Metall auf Metall V: Sample vielleicht doch ein „Pastiche“?
Bundesgerichtshof
Vorlagefrage vom 14.09.2023
Az.: I ZR 74/22
Tenor
- I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
- II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- 1. Ist die Schrankenregelung der Nutzung zum Zwecke von Pastiches im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG ein Auffangtatbestand jedenfalls für eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem vorbestehenden Werk oder sonstigen Bezugsgegenstand einschließlich des Sampling? Gelten für den Begriff des Pastiche einschränkende Kriterien wie das Erfordernis von Humor, Stilnachahmung oder Hommage?
- 2. Erfordert die Nutzung „zum Zwecke“ eines Pastiche im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG die Feststellung einer Absicht des Nutzers, einen urheberrechtlichen Schutzgegenstand zum Zwecke eines Pastiche zu nutzen oder genügt die Erkennbarkeit des Charakters als Pastiche für denjenigen, dem der in Bezug genommene urheberrechtliche Schutzgegenstand bekannt ist und der das für die Wahrnehmung des Pastiche erforderliche intellektuelle Verständnis besitzt?
Gründe
- 2 Die Kläger behaupten, die Beklagten hätten etwa zwei Sekunden einer Rhythmussequenz aus dem Titel „Metall auf Metall“ elektronisch kopiert („gesampelt“) und dem Titel „Nur mir“ in fortlaufender Wiederholung unterlegt, obwohl es ihnen möglich gewesen wäre, die übernommene Rhythmussequenz selbst einzuspielen. Sie meinen, die Beklagten hätten damit ihr Leistungsschutzrecht als Tonträgerhersteller verletzt. Hilfsweise stützen sie sich auf ihr Leistungsschutzrecht als ausübende Künstler, weiter hilfsweise auf die Verletzung des Urheberrechts des Klägers zu 1 am Musikwerk und äußerst hilfsweise auf wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz.
- 3 Die Kläger haben die Beklagten auf Unterlassung in Anspruch genommen, Tonträger mit der Aufnahme „Nur mir“ herzustellen und/oder herstellen zu lassen, anzubieten und/oder anbieten zu lassen und/oder sonst in den Verkehr zu bringen und/oder in den Verkehr bringen zu lassen. Außerdem haben sie die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten, Auskunftserteilung und Herausgabe der Tonträger zum Zweck der Vernichtung verlangt.
- 4 Das Landgericht hat der Klage stattgegeben (LG Hamburg, Urteil vom 8. Oktober 2004 – 308 O 90/99, juris). Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben (OLG Hamburg, GRUR-RR 2007, 3). Auf die Revision der Beklagten hat der Senat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (Urteil vom 20. November 2008 – I ZR 112/06, GRUR 2009, 403 = WRP 2009, 308 – Metall auf Metall I).
- 5 Im wiedereröffneten Berufungsverfahren hat das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten erneut zurückgewiesen (OLG Hamburg, GRUR-RR 2011, 396). Die Revision der Beklagten hat der Senat zurückgewiesen (Urteil vom 13. Dezember 2012 – I ZR 182/11, GRUR 2013, 614 = WRP 2013, 804 – Metall auf Metall II).
- 6 Das Bundesverfassungsgericht hat beide vorangegangenen Revisionsurteile des Senats und das zweite Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen (BVerfGE 142, 74).
- 7 Im erneuten Revisionsverfahren hat der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung von Art. 2 Buchst. c und Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29/EG sowie von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/115/EG zur Vorabentscheidung vorgelegt (BGH, Beschluss vom 1. Juni 2017 – I ZR 115/16, GRUR 2017, 895 = WRP 2017, 1114 – Metall auf Metall III), die dieser sodann beantwortet hat (EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 – C-476/17, GRUR 2019, 929 = WRP 2019, 1156 – Pelham u.a.).
- 8 Mit dem dritten Revisionsurteil hat der Senat auf die Revision der Beklagten die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (BGH, Urteil vom 30. April 2020 – I ZR 115/16, BGHZ 225, 222 – Metall auf Metall IV).
