„Mohammed-Karikaturen“ unterliegen grundsätzlich der Kunstfreiheit

22. Januar 2013
[Gesamt: 0   Durchschnitt:  0/5]
4326 mal gelesen
0 Shares

Eigener Leitsatz:

Die sogenannten „Mohammed-Karikaturen“ unterliegen grundsätzlich dem Grundrecht auf Kunstfreiheit. In ihnen ist weder eine Beschimpfung oder Verunglimpfung des muslimischen Glaubensbekenntnisses zu erkennen, noch wird mit ihnen zu Hass oder Gewalt gegen einzelne Bevölkerungsgruppen aufgefordert, womit eine Strafbarkeit gemäß §§ 166, 130 StGB entfällt. Allein die Tatsache, dass die Karikaturen „international äußerst umstritten“ sind, gibt keinen Anlass zur Untersagung der Karikaturen. Demonstrationen, auf denen solche Karikaturen gezeigt werden, stellen in der Regel keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung dar und unterliegen somit grundsätzlich dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg

Beschluss vom 17.08.2012

Az.: OVG 1 S 117.12

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. August 2012 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde tragen die Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Entscheidungsgründe:

Die Beschwerde der Antragsteller, zu denen nunmehr auch die in der Beschwerdeschrift namentlich näher bezeichneten Vorstandsmitglieder der bisher im Aktivrubrum aufgeführten Antragsteller hinzugetreten sind, ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, das für die Prüfung des angefochtenen Beschlusses maßgeblich ist (§ 146 Abs. 4 S. 3 u. 6 VwGO), rechtfertigt eine Änderung der Entscheidung nicht.

Das Verwaltungsgericht hat es abgelehnt, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der „Bürgerbewegung P…“ als Anmelderin und den Teilnehmern der Kundgebungen am 18. August 2012 vor der A… in Wedding (12.00 h), vor der A… in Neukölln (14.00 h) und vor der Neuköllner Begegnungsstätte (…16.00 h) eine Auflage zu erteilen, die das Zeigen der sogenannten „Mohammed-Karikaturen“ während der Kundgebungen untersagt, hilfsweise, das Zeigen dieser Karikaturen in Sichtweite der Moscheen und der Zugangswege zu diesen zu untersagen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es erscheine bereits zweifelhaft, ob die Antragsteller überhaupt antragsbefugt seien. Jedenfalls seien die Anträge unbegründet. Eine Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung im Wege des § 123 Abs. 1 VwGO komme mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nur in Ausnahmefällen, und zwar nur dann in Betracht, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei und dem Rechtsschutzsuchenden schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Bereits ein Anordnungsanspruch sei mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit hier nicht glaubhaft gemacht worden (§ 123 Abs. 1 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO), denn den Erlass einer versammlungsrechtlichen Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG könnten die Antragsteller nicht mit Erfolg verlangen. Die Versammlungsfreiheit habe nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergebe, dass dies zum Schutz anderer, mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig sei. Weiterhin müssten zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung "erkennbare Umstände" dafür vorliegen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei, was nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose voraussetze; bloße Vermutungen reichten nicht aus. Hiernach fehlte es bereits an der notwendigen hohen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die Voraussetzung für den Erlass einer Auflage seien, denn es stehe nicht fest, dass das Zeigen der „Mohammed-Karikaturen“ strafrechtlich relevant sei. Für die Erfüllung des Straftatbestandes des § 166 StGB fehle es erkennbar an einer „Beschimpfung“ im Sinne des Verächtlichmachens des religiösen Bekenntnisses. Zudem sei zu beachten, dass die Karikaturen unter die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG fielen, was der Verwirklichung des Straftatbestandes zusätzlich entgegenstehe. Ebenso wenig sei anzunehmen, dass allein durch das Zeigen der Mohammed-Karikaturen zum Hass oder zu Gewaltmaßnahmen gegen einzelne Bevölkerungsgruppen aufgefordert werde und damit der Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) erfüllt wäre. Schließlich sei der Umstand, dass die Verbreitung der Karikaturen „international äußerst umstritten“ sei, wie die Antragsteller im Einzelnen ausführten, keine hinreichende Tatsachengrundlage, um hier eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung anzunehmen. Schließlich stünde der Erlass einer Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG im pflichtgemäßen Ermessen des Antragsgegners, und Gründe, die hier zwingend eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit geböten und damit für eine Ermessenreduzierung auf Null sprächen, seien nicht ersichtlich.

