Unzulässige Darstellung einer Reiseversicherung

03. Juli 2014
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Urteil des LG Frankfurt a.M. vom 22.01.2014, Az.: 2-06 O 379/13

Die Darstellung einer Reiseversicherung für eine Flugreise, bei der sich Kunden, um den Buchungsschritt abzuschließen, für oder gegen eine Reiseversicherung entscheiden müssen, ist unzulässig. Kunden dürfen nicht gezwungen werden, sich aktiv gegen die Versicherung entscheiden zu müssen, indem diese gezielt „abgewählt“ werden muss.

Landgericht Frankfurt am Main

Urteil vom 22.01.2014

Az.: 2-06 O 379/13

In dem Rechtsstreit

Bundesverband der Verbraucherzentralen  und Verbraucherverbände
– Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. -,
vertreten durch …

-Prozessbevollmächtigter : …

Kläger

,)    gegen

…    –

Condor-Flugdienst  GmbH, vertreten durch …

Prozessbevollmächtigter : Rechtsanw. …

hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2013 für Recht erkannt:

1.Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu  sechs  Monaten,  oder  Ordnungshaft  bis zu sechs Monaten, zu unterlassen,

im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern im Rahmen eines Systems zur Buchung von Flügen über die Internetseite mit der Adresse www .condor.com den Abschluss eines Versicherungsvertrages derart anzubieten, dass der Buchungsvorgang nur dann fortgesetzt werden kann, wenn der Verbraucher eine Auswahl unter den nachfolgend abgebildeten Auswahlfeldern  (Checkbox) getroffen hat.

[Abbildung Webseite mit Checkbox]

2.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 214,00 € nebst Zinsen in Höhe von  fünf Prozentpunkten über dem  Basiszinssatz hieraus seit dem 26.09.2013 zu zahlen.

3.Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

4.Das Urteil ist hinsichtlich Ziff. 1. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000,00 € und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar .

Tatbestand

Der Kläger, der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände

– Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., nimmt die Beklagte wegen Verstoßes gegen§ 4 Nr. 11 UWG i.V.m. Art. 23 Abs. 1 S. 4 VO (EG) 1008/2008 (Ober gemeinsame Vorschriften fOr die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft) auf Unterlassung und Aufwendungsersatz für eine vorgerichtliche Abmahnung in Anspruch.

Der Kläger verfolgt im Rahmen seiner satzungsmäßigen Aufgaben Verstöße gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) . Daneben macht er Unterlassungsansprüche gemäß §§ 1, 2 Unterlassungsklagegesetz (UKiaG) geltend. Er ist in die Liste qualifizierter Einrichtungen i.S.d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 4 UKiaG beim Bundesjustizamt eingetragen.

Die Beklagte bietet unter ihrer Internetadresse www.condor.de Luftbeförderungsleistungen an.

Im Rahmen von Flugbuchungen Ober ihr elektronisches Buchungssystem findet sich dort ein Abschnitt mit der Überschrift „ERV Reiseschutz“. Nach dem Hinweis „Reiseschutz nicht vergessen – ohne kann es teuer werden!“ werden dem buchenden Kunden zwei Kästchen zur Auswahl angeboten, von denen keines voreingestellt ist. Diese Auswahlkästchen lauten:

o Reiserücktrittsversicherung inkl. Reiseabbruch  24,00€ pro Erwachsener*

o Ich verzichte auf einen Reiseschutz und trage im Schadensfall alle Kosten selbst.

Solange der Buchende keines der beiden Kästchen anklickt, kann er nicht zum nächsten Buchungsschritt übergehen. Vielmehr erscheint in roter Schrift der rot hinterlegte Hinweis: „*Bitte tätigen Sie in der Rubrik Reiseversicherung eine Auswahl‘ (zu den Einzelheiten, vgl. BI. 10 ff. d.A.).

