteil vom 11.07.2011, BeckRs 2011,22042; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.02.2015 – 15 U 70/14).
Unter Zugrundelegung dieser Anforderungen sind die angegriffenen Werbeaussagen der Verfügungsbeklagten irreführend und damit wettbewerbswidrig.
Die streitgegenständlichen Werbeangaben sind geeignet, im Verkehr die Vorstellung zu wecken, dass das Medizinprodukt „N“ die angepriesenen Wirkungen hat und dass diese wissenschaftlich hinreichend abgesichert sind.
I. Hinsichtlich der Werbeaussagen „Schnelle Wundheilung“, „Schneller verheilt“ und „Für die optimale Heilung“ hat die Verfügungsbeklagte die hiermit ausgelobte Wirkweise des Produktes „N“ durch eine randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie nicht nachgewiesen.
Die von der Verfügungsbeklagten angeführten Nachweise genügen nicht den Anforderungen an eine randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung, die durch Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist.
Die von der Verfügungsbeklagten angeführten englischsprachigen Nachweise bezüglich der ausgelobten Wirkweise der Wundheilung, Anlagen AG 11, AG 12, AG 18, AG 22, AG 23, AG 24, AG 25 sowie AG 29 waren vorliegend nicht berücksichtigungsfähig. Denn englischsprachige Zusammenfassungen entsprechen nicht den Voraussetzungen des § 184 GVG und können dementsprechend nicht berücksichtigt werden (so auch KG, Urteil vom 19.06.2015 – 5 U 120/13; OLG München, MD 2009, 784).
Aber auch die weiteren von der Verfügungsbeklagten angeführten Nachweise entsprechen nicht den obigen Voraussetzungen.
Soweit die Verfügungsbeklagte auf die Ausführungen von T. Eberlein, A. Skowronsky, H. Fendler, T. Riesinger: Die Bedeutung des pH-Wertes für die Wundheilung – Aspekte der therapeutischen Einflussnahme mittels saurer metallionenhaltiger Lösungen (Anlage AG 13) abstellt, ist diesen eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie nicht zu entnehmen.
Das Gleiche gilt für die von der Verfügungsbeklagten mit der Anlage AG 17 angeführten Anforderungen an die Produktzertifizierung und die Forderungen der Zertifizierungsstellen an einen Wirksamkeitsnachweis. Es ist nicht ersichtlich, dass die im Rahmen der Anlage AG 17 in Bezug genommenen Zertifizierungsstellen eine juristische Prüfung von Werbeaussagen in Bezug auf die Wirksamkeit des streitgegenständlichen Produktes vorgenommen haben. Von den zuständigen Zertifizierungsstellen wird nicht geprüft, inwieweit die vom Hersteller in Anspruch genommenen Wirkungen und Wirkweisen bezogen auf das Produkt wissenschaftlich belegt sind, sodass die Zertifizierung eines Medizinproduktes keinen Nachweis der behaupteten Wirkungen darstellt.
Ungeachtet dessen, dass die Anlagen AG 12 und 22 aufgrund § 184 GVG nicht berücksichtigungsfähig sind, ist den Ausführungen das so genannte Schweinemodell zu Grunde gelegt worden. Insofern handelt es sich aber bei diesen Ausführungen nicht um repräsentative Studien zum Nachweis der Wirkweise der Wundheilung, da diese nicht anhand menschlicher Haut, sondern anhand von Schweinehaut vorgenommen wurden.
II. Auch bezüglich der Werbeaussage „So geht Wundheilung heute“ hat die Verfügungsbeklagte die hiermit ausgelobte Wirkweise des Produktes „N“ sowie den hierdurch dem Verbraucher suggerierten „state of the art“-Erkenntnisstand nicht nachgewiesen.
Hinsichtlich der ausgelobten Wirkweise gilt das unter Ziffer I. ausgeführte entsprechend.
Insoweit die Verfügungsbeklagte hinsichtlich ihrer Behauptung, das Prinzip der feuchten Wundheilung sei heutzutage „state of the art“ und Mittel der Wahl zur Behandlung akuter wie chronischer Wunden auf Anlage AG 25 verweist, ist diese gemäß § 184 GVG nicht berücksichtigungsfähig.
III. Die in der Werbeaussage „für wunden Babypopo“ ausgelobte Wirkweise – Eignung im Falle der Windeldermatitis und Windelsoor – hat die Verfügungsbeklagte nicht im Rahmen einer randomisierten placebokontrollierte Doppelblindstudie nachgewiesen.
