Berechtigtes Interesse ermöglicht nicht automatisch Akteneinsicht

28. Februar 2023
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Gesetzbuch Markenrecht mit einem Richterhammer Beschluss des BayObLG vom 29.06.2022, Az.: 102 VA 14/22

Das Vorliegen eines rechtlichen Interesses begründet nicht zwangsläufig einen Anspruch auf Akteneinsicht beim DPMA, selbst wenn Indizien bestünden, dass eine Markeninhaberin ihre Marke lediglich dazu benutze, um gegen Dritte vorzugehen. In seinem Beschluss bekräftigte das BayObLG die Entscheidung des LG München, dass das Vorliegen eines rechtlichen Interesses keinen Anspruch auf Akteneinsicht darstelle, sondern vielmehr den Weg für eine Ermessensentscheidung der Justizverwaltung eröffne. Für eine Akteneinsicht ist nach Auffassung des Gerichts ein Überwiegen des berechtigten Interesses gegenüber den Interessen der Betroffenen an der Wahrung von Betriebs-oder Geschäftsgeheimnissen und ggf. an der Vertraulichkeit persönlicher Daten erforderlich.

Bayrisches Oberstes Landesgericht München

Beschluss vom 29.06.2022

Az.: 102 VA 14/22

Tenor

I. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt als nicht am Verfahren Beteiligte gemäß § 299 Abs. 2 ZPO Einsicht in die Akten des Landgerichts München I, Az. 33 O 9159/21 zwischen der D. GmbH (im Folgenden: Klägerin) und der F. GmbH (im Folgenden: Beklagte).

Ihr Gesuch vom 2. Dezember 2021 stützt sie darauf, dass sie als Inhaberin der … beim Deutschen Patent- und Markenamt (im Folgenden: DPMA) eingetragenen WortBildmarke „M. & M.“ ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht habe. Gegenstand des landgerichtlichen Verfahrens sei eine Nichtigkeits- und Verfallsklage betreffend die … beim DPMA eingetragene Wortmarke „M.“ (im Folgenden auch: streitgegenständliche Marke) der Beklagten, die ihrerseits beim DPMA Widerspruch gegen die Marke der Antragstellerin eingelegt habe. Es bestünden erhebliche Zweifel daran, dass die Beklagte ihre Marke, die seit dem Jahr 1999 eingetragen sei und damit gemäß § 25 MarkenG dem Benutzungszwang unterliege, ernsthaft und damit rechtserhaltend benutzt habe. Es lägen Indizien vor, dass sie die Marke „M.“ lediglich dazu benutze, um gegen Dritte vorzugehen, die Marken mit dem (häufig anzutreffenden) Bestandteil „M.“ anmeldeten oder verwendeten. Der Bestand der streitgegenständlichen Marke habe unmittelbare Auswirkungen auf das durch das Widerspruchsverfahren zwischen der Beklagten und der Antragstellerin begründete Rechtsverhältnis.

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2021, den Antrag auf Einsicht in die Gerichtsakten zurückzuweisen. Es seien im Verfahren zum Nachweis der rechtserhaltenden Benutzung u. a. vertrauliche Geschäftsunterlagen überreicht worden, in deren Einsicht die Antragstellerin keinen Anspruch habe. Auch sei das berechtigte Interesse i. S. d. § 299 Abs. 2 ZPO schon aufgrund des Umstands, dass die Antragstellerin in dem genannten Widerspruchsverfahren die Einrede der Nichtbenutzung erheben könne, nicht gegeben.

Die Klägerin teilte mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2021 mit, dass gegen den Akteneinsichtsantrag keine Bedenken bestünden.

Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2021 bekräftigte die Antragstellerin ihre Auffassung, dass ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht vorliege. Dem stehe kein überwiegendes Interesse der Beklagten an ihrer informationellen Selbstbestimmung bzw. an der Geheimhaltung „vertraulicher Geschäftsunterlagen“ gegenüber. Die Beklagte argumentiere widersprüchlich, indem sie einerseits geltend mache, sie habe zum Zweck des Benutzungsnachweises vertrauliche Geschäftsunterlagen eingereicht, hinsichtlich derer die Antragstellerin keinen Anspruch auf Einsichtnahme habe, und andererseits darauf verweise, dass die Antragstellerin im Widerspruchsverfahren die Einrede der Nichtbenutzung erheben könne. Mache die Antragstellerin hiervon Gebrauch, werde die hiesige Beklagte zum Nachweis der Benutzung eben jene vermeintlich vertraulichen Unterlagen vorlegen müssen. Die Beklagte habe den Widerspruch gegen die Markenanmeldung der Antragstellerin aus freien Stücken und in dem Bewusstsein eingelegt, dass sie bei Erhebung der Einrede der Nichtbenutzung die rechtserhaltende Benutzung ohnehin würde nachweisen müssen. Soweit ihr diese Pflicht obliege, könne sie sich – vorgezogen – nicht auf die Vertraulichkeit der Unterlagen berufen. Außerdem gehe es nicht nur um die rechtserhaltende Benutzung der Marke „M.“, sondern auch darum, dass die Beklagte ihre Marke lediglich dazu nutze, gegen Dritte vorzugehen, die Marken mit dem (häufig anzutreffenden) Bestandteil „M.“ anmeldeten oder verwendeten, ohne ein eigenes Interesse an der rechtserhaltenden Benutzung der Marke zur Erfüllung der Herkunftsfunktion zu haben. Auch dies sei für das Widerspruchsverfahren relevant – insbesondere, da die Beklagte sich dort auf eine weitere Marke „M.“ berufe, bezüglich derer die Benutzungsschonfrist noch nicht abgelaufen sei. Von daher habe die Antragstellerin ein berechtigtes Interesse im Sinn von § 299 Abs. 2 ZPO, Einsicht in die Gerichtsakte zu nehmen.

Das Landgericht hat das Akteneinsichtsgesuch mit Bescheid vom 23. Dezember 2021, der Antragstellerin zugestellt am 3. Januar 2022, zurückgewiesen. Der Begriff des rechtlichen Interesses sei für § 299 ZPO unter Berücksichtigung der Interessenlage aller betroffenen Personen besonders zu ermitteln. Werde ein derartiges Interesse glaubhaft gemacht, so könne ohne Einwilligung der Parteien dem nicht am Prozess Beteiligten die Einsicht in die Prozessakten gewährt werden. Ein Anspruch des Dritten werde hierdurch jedoch nicht begründet, vielmehr habe die Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu ergehen. Zwar habe die Antragstellerin ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht, die vorzunehmende Abwägung zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Beklagten mit dem Informationsbedürfnis des Dritten ergebe aber vorliegend, dass der Antragstellerin die begehrte Akteneinsicht zu versagen sei, weil ihr rechtliches Interesse das Recht der Beklagten auf informationelle Selbstbestimmung nicht überwiege. Denn der Antragstellerin bleibe es unbenommen, im Widerspruchsverfahren ebenfalls die Nichtbenutzungseinrede gegen die Widerspruchsmarke der Beklagten zu erheben. In diesem Fall wäre es an der Beklagten, im Widerspruchsverfahren die rechtserhaltende Benutzung ihrer Marke nachzuweisen, wobei die Entscheidung darüber, welche – ggf. vertraulichen – Unterlagen sie im Amtsverfahren zum Nachweis einer rechtserhaltenden Benutzung vorlegen wolle, ihr vorbehalten bleibe und wegen der Dispositionsmaxime auch vorbehalten bleiben müsse. Die Antragstellerin habe kein das Recht der Beklagten auf informationelle Selbstbestimmung überwiegendes rechtliches Interesse, schon im Vorfeld der Prüfung der rechtserhaltenden Benutzung im Amtsverfahren in Erfahrung zu bringen, auf welche Benutzungsunterlagen sich die Beklagte stützen könne.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 27. Januar 2022, der am selben Tag beim Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen ist.

