Bachblüten dürfen nicht gesundheitsbezogen beworben werden

02. Februar 2015
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Weißes Schälchen mit Blumen steht neben einem braunen Medikament. Urteil des OLG Hamm vom 07.10.2014, Az.: 4 U 138/13

Die gesundheitsbezogene Werbung für Bachblüten ist unzulässig, da sie gegen die Vorgaben der HCVO verstößt. Werbeaussagen wie "werden gerne in emotional aufregenden Situationen verwendet" und "Bachblüten können uns unterstützen, emotionalen Herausforderungen zu begegnen" zielen auf das seelische Gleichgewicht ab, welches neben dem gesundheitsbezogenen Wohlbefinden ebenfalls unter den Gesundheitsbegriff der HCVO fällt. Da der Werbung jedoch keine der zugelassenen, speziell gesundheitsbezogenen Angaben aus der Liste der HCVO beigefügt wurde, ist sie wettbewerbswidrig.

Oberlandesgericht Hamm

Urteil vom 07.02.2014

Az.: 4 U 138/13

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 27.08.2013 verkündete Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es unter Ziffer I.1. der Urteilsformel des angefochtenen Urteils statt „aus fünf Originalessenzen“ richtig lauten muss: „aus fünf Original Bach®-Blütenessenzen“.

Die Kosten des Berufungsverfahrens – mit Ausnahme der durch die Nebenintervention verursachten Kosten – trägt der Beklagte. Die durch die Nebenintervention verursachten Kosten trägt die Nebenintervenientin.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 35.000,00 € abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.

Der Kläger ist ein Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder gehört, hierbei insbesondere die Sorge dafür, dass die Regeln des lauteren Wettbewerbs eingehalten werden.

Die dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetretene Nebenintervenientin fungiert als deutsche Vertriebsgesellschaft für die von der britischen „Bach Flower Remedies Ltd.“ hergestellten „Original Bach-Blütenprodukte“. Die sogenannten „Bach-Blütenprodukte“ wurden nach den Angaben der Nebenintervenientin in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts von dem Briten Edward Bach aus den Blüten wild wachsender Pflanzen und Bäume entwickelt. Es handelt sich hierbei im Wesentlichen um eine aus 38 verschiedenen „Blütenessenzen“, die in einzelnen Fläschchen verkauft werden, bestehende Produktserie sowie eine fertige Mischung aus fünf verschiedenen „Blütenessenzen“, die unter der Bezeichnung „RESCUE®“ angeboten wird.

Der Beklagte betreibt in S-X eine Apotheke sowie eine Versandapotheke. Als Versandhändler beliefert er (jedenfalls auch) Verbraucher. Zu seinem Sortiment gehören u.a. Bach-Blütenprodukte aus dem Angebot der Nebenintervenientin.

Im November 2012 versandte der Beklagte an Kunden seiner Versandapotheke ein mit der Überschrift „Der Winter kann kommen !“ versehenes Werberundschreiben (Anlage K1 zur Klageschrift), in dem er u.a. für Bach-Blütenprodukte warb. Diese Werbung wird in dem Rundschreiben zunächst mit folgendem Text eingeleitet:

„Bach®-Blüten

Gelassen und stark durch den Tag

RESCUE® – Die Original Bach®-Blütenmischung !

Der Engländer Edward Bach konzipierte die bekannte Original RESCUE®-Mischung aus fünf Original Bach®-Blütenessenzen in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Original RESCUE® wird heute von Verbrauchern in über 45 Ländern in emotional aufregenden Situationen wie z.B. einer Flugreise, einer Prüfung, einem Zahnarzttermin oder Herausforderungen im Alltag verwendet.“

Unter diesem Text folgt – wiederum untereinander – die Darstellung mehrerer konkreter Einzelprodukte bzw. Produktsets. Zunächst findet sich das Angebot für ein Produktset, bestehend aus „Original RESCUE® Tropfen, 20 ml, PZN: 0018230, in der traditionellen Pipettenflasche“ und einer „Original RESCUE® Creme, 30g“ (Tubenverpackung). Zu den Tropfen heißt es in dem Angebot: „(…) wird gerne in emotional aufregenden Situationen, z.B. im Job, verwendet. Alkoholgehalt 27% vol.“