Darüber hinaus ergibt sich aus der Fußnote zu der Angabe, in welcher es heißt: „… Achtung Hefepilz muss ausgeschlossen sein“, dass das Produkt bereits nicht uneingeschränkt zur Behandlung eines wunden Babypo geeignet ist. Diesen Eindruck gewinnt jedoch der Werbeadressat, da die Fußnote nicht geeignet ist, die unzutreffende Erwartungshaltung des Werbeadressaten zu korrigieren. Auch wird der Verbraucher nicht in die Lage versetzt, zu erkennen, ob ein wunder Babypo noch im Stadium einer Windeldermatitis ist oder sich bereits zur Windelsoor entwickelt hat.
Bereits diese Angabe an sich ist für den Verbraucher jedoch irreführend i.S.d. § 5 Abs. 1 UWG.
IV. Insoweit die Verfügungsbeklagte mit der Werbeaussage „Rasche Schmerzlinderung“ einen sedierenden Effekt des Produktes „N“ auslobt, hat die Verfügungsbeklagte eine derartige Wirkweise nicht wissenschaftlich nachgewiesen.
Bei dem Produkt „N“ handelt es sich nicht um ein Schmerzmittel. Insoweit die Verfügungsbeklagte hierzu auf die Anlagen AG 16 und 17 verweist, vermögen diese den wissenschaftlichen Nachweis der Wirkweise als Schmerzmittel nicht zu erbringen.
Soweit es sich bei dem Produkt jedoch nicht um ein Schmerzmittel handelt, ist die Aussage irreführend. Denn dem Verbraucher wird eine Wirkung suggeriert, die das Produkt so nicht hat.
V. Die Werbeaussage „Reduziert die Schwellung“ ist durch die Verfügungsbeklagte mittels einer randomisierten placebokontrollierte Doppelblindstudie nicht nachgewiesen worden.
Der Verweis der Verfügungsbeklagten diesbezüglich auf die Anlage AG 28 vermag diese Anforderungen nicht zu erfüllen. Denn insoweit handelt es sich bei der Anlage AG 28 lediglich um einen Auszug aus dem Lehrbuch „die Prinzipien der Wundheilung“ von Peter D. Asmussen und Brigitte Söllner. Die von der Verfügungsbeklagten angeführte Anlage AG 18 war gemäß § 184 GVG nicht berücksichtigungsfähig.
VI. Schließlich hat die Verfügungsbeklagte auch hinsichtlich der Werbeaussage „Verringert die Infektionsgefahr“ die hiermit ausgelobte Wirkweise nicht in dem erforderlichen wissenschaftlichen Rahmen nachgewiesen.
Die von der Verfügungsbeklagten angeführten Anlagen AG 29 und 24 waren gemäß § 184 GVG nicht berücksichtigungsfähig.
Bei der Anlage AG 20 handelt es sich lediglich um einen Auszug aus dem „Kompendium der komplexen Wundbehandlung“ herausgegeben von H. Lippert.
Insoweit der Geschäftsführer der N2-Verwaltungsgesellschaft mit beschränkter Haftung, Herr Dr. B am 18.05.2016 weitere Anlagen zur Gerichtsakte gereicht hat, waren diese nach § 296 a S. 1 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen. Zudem sind diese nicht über den Prozessbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten gemäß § 78 ZPO zur Gerichtsakte gereicht worden, sodass diese auch aus diesem Grunde nicht berücksichtigungsfähig waren.
Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass zugleich ein Verstoß gegen § 4 Abs. 2 Nr. 1 MPG vorliegt. Demgemäß ist es verboten, Medizinprodukte in den Verkehr zu bringen, wenn sie mit irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung versehen sind. Eine Irreführung liegt insbesondere dann vor, wenn Medizinprodukten eine Leistung beigelegt wird, die sie nicht haben.
Aufgrund der wettbewerbsrechtlichen Verstöße der Verfügungsbeklagten ergibt sich die erforderliche Beeinträchtigung im Sinne des § 3 Abs. 1 UWG.
Die im Rahmen des § 8 Abs. 1 S. 1 UWG erforderliche Wiederholungsgefahr ist gegeben. Denn insoweit es zu einem Wettbewerbsverstoß gekommen ist, streitet eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr (BGH GRUR 1997, 379, 380; BGH GRUR 1997, 929, 930; BGH GRUR 2001, 453, 455; BGH GRUR 2002, 717, 719).
Die Unterlassungsansprüche des Verfügungsklägers sind auch nicht verjährt, da hinsichtlich der Kenntnis des Verfügungsklägers mangels anderweitigen Vortrages nicht auf das Inverkehrbringen des Produktes ab dem 01.07.2014 abzustellen ist.
Die prozessuale Nebenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.