Die Zurückweisung des Antrags auf Akteneinsicht sei ermessensfehlerhaft. Zwar habe das Gericht zutreffend festgestellt, dass die Antragstellerin ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht habe, es hätte jedoch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht zugunsten der Beklagten berücksichtigen dürfen. Dieses Recht sei vom Bundesverfassungsgericht ursprünglich für natürliche Personen, nicht für juristische Personen wie die Beklagte entwickelt worden. Es sei eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und folge unmittelbar aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Zwar könnten sich nach herrschender Meinung über Art. 19 Abs. 3 GG auch juristische Personen auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG berufen, jedoch sei das Schutzniveau für sie abgesenkt. Dies gelte schon deshalb, weil juristische Personen sich nicht auf Art. 1 Abs. 1 GG berufen könnten, dessen thematische Nähe aber gerade die Schutzverstärkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Vergleich zur allgemeinen Handlungsfreiheit fordere. Zudem gehe es bei juristischen Personen im Hinblick auf Art. 19 Abs. 3 GG regelmäßig um den Schutz von wirtschaftlichen Interessen. Je mehr der Grundrechtsschutz im Interesse der Menschenwürde, die nur natürliche Personen für sich in Anspruch nehmen könnten, gewährt werde, desto eher sei die Anwendung auf juristische Personen als „bloße Zweckgebilde der Rechtsordnung“ abzulehnen. Daher könnten juristische Personen sich im Ergebnis grundsätzlich nicht auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG berufen; ihre (geschäftlichen) Informationen seien allenfalls über Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG geschützt.

Außerdem habe das Gericht das Interesse der Antragstellerin an der Auskunft nicht angemessen berücksichtigt. Es sei für die Rechtsposition der Antragstellerin im Widerspruchsverfahren von großer Bedeutung, inwieweit durch das Löschungsverfahren vor dem Landgericht München I die Marke der Beklagten überhaupt angegriffen (und ggf. im Ergebnis auch gelöscht) werde und in welchem Umfang das Widerspruchszeichen überhaupt noch Bestand haben könne.

Die Ansicht des Gerichts, es bleibe der Beklagten vorbehalten, welche – ggf. vertraulichen – Unterlagen sie im Widerspruchsverfahren vor dem DPMA zum Nachweis einer rechtserhaltenden Benutzung vorlegen wolle, sei nicht haltbar. Die Beklagte könne die Antragstellerin aus den bereits vor dem Landgericht geltend gemachten Gründen nicht auf das Widerspruchsverfahren verweisen und sich auch nicht auf die Vertraulichkeit der Unterlagen berufen.

Die Generalstaatsanwaltschaft München hält – unter Bezugnahme auf den Bescheid vom 23. Dezember 2021 und eine Stellungnahme des Landgerichts vom 10. Februar 2022 – den Antrag für zulässig, aber unbegründet.
II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG ist statthaft und zulässig. Die zutreffend auf § 299 Abs. 2 ZPO (vgl. Kopacec in BeckOK, Markenrecht, 29. Ed. 1. April 2022, MarkenG § 55 Rn. 6: das Klageverfahren folgt den verfahrensrechtlichen Grundsätzen der ZPO) gestützte Ablehnung der Akteneinsicht für den Antragsteller als Dritten ist ein Justizverwaltungsakt auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2015, XII ZB 214/14, NJW 2015, 1827 Rn. 10; BayObLG, Beschluss vom 14. Oktober 2021, 102 VA 66/21, juris Rn. 19; Lückemann in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 23 EGGVG Rn. 4).

Der Antrag ist innerhalb der Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG bei dem gemäß § 25 Abs. 2 EGGVG i. V. m. Art. 12 Nr. 3 AGGVG zuständigen Bayerischen Obersten Landesgericht gestellt worden. Eine mögliche Verletzung in eigenen Rechten hat die Antragstellerin geltend gemacht, denn sie rügt eine Verletzung ihres subjektiven Rechts auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, § 24 Abs. 1 EGGVG (BayObLG, Beschluss vom 14. Oktober 2021, 102 VA 66/21, juris Rn. 19).

2. In der Sache ist der Rechtsbehelf jedoch unbegründet. Die Zurückweisung des Akteneinsichtsgesuchs auf Grundlage von § 299 Abs. 2 ZPO ist nicht zu beanstanden.

a) Der angefochtene Bescheid ist von der hierfür funktional zuständigen Stelle erlassen worden. Die Präsidentin des Landgerichts München I hat mit Verfügung vom 10. September 2020 die Befugnis zur Erteilung von Akteneinsicht durch Dritte gemäß § 299 Abs. 2 ZPO zulässigerweise auf den jeweiligen Vorsitzenden der Zivilkammern übertragen.

b) Die Antragstellerin ist nicht Partei des Verfahrens, in das sie Einsicht begehrt, sondern Dritte, weswegen das Gesuch an § 299 Abs. 2 ZPO zu messen ist. Da die Beklagte dem Einsichtsgesuch entgegengetreten ist, ist Voraussetzung für die Gewährung der Akteneinsicht die Darlegung und Glaubhaftmachung eines rechtlichen Interesses der Antragstellerin; ist dies geschehen, steht die Bewilligung im Ermessen der aktenführenden Stelle.

aa) Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass die Antragstellerin ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht hat und dass dieses auch glaubhaft gemacht worden ist.

