Kein presserechtliches Zeugnisverweigerungsrecht im Verwaltungsrecht

19. September 2014
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Beschluss des OVG Lüneburg vom 21.07.2014, Az.: 10 OB 49/14

Das erweiterte strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht für Pressevertreter ist auf verwaltungsgerichtliche Verfahren nicht im Wege der Analogie übertragbar. Hinsichtlich eigener berufsbezogener Wahrnehmungen steht einem Pressevertreter im verwaltungsgerichtlichen Verfahren daher kein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Eine Erweiterung des Weigerungsrechts im Einzelfall zur Wahrung der Pressefreiheit ist jedenfalls dann nicht geboten, wenn der Pressvertreter als Zeuge vor Gericht eine Aussage bestätigen oder widerrufen soll, die unter seinem Namen bereits veröffentlicht worden ist.

Oberverwaltungsgericht Lüneburg

Beschluss vom 21.07.2014

Az.: 10 OB 49/14

Tenor

Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg – 5. Kammer – vom 2. Juni 2014 wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde ist zulässig.

Das gilt unabhängig davon, ob die Entscheidung über das Recht, das Zeugnis zu verweigern (§§ 98 VwGO, 383 ff. ZPO), durch Beschluss zu treffen ist, wie das Verwaltungsgericht angenommen hat (ebenso Geiger, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl., § 98, Rn. 9; Kreuter-Kirchhof, in: Gärditz, VwGO, § 98, Rn. 29, Fn. 64, jeweils m. w. N.), oder ob ein Zwischenurteil ergehen muss (§§ 98 VwGO, 387, 303 ZPO; vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 8.9.1977 – 5 B 128/76 -, OVGE 33, 431 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl., § 98, Rn. 11, m. w. N.). In beiden Fällen ist als Rechtsmittel die Beschwerde statthaft (§ 146 Abs. 1 VwGO, § 98 VwGO i. V. m. § 387 Abs. 3 ZPO, vgl. auch zum Folgenden: OVG Berlin, Beschl. v. 9.2.1994 – 8 L 3.94 -, OVGE BE 20, 216 ff.; hier zit. nach juris). Bei dieser Sachlage bedurfte es auch keiner Durchführung eines förmlichen Abhilfeverfahrens (vgl. Happ, in: Eyermann, a. a. O., § 148, Rn. 1,8; Jeromin, in: Gärditz, a.a.O., § 148, Rn. 10).

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das vom Beschwerdeführer in Anspruch genommene umfassende Zeugnisverweigerungsrecht besteht nicht.

Ein solches Weigerungsrecht ergibt sich zunächst nicht aus der von ihm geltend gemachten fehlenden Bestimmtheit des Beschlusses vom 2. Juni 2014. Dabei braucht nicht geklärt zu werden, ob hierüber im diesem Zwischenstreit überhaupt zu entscheiden ist. Jedenfalls ist die – in § 98 VwGO für den Inhalt eines Beweisbeschlusses in Bezug genommene – Vorschrift des § 359 Nr. 1 ZPO im Hinblick auf den im Verwaltungsgerichtsprozess geltenden Untersuchungsgrundsatz nur entsprechend anzuwenden. Es bedarf deshalb in einem verwaltungsgerichtlichen Beweisbeschluss nicht der Bezeichnung konkreter Tatsachen. Vielmehr reicht es aus, wenn der Beweisbeschluss die Richtung erkennen lässt, in der das Gericht die Beweisaufnahme für nötig erachtet (BVerwG, Beschl. v. 2.12.1987 – 9 B 229/87 -, Buchholz 310 § 98 Nr. 32, juris, sowie für das finanzgerichtliche Verfahren auch BFH, Beschl. v. 22.6.2006 – V B 155/05 -, juris). Hieran gemessen reichte es, soweit es nach § 98 VwGO i. V. m. § 358 ZPO überhaupt eines Beweisbeschlusses bedurfte, vorliegend aus, in dem Beschluss als Thema die Tatsache zu benennen, ob “auf der Versammlung der Klägerin gehaltene Redebeiträge akustisch wahrnehmbar waren“.

Zu diesem Beweisthema steht dem Kläger das von ihm geltend gemachte umfassende Zeugnisverweigerungsrecht nicht zu.

Da das Verwaltungsgericht zum gleichen Thema bereits mehrere andere Zeugen über ihre jeweils eigenen Eindrücke vernommen hat, soll auch der Beschwerdeführer als Zeuge über eigene Wahrnehmungen und nicht als Zeuge vom Hörensagen über die Wahrnehmung Dritter aussagen.