Der Kläger mahnte die Beklagte (u.a. deswegen) mit Schreiben vom 22.07.2013 ab (BI. 16 ff. d.A.). Die Beklagte gab daraufhin wegen weiterer Verletzungsvorwürfe eine Unterlassungserklärung ab und verpflichtete sich zum Aufwendungsersatz, nicht aber hinsichtlich des hier streitgegenständlichen Auswahlerfordernisses zwischen beiden Kästchen (BI. 21 d.A.).

Der Kläger beantragt,

I. die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 ,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen,

im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern im Rahmen eines Systems zur Buchung von Flügen über die Internetseite mit der Adresse www .condor.com den Abschluss eines Versicherungsvertrages derart anzubieten, dass der Buchungsvorgang nur dann fortgesetzt werden kann, wenn der Verbraucher eine Auswahl unter den nachfolgend abgebildeten Auswahlfeldern (Checkbox) getroffen

[Abbildung Webseite mit Checkbox]

II. die Beklagte zu verurteilen , an den Kläger 214,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

III. hilfsweise, den Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen zu verweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie rügt die funktionale Zuständigkeit der Zivilkammer (vgl. BI. 43 d.A. i.V.m. dem Verweisungsantrag auf BI. 33 f. d.A.). Aus ihrer Sicht ist die Kammer für Handelssachen auch für Verstöße gegen das UKlaG zuständig.

Nach Auffassung der Beklagten ist ihre Internetseitengestaltung rechtlich nicht zu beanstanden. Der Verbraucher entscheide sich im Einklang mit dem „Opt-in“­ Erfordernis des Art . 23 VO (EG) 1008/2008 aktiv für oder gegen den Abschluss einer Reiserücktrittsversicherung. Ohne bewusste Entscheidung werde keine zusätzliche Versicherung abgeschlossen, sondern nur der Buchungsvorgang unterbrochen, bis der Verbraucher sich – ohne Vorauswahl – entweder für oder gegen den Abschluss einer Versicherung entscheide.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf sämtliche gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2013 Bezug genommen (BI. 43 f. d.A.).

Entscheidungsgründe

A. Die zulässige Klage ist begründet.

I. Die angerufene Zivilkammer ist funktionell zuständig.

Die Klage war nicht an eine Kammer für Handelssachen zu verweisen. Eine solche Verweisung erfolgt nur auf Antrag des Beklagten gemäß §98 GVG (auf Antrag des Klägers wird der Rechtsstreit nur dann vor einer Kammer für Handelssachen verhan­ delt, wenn der Kläger dies in seiner Klageschrift beantragt, vgl. § 96 Abs. 1 GVG; der klägerische Hilfsantrag läuft insofern leer). Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2013 zwar keinen expliziten Verweisungsantrag gestellt, sondern ausschließlich die funktionale Zuständigkeit der Kammer gerügt (BI. 43 d.A.), sie hat aber schon in ihrer Klageerwiderung vom 22.10.2013 Verweisung an die ihres Erachtens  zuständige  Kammer  für  Handelssachen beantragt  (vgl. BI. 33  f. d.A.,§ 101 GVG).

Dieser Verweisungsantrag ist unbegründet.

Die Kammern für Handelssachen sind zwar gemäß §§ 94, 95 Abs. 1 Nr. 5 GVG anstelle der Zivilkammern für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, in denen durch die Klage ein Anspruch auf Grund des UWG geltend gemacht  wird , zuständig, dies gilt aber nicht, sofern die Klage zugleich auf UKiaG gestützt wird. Wenn -wie hier- geltend gemacht wird, das beanstandete Verhalten stelle neben einem Verstoß gegen das UWG auch einen solchen gegen Verbraucherschutzgesetze i.S.d. § 2 Abs. 1 UKiaG dar, wird kein Anspruch ,,auf Grund des UWG“, sondern ein solcher auf Grund des UKlaG verfolgt. Die Anwendungsbereiche beider Gesetze decken sich  nicht. Wäh­ rend das UWG gemäß § 1 dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucher/innen sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen  Handlungen dient und zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb schützt, können bestimmte Einrichtungen und (Interessen-) Verbände auf Grundlage des UKlaG neben Verstößen gegen das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§ 1 UKlaG) im Interesse des Verbraucherschutzes Zuwiderhandlungen gegen verbraucherschützende Normen verfolgen (§ 2 UKlaG). Rechtsstreitigkeiten, bei denen es ausschließlich um die Frage der Verletzung gesetzlich geschützter Verbraucherschutzinteressen geht, sind schon begrifflich keine Handelssachen i.S.d.  § 95 GVG. Eine extensive Auslegung des § 95 Abs. 1 Nr. 5 UWG verbietet sich insofern.

