Keine sofortige Veröffentlichung von Hygienemängeln von Amtswegen im Internet
Eigener Leitsatz:
Gemäß § 40 Abs. 1 a Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) kann eine Behörde die Öffentlichkeit über einen Hygieneverstoß in Gaststätten informieren, sofern berechtigte Tatsachen vorliegen. Bei einer Bekanntmachung von Hygienedefiziten ist jedoch der wirtschaftliche Erfolg der Gaststätte erheblich gefährdet. In dem zu entscheidenden Fall diente die Veröffentlichung jedoch nicht mehr dazu, die Verbraucher vor einer andauernden Gesundheitsgefahr zu warnen, da in der Veröffentlichung selbst schon aufgeführt war, dass bei einer Nachkontrolle der Betrieb „weitestgehend wieder sauber“ war. Außerdem lagen zum Entscheidungszeitpunkt auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass trotz zwischenzeitlicher Mängelbeseitigung in naher Zukunft erneut mit erheblichen Hygienemängeln zu rechnen sei. Vor diesem Hintergrund überwiegt noch das Interesse des Betriebes, dass vorläufig von der Veröffentlichung der festgestellten Hygienemängel abgesehen werde, gegenüber dem Interesse der Öffentlichkeit an der Information über derartige Missstände.
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss vom 13.02.2013
Az.: 6 B 10035/13
hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 13. Februar 2013,
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Trier vom 18. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg.
Die von ihr dargelegten Gründe, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein den Gegenstand der Überprüfung durch den Senat bilden, führen bereits deshalb nicht zu einer von dem angefochtenen Beschluss abweichenden Entscheidung, da Bedenken gegen die Vereinbarkeit von § 40 Abs. 1a Nr. 2 des Lebensmittel‑, Bedarfsgegenstände‑ und Futtermittelgesetzbuchs ‑ LFGB ‑ mit Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31 vom 01.02.2002, S. 1, im Folgenden: BasisVO) bestehen, welche im vorliegenden Eilverfahren nicht hinreichend verlässlich geklärt werden können (1.). Angesichts dessen und der konkreten Umstände des Sachverhalts überwiegt das Interesse des Antragstellers daran, vorläufig von der Veröffentlichung des Ergebnisses der lebensmittelrechtlichen Kontrolle vom 8. November 2012 abzusehen, gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer solchen Information der Verbraucher (2.). Ob die Information der Öffentlichkeit über das Kontrollergebnis auch aus sonstigen Gründen unzulässig sein könnte, bleibt dahingestellt (3.).
1. Die Antragsgegnerin hat am 28. November 2012 unter der Internet-Adresse „www.(…)“ folgende Information veröffentlicht:
Kontroll-datum Produkt Beanstandung Betrieb Hinweise
08.11.2012 Geflügel, Inverkehrbringen
Fleisch, von zum
Fisch menschlichen
Gemüse Verzehr nicht Grundreinigung
Teigwaren geeigneten des Betriebs
u. a. Lebensmitteln wurde
(erheblich angeordnet;
nachteilige … Nachkontrolle
Beeinflussung im am 20.11.12:
Sinne des § 3 Betrieb
LMHV); Betrieb weitestgehend
wiederholt in wieder sauber
stark
vernachlässigtem
Hygienezustand
Aufgrund einer Verfügung des Verwaltungsgerichts hat sie die Eintragung bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Verfahrens entfernt, beabsichtigt jedoch, die Information anschließend wieder im Internet zu veröffentlichen.
Die rechtliche Grundlage für diese Veröffentlichung findet sich in § 40 Abs. 1a LFGB, der lautet:
„Die zuständige Behörde informiert die Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels sowie unter Nennung des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel oder Futtermittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch Tatsachen, im Falle von Proben nach § 39 Absatz 1 Satz 2 auf der Grundlage mindestens zweier unabhängiger Untersuchungen von Stellen nach Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004, hinreichend begründete Verdacht besteht, dass
1. in Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes festgelegte zulässige Grenzwerte, Höchstgehalte oder Höchstmengen überschritten wurden oder
2. gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens dreihundertfünfzig Euro zu erwarten ist.“
Die im vorliegenden Fall allein einschlägige Regelung unter Nr. 2 zielt darauf ab, die Verbraucher unabhängig vom Vorliegen aktueller Gesundheitsgefahren bzw. ‑risiken von Amts wegen über Verstöße gegen dem Verbraucherschutz dienende Vorschriften zu informieren und ihnen so eine Grundlage für eigenverantwortliche Konsumentscheidungen zu verschaffen (BT-Drucks. 17/7374, S. 12, 20, 25, 27; Wollenschläger, DÖV 2013, 7, 9).
