Keine Spürbarkeit bei Normauslegung entgegen der Marktüblichkeit

24. Juni 2020
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Eierlikörflasche neben vollen Gläsern und Eierschalen Beschluss des OLG Frankfurt a. M. vom 22.01.2020, Az. 6 W 3/20

Ein Verstoß gegen eine Marktverhaltensregel ist nur dann nach § 3a UWG unlauter, wenn er geeignet ist, Interessen spürbar zu beeinträchtigen. Die Spürbarkeitsklausel soll die Verfolgung von Zuwiderhandlungen verhindern, die keine oder kaum Auswirkungen auf andere Marktteilnehmer haben. Wenn ein Verstoß nach einer EuGH-Entscheidung abgemahnt wird, die die Norm entgegen der üblichen Praxis auslegt und die Norm als Reaktion darauf unmittelbar vom Gesetzgeber geändert wird, liegt keine Spürbarkeit vor. Hinzu kommt vorliegend, dass der Verkehr – jahrzehntelang an den Verkauf von Eierlikörprodukten mit Sahne gewöhnt – nach einer Gerichtsentscheidung nicht davon ausgehen wird, dass jegliche Eierlikörprodukte nun ohne Milchprodukte hergestellt werden.

Oberlandesgericht Frankfurt a. M.

Beschluss vom 22.01.2020

Az.: 6 W 3/20

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Beklagten wird die Kostenentscheidung im Beschluss des Landgerichts Darmstadt vom 09.08.2019 abgeändert.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

2. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Streitwertfestsetzung im Beschluss vom 09.08.2019 wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.

4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.497,06 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten nach Erledigung des Rechtsstreits um die Kostentragungspflicht sowie den Streitwert.

Der Kläger – ein Verein zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs – hat den Beklagten, der einen Online-Handel mit alkoholischen und nichtalkoholischen Getränken betreibt, auf Unterlassung und Zahlung von Abmahnkosten in Anspruch genommen, weil der Beklagte eine Spirituose als Eierlikör angeboten hatte, die als Zutat Sahne enthielt; dies hat der Kläger für unvereinbar mit Art. 9 IV der Spirituosen-VO und damit als unlauter im Sinne von § 3a UWG angesehen.

Auf die Abmahnung vom 27.11.2018 (Anlage 6) hat der Beklagte am 05.12.2018 (Anlage 7) reagiert und Nachweise zur Aktivlegitimation verlangt, die der Kläger mit Schreiben vom 06.12.2018 (Anlage 8) übermittelt hat. Hierauf hat der Beklagte mit Schreiben vom 10.12.2018 reagiert, in dem er mitgeteilt hat, die Produktbezeichnung obliege nicht ihm, sondern dem Hersteller. Das angegriffene Produkt werde auch nicht mehr angeboten, so dass der Beklagte von einer Erledigung der Angelegenheit ausgehe.

Hierauf hat der Kläger Klage erhoben, die am 11.12.2018 bei Gericht anhängig wurde und dem Beklagten am 02.02.2019 zugestellt worden ist. Nachdem der Beklagte am 04.02.2019 eine Unterlassungserklärung abgegeben hat, haben die Parteien den Rechtsstreit für erledigt erklärt.

Das Landgericht hat durch Beschluss vom 09.08.2019 dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei nicht gehalten gewesen, den Beklagten nochmals darauf hinzuweisen, dass dessen Erklärungen nicht ausreichten, so dass dieser sich auf § 93 ZPO nicht berufen können.

Zugleich hat das Landgericht den Streitwert auf 10.000,– € festgesetzt.

Hiergegen richten sich die Beschwerden des Beklagte. Das Landgericht hat diesen nicht abgeholfen und die Sache dem Senat vorgelegt.

II.

Während die Beschwerde gegen die Kostenentscheidung Erfolg hat, bleibt die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung erfolglos.

