Bezeichnung eines Unternehmens als Sekte kann von Meinungsfreiheit gedeckt sein

16. August 2018
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Schild mit der Aufschrift "Meinungsfreiheit" in einer Stadt Urteil des OLG Frankfurt a. M. vom 28.06.2018, Az.: 16 U 105/17

Wird ein Unternehmen gegenüber seinen Kunden und Mitgliedern eines beruflichen Netzwerkes als Sektengemeinschaft bezeichnet, so liegt nicht grundsätzlich ein Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht vor. Bei der Abwägung zwischen Kläger- und Beklagteninteresse überwiegt hier das Meinungsäußerungsinteresse, wenn es bei dieser nicht vordergründig um die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen geht, sondern lediglich um Aufklärung und Information der Kunden über die nach Ansicht des Klägers im Unternehmen vorherrschenden ideologischen Wertvorstellungen und intern bestehenden Strukturen. Bei falschen Tatsachenbehauptungen steht Betroffenen zum Schutz der wirtschaftlichen Reputation im Übrigen ein Unterlassungsanspruch zu.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Urteil vom 28.06.2018

Az.: 16 U 105/17

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 30.5.2017 – Az. 2-03 O 278/16 – teilweise abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 2.000,– ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, zu verbreiten:

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen die Gründer von X,

wenn dies geschieht wie in den Emails vom 1.4.2015 gemäß Anlagen K 24 und K 25

Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 4/5 und der Beklagte 1/5 zu tragen.

Dieses Urteil ist in der Hauptsache hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 15.000,– und im Übrigen wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf € 45.000,– festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Verbreitung von Äußerungen durch den Beklagten im Rahmen von wortgleichen Emailschreiben an Geschäftspartner von ihr sowie in einem weiteren Emailschreiben an Frau A vom Y; ihre gegen die Verbreitung von Äußerungen des Beklagten in Presseveröffentlichungen, Medienauftritten und Berichten auf seiner Facebook-Seite (…) gerichtete Berufung hat sie zurückgenommen.

Wegen des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Ergänzend ist festzuhalten, dass das gegen Vorname1 Nachname1 seitens der Staatsanwaltschaft Stadt1 geführte Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Mordes zum Nachteil des Kindes K mittlerweile abgeschlossen und Anklage beim Landgericht – Schwurgericht – Stadt1 erhoben worden ist. (…). Ein weiteres gegen Frau Nachname1 gerichtetes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Misshandlung von Schutzbefohlenen und Körperverletzung wurde am 1.4.2016 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Ihr Ehemann, Herr Vorname2 Nachname1, ist zwischenzeitlich verstorben. Dieser war bis zu seinem Tod Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der Klägerin und zugleich Kommanditist. Neue Geschäftsführerin sind nunmehr Frau B, Mutter des verstorbenen Kindes K und Herr C; Kommanditistin ist Frau Vorname1 Nachname1, welche auch im Grundbuch als Eigentümerin des Grundstücks eingetragen ist, auf dem sich der Geschäftssitz der Klägerin befindet.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es – soweit im Berufungsverfahren noch von Interesse – ausgeführt, der Klägerin stehe gegen den Beklagten kein Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerungen wegen Verletzung ihres Unternehmerpersönlichkeitsrechts bzw. eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu. Zwar sei die Klägerin durch die angegriffenen Äußerungen des Beklagten selbst betroffen, welche sich auf Personen ihrer Geschäftsleitung bzw. u.a. auf eine behauptete Sekteneigenschaft der Klägerin selbst bezögen. Bei der Äußerung zu Ziffer I.1. handele es sich jedoch um eine wahre Tatsachenbehauptung, die von der Klägerin hinzunehmen sei. Auch soweit man hierin einen betriebsbezogenen Eingriff sehe, überwögen die Interessen des Beklagten im Rahmen der erforderlichen Abwägung diejenigen der Klägerin. Die Mitteilung des Beklagten von der Existenz eines Ermittlungsverfahrens gegen die Ehefrau des (Anm.: seinerzeitigen) Geschäftsführers der Klägerin im Zusammenhang mit dem Todesfall eines Kindes sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Die geschilderten Umstände beträfen sein eigenes Leben, da sie sich auf einen Zeitraum bezögen, in dem er durch die freundschaftliche Verbindung seiner Eltern mit der Geschäftsleitung der Klägerin einbezogen gewesen sei. Zudem dürften die von ihm geäußerten Verdachtsmomente Einfluss auf sein Leben gehabt haben. Im Übrigen verfolge der Beklagte mit seinen Erklärungen gegenüber den Ermittlungsbehörden offenbar ein sachliches Informationsanliegen. Demgegenüber hätten die Unternehmenspersönlichkeitsrechte der Klägerin zurückzutreten. Die Äußerungen zu Ziffer I.2. seien von der Meinungsfreiheit geschützt. Bei der Bezeichnung der Klägerin als Sekte bzw. dem angeblichen Vorliegen „sektenähnlicher Strukturen“ handele es sich um ein zulässiges Werturteil des Beklagten. Mangels konkreter Bezugnahme der Klägerin auf einzelne Aussagen des Beklagten in konkret zu benennenden Veröffentlichungen sei eine Prüfung der Äußerungen im jeweiligen Kontext nicht möglich gewesen. Bei einer die Allgemeinheit berührenden Frage spreche die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede. Darüber hinaus dürfe der Beklagte seine subjektive Einschätzung auch äußern angesichts der von ihm vorgebrachten Erfahrungen in seiner Familie und seinem Beschäftigungsverhältnis bei der Klägerin. Eine Schmähkritik liege nicht vor.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit welcher sie ihr erstinstanzliches Klagebegehren vollumfänglich weiterverfolgt. Die Abwägung zwischen dem Recht des Beklagten auf freie Meinungsäußerung und dem Schutz des Unternehmenspersönlichkeitsrechts der Klägerin müsse angesichts der Schwere der Verletzung zu ihren Gunsten ausfallen. Das Landgericht habe sich weder mit der Frage einer Formalbeleidigung noch der massiven Geschäftsschädigung durch die von dem Beklagten absichtlich öffentlich betriebene Rufmordkampagne befasst, welche keinesfalls durch dessen Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sein könne. Seine Äußerungen erfüllten wegen ihrer gezielt diffamierenden Wirkung die Voraussetzungen verbotener Schmähkritik. Sie brächten die Geschäftsleitung der Klägerin und ihre Mitarbeiter durch ungerechtfertigte persönliche Angriffe in Verruf und zielten damit auf den guten Ruf der Klägerin insgesamt ab. Zweck der Äußerungen sei eine Prangerwirkung, um bei ihren Kunden und Geschäftspartnern Vorbehalte zu wecken und die Klägerin damit wirtschaftlich massiv zu schädigen und zu vernichten. Die von dem Landgericht angenommene Verfolgung eines sachlichen Informationsanliegens seitens des Beklagten beruhe auf reiner Spekulation. Dass es dem Beklagten nicht hierum ginge, zeigten bereits die als Anlage K 22 vorgelegte E-Mail des Herrn D vom 24.3.2015 als auch die eigenen Anzeigen und Erklärungen des Beklagten in dem Ermittlungsverfahren vor der Staatsanwaltschaft Stadt1 – Az. … – (vgl. Anlage K 51), denen in keiner Weise tragfähige Informationen zugrunde gelegen hätten, wie etwa der vermeintliche Brief des Herrn Vorname2 Nachname1 an seine Frau Vorname1 aus dem Jahr 19XX. Den von ihm erhobenen Sektenvorwurf habe der Beklagte von Anfang an als Mittel im Kampf gegen die Klägerin und gegen die mir ihr in Verbindung stehenden Personen gezielt eingesetzt. An dieser Schädigungsabsicht halte der Beklagte auch weiterhin fest, wie etwa sein im (…) am XX.XX.20XX innerhalb des Magazins (…) gesendetes Interview zeige (vgl. Anlage K 36) sowie seine Einträge auf seiner (…) vom XX.XX. und XX.XX. (vgl. Anlage K 37). Der von dem Beklagten ausdrücklich angekündigte, systematisch betriebene Vernichtungsfeldzug gegenüber der Klägerin komme auch in seinen E-Mailschreiben an ihre Kunden und Geschäftspartner zum Ausdruck (vgl. Anlagen K 24 – K 28). Zur Untermauerung der seitens des Beklagten tatsächlich bezweckten Schädigung der Klägerin in ihrer Reputation wie auch in wirtschaftlicher Hinsicht trägt die Klägerin ergänzend zu den von ihm im Juni 2012 beginnenden, gegen sie und ihre Mitarbeiter gerichteten Aktivitäten vor (vgl. Seite 9 – 15 der Berufungsbegründung/GA 258 – 264). Zudem sei zu sehen, dass die von dem Beklagten geführte Kampagne gegen die Klägerin ihm wirtschaftlich zugutekomme, was ihm bewusst sei und von ihm genutzt werde.