Gemäß § 49 Abs. 1 MarkenG wird die Eintragung einer Marke auf Antrag für verfallen erklärt und gelöscht, wenn die Marke nach dem Tag, ab dem kein Widerspruch mehr gegen sie möglich ist, innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren nicht gemäß § 26 MarkenG benutzt worden ist. Ein Antrag auf Erklärung des Verfalls kann beim DPMA (§ 53 MarkenG) oder beim Zivilgericht (§ 55 MarkenG) gestellt werden. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Antragstellerin streiten die Parteien in dem landgerichtlichen Verfahren in Bezug auf die … beim DPMA eingetragene Wortmarke „M.“ der Beklagten um diese Frage. Die Beklagte hat als Markeninhaberin Widerspruch gemäß § 42 Abs. 1 MarkenG gegen die eingetragene Marke „M. & M.“ der Antragstellerin erhoben. Im Rahmen dieses Verfahrens beabsichtigt die Antragstellerin, zur Verteidigung ihrer Marke die Nichtbenutzungseinrede gemäß § 43 MarkenG zu erheben.

Das Bundespatentgericht hat ein „berechtigtes“ Interesse nach § 62 Abs. 1 MarkenG an einer Akteneinsicht beim DPMA bejaht, wenn in einer markenrechtlichen Streitigkeit der Antragsteller wegen der Benutzung eines ähnlichen oder identischen Zeichens angegriffen wird oder ein solcher Angriff droht (vgl. BPatG, Beschluss vom 25. Oktober 2011, 33 W (pat) 29/11, juris Rn. 13). Aber auch ein (enger zu verstehendes) „rechtliches“ Interesse – hier im Sinn des § 299 Abs. 2 ZPO – ist gegeben, wenn der Gegenstand des Verfahrens, in dessen Akten Einsicht begehrt wird, für die rechtlichen Belange der außerhalb des Verfahrens stehenden und Einsicht begehrenden Person (hier der Antragstellerin) von konkreter rechtlicher Bedeutung ist (BayObLG, Beschluss vom 2. September 2021, 101 VA 100/21, NZI 2021, 1078 Rn. 20 m. w. N.). Das rechtliche Interesse setzt ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes, gegenwärtig bestehendes Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache voraus (Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2012, § 299 Anm. 38). Es liegt vor, wenn Rechte des Antragstellers durch den Akteninhalt, wenn auch nur mittelbar, berührt werden können. Wirtschaftliche Interessen genügen als solche nicht (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. September 2019, 1 VA 86/19, NZI 2019, 830 Rn. 15); diese genügen auch dann nicht, wenn sie zur Grundlage der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem anderen Verfahren gemacht werden können (vgl. Huber in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 299 Rn. 3c).

Vorliegend ist ein rechtliches und nicht nur ein wirtschaftliches Interesse gegeben, denn es stellen sich nicht nur gleichgelagerte abstrakte Rechtsfragen im Verfahren vor dem Landgericht und dem DPMA, vielmehr hängt der Ausgang beider Verfahren von der Frage ab, ob die Voraussetzungen des Verfalls in Bezug auf die Marke der Beklagten vorliegen. Ein Erfolg der Klägerin im landgerichtlichen Verfahren hätte die Löschung der … Wortmarke „M.“ zur Folge und würde damit dem beim DPMA geltend gemachten Widerspruch der Beklagten gegen die Marke der Antragstellerin die rechtliche Grundlage entziehen (BPatG, Beschluss vom 14. Mai 2019, 27 W (pat) 93/14, juris Rn. 16; Berlit, Markenrecht, 11. Aufl. 2019, 11. Eintragungsverfahren Rn. 391 a; Draheim in BeckOK MarkenR, MarkenG § 42 Rn. 38). Dies geht über ein rein wirtschaftliches Interesse an der Akteneinsicht hinaus.

bb) Das Vorliegen eines rechtlichen Interesses begründet jedoch, wovon das Landgericht zutreffend ausgeht, keinen Anspruch auf Akteneinsicht, es eröffnet vielmehr den Weg für eine Ermessensentscheidung der Justizverwaltung nach § 299 Abs. 2 ZPO (BGH, Beschluss vom 18. Februar 1998, IV AR [VZ] 2/97, ZIP 1998, 961 a. E.; BayObLG, Beschluss vom 3. Dezember 2019, 1 VA 70/19, juris Rn. 16).