Die Werbung schließt ab mit folgendem Angebot:

„Bach®-Blüten Einzelessenzen, Nr. 1-38, je 20 ml

ORIGINAL BACH®-BLÜTENESSENZEN, je 20 ml

können uns unterstützen, emotionalen Herausforderungen zu begegnen – einzeln verwendbar oder für eine eigene Mischung. Alkoholgehalt 27% vol.“

Neben diesem Angebot sind drei Pipettenfläschchen abgebildet, auf deren Etiketten u.a. die Worte „Chicory“, „Holly“ bzw. „Olive“ zu lesen sind. Die Werbung des Beklagten ging auf ihm von der Nebenintervenientin zur Verfügung gestellte Werbemittel und Werbevorlagen zurück.

Der Kläger mahnte den Beklagten wegen des Inhaltes des vorerwähnten Werberundschreibens mit Schreiben vom 04.12.2012 (Anlage K2) ab. Der Beklagte nahm hierzu mit Schriftsatz seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 13.12.2012 (Anlage K3) Stellung.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Werbung des Beklagten sei irreführend im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LFGB, weil den – als Lebensmittel anzusehenden – Bach-Blütenessenzen Wirkungen beigelegt würden, die ihnen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukämen oder die zumindest wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert seien. Zudem handele es sich bei den Werbeaussagen in dem Werberundschreiben um gesundheitsbezogene Angaben im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (im Folgenden: HCVO). Diese Angaben seien nach Art. 10 Abs. 1 HCVO verboten, weil sie nicht in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß Art. 13 und Art. 14 HCVO aufgenommen seien. Überdies seien gesundheitsbezogene Angaben für Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent nach Art. 4 Abs. 3 HCVO prinzipiell verboten.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu werben:

1. für Bach-Blütenprodukte:

„Gelassen und stark durch den Tag

RESCUE® – Die Original Bach®-Blütenmischung !

Der Engländer Edward Bach konzipierte die bekannte Original RESCUE®-Mischung aus fünf Originalessenzen in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Original RESCUE® wird heute von Verbrauchern in über 45 Ländern in emotional aufregenden Situationen wie z.B. einer Flugreise, einer Prüfung, einem Zahnarzttermin … verwendet“;

2. für „Original Rescue Tropfen“:

„… wird gerne in emotional aufregenden Situationen, z.B. im Job, verwendet“;

3. für „Original Bach Blütenessenzen“:

„… können uns unterstützen, emotionalen Herausforderungen zu begegnen“;

sofern dies jeweils geschieht wie aus der Werbung gemäß Anlage K1 ersichtlich;

hilfsweise,

den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu werben:

1. für Bach-Blütenprodukte:

„Gelassen und stark durch den Tag

RESCUE® – Die Original Bach®-Blütenmischung !

Der Engländer Edward Bach konzipierte die bekannte Original RESCUE®-Mischung aus fünf Originalessenzen in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Original RESCUE® wird heute von Verbrauchern in über 45 Ländern in emotional aufregenden Situationen wie z.B. einer Flugreise, einer Prüfung, einem Zahnarzttermin … verwendet“;

2. für „Original Rescue Tropfen“:

„… wird gerne in emotional aufregenden Situationen, z.B. im Job, verwendet“;

3. für „Original Bach Blütenessenzen“:

„… können uns unterstützen, emotionalen Herausforderungen zu begegnen“;

sofern dies jeweils geschieht wie aus der Werbung gemäß Anlage K1 ersichtlich und sofern die Rescue Original Bach-Blütenmischungen und/oder Bach-Blütenessenzen einen Alkoholgehalt von 27 Volumenprozent aufweisen.