Die Äußerungen des Beklagten über laufende strafrechtliche Ermittlungen seien im Kern nicht unwahr, stellten aber eine Formalbeleidigung dar und seien deshalb unrechtmäßig. Durch das aktive Ansprechen von Geschäftspartnern und den Hinweis auf die Ermittlungen im Strafverfahren werde die Klägerin gezielt und gewollt einer schweren Geschäftsschädigung ausgeliefert. Insoweit sei auch zu sehen, dass die Ermittlungen überhaupt nichts mit ihrer Arbeit zu tun hätten. Für das vorgeblich sachliche Informationsanliegen des Beklagten sei es völlig ohne Belang, ob die jetzt unter strafrechtlichen Gesichtspunkten in Anspruch genommene Person für einen Zeitraum, der mehr als eineinhalb Jahrzehnte nach dem Tod des Kindes 19XX begonnen habe, einmal bei der Klägerin beschäftigt gewesen sei. In diesem Zusammenhang behauptet die Klägerin, das seinerzeit zwischen ihrer Rechtsvorgängerin, der früheren Firma X e.K und Frau Nachname1 am 1.9.2004 begründete Arbeitsverhältnis habe mit Ablauf des 31.10.2017 geendet. Nach den Einschätzungen des Landgerichts im Rahmen der mündlichen Verhandlung sei die im Urteil erfolgte Einordnung der Äußerungen im Zusammenhang mit der Sekteneigenschaft der Klägerin als Meinungsäußerung überraschend. Hierbei handele es sich vielmehr um eine den Beweis zugängliche Tatsachenbehauptung. Die Klägerin sei keine Glaubensgemeinschaft, Sekte oder in sonstiger Weise tätige religiöse Gruppierung und unterstütze auch keine solche noch stehe hinter ihren Mitarbeitern eine Sektengemeinschaft. Sie unterscheide klar zwischen Geschäftlichem und Privaten. Zudem sei die Meinungsfreiheit auch im Falle von wahren Tatsachenbehauptungen eingeschränkt, wenn – wie hier – ein Schaden zu befürchten sei. Der Sektenvorwurf sei ein Kampfbegriff mit negativen Zuschreibungen und herabsetzenden Charakter. Ergänzend nimmt die Klägerin Bezug auf die Feststellungen im Bericht der vom Deutschen Bundestag in der 13. Wahlperiode eingesetzten Enquête-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ vom 9.6.1998. Danach sei der Sektenbegriff für die Zwecke der Aufklärung und Information denkbar ungeeignet.

Soweit das Landgericht Vortrag zu konkret zu benennenden Aussagen in konkret zu benennenden Äußerungen vermisst habe, hätte es eines richterlichen Hinweises bedurft. Im Übrigen verweist die Klägerin auf ihren Vortrag auf Seite 5 Absatz 2 und die auf Seite 6 der Klageschrift aufgelisteten und beigefügten Ausdrucke der Facebook-Seiten, Berichterstattungen aus den Medien und Ausschnitten von Sendungen. Des Weiteren nimmt sie auf die auf Seiten 19 – 21 der Berufungsbegründung aufgelisteten Anlagen Bezug.

Die Klägerin hat zunächst unter Neufassung des Antrags zu Ziffer I. Nr. 1 beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils den Beklagten zu verurteilen,

I.

es zu unterlassen,

schriftlich

oder mündlich

fernmündlich

per E-Mail,

per SMS,

per WhatsApp,

in Printmedien

oder Online-Medien Plattformen,

über soziale Medien wie bspw. Facebook, sei es durch originäre Einträge, sei es durch Kommentare, Links oder auf sonstige Art und Weise,

auf Linkedin, Xing,

Twitter und anderen sozialen Medien, seien sie bekannt oder werden sie erst begründet,

in Fernsehberichten,

Radioberichten,

Interviews,

Auftritten im Fernsehen oder Radiointerviews,

durch Fernseh- oder Radiomitschnitte,

bei berufsständischen Vereinigungen oder über solche,

bei jedweden Netzwerken oder über solche,

bei Veranstaltungen jeglicher Art öffentlich oder gegenüber einzelnen Teilnehmern,

gegenüber Netzwerkkollegen der Klägerin bzw. deren Mitarbeitern,

gegenüber bisherigen oder möglichen neuen Geschäftspartnern der Klägerin samt deren Mitarbeitern, gegenüber Bekannten, Verwandten, Freunden der Mitarbeiter der Klägerin oder in sonst einer Form öffentlich oder der Öffentlichkeit zugänglich

folgende Äußerungen oder ähnlich lautende Äußerungen, aber sinngemäß oder inhaltlich gleiche Äußerungen zu tätigen oder zu verbreiten:
1.

Strafrechtliche Ermittlungen bzw. die Einleitung eines Strafverfahrens wegen des Todes des Kindes K im Jahr 19XX stünden in einem wie auch immer gearteten Zusammenhang mit der Klägerin bzw. deren Rechtsvorgängerin, der Firma X e.K. sowie deren Mitarbeitern bzw. jeweiligen Geschäftsleitungen;
2.

bei der Klägerin handele es sich um eine Sekte bzw. eine sektenähnliche Struktur, Mitarbeiter der Klägerin seien Mitglieder einer solchen;
3.

die Klägerin bzw. ihre Geschäftsleitung habe in totalitärer Form Ausbeutung und Gehirnwäsche betrieben und Gewalt sowie sexuelle Übergriffe ausgeübt, insbesondere gegenüber ausgeschiedenen Mitarbeitern;

hilfsweise,

nachfolgende unter Ziffern 1 – 3 aufgeführte Äußerungen oder ähnlich lautende Äußerungen, aber sinngemäß oder inhaltlich gleiche Äußerungen mit Blick auf die Klägerin zu tätigen oder solche Äußerungen, soweit sie durch Dritte getätigt wurden, seinerseits zu verbreiten:

(Von der Darstellung wird abgesehen – die Red.)
II.