Sie geht somit über Art. 10 BasisVO hinaus, der lautet:
„Besteht ein hinreichender Verdacht, dass ein Lebensmittel oder Futtermittel ein Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier mit sich bringen kann, so unternehmen die Behörden unbeschadet der geltenden nationalen oder Gemeinschaftsbestimmungen über den Zugang zu Dokumenten je nach Art, Schwere und Ausmaß des Risikos geeignete Schritte, um die Öffentlichkeit über die Art des Gesundheitsrisikos aufzuklären; dabei sind möglichst umfassend das Lebensmittel oder Futtermittel oder die Art des Lebensmittels oder Futtermittels, das möglicherweise damit verbundene Risiko und die Maßnahmen anzugeben, die getroffen wurden oder getroffen werden, um dem Risiko vorzubeugen, es zu begrenzen oder auszuschalten.“
Nach einer in der Literatur vertretenen, allerdings nicht unbestrittenen Auffassung beinhaltet diese Vorschrift eine Vollharmonisierung der Regelungen zur Information der Öffentlichkeit über Beanstandungen von Lebens- und Futtermitteln, über die nationales Recht nicht hinausgehen darf. Daher verstoße die nach § 40 Abs. 1a LFGB unabhängig vom Vorliegen aktueller Gesundheitsgefahren bzw. ‑risiken vorgeschriebene behördliche Information der Öffentlichkeit gegen Unionsrecht (vgl. Grube, LMuR 2011, 21 ff.; Becker, ZLR 2011, 391, 402; Grube/Immel, ZLR 2011, 175, 190; Voit, LMuR 2012, 9, 15 ff.; Michl/Meyer, ZLR 2012, 557, 558, 565; Puche/Meyer, in: Meyer/Streinz, LFGB‑BasisVO‑HCVO, 2. Aufl. 2012, § 40 LFGB Rn. 39; a.A. z.B. Schoch, NVwZ 2012, 1497, 1503 ff.; Seemann, a.a.O., 171 f.; Wollenschläger, DÖV 2013, 7, 8).
Die Frage, inwieweit Art. 10 BasisVO der Veröffentlichung von Ergebnissen lebens- bzw. futtermittelrechtlicher Kontrollen unabhängig von aktuellen Gesundheitsrisiken entgegensteht, ist auch Gegenstand eines beim Europäischen Gerichtshof anhängigen, auf § 40 Abs. 1 Nr. 4 LFGB bezogenen Vorabentscheidungsersuchens des Landgerichts München I (Beschluss vom 05. Dezember 2011 ‑ 15 O 9353/09 ‑, Rechtssache C-636/11 [Berger], juris). Ihre Beantwortung erfordert eine eingehende rechtliche Prüfung, die im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens angesichts seines lediglich summarischen Charakters nicht abschließend geleistet werden kann (ebenso ‑ zusätzlich im Hinblick auf verfassungsrechtliche Bedenken ‑ VGH BW, Beschluss vom 28. Januar 2013 ‑ 9 S 2423/12 ‑, juris).
2. Vor dem Hintergrund der im vorliegenden Verfahren deshalb nicht hinreichend sicher auszuräumenden Bedenken gegen die Vereinbarkeit von § 40 Abs. 1a LFGB mit Art. 10 BasisVO ist über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aufgrund einer Abwägung zwischen den Interessen des Antragstellers und denen der Allgemeinheit unter Berücksichtigung der im Falle der Gewährung oder Versagung einstweiligen Rechtsschutzes eintretenden Folgen zu entscheiden. Diese Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass die Interessen des Antragstellers in seiner konkreten Situation gegenwärtig überwiegen. Das Verwaltungsgericht hat daher der Antragsgegnerin zu Recht vorläufig untersagt, die beabsichtigte Veröffentlichung vorzunehmen.
So birgt die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Veröffentlichung die Gefahr, dass ein erheblicher Teil der Kunden des Antragstellers das von der Veröffentlichung betroffene Restaurant zukünftig meiden wird. Seine wirtschaftliche Existenz könnte deshalb unter diesen Umständen infrage gestellt sein. Diese naheliegende und schwerwiegende Beeinträchtigung wäre selbst bei einem Erfolg einer Klage im Hauptsacheverfahren kaum mehr rückgängig zu machen.