Der Beklagte hat vor dem Landgericht nicht zur Sache verhandelt. Die Nebenintervenientin hat vor dem Landgericht zur Sache verhandelt und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Nebenintervenientin hat die Auffassung vertreten, es liege keine Irreführung im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LFGB vor. Das Verbot irreführender Wirkungsangaben erfasse nur bestimmte Wirkungen eines Lebensmittels. Eine bestimmte oder auch nur bestimmbare objektive Wirkung, deren Ausbleiben der Verbraucher (oder ein Gericht) nachprüfen könne, werde mit den vom Kläger beanstandeten Werbeaussagen indes nicht behauptet. Der Verbraucher könne sich dementsprechend auch nicht getäuscht fühlen. Bei den streitgegenständlichen Werbeaussagen handele es sich auch nicht um gesundheitsbezogene Angaben im Sinne der HCVO. Die beanstandeten Werbeaussagen bezögen sich lediglich auf alltägliche Situationen und Stimmungen und das von dem Gesundheitsbegriff der HCVO nicht umfasste allgemeine – nicht gesundheitsbezogene – Wohlbefinden. Es gehe nicht um die Einwirkung auf Krankheitserreger oder Körperfunktionen, sondern darum, bestimmte Gefühle oder Haltungen durch die Aufnahme bestimmter Essenzen anzusprechen. Derartiges „Mood-Food“ kenne der Verbraucher mittlerweile von einer Vielzahl von Lebensmitteln, die im Zusammenhang mit Gefühls- oder Gemütszuständen beworben würden, wie z.B. „so fühl ich mich wohl“-Kaugummi, „Gute Laune Drops“ oder „Trostschokolade“. Die Werbeaussage erschöpfe sich dort – wie auch im vorliegenden Falle – darin, dass die beworbenen Lebensmittel auf bestimmte Gedanken und Gefühle bzw. auf bestimmte Gemütszustände zugeschnitten seien. Es handele sich letztlich bei den hier streitgegenständlichen Werbeaussagen um Aussagen ohne jeglichen konkreten Inhalt, die genauso gut der Bewerbung von Duftkerzen oder Badezusätzen dienen könnten.

Mit dem angefochtenen, am 27.08.2013 verkündeten Urteil hat die 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld den Beklagten nach dem vom Kläger gestellten Hauptantrag antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht ausgeführt, bei den beanstandeten Werbeaussagen handele es sich um gesundheitsbezogene Angaben im Sinne der HCVO. Die für die Verwendung dieser Angaben in Art. 10 Abs. 1 HCVO normierten Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Selbst wenn es sich lediglich um unspezifische Verweise im Sinne des Art. 10 Abs. 3 HCVO handeln sollte, seien die Werbeaussagen unzulässig. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 10 Abs. 3 HCVO seien nicht erfüllt. Die Norm sei auch bereits anwendbar, was sich aus der Übergangsvorschrift in Art. 28 Abs. 6 HCVO ergebe.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Die Nebenintervenientin nimmt auch am Berufungsverfahren auf Seiten des Beklagten, der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht aufgetreten ist, teil.

Die Nebenintervenientin wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend führt sie aus, Art. 10 Abs. 3 HCVO sei – entgegen der Auffassung des Landgerichts – noch nicht anwendbar, weil die Erstellung der Listen zugelassener gesundheitsbezogener Angaben noch nicht abgeschlossen sei.

Die Nebenintervenientin beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und stellt seinen Klageantrag dahingehend klar, dass es unter Ziffer 1. statt „aus fünf Originalessenzen“ richtig lauten muss: „aus fünf Original Bach®-Blütenessenzen“.

Soweit in den vorstehenden Ausführungen Fundstellen in der Gerichtsakte angegeben sind, wird wegen der Einzelheiten auf die dort befindlichen Dokumente verwiesen.

B.

Die – zulässige – Berufung ist unbegründet. Die Klage ist zulässig und mit dem von dem Kläger gestellten Hauptantrag begründet. Einer Erörterung des auf die Regelung in Art. 4 Abs. 3 HCVO abzielenden Hilfsantrages bedarf es daher nicht.

I. Die Klage ist zulässig. Der Kläger ist insbesondere klagebefugt nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, was die Nebenintervenientin auch nicht in Zweifel zieht.

II. Die Klage ist mit dem Hauptantrag begründet. Der mit dem Hauptantrag geltend gemachte Unterlassungsanspruch findet seine Grundlage in § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3, § 4 Nr. 11 UWG iVm Art. 10 Abs. 3 HCVO.