Einträge, Veröffentlichungen oder sonstige Informationen betreffend die Klägerin auf den vom Beklagten betriebenen Facebook-Seiten im Zusammenhang mit den I. 1. – 3. genannten Themen vom Beklagten unverzüglich zu löschen, soweit ihm dies selbst möglich ist, oder die Löschung von ihm unverzüglich zu veranlassen, soweit er sie nicht eigenständig ausführen kann.
III.

Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird dem Beklagten ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu € 2.000,– angedroht.

Nunmehr beantragt sie unter Rücknahme ihre Berufung im Übrigen,

den Beklagten zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 2.000,– ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, zu verbreiten

(Von der Darstellung wird abgesehen – die Red.)

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags. Er hält die Klageanträge mangels hinreichend konkreter Bestimmtheit für unzulässig. Durch die Anklageerhebung seitens der Staatsanwaltschaft sei sein sachliches Informationsanliegen zusätzlich hinreichend konkretisiert. Die Klägerin verkenne, dass wahre Tatsachenbehauptungen keiner Interessenabwägung unterlägen. Er, der Beklagte, habe in der Sache zur Aufklärung und weitergehenden Ermittlungen in einem Mordverfahren und auch zur Aufklärung der Öffentlichkeit beigetragen.

Bei den Äußerungen zu Ziffern I. 2. handele es sich inhaltlich um Meinungsäußerungen. Die Vorwürfe bezögen sich nicht nur auf die Klägerin als solche, sondern vielmehr die dahinterstehende Gruppierung. Zwischen der Klägerin, ihren Mitarbeitern und der dahinterstehenden Sektengemeinschaft um die Eheleute Nachname1 bestehe eine enge Verzahnung, so dass eine strenge Trennung zwischen der Sekte an sich und der Klägerin als solcher schlicht nicht möglich sei. Um die Eheleute Nachname1 habe sich ein Sektenkult gebildet, wobei Frau Nachname1 als Medium angeblich Gottesbotschaften empfange, nach denen die übrigen Mitglieder der Gemeinschaft zu leben hätten. Dabei würden diese psychisch und wirtschaftlich in ein Abhängigkeitsverhältnis getrieben. Unter anderen hätten die Mitglieder den Großteil ihres Vermögens an die Eheleute Nachname1 abgeben müssen. Um diese noch stärker persönlich als auch wirtschaftlich an sich zu binden, sei nach und nach die Klägerin aufgebaut worden. Darüber hinaus bestünden seit dem Jahr 2012 Darlehensverbindlichkeiten der Klägerin gegenüber ihren Mitarbeitern in Höhe von ca. € 1,65 Mio., welche die enge Verflechtung bzw. wirtschaftliche Abhängigkeit zwischen diesen belegten. In diesem Zusammenhang verweist der Beklagte auf den Jahresabschluss der Klägerin für das Geschäftsjahr 2012 und eine auszugsweise wiedergegebene Berichterstattung in der (…). Demnach profitiere Frau Nachname1 entscheidend persönlich und wirtschaftlich von der Geschäftstätigkeit der Klägerin und ihrer Verflechtung mit ihren Mitarbeitern/Mitgliedern der Sektengemeinschaft. Gerade bei solchen Strukturen, in denen ein vermeintlich seriöses Unternehmen zur Teilnahme am Rechts- und Wirtschaftsverkehr gegründet werde, um dahinter eine den einzelnen Menschen erniedrigende Struktur aus Zwang und psychischem Druck aufzubauen, gehe eine besondere Gefahr für den Einzelnen und die Gesellschaft aus, vor welcher er hier durch seine Informationen warne.

Des Weiteren streite hier zu Gunsten des Beklagten das Recht der freien Rede und Meinungsäußerungsfreiheit. Er habe sich nur auf den Versuch der geistigen Einflussnahme und Überzeugung, also auf Mittel beschränkt, die den geistigen Kampf der Meinungen gewährleisteten. Seine Äußerungen seien weder verleumdend noch in irgendeiner Weise beleidigend und damit auch nicht diffamierend. Vielmehr beruhten seine Wertungen auf eigenen persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen; zudem seien objektive tatsächliche Umstände und Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Sekte gegeben. Im Übrigen sei zu sehen, dass die hinter der Klägerin stehende Gemeinschaft nicht nur von ihm selbst, sondern auch von strafrechtlichen Ermittlungsbehörden und der evangelisch-methodistischen Kirche als gefährliche Sekte eingestuft worden sei.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 511, 517, 519 ZPO).

In der Sache hat sie in dem noch aufrechterhaltenden Umfang teilweise Erfolg.

1. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG auf Unterlassung, die in dessen jeweils wortgleichen, an ihre Geschäftspartner gerichteten Emailschreiben vom 1.4.2015 enthaltene Äußerung „Betreff: X im Fokus der Berichterstattung u.a. in der (…).

a. Der Berufung ist allerdings zuzugeben, dass die Bezeichnung des Unternehmens der Klägerin als Sekte in den Schutzbereich ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingreift.

aa. Die Klägerin kann sich auf eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG) berufen. Es ist anerkannt, dass juristische Personen Persönlichkeitsrechtsschutz genießen, soweit sie aus ihrem Wesen als Zweckschöpfung des Rechts und ihren Funktionen dieses Rechtsschutzes bedürfen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn und soweit sie in ihrem sozialen durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Geltungsanspruch als Wirtschaftsunternehmen betroffen sind [BGH Urt. v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14 – Rn. 12; Urt. v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15 – Rn. 11].

bb. Bei der angegriffenen Formulierung „Im Falle einer Sekte, dem Medienproduktionshaus X in Stadt1…“ handelt es sich offensichtlich um den Auszug eines wörtlichen Zitats aus einer der beiden Berichterstattungen in der (…), zu welchen der Beklagte am Ende seines Emailschreibens verlinkt hat, und das er durch dessen Wiedergabe unter Betreff“ weitergibt und damit verbreitet, ohne sich von dieser Äußerung zu distanzieren. Die Bezeichnung als Sekte betrifft die Klägerin in ihrem sozialen Geltungsanspruch. Denn im allgemeinen Sprachgebrauch werden als Sekten oft religiöse Gruppen bezeichnet, die in irgendeiner Weise als gefährlich oder problematisch angesehen werden, so dass die beanstandete Äußerung geeignet ist, sich abträglich auf das unternehmerische Ansehen der Klägerin in der Öffentlichkeit auszuwirken, weil sie ihr Unternehmen in den Augen der angesprochenen Rezipienten negativ qualifiziert.

b. Die Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin ist jedoch unter Abwägung der betroffenen Interessen nicht als rechtswidrig anzusehen. Die grundrechtlich geschützte Position der Klägerin überwiegt hier die des Beklagten nicht.

aa. Wegen der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrecht als einem Rahmenrecht liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der konkret widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt [BGH Urt. v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12 – Rn. 22; Urt. v. 28.7.2015 – VI ZR 340/14 – Rn. 29; Urt. v. 15.9 2015 – VI ZR 175/14 – Rn. 20].

bb. Im Streitfall ist das Schutzinteresse der Klägerin mit dem in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMR verankerten Recht des Beklagten auf Meinungsäußerungsfreiheit abzuwägen.

c. Bei der von der Klägerin angegriffenen Darstellung ihres Unternehmens als Sekte handelt es sich um eine durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungsäußerung und nicht um eine Tatsachenbehauptung, für deren Zulässigkeit es grundsätzlich auf die Wahrheit der Behauptung ankäme.