Im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG prüft das Gericht auch, ob die im Ermessen der Justizbehörde stehende Maßnahme oder – wie hier – deren Ablehnung deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde, § 28 Abs. 3 EGGVG (BayObLG, NZI 2021, 1078 Rn. 21). Die Ermessensentscheidung des Landgerichts im vorliegenden Fall ist jedoch nicht zu beanstanden.

(1) Insbesondere hat das Landgericht zutreffend auf Seiten der Beklagten deren Interesse an der Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen in die Ermessensentscheidung eingestellt. Das Akteneinsichtsrecht Dritter nach § 299 Abs. 2 ZPO setzt voraus, dass der Akteneinsicht Suchende ein berechtigtes Interesse darlegt, welches dann mit etwaigen Geheimhaltungsinteressen der am Rechtsstreit Beteiligten abzuwägen ist (Kalbfus, WRP 2019, 692 [698]). Unabhängig davon, ob es sich bei den Informationen um Geschäftsgeheimnisse im Sinn des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) handelt, bleibt § 299 Abs. 2 ZPO auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes weiterhin anwendbar, in – hier nicht vorliegenden – Geschäftsgeheimnisstreitsachen lediglich punktuell ergänzt durch die Vorschriften des GeschGehG (Kalbfus, a. a. O.). Dass derartige Geheimnisse hier im Raum stehen, hat die Antragstellerin im Kern nicht in Frage gestellt. Dass das Landgericht die sensiblen Informationen als verfassungsrechtlich geschützt und berücksichtigungsfähig angesehen hat, begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken. Grundsätzlich ist das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Beteiligten eines Gerichtsverfahrens zu berücksichtigen, wenn Dritten Einsicht in die Verfahrensakte gewährt werden soll; dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei den Verfahrensbeteiligten um natürliche oder juristische Personen handelt; daneben oder stattdessen können zugunsten juristischer Personen die Gewährleistungen speziellerer Grundrechte (Art. 12 Abs. 1, Art. 14 GG) zu berücksichtigen sein (BayObLG, NZI 2021, 1078 Rn. 25). Die Justizverwaltung hat im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung demnach insbesondere die Interessen der Parteien an der Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und ggf. an der Vertraulichkeit persönlicher Daten zu berücksichtigen, wobei letzteres verfassungsrechtlich durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt ist (Bacher in BeckOK ZPO, 44. Ed. 1. März 2022, § 299 Rn. 32 m. w. N.). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung umfasst den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten. Es gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen; auch juristische Personen können Träger des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung sein, das insoweit seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 2 Abs. 1 GG findet (BVerfG, Beschluss vom 27. Juni 2018, 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 Rn. 61; Beschluss vom 13. Juni 2007, 1 BvR 1550/03, BVerfGE 118, 168 Rn. 153; BGH, Beschluss vom 9. Januar 2020, V ZB 98/19, NJW 2020, 1511 Rn. 18). Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse ohne personalen Bezug sind zwar grundsätzlich nicht durch das informationelle Selbstbestimmungsrecht geschützt, unterfallen aber – wovon auch die Antragstellerin ausgeht – dem Schutz des Art. 12 Abs. 1 bzw. Art. 14 Abs. 1 GG (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006, 1 BvR 2087/03 u. a., NVwZ 2006, 1041 Rn. 81 und Rn. 137; BVerwG, Beschluss vom 5. März 2020, 20 F 3.19, ZD 2020, 373 Rn. 11; Beschluss vom 15. August 2003, 20 F 8/03, NVwZ 2004, 105 [107]; BayObLG NZI 2021, 1078 Rn. 25; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. August 2012, V4 Kart 5 + 6/11 (OWi), NZKart 2013, 39 Rn. 48; Gersdorf in BeckOK InfoMedienR, 36. Ed. 1. Mai 2021, GG Art. 2 Rn. 19; Di Fabio in Dürig/Herzog/Scholz, GG, 96. EL November 2021, Art. 2 Abs. 1 Rn. 172, 225; Fischer/Fluck, NVwZ 2013, 337 [338]).