1. Es scheint im Hinblick auf das Recht des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG) bedenklich, dass das Landgericht bei der Entscheidung über die Abhilfe formelhaft auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen hat, nachdem der Beklagte mit der Beschwerde umfangreich vorgetragen hatte. Die Abhilfebefugnis des iudex a quo (§§ 572 I 1 HS. 1 ZPO) dient der Selbstkontrolle des erstinstanzlichen Gerichts und damit zugleich der Verkürzung des Verfahrens und der Entlastung der Beschwerdegerichte. Das Abhilfeverfahren erfüllt darüber hinaus eine Filterfunktion. Das Beschwerdegericht soll nur mit solchen Entscheidungen befasst werden, an denen das untere Gericht auch unter Berücksichtigung der mit der Beschwerde vorgebrachten neuen Argumente, Tatsachen und Beweismittel (§ 571 I, II 1 ZPO) festhält (Musielak/Voit-Ball, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 572 Rdnr. 1).

Dies kann jedoch dahinstehen, da der Senat davon abgesehen hätte, den Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts trotz der fehlenden Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Beklagten in der Beschwerde aufzuheben und die Beschwerde zurückzuverweisen, um das Verfahren nicht weiter zu verzögern.

2. Die nach § 91 a II ZPO zulässige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des Landgerichts hat in der Sache Erfolg. Die Kosten des Rechtsstreits sind nach § 91a I ZPO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes dem Kläger aufzuerlegen, da dieser voraussichtlich unterlegen wäre. Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagte zur Klage Veranlassung gegeben hat, da ein Unterlassungsanspruch sowie ein Abmahnkostenersatzanspruch nicht bestanden. Es fehlt an der für einen Verstoß gegen § 3a UWG erforderlichen Spürbarkeit des Rechtsverstoßes.

Wie sich aus dem Urteil des EuGH vom 25.10.2018 (Anlage 5) ergibt, war zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens streitig, ob die Zutatenangabe in der Verordnung abschließend war oder auch weitere Zutaten zuließ. Auch das Landgericht Hamburg hatte diese Rechtsfrage als nicht eindeutig angesehen und deshalb den Rechtsstreit im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens dem EuGH vorgelegt, der die Verordnung dahingehend auslegte, dass die Zutatenangabe in der Verordnung abschließend war. Dass dies offensichtlich nicht dem gesetzgeberischen Willen entsprach, wird dokumentiert durch die außergewöhnliche Geschwindigkeit, in der die Verordnung nach dem Urteil des EuGH dahingehend angepasst wurde, dass auch Milch/Sahne als Zutat zugelassen war, womit auch das streitgegenständliche Produkt verkehrsfähig gewesen wäre. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Beklagten informierte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft über den Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure e.V. bereits einen Tag nach dem Urteil den Markt, dass der Zusatz von Milch in Eierlikör in Kürze wieder rechtssicher möglich sein würde. Einen Monat später einigte sich die EU im Trilogverfahren auf eine entsprechende Änderung der Verordnung, die am 17.03.2019 vom Parlament beschlossen wurde; die novellierte Verordnung wurde am 17.05.2019 veröffentlicht und trat am 08.06.2019 in Kraft. Hinzu kommt, dass nach dem unbestrittenen Beklagtenvortrag viele traditionelle Produkte seit Jahrzehnten Milchprodukte als Zusatz haben. Dies deckt sich mit der gerichtsbekannten Erwartungshaltung des Verkehrs, der auch Milchprodukte bzw. Sahne im Eierlikör erwartet.

