Anwaltliches Vertretenmüssen von Fristversäumnissen

07. März 2011
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Eigener Leitsatz:

Werden zuverlässige Angestellte explizit zur Wahrung von Fristen ermahnt und erfolgt darüber hinaus eine wirksame Endkontrolle fristwahrender Maßnahmen, auf Grundlage eines parallel hierzu geführten Fristenbuches, hat ein Anwalt das Versäumnis jener Mitarbeiter nicht zu verschulden. Bei fristwahrenden Übertragungen per Telefax darf eine vermerkte Frist erst dann gelöscht werden, wenn ein gedruckter Einzelnachweis vom Telefax des Absenders vorliegt, der die ordnungsgemäße Übertragung belegt.

Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen

Beschluss vom 31.08.2010

Az.: 3 U 41/10

Tenor

Die Berufung der Beklagten wird als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 ZPO).
 
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

Gründe

I.
Der Kläger verlangt von der Beklagten Rückerstattung einer Maklercourtage. Mit dem am 18.05.2010 verkündeten Urteil hat das Landgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Das Urteil ist der Beklagten am 25.05.2010 zugestellt worden (Bl. 89 d.A.). Die Berufungsfrist endete deshalb mit Ablauf des 25.05.2010, die Frist zur Begründung der Berufung mit Ablauf des 26.07.2010 (Montag). Die Berufungsbegründung ist jedoch erst am 28.07.2010 per Telefax beim Oberlandesgericht eingegangen.

Auf den Hinweis des Senatsvorsitzenden gemäß Verfügung vom 28.07.2010 (Bl. 108 d.A.), dass die Berufungsbegründung nicht fristgerecht eingegangen sei, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 18.08.2010 (Bl. 114 ff.), eingegangen beim Oberlandesgericht am selben Tag, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.

II.
Die Berufung ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der am 26.07.2010 ablaufenden Frist zur Berufungsbegründung gem. § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO begründet worden ist.

Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gemäß § 233 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 234, 236 ZPO). Der Wiedereinsetzungsantrag ist jedoch nicht begründet. Die Fristversäumung beruht auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, das diese sich zurechnen lassen muss (§ 233 ZPO i.V.m. § 85 Absatz 2 ZPO).

Aus dem Wiedereinsetzungsschreiben und der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung geht nicht hervor, dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten durch organisatorische Maßnahmen eine wirksame Ausgangskontrolle auch für den Fall sichergestellt war, dass ein Schriftsatz aufgrund einer erteilten Einzelanweisung fristwahrend vorab per Telefax übersandt werden sollte.

Nach dem Vorbringen der Beklagten und ihres Prozessbevollmächtigten beruht die Fristversäumung vorliegend darauf, dass es die sonst zuverlässige Kanzleiangestellte K. durch ein Versehen entgegen einer ausdrücklich erteilten Einzelanweisung versäumt habe, den Schriftsatz per Telefax an das Oberlandesgericht zu übermitteln.

Es ist anerkannt, dass ein Rechtsanwalt das Versehen bzw. die Versäumnis einer zuverlässigen Kanzleiangestellten, die er durch eine konkrete Einzelanweisung mit der Absendung eines fristwahrenden Schriftsatzes betraut, nicht als eigenes Verschulden zu vertreten hat, wenn diese über den drohenden Fristablauf und die Notwendigkeit der Fristwahrung unterrichtet worden ist (BFH, Beschl. v. 22.04.2004 – VII B 369/03 m.w.N.). Da ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen kann, dass eine konkrete Einzelanweisung von seinem sonst zuverlässigen Personal auch befolgt wird, ist er ohne besonderen Anlass zu Überwachungsmaßnahmen, wie z.B. Rückfragen oder Einsichtnahme in die Sendeberichte, nicht verpflichtet (BGH, NJW 2006, 1519; BFH, a.a.O. m.w.N.).

Ein Büroversehen begründet jedoch nur dann kein Vertreterverschulden, wenn es allein für die Fristversäumung ursächlich war. Hat der Prozessbevollmächtigte nicht alle Vorkehrungen getroffen, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, so hat er das Büroversehen zu vertreten (BFH, a.a.O. m.w.N.). Das gilt insbesondere, wenn die Fristversäumung auf einen Organisationsmangel zurückzuführen ist. Denn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist ein Bevollmächtigter verpflichtet, seinen Bürobetrieb so zu organisieren, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen sind. Dazu ist es unerlässlich, dass ein Fristenkontrollbuch geführt wird. Zur Organisationspflicht gehört es auch, eine Ausgangskontrolle zu schaffen, die ausreichende Gewähr dafür bietet, dass fristwahrende Schriftstücke nicht über den Fristablauf hinaus im Büro liegen bleiben. Zu der hiernach geforderten Endkontrolle gehört die Anweisung, Fristen erst dann zu löschen, wenn das fristwahrende Schriftstück tatsächlich gefertigt und abgesandt ist oder zumindest "postfertig" vorliegt (Musielak/Grandel, ZPO, 7. Aufl., 2009, § 233 RN 24 m.w.N.). Soll der fristwahrende Schriftsatz per Telefax übermittelt werden, so erfordert eine wirksame Endkontrolle fristwahrender Maßnahmen, dass die jeweilige Frist erst gelöscht wird, wenn ein von dem Telefaxgerät des Absenders ausgedruckter Einzelnachweis vorliegt, der die ordnungsgemäße Übermittlung belegt (Musielak/Grandel, ZPO, 7. Aufl., 2009, § 233 RN 49; BGH, NJW 2007, 2778 m.w.N). Dies gilt auch dann, wenn -wie im Streitfall- eine konkrete Einzelanweisung an das Büropersonal zur rechtzeitigen Übermittlung des Schriftsatzes per Telefax an das Gericht erteilt worden ist (BGH, a.a.O).

Im Streitfall ist das Vorbringen der Beklagten deshalb nicht geeignet, ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung auszuschließen, weil weder aus dem Wiedereinsetzungsschreiben noch aus der eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsgehilfin K. hervorgeht, dass in der Kanzlei die Einhaltung von Ausschlussfristen durch eine wirksame Ausgangskontrolle auch für den Fall sichergestellt war, dass ein fristwahrender Schriftsatz per Telefax an das Gericht übermittelt werden sollte. Die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen können insbesondere in der Führung eines Fristenkalenders und der allgemeinen Anweisung bestehen, dass der Fristenkalender am Ende eines jeden Arbeitstags von einer hierfür bestimmten geeigneten Person kontrolliert wird (Musielak/Grandel, ZPO, 7. Aufl., 2009, § 233 RN 24; BGH, NJW-RR 2008, 1160 m.w.N.; BAG, NJW 2007, 3021).

Das Vorbringen der Beklagten enthält keinerlei Ausführungen über die Art und den Umfang der Endkontrolle und über die Anweisungen für die Austragung der Fristen in den Fällen, in denen eine fristwahrende Übersendung eines Schriftstückes mit einfacher Briefpost nicht mehr gewährleistet werden konnte und deshalb eine Telefaxübermittlung erfolgen sollte. Bei einer effektiven Endkontrolle hätte aufgrund der nicht fristgerechten Aufgabe des Schriftstückes zur Post und aufgrund des fehlenden Sendeberichts ein Unterlassen der Absendung nicht unentdeckt bleiben und die Übermittlung des Schriftstückes noch vor Ablauf der Frist nachgeholt werden können. Bei dieser Sachlage ist der Vortrag, eine sonst zuverlässige Büroangestellte habe eine Einzelanweisung zur Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax nicht befolgt, nicht ausreichend, um ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung auszuschließen.

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