1. Die vom Kläger beanstandeten Werbeaussagen verstoßen gegen Art. 10 Abs. 3 HCVO.

a) Nach Art. 10 Abs. 3 HCVO sind Verweise auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile eines Nährstoffes oder Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden nur zulässig, wenn ihnen eine in einer der Listen nach Art. 13 HCVO oder Art. 14 HCVO enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist (sogenanntes „Koppelungsgebot“).

b) Die Regelung in Art. 10 Abs. 3 HCVO stellt eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG dar (Senat, WRP 2014, 961 [Vitalisierend]).

c) Die streitgegenständlichen Werbeaussagen werden den Vorgaben des Art. 10 Abs. 3 HCVO nicht gerecht.

aa) Der Anwendungsbereich der HCVO ist eröffnet. Bei den streitgegenständlichen Produkten (Bach-Blüten-Tropfen) handelt es sich um Lebensmittel im Sinne des Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und damit auch um Lebensmittel im Sinne der HCVO (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a) HCVO).

bb) Bei den vom Kläger angegriffenen Werbeaussagen handelt es sich um „Verweise auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile eines Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden“ im Sinne des Art. 10 Abs. 3 HCVO.

Art. 10 Abs. 3 HCVO erfasst auf die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden bezogene Aussagen, die – wie die hier streitgegenständlichen Werbeaussagen – wegen ihrer allgemeinen und unspezifischen Formulierungen nicht Gegenstand eines Zulassungsverfahrens nach Art. 13 ff HCVO sein könnten (BGH, WRP 2013, 1179 [Vitalpilze]).

Die Gesundheit bzw. das gesundheitsbezogene Wohlbefinden im Sinne der HCVO sind abzugrenzen vom „allgemeinen Wohlbefinden“ (BGH, WRP 2011, 344 [Gurktaler Kräuterlikör]). Lediglich auf das allgemeine Wohlbefinden bezogene Werbeaussagen werden von den Regelungen der HCVO nicht erfasst. Die Frage, ob eine Aussage auf die Gesundheit oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden abzielt, ist anhand der in Art. 13 Abs. 1 HCVO und Art 14 HCVO aufgeführten Fallgruppen zu beurteilen (BGH, WRP 2014, 1184 [Original Bach-Blüten]; WRP 2013, 1179 [Vitalpilze]; WRP 2011, 344 [Gurktaler Kräuterlikör]). Dazu gehören nach Art. 13 Abs. 1 lit. b) HCVO auch die psychischen Funktionen oder Verhaltensfunktionen. Der Gesundheitsbegriff der HCVO umfasst damit auch das seelische Gleichgewicht (so ausdrücklich BGH, WRP 2014, 1184 [Original Bach-Blüten]). Ob eine Werbeaussage auf die Gesundheit oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden abzielt, bestimmt sich danach, in welchem Sinne der normal informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher die Aussage versteht (BGH, WRP 2014, 1184 [Original Bach-Blüten]). Art. 10 Abs. 3 HCVO lässt sich dabei nicht entnehmen, dass nur ausdrücklich formulierte Vorteilsbehauptungen als „Verweis“ im Sinne dieser Vorschrift verstanden werden können. Folgt man der Auffassung, dass es sich auch bei den „Verweisen“ im Sinne des Art. 10 Abs. 3 HCVO um gesundheitsbezogene Angaben im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO handelt (so BGH, WRP 2013, 1179 [Vitalpilze]; ebenso Senat, WRP 2014, 961 [Vitalisierend]), ergibt sich bereits unmittelbar aus der Regelung in Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 HCVO, dass nicht nur ausdrücklich formulierte Werbeaussagen erfasst sind, sondern auch solche Werbeaussagen, die den entsprechenden Inhalt lediglich suggerieren oder auch nur mittelbar zum Ausdruck bringen.

