Auf dem Zufahrtsweg zu einem Geschäft dürfen keine Kunden abgeworben werden

31. Oktober 2016
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rote Buchstaben bilden das Wort "KUNDEN". Die Buchstaben hängen teils an Angelhaken. Urteil des OLG Frankfurt a. M. vom 06.10.2016, Az.: 6 U 61/16

Verteilt ein Werbender eines Einzelhandelsgeschäfts Werbeflyer an potentielle Kunden eines konkurrierenden Geschäfts, um diese abzuwerben, so ist diese Geschäftspraktik nicht ohne weiteres unzulässig. Die Unlauterkeit einer solchen Werbemaßnahme kann sich jedoch daraus ergeben, dass die angesprochenen Kunden bereits dem Mitbewerber zuzurechnen sind – weil sie sich etwa bereits auf dem Zufahrtsweg zum Geschäft des Mitbewerbers befinden – und, dass auf unangemessene Weise auf sie eingewirkt wird. Eine unangemessene Einwirkung liegt schlechterdings dann vor, wenn zur Verwirklichung der Maßnahme an Autofahrer herangetreten wird, die sich in einer Stau-Situation befinden und sich deshalb der Werbung nicht entziehen können.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Urteil vom 06.10.2016

Az.: 6 U 61/16

 

Tenor

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 2.3.2016 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass im Tenor vor „Handzettel“ eingefügt wird:

„an Insassen von Kraftfahrzeugen“.

Von den Kosten des (erstinstanzlichen) Anordnungsverfahrens haben die Antragsgegnerin 38% und die Antragstellerin 62% zu tragen.

Die Kosten des (erstinstanzlichen) Widerspruchsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über eine gezielte Behinderung im Wettbewerb.

Die Parteien betreiben jeweils X-Geschäfte mit zum größten Teil identischem Warenangebot. Die Geschäftsführer der Antragsgegnerin waren früher bei der Antragstellerin beschäftigt. Die Geschäftsbetriebe befinden sich in ca. 400 m Entfernung voneinander. Am …12.2015 verteilte ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin auf bzw. an der Straße1, an der sich der Geschäftsbetrieb der Antragstellerin befindet, Handzettel an Autofahrer, die wegen eines Rückstaus in diesem Bereich zum Teil standen. Auf den Handzetteln bewarb der Antragsgegnerin ihren X-Handel (Anlage Ast3).

Wegender weiteren Einzelheiten wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil des Landgerichts Frankfurt verwiesen.

Die Antragstellerin hat mit ihrem Eilantrag zunächst beantragt, der Antragsgegnerin das Verteilen von Handzetteln im Umkreis von 100 m um den Geschäftsbetrieb zu untersagen. Nach gerichtlichem Hinweis hat sie ihren Antrag eingeschränkt. Das Landgericht hat der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 30.12.2015 untersagt, in der Einfahrt des Geschäftsbetriebs der Antragstellerin Handzettel für den Geschäftsbetrieb der Antragsgegnerin zu verteilen oder dort durch gezieltes ansprechen Kunden der Antragstellerin abzufangen.

Auf den Widerspruch der Antragsgegnerin hat das Landgericht mit Urteil vom 2.3.2016 die einstweilige Verfügung mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass der Antragsgegnerin untersagt wird, in der Einfahrt des Geschäftsbetriebes der Antragstellerin, die die Kunden vor dem Besuch des genannten Geschäftsbetriebs der Antragstellerin passieren müssen, Handzettel für den Geschäftsbetrieb der Antragsgegnerin zu verteilen und hierbei durch gezieltes Ansprechen Kunden der Antragstellerin unter Hinweis auf das Geschäft der Antragsgegnerin abzufangen.