Die Beschwerde enthält nichts, was diese Begründung durchgreifend in Frage stellen würde. Den zutreffenden rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts, wonach der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nur in Betracht kommt, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, und die Versammlungsfreiheit im Wege einer Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG nur zurückzutreten hat, wenn dies zum Schutze anderer, mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist, was bedeutet, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände dafür vorliegen müssen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, beanstandet die Beschwerde nicht. Soweit sie allein geltend macht, ein Zeigen der „Mohammed-Karikaturen“ sei „durchaus strafrechtlich relevant“, denn es fehle keineswegs an einer „Beschimpfung“ im Sinne von § 166 StGB, begründet dieses Vorbringen den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung – auch mit dem Hilfsbegehren – nicht. Zum einen vermag der Senat im Rahmen der ihm vorliegenden – hier nur eingeschränkten – Erkenntnismöglichkeiten nicht zu sehen, dass eine Darstellung der hier interessierenden Karikaturen, zumal im Rahmen einer öffentlichen, auf Meinungsdarstellung und entsprechende Kommunikation des fraglichen Anliegens zielenden Versammlung, ein Beschimpfen i.S.v. § 166 StGB schon dem Wortlaut nach erfüllen sollte. Ein Beschimpfen im genannten Sinne erfasst nicht schon jede herabsetzende Äußerung, sondern nur nach Form und Inhalt besonders verletzende Äußerungen der Mißachtung (s. im Einzelnen: LG Bochum, Beschluss vom 25. August 1988 – 6 Qs 174/88 -, NJW 1989, 727, 728 sowie etwa Fischer, StGB, Komm., § 166 StGB, Rdn. 12; entsprechend auch VG Köln, Beschluss vom 30. April 2012 – 20 L 560/12 -, Juris, Rdn. 13). Zum anderen und insbesondere setzt sich die Beschwerde nicht mit der Feststellung des Verwaltungsgerichts auseinander, wonach die fraglichen Karikaturen unter das Grundrecht der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG fallen. Dieser – im Übrigen nicht zu beanstandenden – Einordnung muss sowohl bei der Bestimmung des Tatbestandsmerkmals „Beschimpfen“ in § 166 StGB Rechnung getragen werden (vgl. entsprechend zu § 185 StGB: BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1987 – 1 BvR 313/85 -, Juris, Rdn. 22) wie auf Verfassungsebene bei der Frage, wie hier die Abwägung und Vornahme praktischer Konkordanz zwischen dem von den Antragstellern in Anspruch genommenen Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 4 GG) und den Grundrechten auf Versammlungs- und Kunstfreiheit andererseits (Art. 8 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 GG) vonstattengehen soll. Entsprechendes wird (auch) mit der Beschwerde nicht ansatzweise geleistet; dass sich hier die Religionsfreiheit der Antragsteller einfachrechtlich in der Weise durchsetzen würde, dass die Darstellung der fraglichen Karikaturen unter Hintanstellung der Versammlungs- sowie der Kunstfreiheit auf Seiten der Teilnehmer der angestrebten Versammlung in der den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung erzwingenden Weise sich als Straftat im Sinne von § 166 StGB darstellen würde, drängt sich dem Senat auch sonst nicht auf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jetzt zum Newsletter anmelden!

Erlaubnis zum Versand des Newsletters: Ich möchte regelmäßig per E-Mail über aktuelle News und interessante Entwicklungen aus den Tätigkeitsfeldern der Anwaltskanzlei Hild & Kollegen informiert werden. Diese Einwilligung zur Nutzung meiner E-Mail-Adresse kann ich jederzeit für die Zukunft widerrufen, in dem ich z. B. eine E-Mail an newsletter [at] kanzlei.biz sende. Der Newsletter-Versand erfolgt entsprechend unserer Datenschutzerklärung.

n/a