Insoweit steht ihm nach dem Wortlaut des gemäß § 98 VwGO entsprechend anwendbaren, hier allein in Betracht kommenden § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ersichtlich kein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Das dort geregelte Weigerungsrecht beschränkt sich auf die u.a. einem Redakteur im Hinblick auf seine Tätigkeit gemachte Mitteillungen Dritter, schließt aber eigene (berufsbezogene) Wahrnehmungen nicht ein.

Die insoweit weitergehende Regelung des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Satz 2 und 3 StPO ist auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren nicht im Wege der Analogie übertragbar. Es fehlt schon die dafür erforderliche planwidrige Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat im Jahr 2002 durch das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung (BGBl. I 2002, S. 682) das bis dahin (vgl. zur vorherigen Rechtslage die Darstellung bei Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 6. Aufl., 2012, S. 212 f.) bundeseinheitlich in den Verfahrensordnungen normierte Zeugnisverweigerungsrecht bewusst nur für das Strafverfahrensrecht erweitert und damit zugleich das entsprechende strafprozessuale Beschlagnahmerecht begrenzt, aber weder damals noch seitdem die dadurch bedingten Unterschiede in den Verfahrensordnungen verkannt. Zudem mangelt es auch an der für eine Analogie weiterhin erforderlichen Ähnlichkeit der Regelungsbereiche. Das auf selbst recherchiertes Material erweiterte strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht besteht nämlich nach § 53 Abs. 1 und 2 StPO nicht umfassend. Vielmehr unterliegt es den Schranken des § 53 Abs. 2 Satz 2 StPO, von denen wiederum in Satz 3 eine teilweise Rückausnahme enthalten ist. Die Ausnahme in Satz 2 stellt u.a. darauf ab, ob die Aussage des Betroffenen zur Aufklärung eines Verbrechens oder enumerativ genannter Vergehen beitragen soll. Die Aufklärung von Straftaten ist jedoch grundsätzlich nicht Aufgabe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Ebenso wenig lässt sich aus der Aufzählung in § 53 Abs. 2 Satz 2 StPO sonst ein klarer und handhabbarer Maßstab für die Frage entnehmen, welchen verwaltungsgerichtlichen Verfahren bei einer entsprechenden Anwendung ggf. eine so hohe Bedeutung beizumessen wäre wie der Aufklärung von Verbrechen oder den genannten Vergehen im Strafverfahren. Schließlich ginge auch die Annahme fehl, verwaltungsgerichtlichen Verfahren komme generell nur ein so geringes Gewicht zu, dass bei entsprechender Anwendung des § 53 Abs. 2 Satz 2 StPO stets ein Verweigerungsrecht zu bejahen sei. Ob einer analogen Anwendung der Norm zusätzlich entgegensteht, dass sie bereits für den ausdrücklich geregelten Bereich des Strafverfahrens zu weit gehe (vgl. insbesondere Kunert, NStZ 2002, 169 ff.), kann deshalb offen bleiben.

Es überschreitet den Rahmen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung, das presserechtliche Zeugnisverweigerungsrecht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren über die in § 98 VwGO i. V. m. § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO geregelten Fälle hinaus richterrechtlich selbst generell zu erweitern (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.10.1987 – 2 BvR 1434/86 -, BVerfGE 77, 65 ff., juris, Rn. 29). Dagegen spricht zusätzlich , dass das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 12.10.2011 – 2 BvR 236/08, 2 BvR 237/08, 2 BvR 422/08 -, BVerfGE 129, 208 ff., juris, Rn. 268, m. w. N) “für Presse- und Medienvertreter bereits mehrfach betont hat, dass ein genereller und keiner Abwägung unterliegender Schutz gegenüber strafprozessualen Maßnahmen nicht in Betracht kommt, weil bei der Gewichtung der Medienfreiheit im Verhältnis zu dem Gebot funktionstüchtiger Strafrechtspflege keinem der verfolgten Interessen abstrakt ein eindeutiger Vorrang gebührt. Der Gesetzgeber ist weder gehalten, noch steht es ihm frei, der Presse- und Rundfunkfreiheit den absoluten Vorrang vor anderen wichtigen Rechtsgütern einzuräumen, wie etwa dem hier in Rede stehenden Gebot der Wahrheitserforschung im Strafprozess“. Dieser Grundsatz steht auch der sinngemäß vom Beschwerdeführer vertretenen Annahme entgegen, Medienvertretern stehe in verwaltungsgerichtlichen Verfahren generell ein Recht zur Zeugnisverweigerung u.a. hinsichtlich berufsbezogener eigener Wahrnehmungen zu.

