Lebensmittelwerbung mit Oberbegriff „Vitalstoffe“ stellt eine unzulässige nährwertbezogene Angabe dar

13. Oktober 2016
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Nährwerttabelle Urteil des OLG Hamm vom 04.08.2016, Az.: 4 U 18/16

Eine nährwertbezogene Angabe im Sinne der HCVO muss sich nicht auf bestimmte, namentlich genannte Substanzen beziehen. Lediglich abstrakte Oberbegriffe wie "Vitalstoffe" können ebenfalls eine nährwertbezogene Angabe und damit eine unzulässige Produktwerbung darstellen.

Oberlandesgericht Hamm

Urteil vom 04.08.2016

Az.: 4 U 18/16

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 10.11.2015 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird mit der klarstellenden Maßgabe zurückgewiesen, dass in der Urteilsformel des angefochtenen Urteils im Unterlassungsausspruch die Worte „oder in vergleichbarer Art und Weise“ entfallen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Soweit die Beklagte zur Unterlassung verurteilt worden ist, kann sie die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,00 Euro abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet. Im Übrigen kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

A.

Der klagende Verein ist in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes eingetragen.

Die Beklagte vertreibt Nahrungsergänzungsmittel eines in den Niederlanden ansässigen Herstellers. Sie vertreibt die Produkte u.a. über den Online-Shop in ihrem Internetauftritt „*Internetadresse*“.

Anfang Januar 2014 bewarb und vertrieb die Beklagte über ihren Online-Shop das Nahrungsergänzungsmittel „Original Spiruletten® 1000 mit Gerstengras“. Die diesbezügliche Produktseite im Online-Shop der Beklagten (Internetausdruck Anlage K2 = Blatt 18-19 der Gerichtsakte) enthielt u.a. die nachfolgend abgebildete Darstellung:

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Der Kläger mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 13.01.2014 (Anlage K3 = Blatt 20-22 der Gerichtsakte) ab. Die Werbeaussagen in der Produktbeschreibung verstießen gegen Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (HCVO). Die Angabe, dass ein Lebensmittel „Vitalstoffe“ enthalte, sei keine durch den Anhang zu Art. 8 Abs. 1 HCVO zugelassene nährwertbezogene Angabe. Der Kläger forderte die Beklagte zur Unterlassung und – unter Fristsetzung bis zum 28.01.2014 – zur Erstattung von Abmahnkosten (Kostenpauschale) in Höhe von 232,05 € auf.

Die Beklagte wies die in der Abmahnung erhobenen Ansprüche mit anwaltlichem Schriftsatz vom 20.01.2014 (Anlage K4 = Blatt 23-25 der Gerichtsakte) zurück.

Der Kläger beauftragte daraufhin seine jetzigen Prozessbevollmächtigten mit der weiteren Rechtsverfolgung, die gegenüber der Beklagten mit Schriftsatz vom 24.01.2014 (Anlage K5 = Blatt 26-27 der Gerichtsakte) die Rechtsauffassung des Klägers noch einmal bekräftigten und nochmals die Aufforderung zur Abgabe einer ausreichenden strafbewehrten Unterlassungserklärung aussprachen. Dieser Aufforderung kam die Beklagte nicht nach.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12.05.2014 (Anlage K13 = Blatt 47-48 der Gerichtsakte) bezifferte der Kläger die ihm für die Unterlassungsaufforderung vom 24.01.2014 entstandenen Kosten (Rechtsanwaltsvergütung) auf 984,60 € und forderte die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 19.05.2014 zur Erstattung dieses Kostenbetrages auf.

Der Kläger hat gegenüber dem Landgericht die Ausführungen aus seiner Abmahnung wiederholt und vertieft. Bei den Angaben zu „Vitalstoffen“ in der angegriffenen Produktbeschreibung handele es sich um nach der HCVO unzulässige nährwertbezogene Angaben.