- 9 Das Berufungsgericht hat das Urteil des Landgerichts nunmehr dahingehend abgeändert, dass die Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Auskunft über die Anzahl der zwischen dem 22. Dezember 2002 und dem 7. Juni 2021 hergestellten und/oder ausgelieferten Tonträger mit Schallaufnahmen des Titels „Nur mir“, wie sie sich auf zwei näher bezeichneten Tonträgern befinden, sowie zur Herausgabe von Vervielfältigungsstücken dieser Tonträger zum Zwecke der Vernichtung verurteilt werden und insoweit ihre Verpflichtung zum Schadensersatz festgestellt wird (OLG Hamburg, GRUR 2022, 1217). Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit es hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche ab dem 7. Juni 2021 zum Nachteil der Kläger erkannt hat. Die Kläger verfolgen mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, ihre mit der Klage ab dem 7. Juni 2021 geltend gemachten Ansprüche weiter.
- 10 B. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung von Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ab. Vor einer Entscheidung über die Revision der Kläger ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.
- 11 I. Das Berufungsgericht hat bei seiner rechtlichen Beurteilung zwischen drei zeitlichen Phasen unterschieden und die Rechtslage vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2001/29/EG am 22. Dezember 2002, die Rechtslage nach Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2001/29/EG ab dem 22. Dezember 2002 bis zum Inkrafttreten der Schrankenregelung des § 51a UrhG nF am 7. Juni 2021 und die Rechtslage seit Inkrafttreten des § 51a UrhG nF am 7. Juni 2021 gesondert betrachtet.
- 12 Für den Zeitraum vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2001/29/EG am 22. Dezember 2002, also den Zeitraum, in den die Veröffentlichung der beiden Tonträger mit dem Titel „Nur mir“ im Jahr 1997 fällt, hat das Berufungsgericht eine Rechtsverletzung verneint. Es hat angenommen, eine Verletzung der Rechte der Kläger als Tonträgerhersteller oder als ausübende Künstler oder der Rechte des Klägers zu 1 als Urheber scheide nach § 24 UrhG aF aus, weil die Beklagten in freier Benutzung des Musikstücks „Metall auf Metall“ mit dem Musikstück „Nur mir“ ein selbständiges Werk geschaffen hätten.
- 13 Für den Zeitraum nach Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2001/29/EG ab dem 22. Dezember 2002 bis zum Inkrafttreten der Schrankenregelung des § 51a UrhG nF am 7. Juni 2021 hat das Berufungsgericht die Beklagten zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie Herausgabe zum Zwecke der Vernichtung verurteilt und ihre Schadensersatzpflicht festgestellt. Es hat angenommen, die Beklagten hätten im Jahr 2004 erneut zwei Tonträger mit den Aufnahmen des Titels „Nur mir“ veröffentlicht. Damit hätten die Beklagten das Recht der Kläger als Tonträgerhersteller zur Vervielfältigung ihres Tonträgers verletzt, weil die übernommene Sequenz aus „Metall auf Metall“ in dem Titel „Nur mir“ deutlich wahrnehmbar und für den mit dem Werk der Kläger vertrauten Hörer erkennbar sei. Das Recht der Kläger als Tonträgerhersteller zur Verbreitung ihres Tonträgers sei dagegen nicht verletzt, weil ein Tonträger, der von einem anderen Tonträger übertragene Musikfragmente enthalte, keine Kopie dieses Tonträgers darstelle. Entsprechendes gelte für die Verletzung der Rechte der Kläger als ausübende Künstler. Die geltend gemachten Ansprüche seien dagegen ohne Einschränkungen wegen einer Verletzung des Urheberrechts des Klägers zu 1 an der übernommenen Rhythmussequenz begründet. Die übernommene Rhythmussequenz erfülle die Anforderungen an ein urheberrechtlich geschütztes Werk. Die Beklagten hätten dieses Urheberrecht mit der Herstellung und Auslieferung der beiden Tonträger im Jahr 2004 verletzt. Da insoweit eine 1:1-Kopie vorliege, beziehe sich der Anspruch des Klägers zu 1 nicht nur auf die hergestellten, sondern auch auf die verbreiteten Tonträger.