Um die Zuständigkeit einer Kammer für Handelssachen zu begründen, reicht es demnach nicht, dass für die Prüfung ein und desselben Verstoßes anhand des UWG und des UKlaG letztlich dieselbe(n), außerhalb beider Gesetze angesiedelte(n) Norm(en) maßgeblich ist/sind (vgl. auch Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31.AufJ. 2013, § 6 UKlaG Rn. 2; nicht ganz eindeutig Lückemann in Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 95 GVG Rn. 14: Erfasst seien alle bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten , die auf Anspruchsgrundlagen ,,nach“ dem UWG („s dort§ 13)“ gestützt werden) .

Mit Blick darauf, dass eine Verweisung gemäß § 98 Abs. 1 S. 1 GVG nur in Betracht kommt, wenn eine vor die Kammer für Handelssachen „gehörige Klage“ zu verhandeln ist, was voraussetzt , dass der Anspruch ausschließlich auf rechtliche Gründe gestützt wird, die Handelssachen gemäß § 95 GVG sind (vgl. LG Stuttgart (U.v.J 31.10.2005 – 17 0 441/05), juris ; Rn. 22 m.w.N.), besteht im Streitfall eine umfassende Zuständigkeit der angerufenen Zivilkammer (die Vorschrift des § 17 Abs . 2 GVG greift insofern indes nicht; siehe aber OLG Köln (B.v. 02.01.2012 – 1-8 AR 64/11), juris, Rn. 10).

Gegenläufige Entscheidungen überzeugen nicht, zumal wenn diese keine Begründung zur angenommenen funktionellen Zuständigkeit enthalten (vgl. z.B. LG Augsburg (U.v. 29.07.2010 – 1 HK 0 1146/10), juris, Rn. 15 ff.; siehe ggf. auch Baumbach/Lauterbach/Aibers/Hartmann, ZPO, 71. Aufl. 2013, § 95 GVG Rn. 12). Soweit das LG München I z.B. aus dem Geschäftsverteilungsplan eine Gesamtzuständigkeit der Kammer für Handelssachen auch für einen auf UKiaG gestützten Anspruch abgeleitet hat (U.v. 05.03.2009- 17 HK 0 17938/08, juris, Rn. 21 ff. (25 f.)), gilt, dass die gerichtsinterne Geschäftsverteilung die vom Gesetzgeber in § 95 GVG abschließend geregelte Zuständigkeit der Handelskammern nicht auszudehnen vermag.

II. Dem Kläger stehen sowohl der geltend gemachte Unterlassungsanspruch (Ziff.1.) als auch die eingeklagte Zahlung nebst Zinsen zu (Ziff. 2.).

1.Der Kläger kann von der Beklagten gemäß § 2 Abs . 1 S. 1 UKlaG bzw. § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 3 i.V.m. 3, 4 Nr. 11 UWG wegen Verstoßes gegen die verbraucherschützende Norm bzw. Marktverhaltensregelung des Art. 23 Abs. 1 S. 4 VO (EG) 1008/2008 im beantragten Umfang Unterlassungverlangen.

Die Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel basiert auf§ 890 ZPO.