Der Kläger hat in seiner Klageschrift vom 28.05.2015 zunächst beantragt,

I. die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr gegenüber Verbrauchern zu behaupten und/oder behaupten zu lassen, die von der Beklagten in den Verkehr gebrachten Lebensmittel würden „Vitalstoffe“ enthalten, insbesondere wenn dies geschieht wie nachfolgend dargestellt:

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II. die Beklagte zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 232,05 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.01.2014 zu zahlen;

III. die Beklagte weiterhin zu verurteilen, an ihn, den Kläger, einen Betrag in Höhe von 964,60 € (sc.: „nebst Zinsen hieraus“) in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.05.2014 zu zahlen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 06.10.2015 hat der Kläger seinen Klageantrag zu I. modifiziert und beantragt,

I. die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr gegenüber Verbrauchern zu behaupten und/oder behaupten zu lassen, die von der Beklagten in den Verkehr gebrachten Lebensmittel würden „Vitalstoffe“ enthalten, wenn dies geschieht wie nachfolgend dargestellt oder in vergleichbarer Art und Weise:

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II. die Beklagte zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 232,05 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.01.2014 zu zahlen;

III. die Beklagte weiterhin zu verurteilen, an ihn, den Kläger, einen Betrag in Höhe von 964,60 € (sc.: „nebst Zinsen hieraus“) in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.05.2014 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat sinngemäß die Auffassung vertreten, der in der Klageschrift angekündigte Unterlassungsantrag habe nicht nur die konkrete Verletzungshandlung und kerngleiche Verletzungshandlungen erfasst, sondern habe nach den Vorstellungen des Klägers darüber hinaus auch weitere Verhaltensweisen erfassen sollen. Vor diesem Hintergrund handele es sich bei der Antragsmodifikation in der mündlichen Verhandlung um eine Teil-Klagerücknahme, die zu einer Kostenquotelung führen müsse. Bei den angegriffenen Werbeaussagen in der Produktbeschreibung für das Nahrungsergänzungsmittel „Original Spiruletten® 1000 mit Gerstengras“ handele es sich nicht um nährwertbezogene Angaben im Sinne der HCVO.

Mit dem angefochtenen, am 10.11.2015 verkündeten Urteil hat die 25. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund der Klage hinsichtlich der Klageanträge zu I. und II. stattgegeben und die Klage im Übrigen – d.h. hinsichtlich des Klageantrages zu III. – abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits hat das Landgericht vollumfänglich der Beklagten auferlegt.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten mit der klarstellenden Maßgabe zurückzuweisen, dass in der Urteilsformel des angefochtenen Urteils im Unterlassungsausspruch die überflüssigen Worte „oder in vergleichbarer Art und Weise“ entfallen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

Soweit in den Gründen dieses Urteils Fundstellen in der Gerichtsakte angegeben sind, wird wegen der Einzelheiten auf die dort befindlichen Dokumente verwiesen.

B.

Die – zulässige – Berufung ist unbegründet. Die Klage ist in dem Umfang, in dem ihr das Landgericht stattgegeben hat, zulässig und begründet.

I. Die Klage ist zulässig.

1. Der Kläger ist klagebefugt nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG.

2. Der Unterlassungsantrag ist auch hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die mit der Formulierung „wenn dies geschieht wie nachfolgend dargestellt“ eingeleitete Bezugnahme auf die konkrete Verletzungsform macht deutlich, dass Streitgegenstand des Unterlassungsantrages nur die in Form einer „Einblendung“ zum Bestandteil des Antrages gemachte konkrete Verletzungsform ist und von dem beantragten Unterlassungsgebot lediglich diese konkrete Verletzungsform sowie – auch ohne die überflüssige und vom Senat aus Gründen der Klarstellung aus der Urteilsformel entfernte Formulierung „oder in vergleichbarer Art und Weise“ – kerngleiche Verstöße erfasst werden sollen. Der abstrakt formulierte Teil des Unterlassungsantrages dient hier nur dazu, die Überprüfung der in den Antrag eingeblendeten Darstellung durch das Gericht auf die darin enthaltenen Aussagen zu „Vitalstoffen“ zu beschränken.