aa. Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert. Demgegenüber werden Werturteile und Meinungsäußerungen durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist danach, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises zugänglich ist. Dies scheidet bei Werturteilen und Meinungsäußerungen aus, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet sind und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen [BGH Urt. v. 28.7.2015 – VI ZR 340/14- Rn. 24;Urt. v. 16.12.2014 – VI ZR 39/14- Rn. 8]. Sofern eine Äußerung, in der sich Tatsachen und Meinungen vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, wird sie als Meinung von dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte [BGH Urt. v. 28.7.2015 aaO.; Urt. v. 16.12.2014 aaO.]. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden [BGH Urt. v. 16.12.2014 aaO.]. Die zutreffende Einstufung einer Äußerung als Wertung oder Tatsachenbehauptung setzt die Erfassung ihres Sinns voraus [BGH Urt. v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07- Rn. 15; Urt. v. 22.9.2009 – VI ZR 19/08- Rn. 11; Urt. v. 16.12.2014 aaO. – Rn. 9]. Bei der Sinndeutung ist von dem Verständnis auszugehen, das ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum dem Begriff unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs zumisst [BGH Urt. v. 11.3.2008 aaO.]. Dabei ist die Äußerung stets in dem Zusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden [BGH Urt. v. 27.5.2014 – VI ZR 153/13- Rn. 13; Urt. v. 16.12. 2014 aaO. – Rn. 9].

bb. Nach diesen Grundsätzen stellt sich die angegriffene Aussage als Meinungsäußerung in Form eines Werturteils dar. Die Bedeutung des Begriffs Sekte ist nicht objektivierbar. Es gibt für diesen Begriff weder eine feststehende Definition noch festgelegte Voraussetzungen, bei deren Vorliegen das Bestehen einer Sekte feststünde. Eine eindeutige objektive Bedeutung des Begriffs Sekte aus der Sicht eines unvoreingenommenen Durchschnittsrezipienten findet sich nicht. Es gibt keine objektive Tatsachengrundlage, ab der die Bewertung, dass es sich bei einer Gruppe um eine Sekte handelt, gerechtfertigt ist. Vielmehr drückt dieser das Ergebnis einer subjektiven Bewertung der ideologischen Vorstellungen und der Struktur innerhalb einer Gruppe aus. Eine Überprüfung der Aussage, dass es sich bei der Klägerin um eine Sekte handele, ist deshalb mit den Mitteln des Beweises nicht möglich. Beweis erhoben werden kann nur über tatsächliche, konkretisierte Vorgänge, auf welcher die wertungsabhängige, subjektive Schlussfolgerung über das Bestehen einer Sekte beruht.

Allerdings bleibt der tatsächliche Gehalt der Äußerung – so wie in dem Emailschreiben wiedergegeben – völlig substanzlos. Eine Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen, die dem Beweis zugänglich wären, erhält der Leser erst durch die mediale Berichterstattung, auf die der Beklagte in seinem Emailschreiben per Linksetzung verweist. Insoweit haftet der Beklagte auch für die Inhalte, auf die durch die Links verwiesen wird. Denn durch ihre Einbindung in sein Emailschreiben, mit welcher er seiner Hoffnung Ausdruck verleiht, durch die von ihm zusammengetragenen Informationen rund um die Berichterstattung über die Klägerin offene Fragen zu beantworten, hat er deutlich gemacht, dass er sich derart mit deren Inhalten identifiziert, dass er damit eigene Ausführungen ersetzt [vgl. Weyhe in Hamburger Komm. aaO., Kap. 37 Rn. 205]. Eine Textabschrift des konkreten Fernsehbeitrags in der (…), aus welchem die unter Betreff zitierte Äußerung stammt, hat die Klägerin indes nicht vorgelegt, so dass sich nicht der Kontext ersehen lässt, in welchem diese Äußerung getroffen wurde. Im Zusammenhang mit seinem eigenen Redebeitrags in der …sendung (…) zu dem Thema „(…) (vgl. Anlage K 42), auf welchen der Beklagte in seinem Emailschreiben u.a. verlinkt hat, wird jedoch deutlich, dass er mit dem Begriff Sekte die ideologischen Wertvorstellungen der hinter der Klägerin stehenden Gruppe um die Eheleute Nachname1 bewertet, nämlich dem von ihm beschriebenen Status ihres Auserwähltseins und Allmachtanspruchs, als Medium Gottes über Traumdeutung und Briefe Gottesbotschaften zu empfangen, mit deren Hilfe und durch ständige Vorwürfe und Glaubensvorträge sie völlige Regelung und Kontrolle ausübten. Hierbei hat sich der Beklagte auch kritisch mit dem Umgang der Eheleute Nachname1 mit den Mitgliedern der sich um sie gebildeten Gruppierung auseinandergesetzt, welcher von psychischem Druck, geistiger und wirtschaftlicher Abhängigkeit, Isolation sowie Verlust der Autonomie und Individualität der Gruppenmitglieder geprägt gewesen sei. Ferner hat der Beklagte geschildert, dass die Klägerin gegründet worden sei, um das Werk Gottes voranzubringen und letztlich seine Wahrheit nach außen in die Welt tragen zu können. Auch aus den Artikeln in der Zeitung1, zu welchen der Beklagte in seinem Emailschreiben verlinkt hat und welche von der Klägerin bis auf den Artikel (…) zur Akte gereicht wurden, geht hervor, dass der Beklagte in seinen Interviews gegenüber dem verantwortlichen Redakteur seine subjektive Bewertung der Klägerin als Sekte auf die vorstehend dargestellten Umstände gründet.

d. Der angegriffenen Äußerung ist der grundrechtliche Schutz nicht deshalb entzogen, weil sie die auf die Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen der Klägerin abzielt, indem sie gegenüber ihren Kunden verbreitet wurde, auf deren Aufträge die Klägerin zur Ausübung ihres Geschäftsbetriebs angewiesen ist. Zwar hat das Emailschreiben den Charakter eines Boykottaufrufs. Auch wenn der angeschriebene Kunde darin nicht ausdrücklich aufgefordert wird, seine Geschäftsbeziehung mit der Klägerin zu beenden, kommt diese Intention des Beklagten zumindest konkludent zum Ausdruck. Die Bezeichnung der Klägerin als Sekte und die Verlinkung auf eine Vielzahl medialer Berichterstattungen, in deren Fokus die Klägerin steht, verbunden mit dem Hinweis, dass die Stadt Stadt1 erste Konsequenzen gezogen und ihre Zusammenarbeit mit der Klägerin zunächst auf Eis gelegt habe, enthält die unmissverständliche Aufforderung an die angeschriebenen Kunden der Klägerin, sich mit den verlinkten Beiträgen auseinanderzusetzen und gleichfalls für den geschäftlichen Kontakt mit dieser Konsequenzen zu ziehen.