Gegen diese Beurteilung richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin. Im Berufungsrechtszug wiederholen und vertiefen die Parteien ihr Vorbringen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2.3.2016, Az. 2-06 O 528/15, den Beschluss des Landgerichts – einstweilige Verfügung – vom 30.12.2015, Az. 2-06 O 528/15 aufzuheben und den auf seinen Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen;

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Es besteht ein Verfügungsgrund (§ 12 II UWG). Die Dringlichkeitsvermutung wird nicht dadurch widerlegt, dass die Antragstellerin bestimmte Aspekte der Belästigung der Autofahrer erst mit der Erwiderung auf den Widerspruch vom 25.2.2016 vorgetragen und glaubhaft gemacht hat. Mit diesem neuen Vortrag wurde nicht i.S.d. „Zählrate“-Rechtsprechung des Senats eine weitere Beanstandung nachgeschoben (vgl. OLG Frankfurt, GRUR-RR 2013, 302 Rn. 5). Es wurde kein eigenständiger Unlauterkeitsvorwurf erhoben, sondern lediglich weitere Umstände wie z.B. das Anklopfen an die Autoscheiben der Kunden zur Begründung des bisherigen Vorwurfs (unlauteres Abfangen von Kunden durch Handzettelverteiler) vorgetragen. Die neu vorgetragenen Umstände begründen den erhobenen Unlauterkeitsvorwurf des § 4 Nr. 4 UWG nicht für sich alleine, sondern tragen nur zur Gesamtwürdigung bei.

2. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin hat das Landgericht mit seinem Urteilstenor nicht gegen die Bindung an die Parteianträge (§ 308 I ZPO) verstoßen.

a) Der ursprüngliche Verbotsantrag war lediglich dagegen gerichtet, „im Umkreis von 100 m um den Geschäftsbetrieb der Antragstellerin … Handzettel für die A GmbH zu verteilen oder auf sonstige Weise Kunden abzufangen“. Auf die Art und Weise der Werbemaßnahme (gezieltes Ansprechen, etc.) stellte der Antrag nicht ab. Der Antrag wurde abstrakt formuliert. Anders als bei einem allein gegen eine konkrete Verletzungsform gerichteten Unterlassungsantrag, dessen Streitgegenstand alle Rechtsverletzungen umfasst, die in der konkreten Verletzungsform verwirklicht sind (vgl. BGH GRUR 2013, 401 – Biomineralwasser), muss in einem solchen Fall die Beanstandung im Klageantrag genau umschrieben werden. Das Gericht ist an den so umschriebenen Streitgegenstand gebunden (§ 308 I ZPO). Eine Abwandlung ändert grundsätzlich den Streitgegenstand und setzt deshalb einen entsprechenden Antrag des Klägers voraus. Dies gilt auch, wenn eine im Antrag umschriebene Verletzungsform durch Einfügung zusätzlicher Merkmale auf Verhaltensweisen eingeschränkt wird, deren Beurteilung die Prüfung weiterer Sachverhaltselemente erfordert, auf die es nach dem bisherigen Antrag nicht angekommen wäre. Ein in dieser Weise eingeschränkter Antrag ist prozessual kein Minus, weil seine Begründung nunmehr von tatsächlichen Voraussetzungen abhängt, die zuvor nicht zum Inhalt des Antrags erhoben worden waren (BGH GRUR 2006, 960 [BGH 29.06.2006 – I ZR 235/03] – Anschriftenliste).

b) Ein Verstoß gegen § 308 I ZPO liegt jedoch nicht vor, weil die Antragstellerin nach entsprechendem Hinweis des Landgerichts ihren Antrag selbst geändert hat. Sie hat den Passus „oder auf sonstige Weise Kunden abzufangen“ ersetzt durch „oder durch gezieltes Ansprechen Kunden abzufangen“. Ob insoweit ein teilweise Rücknahme oder eine – jedenfalls sachdienliche – Antragsänderung gegeben war, ist nicht maßgeblich. Im Widerspruchsverfahren hat das Landgericht diesen Antrag modifiziert. Es hat das „oder“ durch ein „und“ ersetzt. Hierin liegt nur ein prozessuales Minus, keine Änderung des Streitgegenstands. Außerdem hat das Landgericht den Begriff der „Einfahrt“ mit dem Zusatz „die die Kunden vor dem Besuch des genannten Geschäftsbetriebs der Antragstellerin passieren müssen“ konkretisiert. Auch darin liegt keine Änderung des Begehrens der Antragstellerin, sondern nur eine Klarstellung, die im Eilverfahren schon durch § 938 I ZPO gedeckt ist.