Das Landgericht hat in der angegriffenen Entscheidung keine Artikel des Grundgesetzes genannt, sondern allgemein auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht abgestellt. Daher ist nicht klar ersichtlich, ob es, wie die Antragstellerin meint, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gestützt hat oder davon ausgegangen ist, dass sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch in Art. 12 und Art. 14 GG verankern lasse (vgl. BVerwG, Urt. v. 20. Dezember 2001, 6 C 7/01, juris Rn. 18; OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. Mai 2009, 10 ME 385/08, NJW 2009, 2697). Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, denn im Zusammenhang mit der begehrten Akteneinsicht ergibt sich für die Beklagte aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung jedenfalls kein Schutz, der weiter geht als jener, den Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. dazu z. B. BVerfG, Beschluss vom 6. März 2014, 1 BvR 3541/13 u. a., NJW 2014, 1581 Rn. 32) oder Art. 14 Abs. 1 GG vermitteln. Es fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht dies verkannt und der Rechtsposition der Beklagten zu Unrecht ein zu hohes Gewicht beigemessen hätte, weil es nicht die zutreffenden Grundrechtsnormen herangezogen hätte. Vielmehr erscheint ausgeschlossen, dass das Landgericht, hätte es – wie es die Antragstellerin für richtig hält – ausdrücklich auf Art. 12 Abs. 1 GG bzw. Art. 14 Abs. 1 GG abgestellt, zu einem für die Antragstellerin günstigeren Ergebnis gekommen wäre. Kollidierende Grundrechte können nicht nach ihrem abstrakten Gewicht beurteilt werden, es muss für den Ausgleich der berührten Interessen vielmehr auf diese selbst zurückgegriffen werden (vgl. dazu auch Zuck, NJW 2010, 2913 [2916]). Hier hat das Landgericht eine individuelle Interessenabwägung vorgenommen.

(2) Auch im Übrigen ist kein Ermessensfehler festzustellen. § 299 Abs. 2 ZPO statuiert weder einen allgemeinen Vorrang des Informationsinteresses des Einsichtsbegehrenden, der ein rechtliches Interesse für sich in Anspruch nehmen kann, noch umgekehrt einen generellen Vorrang der Verfahrensbeteiligten an der Geheimhaltung ihrer in den Akten gespeicherten Daten und am Schutz ihrer übrigen Belange. Vielmehr bedarf es stets einer auf den Einzelfall bezogenen Abwägung der relevanten Gesichtspunkte (BayObLG, NZI 2021, 1078 Rn. 24). Das Interesse des widersprechenden Verfahrensbeteiligten wird regelmäßig überwiegen, soweit in das Verfahren vertrauliche Daten (z. B. Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse) eingeführt worden sind (vgl. Deppenkemper in Prütting/Gehrlein, ZPO, 13. Aufl. 2021, § 299 Rn. 9; Zimmermann in Hohnel, Kapitalmarktstrafrecht, 2013, 12. Teil Rn. 71), bzw. begründet hohe Anforderungen an die Bewilligung der Akteneinsicht.

Das Landgericht hat in seiner ablehnenden Entscheidung darauf abgestellt, dass das berechtigte Interesse der Antragstellerin nicht überwiege, weil es ihr unbenommen bleibe, im Widerspruchsverfahren ebenfalls die Nichtbenutzungseinrede gegen die Widerspruchsmarke der Beklagten zu erheben und es dann an der Beklagten wäre, im Widerspruchsverfahren die rechtserhaltende Benutzung ihrer Marke nachzuweisen. Dabei stehe es ihr aufgrund der Dispositionsmaxime frei, welche (ggf. vertraulichen) Unterlagen sie im Amtsverfahren zum Nachweis einer rechtserhaltenden Benutzung vorlegen wolle. Dagegen habe die Antragstellerin kein überwiegendes rechtliches Interesse, schon im Vorfeld der Prüfung der rechtserhaltenden Benutzung zu erfahren, auf welche Benutzungsunterlagen sich die Beklagte stützen könnte. Diese Erwägungen sind weder sachfremd noch lassen sie eine fehlerhafte Gewichtung erkennen.