(1) An diesen Maßstäben gemessen, zielt zunächst die im Klageantrag unter 1. wiedergegebene Werbeaussage auf die Gesundheit oder zumindest auf das gesundheitsbezogene Wohlbefinden ab. Auch wenn sie keine ausdrücklich formulierte Wirkungsbehauptung enthält, so suggeriert sie zumindest – durch den Hinweis auf die Verwendung durch „Verbraucher in über 45 Ländern“ – eine Wirkung der beworbenen Produkte bei Flugangst, Prüfungsangst oder Angst vor einem Zahnarzttermin. Wer unter derartigen Ängsten leidet, befindet sich nach dem Verständnis eines normal informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers gerade nicht mehr im seelischen Gleichgewicht und ist damit – im Sinne der HCVO – in seiner Gesundheit oder zumindest seinem gesundheitsbezogenen Wohlbefinden beeinträchtigt. Für die Überwindung derartiger Ängste bieten Ärzte und Psychotherapeuten sogar spezielle Therapieprogramme an.

Die hier zu beurteilende Werbeaussage unterscheidet sich von Werbeaussagen wie z.B. „so fühl ich mich wohl“-Kaugummi, „Gute Laune Drops“ oder „Trostschokolade“. Durch die letztgenannten Aussagen wird lediglich das allgemeine Wohlbefinden des Verbrauchers – unterhalb der Schwelle einer Störung des seelischen Gleichgewichts – angesprochen, zumal die Stimmungslage des Konsumenten bei den letztgenannten Produkten nach dem Verkehrsverständnis auch lediglich durch das geschmackliche Erlebnis oder die (entspannte) Situation beim Verzehr angesprochen wird, während bei den hier streitgegenständlichen Produkten nicht zuletzt durch die Art ihrer Verpackung (Pipettenfläschchen) eine medikamentenähnliche Wirkweise suggeriert wird.

Nicht zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass jedenfalls nach dem Verständnis der mit der Bach-Blüten-Theorie vertrauten Kreise Bach-Blüten-Präparate nach den Vorstellungen des britischen Arztes Dr. Edward Bach körperlichen Krankheiten durch Wiederherstellung des seelischen Gleichgewichts entgegenwirken sollen und ungeachtet dessen, dass ihre medizinische Wirksamkeit wissenschaftlich nicht gesichert ist und die Bach-Blüten-Therapie mangels empirischer Anhaltspunkte für ihre Wirksamkeit nicht auf rationalen Erwägungen beruht, mittelbar der Gesundheit durch die Beseitigung seelischer Disharmonien dienen sollen (BGH, WRP 2014, 1184 [Original Bach-Blüten]).

(2) Nichts anderes gilt für die im Klageantrag unter 2. und 3. wiedergegebenen Aussagen. Auch wer sich in einer „emotional aufregenden Situation im Job“ befindet oder einer „emotionalen Herausforderung“ gegenübersteht, befindet sich nach dem Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise nicht mehr im seelischen Gleichgewicht. Überdies verweisen die genannten Formulierungen auch (konkludent) auf die in dem beanstandeten Werbeauftritt quasi „vor die Klammer gezogenen“ und im Klageantrag unter 1. zitierten Werbeaussagen.

cc) Den streitgegenständlichen Werbeaussagen ist – entgegen Art. 10 Abs. 3 HCVO – keine nach Art. 13 HCVO oder Art. 14 HCVO zugelassene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt.

d) Art. 10 Abs. 3 HCVO ist auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar. Denn ausweislich Art. 29 HCVO gilt die HCVO – und damit auch Art. 10 Abs. 3 HCVO – ab dem 01.07.2007.

aa) Der Auffassung, Art. 10 Abs. 3 HCVO sei nicht anwendbar, solange die Listen zugelassener gesundheitsbezogener Angaben nach Art. 13 HCVO oder Art. 14 HCVO noch nicht (vollständig) erstellt sind (so u.a. BGH, WRP 2013, 1179 [Vitalpilze]), schließt sich der Senat nicht an. Der Senat hat dies bereits in seiner Entscheidung WRP 2014, 961 (Vitalisierend), ausgeführt, dort allerdings noch offengelassen, ob möglicherweise ausnahmsweise im Falle von pflanzlichen Stoffen (sogenannten „Botanicals“) von einer nur eingeschränkten Anwendbarkeit des Art. 10 Abs. 3 HCVO auszugehen ist. Der Senat stellt nunmehr klar, dass er auch im Falle sogenannter „Botanicals“ – zu Gunsten des Beklagten und der Nebenintervenientin unterstellt der Senat an dieser Stelle, dass die hier streitgegenständlichen Produkte dieser Produktgruppe zugehörig sind – von einer uneingeschränkten Anwendbarkeit des Art. 10 Abs. 3 HCVO ausgeht. Der Senat nimmt hierzu zunächst Bezug auf seine Ausführungen in der Entscheidung WRP 2014, 961 (Vitalisierend), und führt ergänzend noch Folgendes aus:

(1) Dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 3 HCVO selbst lässt sich nicht zwingend entnehmen, dass die dort getroffene Regelung die Erstellung der Listen zugelassener gesundheitsbezogener Angaben nach Art. 13 HCVO oder Art. 14 HCVO voraussetzt.

Auch aus Art. 28 HCVO, der die Übergangsmaßnahmen für die Anwendung der Regelungen der HCVO nach ihrem Inkrafttreten regelt, folgt eine derartige Einschränkung der Anwendbarkeit des Art. 10 Abs. 3 HCVO nicht. Die Vorschrift dient namentlich der Beseitigung oder Abmilderung von unangemessenen Härten, die sich für die Hersteller und Vertreiber von Produkten, die von der HCVO erfasst werden, bei einer sofortigen und einschränkungslosen Anwendbarkeit sämtlicher Regelungen der Verordnung nach ihrem Inkrafttreten ergäben. Eine die Anwendbarkeit des Art. 10 Abs. 3 HCVO bis zur (vollständigen) Erstellung der Listen zugelassener gesundheitsbezogener Angaben nach Art. 13 HCVO oder Art. 14 HCVO einschränkende Übergangsregelung enthält Art. 28 HCVO indes nicht.

(2) Auch der Entstehungsgeschichte des Art. 10 Abs. 3 HCVO lässt sich eine Einschränkung seiner Anwendbarkeit nicht entnehmen.

Nach Art. 11 Nr. 1 Buchst. a) des ursprünglichen Entwurfs der Verordnung sollten Angaben, die auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile des Nährstoffs oder Lebensmittels in Bezug auf allgemeine Gesundheit und Wohlbefinden verweisen, generell nicht zulässig sein. Da dieses Verbot als zu weit empfunden wurde, hat es nur in einer eingeschränkten Form Eingang in den Art. 10 Abs. 3 der HCVO gefunden (vgl. zur Entstehungsgeschichte der Norm BGH, WRP 2013, 1179 [Vitalpilze]).

Dem Verordnungsgeber waren mithin im Laufe des Normgebungsverfahrens die Härten geplanter Regelungen im Hinblick auf die vom jetzigen Art. 10 Abs. 3 HCVO erfassten Werbeaussagen durchaus bewusst. Es hätte nahegelegen, dass der Verordnungsgeber – wenn er eine solche Regelung hätte treffen wollen – in der HCVO ausdrücklich normiert, dass Art. 10 Abs. 3 HCVO erst mit der (vollständigen) Erstellung der Listen nach Art. 13 HCVO oder Art. 14 HCVO anwendbar sein soll. Dies hat er indes – wie bereits ausgeführt – nicht getan.

(3) Auch unter teleologischen Gesichtspunkten lässt sich eine eingeschränkte Anwendbarkeit des Art. 10 Abs. 3 HCVO nicht begründen. Der Argumentation, im Falle einer sofortigen uneingeschränkten Anwendbarkeit der vorgenannten Norm enthielte die HCVO insoweit entgegen dem Willen des Verordnungsgebers, wie er in den Übergangsregelungen ihres Art. 28 eindeutig zum Ausdruck komme, zunächst eine strengere Regelung als später (so BGH, WRP 2013, 1179 [Vitalpilze]), vermag der Senat im Ergebnis nicht zu folgen. Der Verordnungsgeber hat in Art. 28 HCVO gerade keine die Anwendbarkeit des Art. 10 Abs. 3 HCVO einschränkende Übergangsregelung getroffen. Es trifft zu, dass die HCVO im Hinblick auf die von Art. 10 Abs. 3 HCVO erfassten Werbeaussagen nach der hier vertretenen Auffassung zunächst eine strengere Regelung als später enthält. Dass dies dem Sinn und Zweck der HCVO widerspricht, ist indes nicht erkennbar. Gerade aus der oben dargestellten Entstehungsgeschichte des Art. 10 Abs. 3 HCVO spricht ein besonderes Misstrauen des Verordnungsgebers gegenüber nichtspezifischen – und deshalb im Einzelnen letztlich wissenschaftlich nicht auf ihre Richtigkeit überprüfbaren – Gesundheitsverweisen. Dem Kernziel der HCVO, gesundheitsbezogene Werbeaussagen nur insoweit zuzulassen, als sie durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise abgesichert sind (vgl. Art. 6 Abs. 1 HCVO), widerspräche es, die Regelung in Art. 10 Abs. 3 HCVO bis zur (vollständigen) Erstellung der Listen nach Art. 13 HCVO oder Art. 14 HCVO auszusetzen.