- 14 Für den Zeitraum seit Inkrafttreten des § 51a UrhG nF am 7. Juni 2021 hat das Berufungsgericht eine Rechtsverletzung verneint. Es hat angenommen, der Unterlassungsanspruch sei nicht begründet und die Annexansprüche auf Auskunft, Herausgabe zum Zwecke der Vernichtung und Schadensersatzfeststellung seien ab dem 7. Juni 2021 nicht (mehr) gegeben, weil die Übernahme der Rhythmussequenz aus dem Titel „Metall auf Metall“ im Wege des Sampling ein Pastiche im Sinne des § 51a Satz 1 UrhG in der ab diesem Tag geltenden Fassung sei, so dass es an einer Verletzung der Vervielfältigungsrechte der Kläger als Tonträgerhersteller und als ausübende Künstler sowie der Rechte (Vervielfältigungsrecht und Verbreitungsrecht) des Klägers zu 1 als Urheber fehle.
- 15 II. Die Revision hat Erfolg, wenn das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen hat, dass die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung und Feststellung der Schadensersatzpflicht (§ 97 UrhG), Auskunftserteilung (§ 242 BGB) und Herausgabe der Tonträger zum Zwecke der Vernichtung (§ 98 UrhG) ab dem 7. Juni 2021 ausgeschlossen sind, weil die Übernahme der Rhythmussequenz aus dem Titel „Metall auf Metall“ im Wege des Sampling eine nach § 51a Satz 1 UrhG in der ab dem 7. Juni 2021 geltenden Fassung zulässige Nutzung zum Zwecke des Pastiches ist, so dass keine Verletzung der von den Klägern geltend gemachten Leistungsschutzrechte als Tonträgerhersteller oder ausübende Künstler sowie des Urheberrechts des Klägers zu 1 vorliegt.
- 16 1. Das Berufungsgericht hat zu Recht einen Eingriff in die Vervielfältigungsrechte der Kläger als Tonträgerhersteller gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG und als ausübende Künstler gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 UrhG sowie in die Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte des Klägers zu 1 als Urheber gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 16 Abs. 1, § 17 Abs. 1 UrhG bejaht.
- 17 a) Einen Eingriff in die Rechte der Kläger als Tonträgerhersteller und ausübende Künstler gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1, § 77 Abs. 2 Satz 1 UrhG hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei im Hinblick darauf angenommen, dass die Beklagten die Rhythmussequenz zwar in leicht geänderter, aber beim Hören wiedererkennbarer Form übernommen haben (vgl. BGHZ 225, 222 [juris Rn. 28 bis 31] – Metall auf Metall IV).
- 18 b) Ohne Rechtsfehler ist weiter die Annahme des Berufungsgerichts, die übernommene Rhythmussequenz stelle ein urheberrechtlich schutzfähiges Werk der Musik im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 UrhG dar. Die vom Berufungsgericht vorgenommene tatgerichtliche Würdigung genügt den für diese geltenden rechtlichen Anforderungen (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2015 – I ZR 225/12, GRUR 2015, 1189 [juris Rn. 47] = WRP 2015, 1507 – Goldrapper; Urteil vom 15. Dezember 2022 – I ZR 173/21, GRUR 2023, 571 [juris Rn. 19] = WRP 2023, 591 – Vitrinenleuchte, jeweils mwN).
- 19 2. Auf die Schrankenbestimmung des § 51a Satz 1 UrhG kommt es im Streitfall an, weil die beanstandete Übernahme der Rhythmussequenz nicht die Voraussetzungen der Schranke des Zitatrechts (§ 51 Satz 1 und 2 Nr. 3 UrhG; Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29/EG) oder der Schranke für die Nutzung von unwesentlichem Beiwerk (§ 57 UrhG; Art. 5 Abs. 3 Buchst. i der Richtlinie 2001/29/EG) erfüllt. Die Voraussetzungen eines Zitats liegen nicht vor, da es an einer Nutzung der Rhythmussequenz zum Zwecke des Zitats fehlt. Für einen durchschnittlichen Hörer ist zwar das übernommene Audiofragment im Tonträger der Beklagten wiedererkennbar; er hat aber keinen Grund für die Annahme, dieses Audiofragment sei einem fremden Werk oder Tonträger entnommen worden (vgl. BGHZ 225, 222 [juris Rn. 50 bis 55] – Metall auf Metall IV). Die Voraussetzungen eines unwesentlichen Beiwerks liegen nicht vor, weil es sich bei der Rhythmussequenz um den prägenden Teil des Titels „Metall auf Metall“ handelt, der in dem Titel „Nur mir“ noch deutlich in seiner charakteristischen Ausprägung wahrnehmbar ist (vgl. BGHZ 225, 222 [juris Rn. 56 bis 59] – Metall auf Metall IV).
