Abmahnungen wider wirtschaftliche Vernunft

07. Januar 2010
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Eigener Leitsatz:

Es ist rechtsmissbräuchlich, Abmahnungen mit dem vorwiegendem Ziel, einen Anspruch auf Erstattung von Rechtsverfolgungskosten entstehen zu lassen, auszusprechen. Dies ist immer dann der Fall, wenn eine derartige Verselbständigung stattgefunden hat, dass die Rechtsverfolgung zur ausgeübten gewerblichen Tätigkeit im krassen Missverhältnis steht. Gerade durch Verstöße mit geringer Intensität wird keine messbare Umsatzbeeinträchtigung verursacht. Der Abmahner trägt aber zugleich bei der Vielzahl der angestrengten Verfahren ein hohes Kostenrisiko, dessen wirtschaftlicher Nutzen doch eher gering ist und jeder wirtschaftlicher Vernunft widerspricht.

Landgericht Hamburg

Beschluss vom 19.01.2009

Az.: 327 O 13/09

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 7.1.2008 wird als unzulässig zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens nach einem Gegenstandswert von EUR 10.000,– zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin nimmt den Antragsgegner im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes auf Unterlassung einer unrichtigen Widerrufsbelehrung in Anspruch.

Die Antragstellerin, die ihren Sitz in Berlin hat und als Gesellschaft bürgerlichen Rechts auftritt, bietet über die Internethandelsplattform eBay ein breitgefächertes Warensortiment, wie Dekorationen aller Art, Bekleidung, Autofolien, Teddybären, PC-Spiele und Einmaltattoos an. Damit erzielte sie im Jahr 2008 einen Jahresumsatz von rund EUR 17.000, der u. a. auf monatlich 21 bis 71 eBay-Verkäufe zurückzuführen ist.

Bei der Kammer, welche ausweislich des Geschäftsverteilungsplans 2008 u. a. zuständig ist für Streitigkeiten nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in Sachen, in denen der Name des Beklagten/Antragsgegners mit den Buchstaben J – R beginnt, hat die Antragstellerin, in diesem Zeitraum insgesamt 39 Verfahren anhängig gemacht. Sämtlichen Verfahren lag dabei die Beanstandung einer unrichtigen Widerrufsbelehrung und teilweise zusätzlich eines Verstoßes gegen die im Telemediengesetz vorgesehenen Impressumspflichten zugrunde, wobei von der Antragstellerin stets vorgetragen wurde, dass der jeweilige Gegner zuvor anwaltlich abgemahnt worden sei. In den genannten Verfahren sind jeweils Gegenstandswerte zwischen EUR 5.000,– bis EUR 10.000,– festgesetzt worden.

II.
Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen. Der Antragstellerin fehlt die Antragsbefugnis, da die Inanspruchnahme des Antragsgegners als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist. Es ist nämlich davon auszugehen, dass die vorliegende Rechtsverfolgung im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG vorwiegend dazu dient, gegen den Antragsgegner einen Anspruch auf Erstattung von Rechtsverfolgungskosten entstehen zu lassen.

Dies ist grundsätzlich dann der Fall, wenn die Abmahntätigkeit sich derart verselbständigt, dass der Umfang der Rechtsverfolgungen in keinem vernünftigen Verhältnis zu der ausgeübten gewerblichen Tätigkeit steht (vgl. BGH GRUR 2001, 260, 261 – Vielfachabmahner ). Nach Auffassung der Kammer lässt eine Gesamtwürdigung der vorliegend gegebenen Umstände allein den Schluss zu, dass die von der Antragstellerin angestrengte Inanspruchnahme von Mitbewerbern – und so auch des hiesigen Antragsgegners – ganz vorrangig dem Zweck dient, entsprechende Gebührenerstattungsansprüche entstehen zu lassen. Ein sonstiges nennenswertes wirtschaftliches oder sonst schützenswertes Interesse der Antragstellerin ist nicht erkennbar. Das Ausmaß ihrer Abmahntätigkeit steht nach Auffassung der Kammer völlig außer Verhältnis zu dem Umfang ihrer gewerblichen Tätigkeit.