3. Die Antragstellerin kann von der Antragsgegnerin gemäß §§ 8 I, 4 Nr. 4 UWG verlangen, es zu unterlassen, im Einfahrtsbereich ihres Geschäftsbetriebes gezielt und individuell Kunden anzusprechen und Handzettel zu verteilen.

a) Das Abwerben von Kunden gehört zum Wesen des Wettbewerbs und kann nur unter besonderen Umständen als unlauter angesehen werden. Ein unlauteres Abfangen von Kunden liegt nach ständiger Rechtsprechung des BGH nur dann vor, wenn sich der Werbende gewissermaßen zwischen den Mitbewerber und dessen Kunden stellt, um diesem eine Änderung seines Kaufentschlusses aufzudrängen (BGH GRUR 2011, 166 Rn. 30 [BGH 12.05.2010 – I ZR 214/07] – Rote Briefkästen m.w.N.). Es bedarf einer unangemessenen Einwirkung auf Kunden, die dem Mitbewerber bereits zuzurechnen sind (BGH WRP 2014, 424 Rn. 35 [BGH 22.01.2014 – I ZR 164/12] – wetteronline.de). Es müssen also zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Die angesprochenen Kunden müssen bereits dem Mitbewerber zuzurechnen sein (dazu b); es muss in unangemessener Weise auf sie eingewirkt worden sein (dazu c).

b) Die Antragsgegnerin hat Verbraucher angesprochen, die auf dem Weg zum Geschäft der Antragstellerin waren und damit als ihre Kunden anzusehen waren. Der Begriff des zum Kauf entschlossenen Kunden darf nicht zu eng verstanden werden. Auch vorgelagerte geschäftliche Entscheidungen, wie das Betreten eines Geschäftslokals werden erfasst (Köhler in Köhler/Bornkamm, 34. Aufl., § 4 Rn. 4.25). Zwischen den Parteien ist teilweise streitig, in welchen Bereichen sich der Mitarbeiter der Antragsgegnerin mit seinen Werbeflyern aufhielt. Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts hat der Mitarbeiter der Antragsgegnerin Passanten in dem gelb markierten Bereich auf dem Google-Earth-Ausdruck, Bl. 70 d.A., angesprochen. Dieser Bereich erfasst unter anderem den rot markierten Zufahrtsweg zum Geschäft der Antragstellerin. Unerheblich ist, dass an diesem Weg noch weitere Betriebe, z.B. eine B-Schule und ein C-Studio, angesiedelt sind. Trotzdem erreichte die Antragsgegnerin auf diese Weise nahezu sämtliche Kunden, die auf dem Weg zur Antragstellerin waren. Die Aktion zielte offensichtlich auch gerade darauf ab.

c) Es liegt eine unangemessene Einwirkung vor. Die Frage der Unangemessenheit hängt insbesondere von den eingesetzten Mitteln ab. Es ist eine Gesamtabwägung aller Umstände erforderlich.

aa) Das Verteilen von Handzetteln in unmittelbarer Nähe zum Mitbewerber reicht für sich genommen nicht aus (Köhler in Köhler/Bornkamm, aaO, § 4 Rn. 4.29; anders noch die frühere Rechtsprechung, die von einem überholten Verbraucherleitbild ausging, vgl. BGH GRUR 1986, 547, 548 – Handzettelwerbung). Es ist wettbewerbskonform, wenn Kunden die Möglichkeit gegeben wird, sich über ein alternatives Angebot zu informieren. Das Landgericht hat daher zu Recht dem ursprünglichen Antrag nicht entsprochen, mit dem das Verteilen von Handzetteln in einem Umkreis von 100 m zum Geschäftslokal der Antragstellerin verboten werden sollte.

bb) Die Unangemessenheit der Mittel ist u. a. zu bejahen, wenn die potentiellen Kunden im Sinne des § 7 UWG unzumutbar belästigt werden (BGH GRUR 2009, 416 Rn. 16 [BGH 02.10.2008 – I ZR 48/06] – Küchentiefstpreis-Garantie). Davon ist nach den Gesamtumständen im vorliegenden Fall auszugehen. Dass der betroffene Mitbewerber auch nach § 7 UWG vorgehen kann, schließt den Anspruch aus § 4 Nr. 4 UWG nicht aus (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm, aaO, § 4 Rn. 4.25).