Ob die streitgegenständliche Gestaltung hinsichtlich der Formulierung des Feldes mit der zu treffenden „Abwahl“ des Versicherungsschutzes zudem gegen § 4 Nr. 1 UWG der  Kunde  in  unangemessener  Weise  dazu  verleitet  wird,  die  auf  den ersten  Blick verhältnismäßig preisgünstige Reiserücktrittsversicherung  hinzuzubuchen, um nicht Gefahr zu laufen, anderenfalls alle Kosten selbst tragen zu müssen, oder ein Verstoß gegen §§ 5, Sa UWG vorliegt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

a) Der Kläger ist gemäߧ§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 4, UKlaG klagebefugt und damit zugleich aktivlegitimiert, einen Unterlassungsanspruch gemäß § 2 UKiaG wegen Verstoßes gegen die verbraucherschützende Norm des Art . 23 Abs. 1 S. 4 der VO (EG) 1008/2008 zu verfolgen. Er ist unstreitig und gerichtsbekannt in die beim Bundesjustizamt geführte Liste qualifizierter Einrichtungen i.S.d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 4 UKiaG eingetragen (vgl. im Übrigen auch die BGH-Vorlage an den EuGH v. 18.09.2013 – IZR 29/12, juris, Rn. 1).

Bezogen auf das UWG folgt die Klagebefugnis/Aktivlegitimation des Klägers aus § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG.

b) Mangels Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung durch die Beklagte besteht hinsichtlich des Unterlassungsantrags zu 1. die tatsächliche Vermutung einer Wiederholungsgefahr , sollte der Verstoß nicht noch andauern.

c) Art. 23 Abs. 1 S. 4 VO (EG) 1008/2008 stellt eine Marktverhaltensregel des Gemeinschaftsrechts i.S.d. § 4 Nr. 11 UWG dar (vgl. z.B. BGH (B.v. 25.10.2012 – I ZR 81111), juris , Rn. 9; KG Berlin (B.v. 17.07.2012-24 U 110/11), juris, Rn. 4). DieNorm dient zudem dem Verbraucherschutz i.S.d. §2 Abs. 1 UKlaG.

d) Die Klägerin hat gegen Art. 23 Abs. 1 S. 4 VO (EG) 1008/2008 verstoßen. Die Vorschrift lautet:

„Fakultative Zusatzkosten werden auf klare, transparente und eindeutige Art und Weise am Beginn jedes Buchungsvorgangs mitgeteilt; die Annahme der fakultativen Zusatzkosten durch den Kunden erfolgt auf“Opt-in“-Basis“.

aa) Nach der  vom EuGH in dessen Entscheidung „ebookers.comNerbraucherzentrale“ vorgenommenen Auslegung ist der Begriff der „fakultative Zusatzkosten“ in Art. 23 Abs. 1 S. 4 VO (EG) 1008/2008 dergestalt auszulegen, dass im Zusammenhang mit Flugreisen stehende Kosten von Leistungen wie einer Reiserücktrittsversicherung erfasst sind, die von einer anderen Person als dem Luftverkehrsunternehmer erbracht und von dem Reisevermittler in einem Gesamtpreis gemeinsam mit dem Flugpreis vom Kunden erhoben werden (EuGH (U.v.19.07.2012 – C 112/11), juris, Tenor bzw. Tz. 20). In dem dieser Vorlageentscheidung zu grundeliegenden Verfahren waren die Kosten für eine Reiserücktrittsversicherung eines dritten Versicherungsunternehmens voreingestellt. Wollte der Kunde keinen Versicherungsvertrag schließen, musste er sein Einverständnis am Ende der Website ausdrücklich verweigern-  vom  EuGH als  „Opt-out“ bezeichnet  (a.a.O., Tz. 8).

Dass derartige Voreinstellungen gegen Art. 23 Abs . 1 S. 4 VO (EG) 1008/2008 verstoßen, ist mittlerweile anerkannt (vgl. z.B. BGH (B.v. 25.10.2012 -I ZR 81/11)­“Opt-out“-Verfahren, juris, Rn. 8 ff.; KG Berlin (B.v. 17.07.2012- 24 U 110/11), juris, Rn. 3, 9; LG Leipzig (U.v. 26.09.2012-2 HK 0 3026/11), juris, Rn. 18 ff.; LG Dres­ den (U.v. 05.10.2012-42 HK0299/11),juris, Rn. 33ff.).

