Rundfunkbeitragspflicht auch bei keinem eigenen Wohnsitz
VG Hannover
Urteil vom 08.05.2018
Az.: 7 A 5639/16
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Die im Jahre 1972 geborene Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Rundfunkbeiträgen im privaten Bereich.
Auf der Grundlage des Meldedatenabgleichs im April 2014 führte der Beklagte die Klägerin unter der Beitragsnummer mit einer Wohnung unter der Anschrift „C., A-Stadt“ für die Zeit ab dem 01. Januar 2013 als Beitragsschuldnerin. Nachdem sich die Klägerin zu der Anschrift „A-Straße“ in A-Stadt umgemeldet hat, wird sie mit einer Wohnung unter jener Adresse geführt. Die Klägerin lebte in diesen Wohnungen jeweils zusammen mit ihrer schwerbehinderten (Grad der Behinderung 100, Merkzeichen „G“, „H“, „RF“ und „aG“) Mutter, der die Pflegestufe „3“ bewilligt war. Die Mutter der Klägerin verstarb am 25. Dezember 2015. Der Beklagte führte die Mutter der Klägerin unter der Beitragsnummer 477 500 865 als beitragsermäßigt, meldete die Mutter jedoch nach der Anmeldung der Klägerin für die Zeit nach Dezember 2012 ab.
Von dem Beklagten zur Entrichtung von Rundfunkbeiträgen aufgefordert, vertrat die Klägerin die Auffassung, sie sei nicht zahlungspflichtig, weil sie in den besagten Wohnungen lediglich als Pflegeperson ihrer pflegebedürftigen Mutter lebe bzw. gelebt habe; auf diese sei die Wohnung angemeldet.
Nach weiterem Schriftwechsel setzte der Beklagte mit dem vorliegend angegriffenen Bescheid vom 02. November 2015 Rundfunkbeiträge gegen die Klägerin – bezogen auf die erstgenannte Wohnung – für den Zeitraum Januar 2013 bis September 2014 in Höhe von insgesamt 377,58 € und hinsichtlich der zweitgenannten Wohnung für den Zeitraum Oktober 2014 bis März 2015 in Höhe von insgesamt 107,88 € zuzüglich eines Säumniszuschlages in Höhe von 8,00 € fest. Ihre Mutter wurde in diesem Zeitraum nicht zu Beiträgen herangezogen.
Hiergegen legte die Klägerin am 02. Dezember 2015 über ihren Prozessbevollmächtigten, der dem Beklagten eine entsprechende Vollmacht vorgelegt hatte, Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie im Wesentlichen ausführen ließ, sie habe sich in der Wohnung ihrer schwerbehinderten Mutter nur aufgehalten, um diese zu pflegen. Diese sei Hauptmieterin gewesen und daher zu Rundfunkbeiträgen heranzuziehen. Die Klägerin selbst habe in dem streitgegenständlichen Zeitraum keinen eigenen Haushalt geführt und sei daher nicht verpflichtet, Rundfunkbeiträge zu entrichten. Jedenfalls hätte die Ermäßigung, die der Mutter als Pflegebedürftiger zugestanden hätte, auch für die Klägerin gelten müssen.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25. August 2016 – dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Postzustellungsurkunde zugestellt am Samstag, den 27. August 2016 – zurück. Auf den Inhalt im Einzelnen wird Bezug genommen.