- 20 3. Nach § 51a Satz 1 UrhG ist die Vervielfältigung, die Verbreitung und die öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werks zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches zulässig. Die Vorschriften des § 83 und § 85 Abs. 4 UrhG ordnen die entsprechende Anwendung von Teil 1 Abschnitt 6 des Urheberrechtsgesetzes, in dem sich § 51a UrhG befindet, auf die Leistungsschutzrechte des ausübenden Künstlers sowie des Tonträgerherstellers an.
- 21 § 51a UrhG dient der Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 Buchst. k und Abs. 4 der Richtlinie 2001/29/EG und ist deshalb richtlinienkonform auszulegen. Nach Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG können die Mitgliedstaaten Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf die in den Artikeln 2 und 3 der Richtlinie vorgesehenen Rechte – darunter das Vervielfältigungsrecht der Urheber in Bezug auf ihre Werke (Art. 2 Buchst. a), der ausübenden Künstler in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Darbietungen (Art. 2 Buchst. b) und der Tonträgerhersteller in Bezug auf ihre Tonträger (Art. 2 Buchst. c) – für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches vorsehen. Nach Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie 2001/29/EG können die Mitgliedstaaten im Falle der Einführung einer Ausnahme oder Beschränkung in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht gemäß Absatz 2 oder 3 dieser Vorschrift entsprechend auch eine Ausnahme oder Beschränkung in Bezug auf das Verbreitungsrecht im Sinne von Artikel 4 der Richtlinie – also das Verbreitungsrecht der Urheber in Bezug auf ihre Werke – zulassen, soweit diese Ausnahme durch den Zweck der erlaubten Vervielfältigung gerechtfertigt ist.
- 22 Da die beanstandete Übernahme der Rhythmussequenz nicht die Voraussetzungen einer Karikatur oder Parodie des Musikstücks „Metall auf Metall“ erfüllt, weil es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass das Musikstück „Nur mir“ einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darstellt (vgl. BGHZ 225, 222 [juris Rn. 63] – Metall auf Metall IV), ist im Streitfall entscheidend, ob die beanstandete Übernahme zum Zwecke eines Pastiche im Sinne von § 51a UrhG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG erfolgte.
- 23 4. Es bedarf der Klärung, ob die Schrankenregelung der Nutzung zum Zwecke von Pastiches im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG ein Auffangtatbestand jedenfalls für eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem vorbestehenden Werk oder sonstigen Bezugsgegenstand einschließlich des Sampling ist und ob für den Begriff des Pastiche einschränkende Kriterien wie das Erfordernis von Humor, Stilnachahmung oder Hommage gelten. Dazu ergeht Vorlagefrage 1.
- 24 a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union müssen Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Europäischen Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten (vgl. EuGH, Urteil vom 3. September 2014 – C-201/13, GRUR 2014, 972 [juris Rn. 14] = WRP 2014, 1181 – Deckmyn und Vrijheidsfonds; Urteil vom 13. Oktober 2022 – C-256/21, GRUR 2022, 1669 [juris Rn. 33] = WRP 2023, 40 – Gemeinde Bodman-Ludwigshafen).
- 25 Für den in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG enthaltenen Begriff der Parodie hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass es sich hierbei um einen autonomen Begriff des Unionsrechts handelt, der im gesamten Gebiet der Union einheitlich auszulegen ist (EuGH, GRUR 2014, 972 [juris Rn. 15] – Deckmyn und Vrijheidsfonds). Der fakultative Charakter der in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG geregelten Ausnahme bedeutet nicht, dass es den Mitgliedstaaten freistünde, deren Parameter inkohärent, nicht harmonisiert und möglicherweise von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat variierend auszugestalten, weil dies dem Ziel dieser Richtlinie zuwiderliefe (EuGH, GRUR 2014, 972 [juris Rn. 16] – Deckmyn und Vrijheidsfonds). Dies dürfte in gleicher Weise für den in der Vorschrift enthaltenen Begriff des Pastiche gelten.