Auch der Aufruf zu einer Boykottmaßnahme, dem eine bestimmte Meinungskundgabe zugrunde liegt, kann in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fallen [BVerfG Beschl. v. 26.2.1969 – 1 BvR 619/63 – Rn. 17; Beschl. v. 15.11.1982 – 1 BvR 108/80 – Rn. 31; BGH Urt. v. 6.2.2014 – I ZR 75/13 Rn. 17; Urt. v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15 – Rn. 21]. Das ist hier der Fall. Das Emailschreiben des Beklagten beschränkt sich nicht auf die stillschweigende Aufforderung, die Geschäftsbeziehung der Klägerin zu beenden oder jedenfalls ruhen zu lassen, sondern enthält auch wertende Elemente, mit denen der Beklagte dem angeschriebenen Kunden seine Ansicht deutlich macht, dass dieser eine Geschäftsbeziehung zu einem Unternehmen unterhalte, hinter dem eine Sekte stehe. Mit seiner subjektiven Bewertung der Klägerin als Sekte bringt der Beklagte seine ablehnende Haltung dieser gegenüber zum Ausdruck.

e. Entgegen der Auffassung der Berufung ist die danach erforderliche Abwägung vorliegend auch nicht entbehrlich, weil die angegriffene Äußerung als Schmähkritik zu qualifizieren sei; vielmehr hat diese am Schutz des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG tei. Auch hier ist nämlich zu beachten, dass eine Aussage nicht isoliert gewürdigt werden darf, sondern in dem Gesamtzusammenhang zu beurteilen ist, in dem sie gefallen ist [BGH Urt. v. 16.12.2014 aaO. – Rn. 19]. Danach kann der strittigen Äußerung aber ein Sachbezug nicht abgesprochen werden. Denn wie sich aus den Veröffentlichungen ergibt, zu denen das Emailschreiben des Beklagten verlinkt, steht in der angegriffenen Äußerung nicht die persönliche Diffamierung der Klägerin ohne Bezug zu der Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund.

Eine andere Sichtweise rechtfertigt auch nicht das als Anlage K 22 vorgelegte Emailschreiben von Herrn D vom 24.3.2015, aus welchem hervorgeht, dass der Beklagte nach Verlassen der Klägerin ihm gegenüber erklärt habe, diese vernichten zu wollen. Denn die darin wiedergegebenen Äußerungen des Beklagten (es gebe bei X, insbesondere über Herrn Nachname1, Telefonate zu Gott, dies auch in der Firma; Frau B habe als Mutter vor Jahren ihr Kind bei einem Sektenritual umgebracht) lassen erkennen, dass es dem Beklagten darum geht, die aus seiner Sicht hinter der Klägerin stehende Sektengemeinschaft aufzuzeigen.

Ebenso wenig stellt die in Rede stehende Äußerung eine Formalbeleidigung gegenüber der Klägerin dar.

f. Bei der danach erforderlichen Abwägung überwiegt das Interesse der Klägerin am Schutz ihres sozialen Geltungsanspruchs als Wirtschaftsunternehmens und ihrer unternehmensbezogenen Interessen das Recht des Beklagten auf Meinungsfreiheit nicht.

Bei einem Aufruf zu Boykottmaßnahmen sind für die Abwägung zunächst die Motive und – damit verknüpft – das Ziel und der Zweck des Aufrufs wesentlich. Die Rechtsprechung misst den Interessen des vom Boykottaufruf Betroffenen dann eher Vorrang zu, wenn die Meinungsäußerung nicht dem geistigen Meinungskampf dient, sondern als Mittel zum Zweck der Förderung privater Wettbewerbsinteressen eingesetzt wird, wenn es also um die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen gegen andere wirtschaftliche Interessen im Rahmen des wirtschaftlichen Wettbewerbs geht. Wird mit der Meinungsäußerung hingegen ein die Öffentlichkeit wesentlich berührendes Anliegen verfolgt, kommt der Meinungsfreiheit grundsätzlich das größere Gewicht zu, auch wenn als Nebeneffekt eines Boykottaufrufs wirtschaftliche Interesse beeinträchtigt werden, selbst wenn diese Folge mitbeabsichtigt ist [0 Beschl. v. 15.1.1958 – 1 BvR 440/51 – Rn. 55; Beschl. v. 26.2.1969 – 1 BvR 619/63 – Rn. 17; Beschl. v. 15.11.1982 – 1 BvR 108/8 – Rn. 31; BGH Urt. v. 6.2.2014 aaO. – Rn. 24 f; Urt. v. 19.1.2016 aaO. – Rn. 23 f]. Meinungsäußerungen, sei es in der Form eines Boykottaufrufs, sei es in anderer Form, tragen das Risiko in sich, für bestimmte Personenkreise wirtschaftlich nachteilige Wirkungen mit sich bringen zu können, wenn die angesprochenen Kreise auf Grund der Meinungsäußerung ihr bisheriges Verhalten ändern und dadurch wirtschaftliche Folgen auslösen [BVerfG Beschl. 15.1.1958 aaO.; BGH Urt. v. 6.2.2014 aaO. – Rn. 25]. Die Verfolgung der Ziele des Aufrufenden darf allerdings das Maß der nach den Umständen notwendigen und angemessenen Beeinträchtigung des Angegriffenen oder betroffener Dritter nicht überschreiten [BVerfG Beschl. v. 15.1.1959 aaO. – Rn. 48; Beschl. v. 15.11.1982 aaO.; BGH Urt. v. 6.2.2014 aaO. – Rn. 25; Urt. v. 19.1.2016 aaO. – Rn. 32]. Schließlich dürfen die Mittel der Durchsetzung des Boykottaufrufs verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein. Das ist grundsätzlich der Fall, wenn der Aufrufende sich gegenüber dem Adressaten auf den Versuch geistiger Einflussnahme und Überzeugung, also auf Mittel beschränkt, die den geistigen Kampf der Meinungen gewährleisten, nicht aber, wenn zusätzlich Machtmittel eingesetzt werden, die der eigenen Meinung etwa durch Androhung oder Ankündigung schwerer Nachteile und Ausnutzung sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit Nachdruck verleihen sollen und so die innere Freiheit der Meinungsbildung zu beeinträchtigen drohen [BVerfG Beschl. 26.2.1969 aaO. – Rn. 18; Beschl. v. 15.11.1982 aaO.; BGH Urt. v. 6.2.2014 aaO. – Rn. 24; Urt. v. 19.1.2016 aaO. – Rn. 23].

(1) Der Umstand, dass der Beklagte seinerseits Beruf1 ist und dem unwidersprochenen und damit gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden geltenden Vorbringen der Klägerin sich seit Anfang 2013 mit einem eigenen (Konkurrenz-) Unternehmen selbständig gemacht hat, ihm aus einem Boykott der Klägerin möglicherweise wirtschaftliche Vorteile erwachsen könnten, führt nicht dazu, dass das Recht des Beklagten auf Meinungsfreiheit in der Abwägung hinter dem Schutzinteresse der Klägerin zurückzutreten hat.

Von dem Aufruf sind zwar auch eigene Interessen wirtschaftlicher Art des Beklagten tangiert. Der an die Kunden der Klägerin gerichtete Aufruf zu ihrem Boykott dient aber nicht in erster Linie den eigenen wirtschaftlichen Interessen. Primäres Anliegen des Beklagten ist vielmehr die Aufklärung und Information ihrer Kunden über die dort vorherrschenden ideologischen Wertvorstellungen und intern bestehenden Strukturen innerhalb der Gruppierung der hinter der Klägerin stehenden Führungspersönlichkeiten, welche er als sektenmäßig bewertet. Das Interesse des Beklagten, die Klägerin wirtschaftlich „auszutrocknen“, ändert nichts daran, dass er sich inhaltlich mit einem die Öffentlichkeit berührenden Anliegen befasst und hierzu eine Meinung kundtut. Sollten sich die angeschriebenen Kunden infolge des Emailschreibens und der darin verlinkten medialen Berichterstattung veranlasst sehen, ihre Geschäftsbeziehung zu der Klägerin ruhen zu lassen oder gar zu beenden, dann in der Regel deshalb, weil sie sich der Bewertung des Beklagten im Hinblick auf die sektenähnlichen Strukturen innerhalb der hinter der Klägerin stehenden Gruppe um die Eheleute Nachname1 anschließen. Dies belegt aber die Funktion der angegriffenen Äußerung als Mittel im Meinungskampf und nicht als Mittel zur eigennützigen Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen. Es wäre deshalb unschädlich, sollte der Beklagte mit dem Emailschreiben neben dem in den Vordergrund gestellten Ziel der Aufklärung und Information der angeschriebenen Kunden der Klägerin auch die Erlangung eigener Aufträge verfolgen.