Die Klägerin hat am 29. September 2016 (einem Donnerstag) Klage erhoben, zu deren Begründung sie unter Wiederholung und Vertiefung des Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren ergänzend vortragen lässt, professionelle Pflegekräfte, die in den Haushalt eines Pflegebedürftigen aufgenommen seien, würden nicht zur Rundfunkbeitragspflicht herangezogen; die Klägerin sei gleich zu behandeln. Es sei hinsichtlich der versäumten Klagefrist Wiedereinsetzung in vorigen Stand zu gewähren. Von der Fristversäumnis habe der Prozessbevollmächtigte erstmals durch den bei ihm am 28. Oktober 2016 eingegangenen Schriftsatz des Beklagten erfahren; innerhalb der gegebenen Zwei-Wochen-Frist stelle er nunmehr am 10. November 2016 den Wiedereinsetzungsantrag. Sein Rechtsanwaltsbüro sei samstags nicht geöffnet. Es bestehe eine Übung der Postzusteller, Zustellungen nicht am Samstag vorzunehmen. Die hier streitgegenständliche Zustellung sei ausnahmsweise an einem Samstag erfolgt. In seinem Büro würden zur Überwachung der Notfristen die Fristen und zusätzlich eine Woche vor deren Ablauf Vorfristen in einen besonderen Fristenkalender eingetragen. Weiterhin werde die Eintragung dieser Frist in der Handakte auf dem entsprechenden Schriftstück zusätzlich handschriftlich mit den entsprechenden Daten und einem Namenskürzel notiert. Dies sei in dem vorliegenden Fall unter dem 29. September 2016 und dem Kürzel „not sc“ – was bedeute, dass die Frist unter diesem Datum von der Fachangestellten Sch… eingetragen worden sei – geschehen. Die Büroorganisation sehe vor, dass die Rechtsanwaltsfachangestellte Sch… jeden Morgen die Post aus dem zum Büro gehörenden Briefkasten nehme und gleich anschließend öffne. Bei einfacher, normaler Post bringe sie sogleich den entsprechenden Tagesstempel darauf an, anschließend lese sie die Post auf eventuell damit verbundene Fristen durch und notiere diese. Anschließend würden die normalen Briefumschläge entsorgt. Bei Schriftstücken, welche – wie der angegriffene Widerspruchsbescheid – per Postzustellungsurkunde zugestellt würden, werde abweichend davon das entsprechend darauf notierte Zustellungsdatum sowohl für die Eintragung der Fristen als auch für den auf allen Schriftstücken auf der ersten Seite zur besseren Übersichtlichkeit und Kontrolle aufzubringenden Eingangsstempel genommen. In diesem Fall bleibe der Umschlag zusammen mit dem Schriftstück in der Akte. Vorliegend habe – von dieser Anweisung und Übung abweichend – die Rechtsanwaltsfachangestellte sowohl beim Notieren der Frist als auch beim Aufbringen des Eingangsstempels auf der ersten Seite versehentlich nicht das Zustellungsdatum vom Samstag, sondern das Tagesdatum vom Montag genommen. Weiterhin habe sich der gelbe Umschlag beim Anfertigen der Klage nicht mehr bei der Akte gefunden. Der angegriffene Widerspruchsbescheid sei somit wie eine normale Eingangspost behandelt worden, was auch dann unschädlich gewesen wäre, wenn nicht ausgerechnet die Zustellung außerhalb der normalen Bürotage an einem Samstag erfolgt wäre. Der Prozessbevollmächtigte habe deshalb nur das im Fristenkalender notierte und das durch Eingangsstempel auf der ersten Seite aufgebrachte Datum berücksichtigen können; danach wäre die Frist richtig berechnet gewesen. Die Rechtsanwaltsfachangestellte Sch… habe bei dem Prozessbevollmächtigten ihre Ausbildung im Jahre 2004 abgeschlossen und sei seitdem ununterbrochen dort beschäftigt. Durch ihre lange Berufstätigkeit, eine Fortbildung zur studierten Rechtsfachwirtin und nicht zuletzt auch aufgrund der langjährigen Tätigkeit im Büro des Prozessbevollmächtigten wisse sie genau um die Abläufe und Büroorganisation. Regelmäßige Kontrollen, die sich nicht zuletzt auch beim Bearbeiten der Akten ergäben, hätten immer wieder gezeigt, dass sie den Fristenkalender sorgfältig und fehlerlos führe. Das hier vorliegende Büroversehen sei durch eine ungewöhnliche Nachlässigkeit einer ansonsten sehr zuverlässigen, sorgfältig ausgebildeten und überwachten Fachkraft geschehen. Eine entsprechende eidesstattlich Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten Sch… ist vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