Ob stattdessen eine dahingehende Erweiterung des Zeugnisverweigerungsrechts im Einzelfall zur Wahrung der Pressefreiheit geboten sein kann und möglich ist, braucht vorliegend nicht geklärt zu werden. Denn ein solcher Fall ist nicht gegeben. Der Beschwerdeführer soll zu der Frage aussagen, ob er die auf der Versammlung der Klägerin gehaltenen Redebeiträge akustisch wahrnehmen konnte. Die Frage nach der Wahrnehmbarkeit der Redebeiträge ist in einem mit seinem Namenskürzel versehenen Bericht in der Landeszeitung mit den Worten (verneinend) beantwortet worden, “die Reden der NPD-Funktionäre gingen unter“. Beruht diese Angabe auf eigenen Wahrnehmungen des Beschwerdeführers, so hat er gerichtlich nur das zu bestätigen, was unter seinem Namen bereits veröffentlich worden ist. In der Pflicht, als Zeuge eine Aussage zu bestätigen oder auch inhaltlich zu widerrufen, die der betroffene Pressevertreter bereits zuvor öffentlich gemacht hat, ist keine Verletzung der Pressefreiheit zu erkennen; auf die Frage, wem die Angabe jeweils dient, kommt es dabei nicht an (vgl. BGH, Beschl. v. 4.1.2012 – VI ZB 2/12 -, NJW-RR 2013, 159 f.; juris, Rn. 12 ff.; Greger, in: Zöller, ZPO-Kommentar, 30. Aufl., § 383, Rn. 15). Dass § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO kein Zeugnisverweigerungsrecht über die Richtigkeit eines in der Presse schon veröffentlichten Zitats erfasst, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. den inhaltlich bereits vom Verwaltungsgericht zit. Beschluss d. BVerfG v. 13.9.2001 – 1 BvR 1398/01 -, NJW 2002, 592 f; juris, Rn. 9). Soweit die Angabe in dem Bericht der Landeszeitung vom 17. Januar 2013 hingegen nur eine Aussage von Hörensagen darstellt und nicht auf eigener Wahrnehmung durch den Kläger beruht, er sich auch sonst nicht erinnern kann, kann er hierauf verweisen. Dass das Gericht dann vom Kläger ggf. weitere, nach § 98 VwGO i. V. m. dem entsprechend anwendbaren § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO geschützte Informationen über diese Dritte, deren Eindrücke er in seinem Artikel wiedergegeben habe, wissen möchte, ist nicht zu erkennen und berechtigte den Kläger im Übrigen auch nur zur Zeugnisverweigerung insoweit, nicht aber – wie dargelegt – zum o.a. Beweisthema.

Ob es auf das Beweisthema und gerade die Aussage des Beschwerdeführers für die Entscheidung über die Klage ganz oder teilweise überhaupt ankommt und welches Gewicht dieser Aussage zukommen kann, hat nicht der Senat in diesem Zwischenverfahren, sondern das für das Hauptsacheverfahren zuständige Gericht zu entscheiden. Denn es hat in dem angegriffenen Beschluss mit grundsätzlich bindender Wirkung für den Senat (vgl. für das vergleichbare Verhältnis im Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO: BVerwG, Beschl. v. 28.3.2006 – 20 F 1/05 – DVBl 2006, 851 ff.; Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 40; juris, Rn. 13) die Entscheidungserheblichkeit der weiteren Beweiserhebung bejaht.

Lediglich ergänzend wird deshalb darauf verwiesen, dass die vom Beschwerdeführer vorgenommene Gewichtung seiner Zeugenaussage nicht geteilt wird. Die im Hauptsacheverfahren streitige Frage, ob die kurz vor der Landtagswahl 2013 durchgeführte Veranstaltung der Klägerin als politische Partei durch Lärm von Dritten massiv gestört und hiergegen zu Unrecht von einem der beiden Beklagten nicht eingeschritten worden ist bzw. entsprechende Schutzvorkehrungen nicht getroffen worden sind, ist nicht von geringer Bedeutung. Ebenso wenig besteht für den Beschwerdeführer durch die Aussagepflicht als Zeuge zukünftig die von ihm heraufbeschworene Gefahr von Übergriffen, wenn er als Zeuge nur die Richtigkeit seines vorherigen Zeitungsberichts bestätigt. Dem Beschwerdeführer steht nicht das Recht zu, eine Aussage wegen der Befürchtung zu verweigern, sie führe mutmaßlich zu einem von ihm unerwünschten Ergebnis des Klageverfahrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Ein Streitwert ist nicht festzusetzen, da gemäß Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG nur eine Festgebühr in Höhe von 50 EUR angefallen ist.

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