- 26 b) Die Bedeutung und Tragweite eines unionsrechtlichen Rechtsbegriffs, der im einschlägigen Unionsrecht nicht definiert ist, ist entsprechend seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen, wobei zu berücksichtigen ist, in welchem Zusammenhang er verwendet wird und welche Ziele mit der Regelung verfolgt werden, zu der er gehört (vgl. EuGH, GRUR 2014, 972 [juris Rn. 19] – Deckmyn und Vrijheidsfonds; EuGH, Urteil vom 7. April 2022 – C-668/20, ZfZ 2022, 184 [juris Rn. 67]).
- 27 aa) Zum Sinn des Begriffs „Pastiche“ nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Die Bandbreite der Bedeutung des Begriffs „Pastiche“ im gewöhnlichen Sprachgebrauch vieler Mitgliedstaaten dürfte von der Stilimitation bis zu rekombinierenden Arrangements oder Neukompositionen aus bereits vorhandenem Material fremder Herkunft reichen. Dabei ist allen Bedeutungen, so verschieden sie im Detail auch sind, wohl der referenzielle Charakter in Bezug auf etwas bereits Bestehendes gemeinsam (vgl. Ortland, ZGE 2022, 3, 31; Pötzlberger, GRUR 2018, 675, 676 ff.; Stieper, AfP 2015, 301, 304 ff.; ders., GRUR 2020, 699, 702).
- 28 Im französischen Recht besteht seit 1957 die urheberrechtliche Schranke für Parodie, Pastiche und Karikatur gemäß Art. L 122-5 No. 4 Code de la Propriété Intellectuelle, die eine humoristische Absicht des Künstlers sowie die Entlehnung charakteristischer Merkmale des Ausgangswerks voraussetzt (Döhl, UFITA 83 [2019], S. 19, 30; Lucas-Schloetter, UFITA 83 [2019], S. 99, 101).
- 29 bb) Der Umstand, dass der Pastiche zusammen mit der Parodie und der Karikatur in einer Schrankenbestimmung geregelt worden ist, könnte dafür sprechen, dass Pastiche, Parodie und Karikatur in wesentlichen Merkmalen übereinstimmen.
- 30 (1) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bestehen die wesentlichen Merkmale der Parodie darin, zum einen an ein bestehendes Werk zu erinnern, gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, und zum anderen einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darzustellen (EuGH, GRUR 2014, 972 [juris Rn. 20] – Deckmyn und Vrijheidsfonds). Dagegen setzt eine Parodie nicht voraus, dass die Parodie einen eigenen ursprünglichen Charakter hat, der nicht nur darin besteht, gegenüber dem parodierten ursprünglichen Werk wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, dass sie vernünftigerweise einer anderen Person als dem Urheber des ursprünglichen Werks zugeschrieben werden kann, dass sie das ursprüngliche Werk selbst betrifft oder dass sie das parodierte Werk angibt (EuGH, GRUR 2014, 972 [juris Rn. 21] – Deckmyn und Vrijheidsfonds).
- 31 (2) Danach dürfte ein wesentliches Merkmal auch des Pastiche wohl jedenfalls darin zu sehen sein, dass er – ebenso wie Parodie und Karikatur – an ein bestehendes Werk erinnert, gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufweist. Ob es darüber hinaus – wie die Revision meint – ein wesentliches Merkmal des Pastiche ist, ebenso wie die Parodie und die Karikatur einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darzustellen, erscheint dagegen fraglich. Desgleichen ist zweifelhaft, ob die Nachahmung eines Stils eines urheberrechtlichen Schutzgegenstands oder die Bezugnahme in Form einer Hommage ein wesentliches Merkmal eines Pastiche ist.