Demgegenüber wiegt das grundsätzlich berechtigte Interesse der Allgemeinheit an Informationen über die in der Vergangenheit im Restaurant des Antragstellers festgestellten Hygienemängel gegenwärtig weniger schwer. Die Veröffentlichung dient nämlich zum einen nicht dazu, die Verbraucher vor noch andauernden Gesundheitsgefahren bzw. ‑risiken zu warnen. Das kommt insbesondere im Text der von der Antragsgegnerin beabsichtigten Veröffentlichung selbst zum Ausdruck, wonach der Betrieb bei der Nachkontrolle am 20. November 2012 „weitestgehend wieder sauber“ war. Zum anderen liegen derzeit auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme vor, trotz der zwischenzeitlichen Mängelbeseitigung seien in absehbarer Zeit erneut erhebliche Hygienemängel im Restaurant des Antragstellers zu erwarten. Vielmehr lässt das Verhalten des Antragstellers erkennen, er werde nunmehr ‑ wenn auch erst nach wiederholten Kontrollen und der Verhängung eines Bußgeldes in beträchtlicher Höhe ‑ alles daransetzen, keinen Anlass für weitere Beanstandungen zu geben. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin auch ohne eine Veröffentlichung gemäß § 40 Abs. 1a LFGB die Möglichkeit, die notwendige Einhaltung der lebensmittel- und hygienerechtlichen Anforderungen mit den Mitteln des Lebensmittelrechts (vgl. z.B. § 39 Abs. 2 LFGB) durchzusetzen und so die Kunden des Antragstellers vor drohenden Nachteilen zu schützen (vgl. VGH BW, a.a.O.). Die einstweilige Zurückstellung des grundsätzlich berechtigten Informationsinteresses der Allgemeinheit hat deshalb nicht die Preisgabe schützenswerter Belange der Allgemeinheit bis zu einer abschließenden Entscheidung in einem Klageverfahren zur Konsequenz.
Bei dieser Ausgangslage überwiegt gegenwärtig noch das Interesse des Antragstellers, vorläufig von der Veröffentlichung der festgestellten Hygienemängel abzusehen, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Information der Verbraucher über solche Missstände. Sollten allerdings in Zukunft erneut erhebliche Hygienemängel im Restaurant des Antragstellers festgestellt werden, könnte dies dazu veranlassen, angesichts einer veränderten Sachlage dem Informationsinteresse der Verbraucher Vorrang gegenüber dem Schutzinteresse des Antragstellers einzuräumen.
3. Ob § 40 Abs. 1a LFGB durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (vgl. die unter 1. aufgeführten Literaturnachweise sowie den Beschluss des VGH BW, a.a.O.), kann für die vorliegende Entscheidung ebenso dahinstehen wie Einzelfragen im Zusammenhang mit der Auslegung dieser Vorschrift. Der Senat ist allerdings ‑ anders als das Verwaltungsgericht ‑ der Auffassung, dass eine Information über Hygienemängel ‑ die Wirksamkeit des § 40 Abs. 1a LFGB vorausgesetzt ‑ grundsätzlich auch dann erfolgen kann, wenn Lebensmittel zwar nicht unmittelbar unter Verwendung von ersichtlich hygienisch mangelhaften Gerätschaften und Arbeitsplatten bearbeitet wurden, sondern lediglich das Umfeld des Verarbeitungsprozesses nicht den hygienischen Anforderungen entspricht. Denn bei Lebensmitteln, die in einem solchen Umfeld hergestellt werden, kann je nach der Art des festgestellten Hygieneverstoßes ein deutlich erhöhtes Risiko für eine nachteilige Beeinflussung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 S. 1 der Lebensmittelhygieneverordnung ‑ LMHV ‑), etwa durch die Kontamination mit Schimmelpilzsporen oder Mikroorganismen über die Raumluft oder das Personal bei unzureichender Handhygiene, bestehen. Daher setzt eine Information über solche Hygienemängel nicht voraus, dass eine nachteilige Beeinflussung bestimmter Lebensmittel nachgewiesen worden ist und nur diese in der Veröffentlichung benannt werden (vgl. auch Nieders. OVG, Beschluss vom 18. Januar 2013 ‑ 13 ME 267/12 ‑, juris).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Wegen der teilweisen Vorwegnahme der Hauptsache ist eine Reduzierung des für die Hauptsache maßgeblichen Streitwerts nicht angezeigt (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).