Zu berücksichtigen ist dabei zunächst, dass die Antragstellerin in den der Kammer bekannten Verfahren stets solche Verstöße gerügt hat, welche sich durch eine vergleichsweise geringe Eingriffsintensität auszeichnen: So sind fehlerhafte Widerrufsbelehrungen ebenso wie Impressumsverstöße zwar regelmäßig als im Sinne des § 3 UWG relevante Wettbewerbsverstöße anzusehen, da sie die Marktposition rechtstreuer Mitbewerber latent verschlechtern. Eine messbare Umsatzbeeinträchtigung des einzelnen Wettbewerbers wird durch einen solchen Verstoß jedoch nicht verursacht.

Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, dass ein deutliches Missverhältnis zwischen dem der Kammer aus den 39 bei ihr anhängig gemachten Verfahren aus dem Jahr 2008 bekannten Abmahngebahren der Antragstellerin und ihrer eigentlichen gewerblichen Tätigkeit besteht.

Dabei kann außer Betracht bleiben, dass lebensnah davon auszugehen ist, dass die Antragstellerin eine Vielzahl von weiteren Verfahren jedenfalls bei den für die Buchstaben A – H und S – Z zuständigen anderen Wettbewerbskammern des Landgerichts Hamburg angestrengt haben wird, da es fern liegend erscheint anzunehmen, dass sie nur gegen solche Wettbewerber vorgeht, deren Anfangsbuchstaben die Zuständigkeit der Kammer begründen. Es besteht auch keine Kenntnis der Kammer darüber, ob die in Berlin ansässige Antragstellerin entsprechende weitere Verfahren auch an anderen Gerichten als dem Landgericht Hamburg anhängig gemacht hat, weshalb auch diese Möglichkeit nicht berücksichtigt worden ist. Schließlich ist ebenfalls nicht in Rechnung gestellt worden, dass es über die bekannten Verfahren hinaus eine große Zahl ausgesprochener Abmahnungen der Antragstellerin geben dürfte, die eine außergerichtliche Unterwerfung und Anerkennung der Kostenlast des jeweils in Anspruch Genommenen und damit kein gerichtliches Verfahren zur Folge hatte.

Auch ohne diese zugunsten der Antragstellerin unterbliebenen Schlussfolgerungen lassen allein die der Kammer bekannten Fälle nämlich keine Zweifel darüber zu, dass die Abmahntätigkeit der Antragstellerin sich verselbständigt hat und in einem krassen Missverhältnis zu ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit steht. Verdeutlicht wird dies, wenn man das mit der Rechtsverfolgung verbundene Kostenrisiko dem Umsatz der Antragstellerin gegenüber stellt: Geht man von einem Gegenstandswert von EUR 5.000,– aus, entstehen für jedes durchgeführte Verfahren, dem eine Abmahnung der Antragstellerin vorausgeht und in welchem es letztlich zu einem erstinstanzlichen Urteil kommt, Gerichtsgebühren in Höhe von EUR 363,–, Rechtsanwaltsgebühren auf beiden Seiten in Höhe von jeweils EUR 752,50 (1,3-fache Verfahrens- und 1,2-fache Terminsgebühr) jeweils zuzüglich Auslagenpauschale sowie eine 1,3-fache Geschäftsgebühr für die vorgerichtliche Abmahnung, die zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr angerechnet wird, mithin Gebühren in Höhen von insgesamt mehr als EUR 2.100,–. In dieser Höhe besteht für die Antragstellerin, verfolgt sie solche Wettbewerbsverstöße in dieser Weise, somit jeweils ein Kostenrisiko. Dieses übersteigt, legt man nur die 39 bei der Kammer im Jahr 2008 betriebenen Verfahren zu Grunde, den Jahresumsatz der Antragstellerin von rund EUR 17.000,–, der sich zudem auf eine ganze Reihe verschiedener Warengruppen verteilt, um ein Vielfaches.

Ein solches Kostenrisiko für die Durchsetzung von Ansprüchen in Kauf zu nehmen, deren wirtschaftlicher Wert für die Antragstellerin schwer messbar, aber wegen des beschränkten Umfanges ihrer gewerblichen Tätigkeit äußerst gering sein dürfte, widerspricht jeder wirtschaftlichen Vernunft und lässt sich nur damit begründen, dass es der Antragstellerin in Wahrheit darauf ankommt, in rechtsmissbräuchlicher Weise Gebührenerstattungsansprüche in hohem Umfang zu begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

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