- 32 Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG ist zwar, da er eine Ausnahme zu den in den Art. 2 und 3 der Richtlinie vorgesehenen Rechten enthält, eng auszulegen (EuGH, GRUR 2014, 972 [juris Rn. 22] – Deckmyn und Vrijheidsfonds). Die Auslegung des Begriffs des Pastiche muss es aber erlauben, die praktische Wirksamkeit der so umrissenen Ausnahme zu wahren und ihre Zielsetzung zu beachten (zur Parodie EuGH, GRUR 2014, 972 [juris Rn. 23] – Deckmyn und Vrijheidsfonds). Deshalb führt der Umstand, dass Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG eine Ausnahme darstellt, nicht zu einer Einschränkung des Anwendungsbereichs dieser Bestimmung, die – wie möglicherweise die Einschränkung auf einen Ausdruck von Humor oder Verspottung, Nachahmung des Stils oder Hommage – weder aus dem Sinn des Begriffs „Pastiche“ nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch noch aus dem Wortlaut dieser Bestimmung hervorgeht (zur Parodie vgl. EuGH, GRUR 2014, 972 [juris Rn. 24] – Deckmyn und Vrijheidsfonds).
- 33 (3) Aus dem Umstand, dass nun auch Art. 17 Abs. 7 Unterabs. 2 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2019/790 eine Schranke für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches vorsieht, ergibt sich kein Anhaltspunkt für die Auslegung des Begriffs des Pastiche. Der Unionsgesetzgeber wollte bei Einführung der Richtlinie (EU) 2019/790 ausweislich des Erwägungsgrunds 70 nutzergenerierte Inhalte im Grundsatz von der in Art. 17 Abs. 7 Unterabs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie vorgesehenen Schranke für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches erfasst sehen. Damit ist aber nicht gesagt, welche Anforderungen nutzergenerierte Inhalte erfüllen müssen, um als Pastiches zu gelten.
- 34 cc) Das Ziel der Ausnahme für „Pastiches“ könnte es nahelegen, in dieser Schrankenregelung einen Auffangtatbestand jedenfalls für eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem vorbestehenden Werk oder sonstigen Bezugsgegenstand einschließlich des Sampling zu sehen, der keine weiteren einschränkenden Tatbestandsmerkmale erfordert.
- 35 (1) Hinsichtlich des Ziels von Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG verweist der Gerichtshof der Europäischen Union auf die mit dieser Richtlinie allgemein verfolgten Ziele, zu denen – wie aus ihrem dritten Erwägungsgrund hervorgeht – die Harmonisierung gehört, die zur Verwirklichung der vier Freiheiten des Binnenmarkts beiträgt und im Zusammenhang mit der Beachtung der tragenden Grundsätze des Rechts steht, insbesondere des Eigentums einschließlich des geistigen Eigentums, der freien Meinungsäußerung und des Gemeinwohls (EuGH, GRUR 2014, 972 [juris Rn. 25] – Deckmyn und Vrijheidsfonds). Auch die in Art. 13 der EU-Grundrechtecharta gewährleistete Freiheit der Kunst ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen (vgl. Erwägungsgrund 70 der Richtlinie [EU] 2019/790 sowie dazu EuGH, Urteil vom 26. April 2022 – C-401/19, GRUR 2022, 820 [juris Rn. 87] = WRP 2022, 700 – Polen/Parlament und Rat).
- 36 Der Gerichtshof der Europäischen Union weist weiter darauf hin, dass – wie sich aus dem 31. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29/EG ergibt – mit den in Art. 5 der Richtlinie enthaltenen Ausnahmen von den in Art. 2 und 3 der Richtlinie vorgesehenen Rechten ein „angemessener Ausgleich“ von Rechten und Interessen insbesondere zwischen den Urhebern und den Nutzern von Schutzgegenständen gesichert werden soll. Folglich muss bei der Anwendung der Ausnahmen gemäß Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG in einem konkreten Fall ein angemessener Ausgleich zwischen den Grundrechten der in den Art. 2 und 3 der Richtlinie genannten Personen auf der einen und den Grundrechten des Nutzers eines geschützten Werks, der sich auf die Ausnahme im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie beruft, auf der anderen Seite gewahrt werden (vgl. EuGH, GRUR 2014, 972 [juris Rn. 26 f.] – Deckmyn und Vrijheidsfonds; EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 – C-469/17, GRUR 2019, 934 [juris Rn. 70] = WRP 2019, 1170 – Funke Medien NRW; EuGH, GRUR 2022, 820 [juris Rn. 87] – Polen/Parlament und Rat).
