Facebook-Nutzer hat keinen Anspruch auf Freischaltung eines gelöschten Beitrags in einem sozialen Netzwerk

23. Oktober 2020
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Handy mit Datenströmen Beschluss des OVG Berlin-Branenburg vom 11.08.2020, Az.: OVG 11 N 16.19

Wird der Beitrag eines Facebook-Nutzers wegen eines Verstoßes gegen die Gemeinschaftsstandards von Facebook auf Grundlage des Netzwerkdurchsuchungsgesetzes (NetzDG) gelöscht, so steht dem Nutzer kein Anspruch gegen die Behörde auf Einschreiten gegen die Löschung zu. Facebook kann nämlich aufgrund des NetzDG nicht dazu gezwungen werden, den betroffenen Beitrag erneut in dem sozialen Netzwerk freizuschalten. Ein allgemeiner öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch hinsichtlich der Löschung ist nicht gegeben, da der Erlass des NetzDG mangels eines Aktes der vollziehenden Gewalt keinen tauglichen Anknüpfungspunkt als verletzende Amtshandlung für einen Folgenbeseitigungsanspruch darstellt.

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg

Beschluss vom 11.08.2020

Az.: OVG 11 N 16.19

 

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. Januar 2019 wird abgelehnt.

Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt die Klägerin.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die erneute Freischaltung eines Beitrages in dem sozialen Netzwerk Facebook. Nach Angaben der Klägerin hatte Facebook den Beitrag als Verstoß gegen dessen Gemeinschaftsstandards gewertet und unter Berufung auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG – gelöscht. Das Verwaltungsgericht Berlin hat durch Gerichtsbescheid die Klage auf Freischaltung des Beitrages, hilfsweise auf Feststellung, dass die Sperre des klägerischen Beitrages rechtswidrig war, abgewiesen.

Das Gericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass der hier allein in Betracht kommende allgemeine öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch nicht vorliege. Der Erlass des NetzDG stelle schon mangels eines Aktes der vollziehenden Gewalt keinen tauglichen Anknüpfungspunkt für einen Folgenbeseitigungsanspruch als verletzende Amtshandlung dar. Zudem fehle es an dem notwendigen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Erlass des NetzDG und der Löschung des streitgegenständlichen Beitrages. Schließlich scheitere der geltend gemachte Anspruch daran, dass von der Beklagten etwas rechtlich Unmögliches verlangt werde. Es gebe keine rechtliche Grundlage für die Beklagte, mittels derer sie das Unternehmen Facebook dazu anhalten könne, den klägerischen Beitrag wieder freizuschalten. Schon aus den genannten Gründen habe auch der Hilfsantrag keinen Erfolg. Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung.

II.

Der fristgemäß gestellte und begründete Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat auf der Grundlage der gemäß § 124a Abs. 4 S. 4 und Abs. 5 S. 2, § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO maßgeblichen Darlegungen im Zulassungsbegründungsschriftsatz vom 10. März 2019 keinen Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Gerichtsbescheides liegen nicht vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 1, § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

Das Berufungszulassungsvorbringen kann die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht erschüttern, dass der Klägerin kein allgemeiner öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch gegen die Beklagte hinsichtlich der Löschung des streitgegenständlichen Beitrages durch das Unternehmen Facebook zusteht. Ein öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch setzt voraus, dass eine subjektive Rechtsposition unmittelbar durch öffentlich-rechtliches Verwaltungshandeln verletzt und dadurch ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist, der andauert. Der Anspruch ist auf die Beseitigung dieses rechtswidrigen Zustandes und auf Wiederherstellung des früheren Zustandes gerichtet. Er umfasst alle noch andauernden Folgen des rechtswidrigen Vorgehens, die der handelnden Behörde zuzurechnen sind (BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2020 – 6 C 1/19 – Rn. 66).

1. Das Zulassungsvorbringen erschüttert schon nicht die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass Legislativakte – wie der vorliegende – als anspruchsbegründende Verletzungshandlungen grundsätzlich ausscheiden, insbesondere weil der grundrechtliche Schutzanspruch als richterrechtliches Anspruchsinstitut (lediglich) rechtswidrige Einzeleingriffe beheben solle, nicht aber als Sanktion für Fehlentscheidungen des Gesetzgebers gedacht sei. Denn die Klägerin trägt in diesem Zusammenhang nur vor, dass der erforderliche Anknüpfungspunkt für den öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch darin liege, dass die Beklagte ohne wirksame verfassungsrechtliche und gesetzliche Grundlage Aufgaben der Strafverfolgungsbehörden bzw. Sicherheitsbehörden auf private Dritte übertragen habe. Dieser Einwand betrifft die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften des NetzDG, kann aber nicht die Annahme des Verwaltungsgerichts in Zweifel ziehen, dass Legislativakte als Anknüpfungspunkt ausscheiden.