Bei diesen besonderen Umständen lässt sich eine Spürbarkeit nach § 3a UWG nicht bejahen. Eine Zuwiderhandlung gegen eine Marktverhaltensregelung ist nur dann unlauter iSd § 3a, wenn sie geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, Mitbewerbern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen. Die Spürbarkeitsklausel hat den Zweck, solche Fälle des Verstoßes gegen eine Marktverhaltensregelung von der Verfolgung auszunehmen, die keine nennenswerte Auswirkung auf andere Marktteilnehmer haben. Denn daran besteht kein Interesse der Allgemeinheit. Ein Verbot ist vielmehr nur dann erforderlich, wenn dies der Schutz der Verbraucher, der Mitbewerber oder der sonstigen Marktteilnehmer erfordert. Ob eine Eignung zur spürbaren Interessenbeeinträchtigung besteht, beurteilt sich folgerichtig ebenfalls nach dem jeweiligen Schutzzweck der verletzten Marktverhaltensregelung (vgl. BGH GRUR 2008, 186 Rn. 25 – Telefonaktion; vgl. auch BGH GRUR 2001, 258 (259) – Immobilienpreisangaben; BGH GRUR 2002, 360 (366) – H. I. V. POSITIVE II). Spürbarkeit ist dann zu bejahen, wenn eine Beeinträchtigung der geschützten Interessen nicht nur theoretisch, sondern auch tatsächlich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten kann (ebenso OLG Hamm MMR 2012, 29 (30); OLG Hamburg GRUR-RR 2017, 65 Rn. 96; OLG Stuttgart WRP 2018, 1252 Rn. 31).

Eine derartige Interessenbeeinträchtigung ist hier nicht denkbar. Der Verkehr, der nach dem unbestrittenen Vortrag des Beklagten seit Jahrzehnten auch an traditionelle Eierlikör-Produkte mit Sahne gewöhnt ist, wird nicht erwarten, jedes Eierlikör-Produkt enthalte nunmehr keine Milchprodukte (mehr). Der Beklagte wird auch durch die Verwendung von Milchprodukten in seinem Eierlikör keinen Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern haben. Hinzu kommt schließlich, dass durch das Verhalten nicht eine Vielzahl von Marktteilnehmern betroffen ist und keine Nachahmungsgefahr besteht, da schon zum Zeitpunkt des Verstoßes das Gesetzgebungsverfahren zur Abschaffung derjenigen Norm begründet wurde, die der Beklagte verletzt hat.

3. Die Streitwertbeschwerde hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Streitwert zu Recht auf 10.000,– € festgesetzt.

a) Dabei kann zunächst dahinstehen, ob die Änderung der Kostenentscheidung durch den Senat in der Beschwerde zu einem nachträglichen Wegfall der Beschwer des Beklagten im Hinblick auf die Streitwertfestsetzung führen kann. Eine solche Beschwer des Beklagten besteht nämlich auch noch, nachdem nunmehr der Beklagte einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Kläger hat. Zwar wird der Beklagte durch einen zu hohen Streitwert insoweit nicht unmittelbar belastet, da der Kläger gegen ihn keinen Kostenerstattungsanspruch hat. Eine Ausnahme liegt aber vor, wenn die Partei im Verfahren von einem Rechtsanwalt vertreten worden ist. Denn die Gebühren, die sie dem Rechtsanwalt schuldet, ermitteln sich nach dem festgesetzten Streitwert; der gegen den Gegner bestehende Kostenerstattungsanspruch ändert nichts daran, dass sie gegenüber dem Rechtsanwalt zur Zahlung der Gebühren verpflichtet ist (OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2016, 04260; BeckOK KostR/Laube, 28. Ed. 1.12.2019, GKG § 68 Rnr. 58).