- 37 (2) Danach könnte die Ausnahme des „Pastiche“ möglicherweise eingreifen, wenn eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem benutzten Werk oder einem sonstigen Bezugsgegenstand erfolgt. Die Pastiche-Schranke könnte als allgemeine Schranke für die Kunstfreiheit zu verstehen sein, die deshalb notwendig ist, weil der Kunstfreiheit allein durch die immanente Begrenzung des Schutzbereichs der Verwertungsrechte auf eine Nutzung der Werke und Leistungen in wiedererkennbarer Form (vgl. EuGH, GRUR 2019, 929 [juris Rn. 31] – Pelham u.a.) und die übrigen Schrankenregelungen wie insbesondere Parodie, Karikatur und Zitat nicht in allen Fällen der gebotene Raum gegeben werden kann.
- 38 Die Rechte der Urheber, Tonträgerhersteller und ausübenden Künstler gemäß Art. 2 und 3 der Richtlinie 2001/29/EG genießen den Schutz des geistigen Eigentums gemäß Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta. Andererseits kann eine Nutzung von Werken oder anderen Schutzgegenständen zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches in den Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 11 EU-Grundrechtecharta) oder der Kunstfreiheit (Art. 13 EU-Grundrechtecharta) fallen.
- 39 So ist die hier in Rede stehende Technik des „Elektronischen Kopierens von Audiofragmenten“ (Sampling), bei der ein Nutzer einem Tonträger ein Audiofragment entnimmt und dieses zur Schaffung eines neuen Werks nutzt, eine künstlerische Ausdrucksform, die unter die durch Art. 13 EU-Grundrechtecharta geschützte Freiheit der Kunst fällt (EuGH, GRUR 2019, 929 [juris Rn. 35] – Pelham u.a.; zu Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vgl. BVerfGE 142, 74 [juris Rn. 89]).
- 40 Dem deutschen Gesetzgeber schwebte bei der Einführung der neuen Schranke des § 51a UrhG ein weiter Begriff des Pastiche vor, der vorbehaltlich des angemessenen Ausgleichs von Rechten und Interessen der Urheber und der Nutzer insbesondere Praktiken wie Remix, Meme, GIF, Mashup, Fan Art, Fan Fiction oder Sampling umfassen soll, weil zitierende, imitierende und anlehnende Kulturtechniken ein prägendes Element der Intertextualität und des zeitgemäßen kulturellen Schaffens und der Kommunikation im „Social Web“ seien (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, BT-Drucks. 19/27426, S. 91 f.).
- 41 5. Klärungsbedürftig ist weiter, wann eine Nutzung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG „zum Zwecke“ eines Pastiche erfolgt. Dazu ergeht Vorlagefrage 2.
- 42 Mit Blick auf den Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG, der eine Nutzung „zum Zwecke“ von Karikaturen, Parodien oder Pastiches vorsieht, ist fraglich, ob es der Feststellung einer Absicht des Nutzers bedarf, einen urheberrechtlichen Schutzgegenstand (das Werk des Urhebers, die Aufzeichnung der Darbietung eines ausübenden Künstlers, den Tonträger eines Tonträgerherstellers) zum Zwecke eines Pastiche zu nutzen. Nach Auffassung des Senats sollte insoweit die Feststellung ausreichen, dass der Charakter als Pastiche (die Nutzung als Pastiche) für denjenigen erkennbar ist, dem der in Bezug genommene urheberrechtliche Schutzgegenstand bekannt ist und der das für die Wahrnehmung des Pastiche erforderliche intellektuelle Verständnis besitzt (letzteres für die Parodie annehmend BGH, Urteil vom 28. Juli 2016 – I ZR 9/15, BGHZ 211, 309 [juris Rn. 33] – auf fett getrimmt).