Weder lassen die Ausführungen des Landgerichts erkennen, dass es das Interesse der Antragstellerin an der Akteneinsicht nicht angemessen berücksichtigt hätte, noch erweist sich deren Standpunkt als tragfähig, die Beklagte könne sich schon deshalb nicht auf die Vertraulichkeit der im Gerichtsverfahren vorgelegten Unterlagen berufen, weil sie den Widerspruch gegen die Markenanmeldung der Antragstellerin aus freien Stücken eingelegt habe und ohnehin bei Erhebung der Einrede der Nichtbenutzung die rechtserhaltende Benutzung nachweisen müsse. Die Beklagte kann, wie dargelegt, in Bezug auf ihre Geschäftsunterlagen, die sie im landgerichtlichen Verfahren zur Frage der rechtserhaltenden Benutzung ihrer Marke vorgelegt hat, ein erhebliches, auch verfassungsrechtlich geschütztes (s. o.) Interesse geltend machen, das sie dem rechtlichen Interesse der Antragstellerin entgegenhalten kann. Auch ist die Erwägung des Landgerichts, dass die Beklagte bei Erhebung der Nichtbenutzungseinrede durch die Antragstellerin die rechtserhaltende Benutzung ihrer Marke nachzuweisen habe, wobei die Entscheidung darüber, welche – ggf. vertraulichen – Unterlagen sie im Amtsverfahren zum Nachweis einer rechtserhaltenden Benutzung vorlegen möchte, ihr vorbehalten bleibe und ihr dies wegen der Dispositionsmaxime auch vorbehalten bleiben müsse, keineswegs sachfremd und grundsätzlich geeignet, im Rahmen der Abwägung eine Rolle zu spielen. Dass die Beklagte selbst Widerspruch eingelegt hat, ändert daran nichts. Denn zum einen muss sie nicht von vornherein zwingend damit rechnen, dass im Widerspruchsverfahren die Nichtbenutzungseinrede erhoben wird, zum anderen hat sie sich mit Einlegung des Widerspruchs nicht näher festgelegt, wie sie sich gegen eine etwaige Nichtbenutzungseinrede genau verteidigen wird. Weder führt die Einlegung des Widerspruchs zu einem Verzicht auf ihr Geheimhaltungsinteresse im landgerichtlichen Verfahren, noch mindert dies das Interesse der Beigeladenen an der Vertraulichkeit ihrer Unterlagen. Umgekehrt sind auf Seiten der Antragstellerin keine Aspekte ersichtlich, die das Landgericht ermessensfehlerhaft unberücksichtigt gelassen hätte. Konkrete Nachteile für ihre Rechtsposition im Verfahren vor dem DPMA, die ihr dadurch entstehen könnten, dass sie erst im Rahmen des Widerspruchsverfahrens erfährt, welche konkreten Argumente die Beklagte dort geltend macht und welche vertraulichen oder nicht vertraulichen Unterlagen sie ggf. zur Widerlegung der Einrede – insoweit unter Geltung des Beibringungsgrundsatzes – vorlegt, sind nicht dargetan. Auch in Bezug auf die Vermutung der Antragstellerin, die Beklagte nutze ihre Marke nur dazu, gegen Dritte 102 VA 14/22 – Seite 11 – vorzugehen, deren Marken den (häufig anzutreffenden) Bestandteil „M.“ enthielten, gilt nichts anderes. Ermessensfehler sind damit nicht ersichtlich.

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil die Antragstellerin die gerichtlichen Kosten des Verfahrens bereits nach den gesetzlichen Bestimmungen zu tragen hat (§ 1 Abs. 1 und 2 Nr. 19 GNotKG i. V. m. § 22 Abs. 1 GNotKG).

Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 29 Abs. 2 EGGVG die Rechtsbeschwerde zuzulassen ist, liegen nicht vor.

Die nach § 1 Abs. 1 und 2 Nr. 19, § 3 Abs. 1 und 2 GNotKG i. V. m. Nr. 15301 KV GNotKG erforderliche Geschäftswertfestsetzung beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG.

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