Demgegenüber hat sich die Rechtsprechung mit einer Gestaltung wie der hier streitgegenständlichen- soweit ersichtlich – noch nicht befassen  müssen. Die vorliegende Konstellation zeichnet sich dadurch aus, dass der Kunde zur Vermeidung des Abschlusses einer von ihm nicht gewünschten Reiserücktrittsversicherung kein voreingestelltes Häkchen entfernen, aber aktiv ein Auswahlhäkchen setzen muss, das besagt, dass auf einen Reiseschutz verzichtet wird und im Schadensfall alle Kosten selbst getragen werden .

Der EuGH wies in o.a. Entscheidung erneut darauf hin, dass nach seiner Rechtspre­ chung bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt  werden  (a.a.O., Tz.  12 m.w.N.).

Hinsichtlich der fakultativen Zusatzkosten in Art. 23 Abs. 1 S. 4VO (EG) 1008/2008 führte er aus, diese beträfen Dienste, die den Luftverkehrsdienst als solche ergänzten, aber für die Beförderung des Fluggasts- oder der Luftfracht weder obligatorisch noch unerlässlich seien, so dass der Kunde die Wahl habe, sie anzunehmen oder abzulehnen. Gerade weil der Kunde diese Wahl habe, müssten solche Zusatzkosten auf klare, transparente und eindeutige Art und Weise am Beginn jedes Buchungsvorgangs mitgeteilt werden und müsse ihre Annahme durch den Kunden auf „Opt-in“­ Basis erfolgten, wie dies Art. 23 Abs. 1 S. 4 VO (EG) 1008/2008 vorsehe (a.a.O., Tz. 14). Dieses spezifische Erfordernis solle verhindern, dass der Flugkunde im Rahmen des Buchungsvorgangs für einen Flug dazu verleitet werde, Zusatzleistungen zum Flug selbst anzunehmen, die für dessen Zwecke nicht unvermeidbar und unerlässlich seien, sofern er sich nicht ausdrücklich dafür entscheide, solche Zusatzleistungen anzunehmen und die Zusatzkosten dafür zu zahlen (a.a.O., Tz. 15).

Unter Hinweis auf anderenfalls leicht bestehende Umgehungsmöglichkeiten legte der EuGH die streitgegenständliche Norm dahin aus, dass der von der Verordnung bezweckte Schutz des Kunden, der Luftverkehrsdienste in Anspruch nimmt, nicht davon abhängen könne, ob die fakultativen Leistungen vom Luftfahrtunternehmen oder ei- nem anderen, rechtlich und wirtschaftlich unabhängigen Unternehmen angeboten werden, jedenfalls sofern die Zusatzleistungen in einem Gesamtpreis mit den Kosten für die Flugleistung erhoben werden (dem folgend BGH (B.v. 25.10.2012 – I ZR 81/11), juris, Rn. 5, 10).

bb) Entsprechend kann es im Streitfall keinen Unterschied machen, ob der Kunde -wie in den bislang entschiedenen Fällen – aktiv die getroffene Vorauswahl deaktiviert und sich auf diese Weise gegen einen Versicherungsschutz entscheidet oder aktiv ein anderes Kästchen („Ich verzichte auf einen Reiseschutz und trage im Schadensfall alle Kosten selbsf‘) auswählen muss, um den Abschluss einer Reiserücktrittsversicherung zu vermeiden. Der Entscheidungsprozess ist in beiden Fällen derselbe: Statt einen kurzen Blick auf ein Kästchen mit optionalem Versicherungsschutz zu werfen und dieses bei Desinteresse einfach zu ignorieren, muss der Kunde aktiv tätig werden und sich explizit gegen eine Reiserücktrittsversicherung entscheiden. Dies steht mit dem Sinn und Zweck der Verordnung, dem Kunden vermöge eines „Opt-in“ die freie Wahl zu lassen, nicht im Einklang. Von einem „Opt-in“ kann insofern allen­ falls dann die Rede sein, wenn der Kunde von vornherein an einem Versicherungsschutz interessiert ist und sich gezielt für das Setzen eines Auswahlhäkchens entscheidet. Möchte er hingegen keinen Reiserücktrittsversicherungsvertrag  abschließen, ist er gezwungen, die Versicherung aktiv abzulehnen („Opt-out“), indem er das zweite Kästchen anklickt. Anderenfalls kann ‚er den Buchungsvorgang nicht fortsetzen.