- 44 a) Die Vorlagefrage 1 ist mit Blick auf die Feststellungen des Berufungsgerichts entscheidungserheblich, dass das Musikstück „Nur mir“ zwar an die übernommene Rhythmussequenz aus „Metall auf Metall“ erinnere, gleichzeitig aber ihr gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufweise, und dabei weder den Stil der übernommenen Rhythmussequenz aus „Metall auf Metall“ nachahme noch einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darstelle. Das Berufungsgericht hat weiter festgestellt, dass in dem Musikstück „Nur mir“ eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Rhythmussequenz aus „Metall auf Metall“ erfolgt sei. Es sei Ausdruck künstlerischer Auseinandersetzung, dass die übernommene kurze Rhythmussequenz zur stilistischen Überführung in ein anderes musikalisches Genre genutzt werde und in dem einen eigenen Charakter aufweisenden Musikstück „Nur mir“ trotz Temporeduktion und metrischer Verschiebung als Anspielung auf das Original erkennbar bleibe.
- 45 b) Die Vorlagefrage 2 ist mit Blick darauf entscheidungserheblich, dass das Berufungsgericht keine Feststellungen zur Absicht der Beklagten getroffen hat, weil es der Auffassung war, es bedürfe nicht der Feststellung einer auf die Nachahmung oder Hommage gerichteten Intention des Bearbeiters.
- 46 c) Die für beide Vorlagefragen entscheidungserheblichen Anforderungen des „Drei-Stufen-Tests“ gemäß Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Streitfall erfüllt.
- 47 aa) Dem Ziel des angemessenen Ausgleichs von Rechten und Interessen trägt Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG Rechnung (vgl. EuGH, GRUR 2019, 929 [juris Rn. 62] – Pelham u.a.; GRUR 2019, 934 [juris Rn. 61] – Funke Medien NRW). Danach dürfen die in Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden („Drei-Stufen-Test“). Hierin liegt zum einen eine Gestaltungsanordnung gegenüber dem nationalen Gesetzgeber in Bezug auf die Konkretisierung der Schranken des Urheberrechts, zum anderen ist Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG aber auch Maßstab für die Rechtsanwendung im Einzelfall (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2020 – I ZR 139/15, GRUR 2020, 853 [juris Rn. 57] = WRP 2020, 1043 – Afghanistan-Papiere II, mwN).
- 48 bb) Der ersten Voraussetzung des im vorliegenden Einzelfall durchzuführenden Drei-Stufen-Tests gemäß Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG ist durch die Einführung der Pastiche-Schranke in § 51a UrhG genügt, weil es sich um einen gesetzlich geregelten Sonderfall handelt.
- 49 cc) Bei der auf zweiter Stufe vorzunehmenden Prüfung, ob die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird, ist in den Blick zu nehmen, ob durch die beanstandete Verwendung die Möglichkeiten des Rechtsinhabers zum rechtmäßigen Absatz verringert werden (vgl. EuGH, Urteil vom 26. April 2017 – C-527/15, GRUR 2017, 610 [juris Rn. 70] = WRP 2017, 677 – Stichting Brein).
- 50 Im Streitfall ist nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen, dass den Klägern durch die Übernahme der Rhythmussequenz durch die Beklagten nicht die Möglichkeit genommen wird, einen zufriedenstellenden Ertrag zu erzielen, weil ein großer Abstand zwischen den Werken besteht, keine Konkurrenzsituation mit dem ursprünglichen Tonträger vorliegt und Einbußen an Vermarktungschancen für Samplinglizenzen mit Blick darauf nicht substantiiert dargetan wurden, dass die Entnahme durch die Beklagten zwanzig Jahre nach Erscheinen des Werks der Kläger erfolgte, also zu einem Zeitpunkt, als die zentralen Verwertungshandlungen der Kläger ungeachtet ihrer fortdauernden Popularität im Wesentlichen in der Vergangenheit lagen.
- 51 dd) Auf dritter Stufe ist eine ungebührliche Verletzung der Interessen des Rechtsinhabers zu prüfen. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise der kommerzielle oder nicht-kommerzielle Charakter der Nutzung, der Umfang der Entlehnung, der Grad der Umgestaltung und eine etwaige Verwechslungsgefahr, die Frage, ob eine Auseinandersetzung mit dem Werk oder mit anderen Themen vorliegt, und das Gewicht der betroffenen Grundrechte zu berücksichtigen (vgl. Ohly, ZUM 2021, 745, 748; Stieper, AfP 2015, 301, 305; ders., GRUR 2020, 699, 703).