ihr wegen Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren sowie
den Rundfunkbeitragsbescheid des Beklagten vom 02.11.2015 und dessen Widerspruchsbescheid vom 25.08.2016 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält der Klage entgegen, die Klägerin habe nach deren eigenem Vortrag keinen eigenen weiteren Haushalt in einer anderen Wohnung als den Wohnungen, die sie zusammen mit ihrer Mutter bewohnt habe, unterhalten. Da die volljährigen Inhaber einer Wohnung nach den Vorschriften des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages als Gesamtschuldner hafteten, sei es unerheblich, welcher der volljährigen Bewohner einer Wohnung als Beitragsschuldner angemeldet sei. Die Ermäßigung der Beitragspflicht für die Mutter der Klägerin habe sich nach den einschlägigen Regelungen des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages nicht auf die Klägerin selbst erstreckt. Vielmehr sei – so die Gesetzmaterialien – die Rundfunkanstalt, wenn einem Bewohner Beitragsbefreiung oder -ermäßigung bewilligt worden sei, berechtigt, einen anderen Bewohner, auf den sich die Befreiung oder Ermäßigung nicht erstrecke, als Beitragsschuldner für einen vollen Rundfunkbeitrag heranzuziehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist weder zulässig (I.) noch begründet (II.).
I. Die Klage ist nicht zulässig, weil sie nicht fristgerecht erhoben (1.) und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren ist (2.).
1. Die Klage ist nicht fristgerecht erhoben. Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 25. August 2016 wurde ausweislich der in den dem Gericht vorgelegten Verwaltungsvorgängen enthaltenen Postzustellungsurkunde dem Verfahrensbevollmächtigten (und jetzigen Prozessbevollmächtigten) der Klägerin am 27. August 2016, einem Samstag, gemäß § 73 Abs. 3 Sätze 1 u. 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-, § 3 Verwaltungszustellungsgesetz -VwZG-, § 180 Zivilprozessordnung -ZPO- durch Einlegen des Widerspruchsbescheides in den zu den Geschäftsräumen des Verfahrensbevollmächtigten gehörenden Briefkasten gegen Zustellungsurkunde zugestellt. Dass es sich bei dem Tag der Zustellung um einen Samstag handelte, ist in dem vorliegenden rechtlichen Zusammenhang unerheblich. Für die Berechnung von Fristen gilt § 57 Abs. 2 VwGO i. V.m. § 222 ZPO, 187 ff. BGB. Nach dem hier maßgeblichen § 187 Abs. 1 BGB wird bei der Fristberechnung der Tag der Zustellung nicht mitgerechnet. Insoweit maßgeblich ist also der auf dieses Ereignis folgende Tag, und zwar auch dann, wenn dieser Tag ein Samstag, Sonn- oder Feiertag ist (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 57 Rn 10a). Dies zugrunde gelegt begann der Lauf der Klagefrist aus § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO am 28. August 2016 und endete am 27. September 2016, einem Dienstag (§ 188 Abs. 2 BGB). Da die vorliegende Klage (erst) am 29. September 2016 erhoben wurde, ist die Klagefrist nicht gewahrt.
2. Die hinsichtlich der versäumten Klagefrist am 10. November 2016 beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren. Voraussetzung für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nach § 60 Abs. 1 und 2 VwGO, dass die Klägerin ohne Verschulden verhindert war, die Klagefrist einzuhalten, und dass sie binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses den Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt und die Klageerhebung nachgeholt hat. Verschulden liegt vor, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 60 Rn 9 m.w.N.). Dabei ist das Verschulden eines Bevollmächtigten – hier des prozessbevollmächtigten Rechtsanwaltes – dem vertretenen Beteiligten gemäß § 173 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO stets wie eigenes Verschulden zuzurechnen (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 60 VwGO Rn. 20 m.w.N.). Für ein Verschulden von Hilfspersonen gilt dasselbe dann, wenn dieses vom Bevollmächtigten des Beteiligten selbst zu vertreten, also als dessen eigenes Verschulden anzusehen ist (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 60 Rn. 21 m.w.N.).