I. Die Klage ist auch begründet.

1. Unterlassungsanspruch (Klageantrag zu I.)

Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch findet seine Grundlage in § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG iVm Art. 8 Abs. 1 HCVO.

a) Die Aussagen über „Vitalstoffe“ in der vom Kläger angegriffenen Produktbeschreibung verstoßen gegen die als Marktverhaltensregelung zu qualifizierende Bestimmung des Art. 8 Abs. 1 HCVO.

aa) Der Anwendungsbereich der HCVO ist eröffnet. Bei dem streitgegenständlichen Produkt handelt es sich um ein Lebensmittel im Sinne des Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und damit auch um ein Lebensmittel im Sinne der HCVO (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a) HCVO). Auch nach Art. 2 lit. a) der Richtlinie 2002/46/EG über Nahrungsergänzungsmittel gelten Nahrungsergänzungsmittel als Lebensmittel.

bb) Nach Art. 8 Abs. 1 HCVO dürfen nährwertbezogene Angaben nur gemacht werden, wenn sie im Anhang zur HCVO aufgeführt sind und den in der HCVO festgelegten Bedingungen entsprechen.

(1) Ausweislich des Klageantrages greift der Kläger die in der streitgegenständlichen Produktbeschreibung enthaltenen Aussagen zu den Substanzen „Eisen“, „Vitamin C“, „Kalzium“ und „B-Vitamine“ als solche nicht an, sondern wendet sich gegen die Aussagen zu „Vitalstoffen“. Bei diesen Aussagen handelt es sich um nährwertbezogene Angaben im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 HCVO.

Nach der letztgenannten Vorschrift bezeichnet der Ausdruck „nährwertbezogene Angabe“ jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Lebensmittel aufgrund der Energie (des Brennwerts), die es liefert, in vermindertem oder erhöhtem Maße liefert oder nicht liefert, oder aufgrund der Nährstoffe oder anderen Substanzen, die es enthält, in verminderter oder erhöhter Menge enthält oder nicht enthält, besondere positive Nährwerteigenschaften besitzt (BGH, Urteil vom 12.02.2015 – I ZR 36/11 – [Monsterbacke II] <juris>). Der Begriff der nährwertbezogenen Angabe ist ungeachtet dessen, dass sich zwischen nährwertbezogenen und gesundheitsbezogenen Angaben Überschneidungen ergeben können (BGH, a.a.O.), vom Begriff der gesundheitsbezogenen Angabe abzugrenzen. Während mit gesundheitsbezogenen Angaben ein Zusammenhang zwischen einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile und dem gesundheitlichen Wohlbefinden hergestellt wird, beziehen sich nährwertbezogene Angaben auf die Menge an Nährstoffen, anderen Substanzen oder Energie, die in einem Lebensmittel enthalten sind (BGH, a.a.O.). Wie die im Anhang zu Art. 8 Abs. 1 HCVO aufgeführten Angaben zeigen, sind vor allem solche Angaben als nährwertbezogen anzusehen, die sich unmittelbar auf die Energie, die das Lebensmittel liefert, oder die in diesem enthaltenen Inhaltsstoffe mit ernährungsbezogener Wirkung beziehen (BGH, a.a.O.). Nährwertbezogen sind darüber hinaus solche Angaben, die (nur) eine Sachinformation in Bezug auf einen bestimmten Nährstoff vermitteln (BGH, a.a.O.). Im Hinblick darauf, dass eine Angabe gemäß Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 HCVO auch dann nährwertbezogen ist, wenn mit ihr suggeriert oder nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, ein Lebensmittel besitze besondere positive Nährwerteigenschaften, kann eine Angabe ferner als nährwertbezogen anzusehen sein, wenn mit ihr bestimmte Assoziationen des Verbrauchers geweckt werden (BGH, a.a.O.). Da sich die besonderen positiven Nährwerteigenschaften gemäß Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 HCVO aus dem Brennwert des beworbenen Lebensmittels oder den in ihm enthaltenen Nährstoffen oder Substanzen ergeben, muss sich auch das durch die Angabe hervorgerufene Verbraucherverständnis auf eine Eigenschaft beziehen, die der durch das Lebensmittel gelieferten Energie oder einem bestimmten, in ihm enthaltenen Nährstoff oder einer anderen Substanz geschuldet ist (BGH, a.a.O.).