Im Übrigen spricht die breit angelegte Informationskampagne, die nicht gezielt auf Kunden und potentielle Geschäftspartner der Klägerin beschränkt ist, dafür, dass es ihm nicht darum geht, mithilfe seiner Äußerungen in dem streitgegenständlichen Emailschreiben an Kunden der Klägerin selbst wirtschaftliche Vorteile zu ziehen, Vielmehr hat der Beklagte sich im Rahmen von Talkshows und Interviews in verschiedenen Medien der öffentlichen Diskussion gestellt und damit deutlich gemacht, dass sein Interesse darauf gerichtet ist, zur Unterrichtung der Öffentlichkeit sowie den Kunden und potentiellen Geschäftspartnern der Klägerin beizutragen und aufzudecken, dass hinter der Klägerin die von ihm als Sekte beschriebene Gruppe um die Eheleute Nachname1 stehe, die nach außen hin zur Verbreitung ihrer religiös geprägten Vorstellungen die Klägerin betreiben, sowie die unstreitig dort bestehende Machtstruktur und das Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Eheleuten Nachname1 und den Mitgliedern der Gruppe sowie der von ihnen praktizierte systematische Einsatz von Überredungs- und Überzeugungstechniken. Denn genau auf einen solchen eigenen Redebeitrag hat der Beklagten in seinem streitgegenständlichen Emailschreiben u.a. verlinkt.

(2) Bei der Abwägung ist ferner zu berücksichtigen, dass der Beklagte keine unzulässigen Machtmittel eingesetzt hat, die den Bereich freier geistiger Auseinandersetzung verlassen und den Angesprochenen die Möglichkeit nehmen, anhand einer freien Willensentschließung darüber zu befinden, ob sie dem Aufruf folgen wollen. Der Beklagte verfügt weder über Zwangsmittel noch Einflussmöglichkeiten, um seiner Aufforderung Nachdruck zu verleihen und die angeschriebenen Kunden der Klägerin dazu zu bewegen, die von ihm angestrebten Boykottmaßnahmen durchzuführen. Demnach ist es allein die Macht der Argumente in der von ihm zusammengetragenen und verlinkten medialen Berichterstattung, mittels der er sich an das Verantwortungsbewusstsein und die sittliche Haltung der Angesprochenen wendet, um auf ihre Willensentschließung Einfluss zu nehmen [vgl. BVerfG Beschl. v. 15.1.1958 aaO. – Rn. 57; Beschl. v. 26.2.1969 aaO. – Rn. 21].

(3) Das Anschreiben von Kunden der Klägerin ist zur Erreichung des Zwecks auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil dem Beklagten gleichwertige, für die Klägerin weniger belastende Möglichkeiten des Vorgehens zur Verfügung gestanden hätten. Dabei ist, wie dargelegt, zu berücksichtigen, dass dem Schutz der Meinungsäußerung trotz der Beeinträchtigung wirtschaftlicher Interessen ein besonderes Gewicht zukommt, weil der Aufruf seinen Grund in der Sorge um ein die Öffentlichkeit wesentlich berührendes Anliegen hat.

Das Maß der nach den Umständen notwendigen Beeinträchtigung wird nicht deshalb überschritten, weil der Beklagte auf den Boykottaufruf gegenüber den Kunden der Klägerin hätte verzichten und sich auf eine mediale Veröffentlichung seiner Meinung über die hinter der Klägerin stehende Sekte hätte beschränken können. Da der auf Grundlage einer sachlichen Auseinandersetzung erfolgte Boykottaufruf dem Schutz der Meinungsfreiheit unterfällt, ist er nicht nur als äußerstes Mittel im geistigen Meinungskampf zulässig [BGH Urt. v. 19.1.2016 aaO. – Rn. 34]. Abgesehen davon wäre die Veröffentlichung allein der subjektiven Bewertung der Klägerin als Sekte durch den Beklagten als Beitrag zur öffentlichen Auseinandersetzung weitaus weniger wirksam gewesen als die konkludente Aufforderung gegenüber den Kunden der Klägerin, sich mit diesem Vorwurf auseinanderzusetzen und die Geschäftsverbindung mit dieser zu lösen.

(4) Ferner ist auch das Maß der nach den Umständen angemessenen Beeinträchtigung nicht überschritten. Die mit dem Boykottaufruf für die Klägerin verbundenen Folgen stehen nicht außer Verhältnis zu dem damit verfolgten Zweck. Sollte es, wie vom Beklagten beabsichtigt, tatsächlich zu einem Abbruch der Geschäftsverbindung seitens der angeschriebenen Kunden kommen, so würde dies die Klägerin zunächst spürbar treffen, da sie naturgemäß als Wirtschaftsunternehmen auf die Generierung von Aufträgen ihrer Kunden angewiesen ist. Tatsächlich droht die Beendigung von Geschäftsbeziehungen zu ihren Kunden jedoch nur, wenn diese aufgrund der Schilderungen des Beklagten in den verlinkten Beiträgen hinsichtlich der Zustände innerhalb der hinter der Klägerin stehenden Gruppe um die Eheleute Nachname1 während der Zeit seines Zusammenlebens mit diesen zu dem Ergebnis kommen sollten, dass der von dem Beklagten erhobene Sektenvorwurf zutrifft und dies auf ihre Entscheidung, ob sie mit einem solchen Unternehmen geschäftlichen Kontakt unterhalten wollen, Einfluss hat.

Auch der soziale Geltungsanspruch der Klägerin wird durch den Boykottaufruf nicht unangemessen beeinträchtigt. Die Bezeichnung der Klägerin als Sekte muss sie als Äußerung einer Meinung im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung über die von dem Beklagten aufgezeigten hinter ihrem Unternehmen stehenden Strukturen und Wertvorstellungen hinnehmen. Das Thema Sekten ist nicht erst seit den öffentlichen Auftritten des Beklagten ein umstrittenes Thema. Da, wie ausgeführt, die Verwendung des Begriffs Sekte ersichtlich Ausdruck dessen ist, was der Beklagte für einen nicht zu billigenden Umgang der hinter der Klägerin stehenden Führungspersönlichkeiten mit den Gruppenmitgliedern beziehungsweise Mitarbeitern hält, hat die Meinungsfreiheit hier Vorrang vor dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerin. Das gilt trotz des Umstands, dass die Klägerin unstreitig bisher nach außen hin als normale Geschäftspartnerin auftritt und keinerlei Anstrengungen unternimmt, Kunden von ihren religiös geprägten Wertvorstellungen zu überzeugen; ebenso wenig sind ihre Dienstleistungen hiervon beeinflusst. Bei der insoweit erforderlichen Auslegung des Aufrufs und dem Inhalt der darin verlinkten Medienbeiträge ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang, dass der Beklagte der Klägerin solches auch nicht vorwirft, sondern seine Bewertung der Klägerin als Sekte auf die von ihm geschilderten Anschauungen und Strukturen der hinter ihr stehenden Gruppe um die Eheleute Nachname1 stützt. Insoweit stellt sich für die angeschriebenen Kunden die Frage, ob sie anhand der Inhalte in den verlinkten Beiträgen diese Einschätzung des Beklagten teilen und weiterhin mit der Klägerin zusammenarbeiten und sie damit mittelbar unterstützen wollen, zumal die Klägerin ausweislich des Redebeitrags des Beklagten in der …sendung (…) vom XX.XX.20XX gegründet worden sei, um das Werk Gottes voranzubringen und letztlich seine Wahrheit nach außen in Welt tragen zu können.