Ausgehend hiervon beruht die vorliegende Versäumung der Klagefrist auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, das sich diese gemäß § 173 S. 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Zwar kann ein Rechtsanwalt die Berechnung üblicher und in seiner Praxis häufig vorkommender Fristen – wie die Klagefrist – sowie die Führung des Fristenkalenders seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 60 Rn 21 m.w.N.); er muss aber durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür sorgen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Ein Rechtsanwalt hat sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz – wie ein Klageschriftsatz – rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierbei hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen (vgl. BGH, Beschl. v. 22.09.2015 – IX ZB 8/15 -, juris Rn 10 m.w.N.). Verschuldensmaßstab ist insoweit die von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernde übliche Sorgfalt. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwalts dürfen dabei allerdings nicht überspannt werden; ihre Beachtung muss im Einzelfall auch zumutbar sein, weil andernfalls das Recht auf wirkungsvollen Rechtsschutz und zumutbaren Zugang zu den Gerichten verletzt würde. Dementsprechend darf sich der Rechtsanwalt vorbehaltlich ihn treffender Organisations- und Überwachungsmängel regelmäßig auf eine fachlich ausgebildete und generell auf ihre Zuverlässigkeit hin überprüfte Fachkraft verlassen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 30.01.1995 – 10 B 2560/94 -, juris Rn 7). Nimmt der Rechtsanwalt im Rahmen der Vorlage der Handakten jedoch keine Fristenprüfung vor, trifft ihn ein eigenes Verschulden an einer Fristversäumnis (vgl. BGH, Beschl. v. 08.05.2013 – XII ZB 396/12 -, juris).
Vorliegend trifft den Prozessbevollmächtigten der Klägerin selbst ein der Klägerin zurechenbares Verschulden. Er hätte bei sorgfältiger Ausübung seiner Prüfpflicht beim Durchlesen des ihm vorgelegten Widerspruchsbescheides bemerken müssen, dass darin über seiner Anschrift in Fettdruck vermerkt ist: „Per Postzustellungsurkunde“. Dieser Umstand hätte ihn ohne weiteres dazu veranlassen müssen, seine Rechtsanwaltsfachangestellte nach dem Verbleib des gelben Umschlages zu befragen, um der eigenen Anweisung und Übung Genüge tun und das auf dem Umschlag vermerkte Zustelldatum feststellen zu können. Bei Unauffindbarkeit des Umschlages hätte sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin an das Zustellunternehmen und/oder den Beklagten wenden müssen, um das Zustelldatum zu ermitteln. Damit hätte er die Fristversäumnis verhindern können.
Im Übrigen musste dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin klar sein, dass der Widerspruchsbescheid – wie bereits unter I. 1. ausgeführt – zwingend ihm zuzustellen war, weil er sich im Widerspruchsverfahren bei dem Beklagten durch Vorlage einer Vollmacht legitimiert hatte. Auch vor diesem Hintergrund hätte sich ihm aufdrängen müssen, dass sich in seiner Akte ein Zustellnachweis hätte finden müssen.