(4) Auch die Organe der Europäischen Union gehen von einer uneingeschränkten Anwendbarkeit des Art. 10 Abs. 3 HCVO aus. Der Senat hat hierzu in seiner Entscheidung WRP 2014, 961 (Vitalisierend), bereits auf Folgendes hingewiesen:

„(…) Für eine Anwendbarkeit und Vollzugsfähigkeit des Art. 10 Abs. 3 HCVO schon vor vollständiger Erstellung der Listen nach Art. 13 und 14 HCVO sprechen auch die Leitlinien zur Umsetzung von Art. 10 HCVO, die die Kommission nach Art. 10 Abs. 4 HCVO mit Durchführungsbeschluss vom 24.01.2013 erlassen hat (DB 2013/63/EU). In der Einleitung der Leitlinien heißt es mit näheren Ausführungen einschränkungslos, dass Art. 10 HCVO zu beachten ist. Die Leitlinien beziehen sich zu Punkt 3. zudem explizit auf Art. 10 Abs. 3 HCVO. Von einer Unanwendbarkeit der Vorschrift bis zur vollständigen Erstellung der Listen ist dort keine Rede. (…) Auch der Gerichtshof der Europäischen Union zieht in seinem Urteil vom 10.04.2014 – C-609/12 – (BeckRS 2014, 80708) eine Anwendbarkeit des Art. 10 Abs. 3 HCVO jedenfalls in Betracht, obwohl die Liste nach Art. 13 Abs. 3 HCVO noch nicht vollständig vorliegt. So heißt es unter Rdnr. 36 des Urteils: „Unbeschadet einer etwaigen Anwendung von Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1924/2006 …“. (…)“

bb) Der Senat legt die Frage nach der Anwendbarkeit des Art. 10 Abs. 3 HCVO dem Gerichtshof der Europäischen Union nicht nach Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vor. Ohne Zweifel handelt es sich bei der hier in Rede stehenden Rechtsfrage zwar um eine Frage der Gültigkeit und der Auslegung einer Handlung von Organen der Union. Eine Vorlagepflicht normiert Art. 267 AEUV indes nur für letztinstanzlich entscheidende Gerichte – hier also das Revisionsgericht in einem etwaigen Revisionsverfahren -. Angesichts der vorzitierten Äußerungen der Kommission und des Gerichtshofes der Europäischen Union, die die hier vertretene Auffassung stützen, sieht der Senat von einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union ab.

2. Die europarechtswidrige Produktbewerbung ist auch geeignet, den Wettbewerb zum Nachteil der Wettbewerber und Verbraucher im Sinne des § 3 Abs. 1 UWG spürbar zu beeinträchtigen. Denn es geht um das hohe Schutzgut der Gesundheit der Verbraucher. Zu berücksichtigen ist auch das Ziel der HCVO, das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts in Bezug auf nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben sicherzustellen und gleichzeitig mit Blick auf eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung ein hohes Verbraucherschutzniveau zu bieten (vgl. die Erwägungsgründe 1 und 36 zur HCVO; siehe auch bereits Senat, WRP 2014, 961 [Vitalisierend]).

3. Gründe, die geeignet sind, die Wiederholungsgefahr auszuschließen, sind nicht ersichtlich.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO.

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