(5) Schließlich fällt bei der Abwägung die Richtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts, der dem Boykottaufruf des Beklagten und seiner Bewertung der Klägerin als Sekte zugrunde liegt, ins Gewicht, wobei es genügt, dass der dargestellte Aussagekern in tatsächlicher Hinsicht nicht angegriffen ist. Denn die von dem Beklagten hinter seiner Bewertung der Klägerin als Sekte stehenden Behauptungen aufgrund seiner Erlebnisse und Beobachtungen während der Zeit seines Zusammenlebens in der Gruppe um die Eheleute Nachname1 und seiner Tätigkeit bei der Klägerin werden von ihr nicht angegriffen; ebenso wenig die von ihm dargestellte persönliche Verflechtung mit den Mitarbeitern der Klägerin. Die Klägerin hat in ihrer Klageschrift (Seite 13) lediglich pauschal ausgeführt, weder die Geschäftsleitung noch ihre sonstigen Mitarbeiter oder gar sie selbst gehörten einer Sekte an, agierten sektenmäßig oder beschäftigten sich irgendwie mit Inhalten, die ihnen der Beklagte öffentlich vorwerfe, bezeichnet in ihrer Replik (Seite 2 f) die Erlebnisse des Beklagten als „angeblich und nicht erwiesen“ und stellt dessen Vorbringen, in eine Sekte hineingeboren sein zu wollen, als Kind seelischem und körperlichen Missbrauch ausgesetzt und von der Gesellschaft abgegrenzt worden zu sein in Abrede. Zu dem Verhalten der Eheleute Nachname1 anderen Mitgliedern der um diese bestehenden Gruppierung bzw. den Mitarbeitern der Klägerin gegenüber äußert sich die Klägerin nicht. Darüber hinaus geht aus dem als Anlage K 42 vorgelegten Textmitschnitt der Sendung (…) vom XX.XX.20XX (dort Seite 4) und dem als Anlage K 6 vorgelegten Artikel vom XX.XX.20XX in der Zeitung1 hervor, dass Herr Nachname1 auf Anfrage in einem Emailschreiben selbst erklärt habe, prägend für ihr Leben und ihre Richtungsbestimmung seien die gemachten Erfahrungen, dass Gott zu den Menschen spreche, aktuell, konkret und persönlich und dass ein großer Teil von ihnen auch in der Firma beschäftigt sei. Damit beruht die Bezeichnung der Klägerin als Sekte durch den Beklagten nicht auf inhaltlich unrichtigen Informationen oder auf Wertungen, die auf sachfremden Erwägungen beruhen oder herabsetzend formuliert sind.

2. Ebenso wenig begründet die vorstehende Äußerung einen rechtswidrigen Eingriff in das durch Art. 12 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich gewährleistete Recht der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.

a. Der Schutz des § 823 Abs. 1 BGB wird gegen jede Beeinträchtigung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gewährt, wenn die Störung einen unmittelbaren Eingriff in den gewerblichen Tätigkeitskreis darstellt. Durch den dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb von der Rechtsprechung gewährten Schutz soll das Unternehmen in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit und in seinem Funktionieren vor widerrechtlichen Eingriffen bewahrt bleiben. Die Verletzungshandlung muss sich gerade gegen den Betrieb und seine Organisation oder gegen die unternehmerische Entscheidungsfreiheit richten und über die bloße Belästigung oder eine sozial übliche Behinderung hinausgehen. Unmittelbare Eingriffe in das Recht am bestehenden Gewerbebetrieb, gegen die § 823 Abs. 1 BGB Schutz gewährt, sind nur diejenigen, die gegen den Betrieb als solchen gerichtet, also betriebsbezogen sind und nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betreffen [BGH Urt. v. 28.2.2013 – I ZR 237/11 – Rn. 16].

Insoweit ist der Klägerin zuzugeben, dass die in Rede stehende Äußerung einen tatbestandsmäßigen Eingriff in ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb darstellt. Denn diese ist geeignet, eine Verunsicherung der vom Beklagten angeschriebenen Kunden der Klägerin zu bewirken mit der Folge, dass diese die von ihr angebotenen Leistungen nicht (mehr) nachfragen und damit ihre wirtschaftliche Stellung zu schwächen.

b. Das Recht am Gewerbebetrieb ist jedoch ein offener Tatbestand, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung mit den konkret kollidierenden Interessen anderer ergeben [BGH Urt. v. 28.2.2013 aaO. – Rn. 18]. Die Behinderung der Erwerbstätigkeit ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt [BGH Urt. v. 15.5.2012 – VI ZR 117/11 – Rn. 27]. Bei dieser Abwägung sind insbesondere die betroffenen Grundrechte zu berücksichtigen [BGH Urt. v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – Rn. 12].

Insoweit gelten hinsichtlich der vorzunehmenden Interessenabwägung die gleichen Erwägungen, wie vorstehend unter Ziffer 1 lit. f dargestellt mit dem Ergebnis, dass auch hier der Meinungsäußerungsfreiheit des Beklagten der Vorrang vor den Interessen der Klägerin zukommt.

3. Dagegen kann die Klägerin von dem Beklagten nach § 824 BGB Unterlassung der Verbreitung der in dem nachfolgenden Satz des o.g. Emailschreibens aufgestellten Äußerung verlangen, „die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen die Gründer von X“.

a. Insoweit sei zunächst darauf hingewiesen, dass der Unterlassungsanspruch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin zu prüfen, sondern an den Anforderungen des § 824 BGB zu messen ist.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung handelt es sich bei dem Eingriff in einen durch §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB geschützten Gewerbetrieb um einen Auffangtatbestand, der im Hinblick auf seine Funktion nur subsidiären Charakter hat und deshalb nur dann in Betracht kommt, wenn spezielle Schutzvorschriften zugunsten eines Unternehmens nicht durchgreifen. Hiernach scheiden die §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt eines betriebsbezogenen Eingriffs in den eingerichteten Gewerbetrieb insbesondere dann aus, wenn es sich um den durch § 824 BGB sowie durch § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB gewährleisteten Schutz der wirtschaftlichen Wertschätzung von Personen oder Unternehmen vor unmittelbaren Beeinträchtigungen geht, die durch Verbreitung unwahrer Behauptungen über sie herbeigeführt werden [vgl. Soehring/Hoene Presserecht, 5. Aufl., § 12 Rn. 54a; BGH Urt. v. 10.12.1991 – VI ZR 53/91 – Rn. 13; Urt. v. 21.4.1998 – VI ZR 196/97 – Rn. 12; BGH Urt. v. 6.2.2014 aaO. – Rn. 12].

b. So liegen die Dinge im Streitfall: Die Aussage über die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen gegen die Gründer der Klägerin ist als Tatsachenbehauptung einzuordnen, da sie dem Beweis zugänglich ist. Sie entspricht nicht der Wahrheit. Unstreitig wurde das Ermittlungsverfahren seit Frühjahr 2015 nämlich ausschließlich gegen Vorname1 Nachname1 geführt, der Witwe des ehemaligen Geschäftsführers der persönlich haftenden Gesellschafterin der Klägerin. Zwar war sie dort zum Zeitpunkt der Emailschreiben in leitender Funktion angestellt. Dass sie in den Gründungsvorgang der Klägerin involviert war, die aus der früheren Fa. X hervorging, hat jedoch auch der Beklagte nicht vorgetragen. Vielmehr geht aus seinem eigenen Facebook-Eintrag vom XX.XX.20XX (Anlage K 2) hervor, dass Gründer der Klägerin Herr Vorname2 Nachname1 gewesen sei. Dieser letztlich auch im Zusammenhang mit der Klägerin stehende Vorwurf begründet eine unmittelbare Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen Interessen. Der durch § 824 BGB gewährleistete Schutz umfasst nach ständiger Rechtsprechung auch das Interesse des Betroffenen an durch Falschmeldungen nicht belasteten wirtschaftlichen Beziehungen zu seinen Geschäftspartnern [vgl. BGH Urt. v. 10.12.1991 aaO.], um das es hier der Klägerin in erster Linie geht.