(1) Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann insoweit nicht auf die fehlende Erkennbarkeit des Zettelverteilers als Werbender abgestellt werden. Eine unzumutbare Belästigung ist zwar anzunehmen, wenn Passanten durch eine Person gezielt und individuell angesprochen werden, die nicht sofort als Werbender erkennbar ist (vgl. BGH GRUR 2004, 699, 701 [BGH 01.04.2004 – I ZR 227/01] – Ansprechen in der Öffentlichkeit I; Senat, GRUR 2008, 353 Rn. 34). Der Senat hat an die sofortige Erkennbarkeit auch strenge Anforderungen gestellt und dem Beklagten insoweit eine sekundäre Darlegungslast zugewiesen (Senat, aaO, Rn. 54). Im Streitfall besteht jedoch für die Feststellung des Landgerichts, der Verteiler sei weder durch seine Kleidung noch auf andere Weise als Werbender erkennbar gewesen (LGU 15), keine ausreichende Grundlage. Die Antragstellerin weist in der Berufungserwiderung zu Recht darauf hin, dass die fehlende Erkennbarkeit von keiner Partei vorgetragen wurde (Bl. 253, 254 d.A.). Die zur Akte gelangten Fotos, auf die das Landgericht seine Feststellung allein stützt (Bl. 37 d.A.), sind in diesem Punkt nicht hinreichend ergiebig und deutlich.

(2) Die Grenze zur Unzumutbarkeit wurde im Streitfall aber schon dadurch überschritten, dass der Werbende an Autos herantrat, deren Fahrer und Beifahrer sich aufgrund der Verkehrslage dem Ansprechen und der Zettelverteilung nicht ohne weiteres entziehen konnten. Wie auf den Fotos erkennbar ist, hatte sich teilweise eine Fahrzeugschlange gebildet, die die Fahrzeuge zum Stehenbleiben oder Langsamfahren zwang (Bl. 37 d.A.). In einer derartigen Situation ist es schwierig dem Werbenden auszuweichen. Es liegt nahe, dass viele Autofahrer den Handzettel allein deshalb entgegennehmen, um nicht unhöflich zu erscheinen. Andere haben Sorge, im Fall des Ignorierens beschimpft oder anderweitig stärker bedrängt zu werden. Ob der Werbende zusätzlich sogar noch an die Scheiben klopfte, um die Fahrer zum Öffnen zu bewegen und sie individuell ansprechen zu können, ist nicht von entscheidender Bedeutung. Das Verhalten der Antragsgegnerin stellt sich als unzumutbare Belästigung der Kunden der Antragstellerin dar. Die Antragstellerin wurde dadurch gezielt behindert. Es kommt hinzu, dass die Aktion am …12., einem für den Verkauf von frischen Xwaren besonders wichtigen Umsatztag stattfand.

3. Der vom Landgericht ausgesprochene Verbotstenor greift allerdings zu weit. Er erfasst nach seinem Wortlaut auch zulässige Verhaltensweisen wie etwa das unaufdringliche Verteilen von Handzetteln an Fußgänger durch eine klar als Werbender erkennbare Person. Erst die Gesamtumstände (Herantreten an verkehrsbedingt haltende Autos) führen zur Unlauterkeit. Der Tenor war daher im Rahmen von § 938 ZPO entsprechend zu konkretisieren.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 I, 97 ZPO. Die Antragsgegnerin beanstandet insoweit zu Recht, dass das Landgericht nur für die „weiteren Kosten“, also jene des Widerspruchsverfahrens, eine hälftige Kostenquote gebildet hat. Der Grund für die Kostenquote liegt darin, dass die Antragstellerin das Handzettelverteilen und das gezielte Ansprechen nicht nur kumulativ, sondern jeweils gesondert verboten sehen wollte. Dies war nicht erst im Widerspruchsverfahren, sondern schon im Anordnungsverfahren der Fall.

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