II. Dessen ungeachtet wäre die Klage ist auch nicht begründet. Der Festsetzungsbescheid des Beklagten vom 01. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2017 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin – bereits deshalb – nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 2 Abs. 1 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages vom 15./21.12.2010 (Nds. GVBl. 2011, S. 186, 187) – RBStV – hat seit dem 01. Januar 2013 (Art. 7 Abs. 2 Satz 1 des 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrages [Nds. GVBl. 2011, S. 186, 193]) im privaten Bereich der Inhaber für jede Wohnung einen Rundfunkbeitrag zu entrichten. Inhaber einer Wohnung ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RBStV jede volljährige Person, die die Wohnung selbst bewohnt.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die im Jahre 1972 geborene Klägerin während des streitigen Gesamtzeitraums Januar 2013 bis März 2015 zusammen mit ihrer am 25. Dezember 2015 verstorbenen, pflegebedürftigen Mutter jeweils in einer Wohnung im Gebäude „C.“ bzw. im Gebäude „D.“ in A-Stadt wohnte und sie selbst in ihrer Person weder nach Maßgabe des § 4 Abs. 1 oder des § 4 Abs. 2 RBStV die Voraussetzungen für die Befreiung von der Beitragspflicht oder Ermäßigung des Rundfunkbeitrags erfüllte.
Die Ermäßigung der Beitragspflicht, die ihrer Mutter – offenbar nach Maßgabe des § 4 Abs. 2 RBStV – gewährt worden war, erstreckte sich nicht auf die Klägerin, weil diese nicht zu dem in § 4 Abs. 3 RBStV genannten Personenkreis – Ehegatte, eingetragener Lebenspartner, Mitglieder der Einsatzgemeinschaft bei Gewährung einer der genannten Sozialleistungen – gehörte (vgl. BayVGH, Beschl. v. 19.02.2015 – 7 ZB 14.2247 -, juris Rn 10).
Die Heranziehung der Klägerin als Zahlungspflichtige leidet nicht an einem Ermessensfehler. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 RBStV haften mehrere Beitragsschuldner als Gesamtschuldner. In den Gesetzesmaterialien (LT-Drs. 16/3437, S. 24 F) zu § 2 Abs. 3 Satz 1 RBStV ist ausgeführt:
„Dies bedeutet auch, dass alle Bewohner jeweils die gesamte Leistung schulden und sie nicht anteilig in Anspruch zu nehmen sind. Wird der Rundfunkbeitrag von einem Bewohner entrichtet, wirkt diese Leistung auch zu Gunsten der übrigen Beitragsschuldner. Die Befreiung eines Beitragsschuldners wirkt sich nur in den in § 4 Abs. 3 geregelten Fällen auf die übrigen Bewohner aus. Sonstige Tatsachen gelten grundsätzlich nur für den Gesamtschuldner, in dessen Person sie eintreten. Es besteht grundsätzlich keine gesetzlich vorgegebene Rangfolge unter den Verpflichteten. In der Praxis wird von den Bewohnern durch die Anmeldung nach § 8 Abs. 1 und 3 festgelegt, wer gegenüber der Landesrundfunkanstalt vorrangig in Erscheinung treten und in Anspruch genommen werden soll. Jedoch kann die Landesrundfunkanstalt im Einzelfall den Beitragsschuldner heranziehen, der einen vollen Beitrag zu entrichten hat.“
Zu diesem Ergebnis führt auch folgende Überlegung: Das Wesen der Gesamtschuld besteht darin, dass der Gläubiger gemäß der ergänzend heranzuziehenden Regelung in § 421 BGB nach Belieben jeden Gesamtschuldner ganz oder teilweise in Anspruch nehmen kann, wobei an die Stelle des freien Beliebens im öffentlichen Recht das pflichtgemäße Ermessen tritt (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.1982 – 8 C 138.81 -, juris Rn 21). Das dem Beklagten insoweit eingeräumte Ermessen ist sehr weit. Dies ergibt sich aus dem Zweck der den Wohnungsinhabern auferlegten gesamtschuldnerischen Haftung. Da die zuständige Stelle die Abgabenforderung rasch und sicher verwirklichen soll, darf sie nach ihrer Wahl einen Gesamtschuldner zur Ausgleichszahlung in voller Höhe heranziehen und es ihm überlassen, bei dem (oder den) mithaftenden weiteren Wohnungsinhaber(n) einen Ausgleich zu suchen. Innerhalb der ihrem Ermessen lediglich durch das Willkürverbot und offenbare Unbilligkeit gezogenen Grenzen kann sie den Gesamtschuldner in Anspruch nehmen, dessen Wahl ihr namentlich unter dem Blickwinkel der Verwaltungspraktikabilität geeignet und zweckmäßig erscheint (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.01.1993 – 8 C 57.91 -, juris Rn 20, m.w.N.).