(a) Bei den Aussagen zu „Vitalstoffen“ handelt es sich um Angaben zu Nährstoffen und anderen Substanzen im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 lit. b) HCVO. Zu den Nährstoffen gehören nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 2 HCVO Proteine, Kohlenhydrate, Fett, Ballaststoffe, Natrium und die im Anhang der Richtlinie 90/496/EWG aufgeführten Vitamine und Mineralstoffe. „Andere Substanzen“ sind nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 3 HCVO andere Stoffe als Nährstoffe, die eine ernährungsbezogene oder physiologische Wirkung haben. Bei dem von der Beklagten verwendeten Begriff der „Vitalstoffe“ handelt es sich um einen Oberbegriff für alle vom menschlichen Körper benötigten bzw. der Gesundheit des Organismus förderlichen Substanzen mit Ausnahme derjenigen Nährstoffe, die der direkten Energiezufuhr dienen, nämlich Eiweiß, Kohlenhydrate und Fett (Senat, Urteil vom 30.04.2013 – 4 U 149/12 – <juris>, dort unter Hinweis auf: Brockhaus, Ernährung, Artikel „Vitalstoffe“, 2. Aufl. 2004). Unter Vitalstoffen sind danach Ballaststoffe, Vitamine, Mineralstoffe und Enzyme zu verstehen (Senat, a.a.O.).

Dass es sich bei dem Begriff „Vitalstoff“ nicht um die Bezeichnung einer konkreten Substanz, sondern nur um einen abstrakten Oberbegriff handelt, ist ohne Belang. Die Annahme einer „nährwertbezogenen Angabe“ im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 lit. b) HCVO setzt nicht voraus, dass die Angabe sich auf bestimmte, namentlich bezeichnete Substanzen bezieht. Dem Anhang zu Art. 8 Abs. 1 HCVO ist zu entnehmen, dass auch Angaben, die lediglich abstrakte Oberbegriffe verwenden (z.B. „gesättigte Fettsäuren“, „Ballaststoffe“, „Proteine“, „Omega-3-Fettsäuren“, „einfach ungesättigte Fettsäuren“, „mehrfach ungesättigte Fettsäuren“), als nährwertbezogene Angaben im Sinne der HCVO anzusehen sind. Der Entscheidung „Monsterbacke II“ des Bundesgerichtshofes ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Gegenstand dieser Entscheidung, in der der Bundesgerichtshof das Vorliegen einer – substanzbasierten – „nährwertbezogenen Angabe“ im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 lit. b) HCVO verneint hat, war eine allgemein gehaltene Gleichwertigkeitsbehauptung zwischen dem beworbenen Lebensmittel und einem anderen Lebensmittel, die nicht auf die Inhaltsstoffe der verglichenen Lebensmittel Bezug nahm, und zwar weder auf bestimmte, namentlich benannte Inhaltsstoffe noch auf durch abstrakte Oberbegriffe gekennzeichnete Inhaltsstoffgruppen.

(b) Die angegriffenen Werbeaussagen zu den „Vitalstoffen“ bringen zumindest mittelbar zum Ausdruck, das beworbene Nahrungsergänzungsmittel besitze besondere positive Nährwerteigenschaften. Besondere positive Nährwerteigenschaften hat ein Lebensmittel u.a. dann, wenn es Nährstoffe oder andere Substanzen in einer besonders hohen Menge enthält (Senat, a.a.O.). Bei der streitgegenständlichen Produktbeschreibung wird angegeben, dass das Mittel „sage und schreibe über 7.000 Vitalstoffe“ bzw. „über 7.000 komplett natürliche Vitalstoffe“ enthalte. Es soll „zwei der vitalstoffreichsten Lebensmittel unseres Planeten“ vereinen. Der Bestandteil Gerstengras soll „nach Meinung vieler Experten das vitalstoffreichste Lebensmittel der Welt“ sein und „weit über 3.000 Vitalstoffe“ beinhalten. Die Mikroalge „Spirulina platensis“ soll „über 4.000 natürliche Vitalstoffe“ besitzen und „damit ebenfalls zu den vitalstoffreichsten Pflanzen der Welt“ gehören. Damit wird das Lebensmittel in besonderer Weise damit beworben, dass es Vitalstoffe, also Nährstoffe und andere Substanzen wie z.B. Enzyme, in ganz besonders erhöhter Menge enthalten soll, und zwar letztlich im Superlativ in der größten denkbaren Konzentration überhaupt. Darunter kann der Verbraucher nur eine ganz besondere ernährungsbezogene oder physiologische Wirkung des Mittels verstehen (vgl. Senat, a.a.O.).