Nach dem Telos der Verordnung liegt ein „Opt-out“ nicht nur dann vor, wenn ein vor­ eingestelltes Auswahlhäkchen entfernt werden muss, sondern – unter Umgehungsgesichtspunkten – auch in anderen denkbaren Konstellationen, in denen sich der Kunden nicht frei für, sondern aktiv gegen eine fakultativ angebotene Leistung wie hier den Versicherungsschutz entscheiden, diese also gezielt „abwählen“ muss.

cc) Die Auffassung der Kammer steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH.  Dessen  Hinweisbeschluss vom 25.10.2012 zum „Opt-out“ lag ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde.  Allerdings  musste  der  Kunde,  der  keinen  Versicherungs­ schutz wünschte,  in jenem  Fall die voreingestellte  Auswahl ändern  und die Option „Ich verzichte  auf  weiteren  Versicherungsschutz  (-16,00 €  für  alle Reisenden)“ auswählen . Dies definierte der BGH im Klammerzusatz  als „Opt-out“ (I ZR 81/11, juris, Rn. 2). Er begründete seinen Hinweis auf die Intention einer Revisionszurückweisung damit, nach den Anforderungen des Art. 23 Abs. 1 S. 4 VO (EG) 1008/2008 müsse sich der Verbraucher aktiv für den Einschluss der zusätzlich angebotenen Leistung in den Vertrag entscheiden  („Opt-in“-Verfahren) . Beim Buchungsverfahren  der Beklag­ten werde die zusätzlich angebotene Reiserücktrittsversicherung jedoch  automatisch zum Warenkorb des Kunden hinzugefügt, so dass dieser -wolle er die Leistung nicht in Anspruch nehmen – sich aktiv gegen deren voreingestellten Einschluss entschei­ den und die Option )eh verzichte auf weiteren Versicherungsschutz (-16,00 € für alle Reisenden)“ auswählen müsse. Erst dann werde die Versicherungsleistung aus dem Warenkorb entfernt („Opt-out“-Verfahren).

Es ist daher als „Opt-out“ und nicht mehr als „Opt-in“ anzusehen, wenn dem Kunden eine aktive Entscheidung gegen einen Versicherungsschutz abverlangt wird.

dd) Der vorliegende Fall ist zudem deshalb als „Opt-out“ zu bewerten, weil die Entscheidung des Kunden gegen einen Versicherungsschutz – wie hier- mit einer aus­ drücklichen Bestätigung verbunden ist, dass (1.) auf einen Reiseschutz verzichtet wird und (2.) im Schadensfall alle Kosten selbst getragen werden .

Diese Bestätigung wird schon nicht immer zutreffen, da der Kunde anderweitig hinreichend versichert ist und er mit Aktivierung des zweiten Auswahlfeldes auch nicht auf seinen Versicherungsschutz verzichtet. Die Beklagte baut folglich – flankiert durch den vorangestellten Hinweis „Reiseschutz nicht vergessen  – ohne  kann  es teuer werden!“ eine Drohkulisse auf, die dazu dient, auch Kunden, die originär über­ haupt nicht an dem Abschluss einer Reiserücktrittsversicherung interessiert sein mö­ gen und einer solchen  tatsächlich auch  nicht bedürfen, gerade  in der vielfach von Eile getriebenen Situation einer Flugbuchung daran zu hindern, auf einen Versiche­ rungsschutz zu verzichten. Stattdessen nimmt der Kunde die (auf den ersten Blick nicht übermäßig teuren) Versicherungskosten von 24,00 € je Erwachsenem als klei­ neres Übel verglichen mit der in Aussicht gestellten Pflicht zur Tragung sämtlicher Schadenskosten in Kauf. Die Kundenentscheidung für  einen  Versicherungsschutz mag i.d.F. zwar explizit und aktiv getroffen werden, sie basiert aber vielfach nicht auf dessen freiem Willen und steht damit nicht im Einklang mit Art. 23 Abs. 1 S. 4 VO (EG) 1008/2008.