4. Nicht begründet ist das Unterlassungsbegehren der Klägerin, soweit sie sich gegen die in dem Emailschreiben des Beklagten vom 10.5.2016 an Frau A vom Y (vgl. Anlage K 28) aufgestellten Äußerungen richtet.

a. Der erste Absatz enthält zunächst Tatsachen (Brief einer Mitarbeiterin der Klägerin, welche anonym bleiben möchte, an den Beklagten; eigene Tätigkeit bei der Klägerin), die auch von der Klägerin nicht in Abrede gestellt werden und damit als wahr zu behandeln sind. Gleiches gilt für die von dem Beklagten angeführte Motivation der Mitarbeiterin, der es, wie der Leser in dem nächsten Satz erfährt, um Transparenz gehe in Bezug auf die „ideologischen Beweggründe der Menschen hinter der Klägerin“ im Rahmen der Kommunikation und Zusammenarbeit. Hierbei handelt es sich um eine sog. innere Tatsache.

b. Die Formulierung „welche ideologischen Beweggründe die Menschen hinter der Firma haben“ ist trotz des Begriffs „ideologisch“ so allgemein gehalten, dass hierdurch die Klägerin nicht in ihrem sozialen Geltungsanspruch und damit nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird.

c. Allerdings ist die Äußerung im Kontext mit den Veröffentlichungen zu sehen, auf die der Beklagte zur Untermauerung dieser Äußerung verlinkt hat und durch den vorausgehenden Satz („Ich denke von meiner Seite aus muss ich mehr dazu nicht sagen und erklären, wenn Sie sich folgende Seite anschauen“) ausdrücklich Bezug nimmt. Den Beitrag aus dem ersten Link hat die Klägerin jedoch nicht in Textform zur Akte gereicht, so dass dem Senat eine Beurteilung der angegriffenen Äußerung zu den „ideologischen Beweggründen“ der Menschen hinter ihrem Unternehmen in dem Kontext dieses Beitrags nicht möglich ist. Des Weiteren hat der Beklagte auf seinen Facebook-Account (…) verlinkt und auf die dort von ihm zusammengestellten Medienbeiträge verwiesen. Hierzu hat die Klägerin zwar als Anlagen K 2 und K 3 die Facebook-Einträge vom XX.XX.XXXX und XX.XX.XXXX vorgelegt; der als Anlage K 37 vorgelegte Eintrag datiert vom XX.XX.XXXX und damit erst nach dem streitgegenständlichen Emailschreiben an Frau A. Die Radio- und Fernsehbeiträge, zu denen der Beklagte in seinen Facebook-Einträgen aus den Jahren 2015 und 2016 verlinkt hat, wurden von der Klägerin ebenfalls in Textform vorgelegt, so dass sie zur Bestimmung des genauen Aussagegehalts der Äußerung herangezogen werden können. Den in den verlinkten Medienbeiträgen von dem Beklagten vorgebrachten tatsächlichen Schilderungen zu den „ideologischen Beweggründen den Menschen hinter der Klägerin“ ist die Klägerin indes nicht entgegengetreten, so dass diese als wahr und damit zulässig anzusehen sind [vgl. Kröner in Hamburger Komm. – Gesamtes Medienrecht, 3. Aufl., 31. Kap. Rn. 98].

aa. In seinem Interview in der …sendung bei (…) vom XX.XX.XXXX (Anlage K 45) führte der Beklagte aus, dass die Eheleute Nachname1 für sich einen Allmachtanspruch beanspruchten und in direkten Draht zu Gott stünden, von dem sie Botschaften durch Briefe oder die Deutung der Träume einzelner Mitglieder und Mitarbeiter der Klägerin empfingen, über die sie alle Entscheidungen sowohl privater als auch beruflicher Natur im Firmenalltag bestimmten und lenkten, ohne dass die Klägerin diese Behauptungen bestritten hat.

bb. Gleichermaßen verhält es sich mit den Äußerungen des Beklagten im Rahmen der …sendung des (…) vom XX.XX.XXXX (Anlage K 44), wonach die Ehefrau des ehemaligen Geschäftsführers der persönlich haftenden Gesellschafterin der Klägerin, Frau Vorname1 Nachname1, Botschaften Gottes empfange, welche an die Mitarbeiter weitergegeben würden und er Mails des Sektengründers habe, in denen Arbeitsanweisungen für die Klägerin mit den Gotteseingebungen seiner Frau gerechtfertigt würden.

cc. Ebenso wenig bestritten werden von der Klägerin die von dem Beklagten in der …sendung des (…) vom XX.XX.XXXX (Anlage K 47) vorgebrachten Tatsachen, dass sämtliche Investitionen innerhalb des Unternehmens, auch die Errichtung des Studios selbst von dem Willen Gottes bestimmt würden, der über Briefe kommuniziert werde, die von dem Gründer der Klägerin geschrieben würden und von seiner Ehefrau im Traum empfangene Botschaften und Weisungen Gottes wiedergäben, und mit welchen die Mitglieder der Gemeinschaft gelenkt und kontrolliert würden.

dd. Nicht in Abrede gestellt hat die Klägerin auch die Behauptungen des Beklagten in der im (…) am selben Tag ausgestrahlten …sendung (…) (Anlage K 48), dass sie zur Verbreitung der eigenen Ideologie gegründet worden sei, welche darin bestehe, auserwählt zu sein, den Auftrag Gottes und seine Botschaften zu erfüllen, die die Sektengründer über Träume und deren Deutung sowie ihnen eingegebene Briefe empfingen, mithilfe deren gegenüber den Sektenmitgliedern kommuniziert werde, Gottes Auftrag sei, ihre ganze Arbeitskraft einzubringen, um das Unternehmen voranzutreiben und groß zu machen, und dass das Leben in der Gemeinschaft von Kontrolle und Druck und Angst geprägt sei.

5. Soweit ein Unterlassungsanspruch der Klägerin zu bejahen ist, liegt mangels Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auch die erforderliche Wiederholungsgefahr vor. Diese ist auch durch das Versterben von Herr Nachname1 nicht in Wegfall geraten, da nicht auszuschließen ist, dass der Beklagte die die Klägerin inkriminierenden Äußerungen in Bezug auf Herrn Nachname1 als den ehemaligen Geschäftsführer ihrer persönlich haftenden Gesellschafterin weiterhin aufrechterhält.

6. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 516 Abs. 3 Satz 1, 709 Satz 1 ZPO.

Die Revision war nicht gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert.

vorgehend:
LG Frankfurt am Main – 30.05.2017 – AZ: 2-3 O 278/16

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