(2) Die streitgegenständliche nährwertbezogene Werbung mit dem Begriff der Vitalstoffe ist unzulässig. Dieser Begriff ist im Anhang zur HCVO nicht aufgeführt. Der Begriff der Vitalstoffe ist unspezifisch und für den wissenschaftlichen Gebrauch ungeeignet, weil er eine große Anzahl verschiedener Substanzen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen zusammenfasst. Er wird vielmehr lediglich umgangssprachlich und in der Populärliteratur verwendet (Senat, a.a.O.).

b) Die europarechtswidrige Werbung der Beklagten ist geeignet, die Interessen der Marktteilnehmer spürbar zu beeinträchtigen. Denn es geht um das hohe Schutzgut der Gesundheit der Verbraucher. Zu berücksichtigen ist auch das Ziel der HCVO, das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts in Bezug auf nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben sicherzustellen und gleichzeitig mit Blick auf eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung ein hohes Verbraucherschutzniveau zu bieten (Senat, a.a.O.).

c) Anhaltspunkte, die geeignet wären, die aufgrund des begangenen Verstoßes zu vermutende Wiederholungsgefahr entfallen zu lassen, liegen nicht vor.

2. Zahlungsanspruch (Klageantrag zu II.)

Der Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten (Kostenpauschale) findet seine Grundlage in § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG. Die von dem Kläger in Ansatz gebrachte Kostenpauschale ist der Höhe nach nicht zu beanstanden.

Der Zinsanspruch beruht auf § 288 Abs. 1 BGB.

C.

1. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

2. Die auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO beruhende Entscheidung des Landgerichts über die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits ist nicht zu beanstanden. Die Modifikation des Unterlassungsantrages in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht stellte – entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung – keine Teilrücknahme des ursprünglich in der Klageschrift angekündigten Unterlassungsantrages dar, sondern lediglich eine Klarstellung dieses Antrages ohne inhaltliche Änderung. Auch der Unterlassungsantrag aus der Klageschrift war – trotz des darin enthaltenen Wortes „insbesondere“ – lediglich auf das Verbot der konkreten Verletzungsform und etwaiger kerngleicher Verstöße beschränkt. Denn den Ausführungen in der Klageschrift lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der damals begehrte Unterlassungsausspruch darüber hinaus auch noch weitere Verhaltensweisen erfassen sollte. Die Beklagte hat zwar in ihrem Schriftsatz vom 10.12.2015 (Blatt 145 ff der Gerichtsakte) darauf hingewiesen, dass der Kläger außerprozessual die Auffassung vertreten hat, er habe in Gestalt der von ihm zunächst erwirkten und in ihrem Tenor mit dem in der Klageschrift gestellten Unterlassungsantrag übereinstimmenden einstweiligen Verfügung (Blatt 30 ff der Gerichtsakte) ein deutlich weitergehendes Verbot der Verwendung des Begriffes „Vitalstoffe“ erwirkt. Hierauf kommt es aber nicht an. Maßgeblich für die Ermittlung des Umfanges eines Klagebegehrens sind nicht außerprozessual geäußerte Auffassungen, sondern, wie sich aus § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ergibt, allein der in der Klageschrift gestellte Antrag und die hierzu in der Klageschrift gegebene Klagebegründung.

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

4. Anlass für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) besteht nicht.

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