2. Der Anspruch des Klägers auf Erstattung von Kosten für die vorgerichtliche Abmahnung i.H.v. 214,00 € folgt aus§ 781 S. 1 bzw. 311 Abs. 1 i.V.m.241 Abs . 1 S. 1 BGB.

Die Beklagte verpflichtete sich unter Ziff. II. ihrer Unterlassungserklärung vom 22.07.2013 gegenüber dem Kläger dazu, an diesen die Erstattung der Auslagen in Höhe von  netto 200,00  €  zzgl. 7% MwSt. 14,00 € = 214,00€ brutto bis zum 05.08.2013 zu zahlen (vgl. BI. 21. d.A.). Dass diese Verpflichtung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolgt sein könnte, ist jedenfalls nicht ersichtlich, so dass in ihr ein Schuldanerkenntnis  i.S.d. § 781 BGB gesehen werden kann. Der Kläger hat diese ihm günstige Erklärung gemäß § 151 S. 1 BGB angenommen, ohne dass es einer ausdrücklichen Annahmeerklärung gegenüber der Beklagten bedurfte (bei Fehlen einer vertraglichen Pflicht der Beklagten zum Aufwendungsersatz folgte deren Erstattungspflicht aus dem Gesetz, vgl. §§ 5 UKlaG, (i.V.m.) 12 Abs. 1 S. 2 UWG).

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2013 auf Rückfrage des Gerichts angegeben, die Auslagenpauschale der Gegenseite sei noch nicht beim Kläger eingegangen, er habe ausdrücklich noch einmal nachgefragt. Da der Prozessbevollmächtigte der Beklagten dieser Behauptung bis zum  Schluss der  mündlichen Verhandlung  nicht entgegengetreten  ist, kann diese gemäß § 138 Abs . 3 ZPO als zugestanden angesehen werden. Soweit die Beklagte mit nicht nachgelassenem  Schriftsatz  vom  20.01.2014  nach Verhandlungsschluss neuen Tatsachenvortrag  in Gestalt der Behauptung, den Aufwendungsersatz  inzwi­ schen zur Zahlung angewiesen zu haben, geliefert hat, ist sie mit diesem Vorbringen gemäß § 296a S. 1 ZPO präkludiert. Die K.ammer hat von der in ihr Ermessen gestellten  Möglichkeit,  die Verhandlung  gemäß  §§ 296a  S. 2,  156 Abs . 1 ZPO  auf Grund des neuen Beklagtenvortrags wieder zu eröffnen, abgesehen. Für eine erneute Verhandlung über den gesamten Prozessstoff besteht kein Bedarf. Im Fall der Erfüllung steht es der Beklagten frei, den Kläger um einen Verzicht auf den Zahlungstitel zu bitten oder bei dessen zwangsweiser Durchsatzung Vollstreckungsabwehrklage zu erheben (§ 767 ZPO). Kostenseitig wirkt sich eine Verurteilung der Beklagten zum Aufwendungsersatz nicht nachteilig auf diese aus, da der Zahlungsantrag den Streitwert  als bloße Nebenforderung  i.S.d.§ 4 Abs.1, 2.HS ZPO nicht erhöht.

Die Pflicht der Beklagten zur Zahlung von Zinsen auf die Abmahnkostenpauschale gründet auf §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 S. 2 bzw. Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 (291) BGB (i.V.m. § 308 Abs. 1 ZPO). Da die Klage der Beklagten am 25.09.2013 zugestellt worden ist (BI. 32 d.A.), schuldet diese analog § 187 Abs. 1 BGB seit dem Folgetag Prozesszinsen.

B. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 709 S. 1 und 2 ZPO.

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