Die Klägerin kann auch nicht mit ihrer Auffassung durchdringen, dass das NetzDG keine Möglichkeit vorsehe, gegen unrechtmäßige Löschungen vorzugehen, der allenfalls mögliche privatrechtliche Rechtsschutz gegen den Betreiber keinen adäquaten Ersatz für die rechtliche Abwehrmöglichkeit gegenüber dem Staat darstelle, mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG den Betroffenen wegen Eingriffen in die verfassungsrechtlich gewährleistete Meinungsfreiheit der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offenstehen und die Beklagte das Handeln von Facebook sich zurechnen lassen müsse. Auch daraus folgt nicht, dass im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs an den Erlass des NetzDG angeknüpft werden könnte. Denn die Vorschriften des NetzDG entfalten erst aufgrund je auf den Einzelfall bezogener Vollzugsakte Wirkung, nämlich durch deren Anwendung seitens der Netzwerkanbieter bezüglich einzelner Inhalte. Die Netzwerkanbieter haben die Anforderungen des § 3 NetzDG für die jeweiligen Beiträge einzeln zu prüfen und umzusetzen. Bezüglich dieser Vollzugsakte, hinsichtlich derer die Anbieter eine Informations- und Begründungspflicht trifft (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 5 NetzDG), besteht die Möglichkeit, Rechtsschutz zu suchen. Dabei kann die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften des NetzDG bei der Überprüfung der einzelnen Vollzugsakte inzident überprüft werden (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 23. April 2019 – 1 BvR 2314/18 –, juris Rn. 6 f.). So ist gegen Löschungsentscheidungen der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet, denen im Rahmen der Prüfung vertraglicher oder quasivertraglicher Ansprüche auch die Prüfung obliegt, ob die Entscheidung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls mit der Werteordnung des Grundgesetzes vereinbar ist (BVerfG, einstweilige Anordnung vom 22. Mai 2019 – 1 BvQ 42/19 –, juris Rn. 21). Dies betrifft im Verhältnis zwischen Privaten auch die mittelbare Wirkung der Grundrechte, hier insbesondere des Grundrechts des Nutzers einer Social-Media-Plattform auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG; vgl. dazu, dass eine zulässige Meinungsäußerung nicht von einer Plattform wie Facebook entfernt werden dürfe, OLG München, Urteil vom 7. Januar 2020 – 18 U 1491/19 Pre –, juris Rn. 105 ff., noch nicht rechtskräftig).

Da der allgemeine öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch bereits mangels eines tauglichen Anknüpfungspunktes in Form eines Akts der vollziehenden Gewalt ausgeschlossen ist, kommt es auf die übrigen seitens der Klägerin bezweifelten Ausschlussgründe, die das VG angenommen hat, nicht mehr an. Unabhängig davon verfangen die von der Klägerin insoweit vorgebrachten Argumente nicht.

2. Das gilt zunächst für die Einwände, die die Klägerin hinsichtlich des (vom Verwaltungsgericht abgelehnten) unmittelbaren Zusammenhanges zwischen Erlass des NetzDG und der Löschung des streitgegenständlichen Beitrags vorträgt. So sieht die Klägerin einen unmittelbaren Zusammenhang darin begründet, dass gerade die im NetzDG enthaltenen Sanktionsvorschriften Facebook dazu zwingen würden, durch entsprechende technische Vorrichtungen sicherzustellen, dass Beiträge präventiv gelöscht werden könnten. Andernfalls wäre es Facebook technisch und tatsächlich unmöglich, die Pflichten aus dem Gesetz zu erfüllen. Diese Umsetzung der Pflichten aus dem NetzDG ändert jedoch nichts an der oben dargelegten Systematik, dass die einzelnen Vollzugsakte durch die Zivilgerichte zu überprüfen sind und insoweit eine Haftbarmachung des Gesetzgebers durch den öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch ausscheidet. Aus diesem Grunde verfängt auch der Einwand der Klägerin nicht, dass die Beklagte bereits bei Gesetzeserlass habe vorhersehen können, dass es auch zu Löschungen rechtmäßiger Beiträge kommen werde, da Facebook durch geeignete technische Vorrichtungen sicherstellen müsste, nicht in den Sanktionsbereich des NetzDG zu kommen. Der nicht näher unterlegte Hinweis der Klägerin, dass ein mittelbarer Zusammenhang für die Geltendmachung des Folgenbeseitigungsanspruchs ausreichend sei, führt mit Blick auf die oben dargestellte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Voraussetzungen des allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruchs zu keiner anderen Bewertung.

3. Auch soweit sich die Klägerin gegen die vom Verwaltungsgericht angenommene Unmöglichkeit der Beklagten wendet, auf Facebook Einfluss nehmen zu können, und sich ohne nähere Darlegungen auf „entsprechende Kontrollfunktionen“ beruft, begründet sie nicht, warum hier die Voraussetzungen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs vorliegen sollten. Nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung kann sich die Klägerin gegen einzelne Vollzugsmaßnahmen auf der Grundlage des NetzDG gegenüber Facebook wehren und etwaige sich stellende verfassungsrechtliche Fragen bezüglich der Ausgestaltung des NetzDG inzident von den Zivilgerichten überprüfen lassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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