Es sind hier keine Anhaltspunkte für eine willkürliche Entscheidung des Beklagten ersichtlich. Die Heranziehung nur der Mutter der Klägerin zum Drittelbeitrag – verbunden mit dem Verzicht auf eine Heranziehung der Klägerin – hätte für den Beklagten bedeutet, auf zwei Drittel eines Rundfunkbeitrags zu verzichten. Die Heranziehung der Mutter der Klägerin zum Drittelbeitrag verbunden mit der Heranziehung der Klägerin zu zwei Dritteln des Rundfunkbeitrags hätte einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand für den Beklagten mit sich gebracht, weil er ein weiteres Beitragskonto hätte führen müssen. Im Übrigen wurde die Mutter der Klägerin in dem streitgegenständlichen Zeitraum durch die Heranziehung der Klägerin bessergestellt als im Falle ihrer Heranziehung mit dem Drittelbeitrag: Die Mutter musste an den Beklagten gar keinen Beitrag leisten und war allenfalls im Innenverhältnis der Gesamtschuldner zur Zahlung verpflichtet.
Es erscheint auch vor dem Hintergrund der Pflegetätigkeit der Klägerin nicht ermessensfehlerhaft, sie zum vollen Rundfunkbeitrag heranzuziehen. In diesem Zusammenhang überzeugt die Annahme der Klägerin, sie habe in dem Haushalt der Mutter gelebt und daher sei dem Grunde nach nur diese als Rundfunkteilnehmerin für diese Wohnung beitragspflichtig gewesen, nicht. Es erscheint lebensfremd, dass die Klägerin, der in dem streitgegenständlichen Zeitraum kein anderer bzw. weiterer Wohnraum als die zusammen mit ihrer Mutter jeweils bewohnten Wohnungen zur Verfügung stand, in dem Haushalt der Mutter lebte. Vielmehr ist vor dem Hintergrund, dass die Mutter der Klägerin unstreitig schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 und pflegebedürftig nach Pflegestufe „3“ war, davon auszugehen, dass – jedenfalls faktisch – allein die Klägerin den Haushalt führte und sie die Mutter in ihren Haushalt aufgenommen hatte.
Für das gefundene Ergebnis sprechen folgende Kontrollüberlegungen: Hätte die Mutter der Klägerin eine Pflegekraft beschäftigt, die in einer abgetrennten Wohnung in demselben Haus (oder außerhalb des Hauses) wohnte, hätte diese den vollen Rundfunkbeitrag entrichten müssen. Die Klägerin selbst war in dem streitgegenständlichen Zeitraum offenbar gesundheitlich uneingeschränkt in der Lage, Rundfunk und Fernsehen zu konsumieren. Ob sie dies tatsächlich tat, ist nach dem Rundfunkbeitragsstaatsvertrag – anders als beim früheren Rundfunkgebührenstaatsvertrag – rechtlich unerheblich. Im Übrigen erhalten schwerstpflegebedürftige Personen, denen nicht das Merkmal „RF“ zuerkannt ist und die weder taub noch blind sind, grundsätzlich (zu den – wenigen – Ausnahmen vgl. § 4 Abs. 1 Nrn. 6 bis 10 RBStV) auch bei häuslicher Pflege nicht einmal eine Ermäßigung des Rundfunkbeitrags (vgl. VG Sigmaringen, Urt. v. 05.07.2017 – 5 K 5625/16 -, juris Rn 32 ff.).
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.