b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kommt den Angaben des Klägers in der Klageschrift bei der Bemessung des Streitwerts nach § 3 ZPO regelmäßig erhebliche indizielle Bedeutung zu, da diese Angaben unbeeinflusst vom Ausgang des Prozesses sind. Von den Angaben kommt eine Abweichung daher im Regelfall nur in Betracht, wenn die Angabe deutlich über- oder untersetzt ist. Dies ist hier nicht der Fall. Ein Wert von 10.000,- € für den Verstoß gegen eine Kennzeichnungspflicht, die letztlich zur fehlenden Verkehrsfähigkeit des Produkts führt, mag im oberen Bereich angesiedelt sein. Diese grundsätzlichen Erwägungen lassen sich jedoch auf die Bewertung des Unterlassungsinteresses von Verbraucherschutzverbänden nicht übertragen. Denn wie der Senat in den genannten Entscheidungen ebenfalls ausgeführt hat, besteht zum Schutze der Verbraucher durchaus ein Allgemeininteresse daran, dass verbraucherschützende Normen auch eingehalten werden. Da der Kläger als Verbraucherschutzverband die Aufgabe hat, diese Belange zu vertreten, ist auch sein Interesse an der gerichtlichen Durchsetzung höher zu bewerten als das Interesse einzelner Mitbewerber (vgl. hierzu Senat GRUR-RR 2012, 95; Senat, Beschl. v. 4. 8. 2011 – 6 W 70/11, BeckRS 2011, 21519).

c) Die Festsetzung des Auffangstreitwertes von 1.000,– € kommt nicht in Betracht, da dieser erfordert, dass keine Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwertes bestehen. Diese existieren jedoch hier (vgl. oben).

d) Das Argument der Beklagten, nach der Erledigung des Unterlassungsantrages sei als Streitwert nunmehr nur noch die Höhe der Abmahnkosten festzusetzen, übersieht, dass auch insoweit Erledigung eingetreten ist. Durch die Erledigung ist zwar diesem Zeitpunkt nur noch das Kosteninteresse streitwertbestimmend; für die mit Klageeinreichung entstehenden Kosten und Gebühren ist jedoch der Wert vor der Erledigung entscheidend.

e) Der Wert ist auch nicht nach § 51 III 1 GKG zu mindern.

§ 51 III 1 GKG lässt, in Ausnahme zu dem für die Streitwertfestsetzung geltenden Angreiferinteresseprinzip zu, dass auch der Standpunkt des Beklagten in die Streitwertfestsetzung einzubeziehen ist. Wenn die Bedeutung der Sache für den Beklagten erheblich geringer zu bewerten ist, als der nach Abs. 2 ermittelte Streitwert, ist dieser nämlich angemessen zu mindern (vgl. OLG Zweibrücken NJW-RR 2014, 1535: Kleinunternehmer mit geringem Umsatz). Der Beklagte hat in seiner Streitwertbeschwerde ausgeführt, dass die Bedeutung der Sache für ihn wesentlich geringer zu bewerten sei, weil er sein Gewerbe erst seit 5 Jahren hauptberuflich betreibe und im Jahr 2018 einen Verlust von 9.700 € sowie im Jahr 2017 einen Verlust von 750 € erzielt habe. Dies ist nicht ausreichend für eine Herabsetzung des Wertes. So sind Angaben zu den Gewinnen von vorneherein nicht geeignet, eine geringe Bedeutung zu belegen, da sie keine Aussage über den Umfang der Tätigkeit zulassen. Der Beklagte hat angegeben, seit 5 Jahren hauptberuflich den Shop zu betreiben (korrigiert – die Red.), was der Annahme einer Minderung schon grundsätzlich entgegensteht.

f) Schließlich dringt der Beklagte auch mit seinem Antrag auf Streitwertbegünstigung nach § 12 IV UWG nicht durch.

§ 12 IV UWG stellt auf die erhebliche Gefährdung der wirtschaftlichen Lage einer Partei ab. Davon ist nicht schon dann auszugehen, wenn die Partei sich in finanziellen Schwierigkeiten befindet, sofern ihr eine Kreditaufnahme möglich und zumutbar ist oder ein Dritter eine Prozesskostenübernahme zugesagt hat. Vielmehr ist erforderlich, dass der Partei die Insolvenz drohen würde (vgl. OLG Stuttgart WRP 2016, 766). Die Partei muss die Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Lage glaubhaft (§ 294 ZPO) machen.

Dies ist hier nicht geschehen. Der Beklagte hat nur pauschal behauptet, dass eine Belastung mit den Prozesskosten seine wirtschaftliche Existenz bedrohen würde.

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