Beleidigungen in WhatsApp-Chat können Unterrichtsausschluss begründen

07. April 2016
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Hand hält ein Smartphone mit einem WhatsApp-Chat auf dem Display Urteil des VG Stuttgart vom 01.12.2015, Az.: 12 K 5587/15

Wiederholte, gegen eine Lehrkraft gerichtete Beleidigungen in dem Gruppenchat einer Schulklasse bei WhatsApp stellen neben einem Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte der Lehrerin auch eine schwere Störung des schulischen Friedens dar und können als schwerwiegendes Fehlverhalten des Schülers einen zeitweiligen Ausschluss vom Unterricht gemäß § 90 VI S. 1 SchG begründen.

Verwaltungsgericht Stuttgart

Urteil vom 01.12.2015

Az.: 12 K 5587/15

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I. Der am 26.11.2015 gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebende Wirkung des am gleichen Tag erhobenen Widerspruchs des 14-jährigen, in Klassenstufe 7 beschulten Antragstellers hinsichtlich des mit Bescheid der Schulleiterin V. der G.-Gemeinschaftsschule vom 21.11.2015 verfügten fünfzehntägigen Unterrichtsausschlusses sowie der Androhung des Schulausschlusses ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Bei einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat das Gericht eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Betroffenen, bis zum Abschluss des Hauptsachverfahrens von Vollzugsmaßnahmen verschont zu bleiben, vorzunehmen. Diese fällt vorliegend zu Lasten des Antragstellers aus. Denn nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass sein Widerspruch erfolglos bleiben wird. Umstände, die gleichwohl eine Interessenabwägung, die zu seinen Gunsten ausfällt, gebieten würden, vermag die Kammer nicht zu erkennen.

II. Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung des fünfzehntägigen Unterrichtsausschlusses sowie die Androhung des Schulausschlusses ist § 90 Abs. 3 Nr. 2 e und Nr. 2 f i.V.m. Abs. 6 Satz 1 SchG.

1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Der Antragsteller und seine Eltern wurden am 16.11.2015 zu einem Anhörungsgespräch am 19.11.2015 eingeladen, das sie allerdings nicht wahrnahmen. Die Klassenkonferenz wurde nach den Bescheidangaben vor Bescheiderlass angehört.

Mit dem Antragsgegner ist auch die Kammer davon überzeugt, dass im konkreten Einzelfall keine hinreichende Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 21 Abs. 1 LVwVfG vorgelegen hat. Zwar trifft es zu, dass der angefochtene Bescheid neben einer „schweren Störung des schulischen Friedens“ auch auf eine „schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung“ gestützt ist und die Schulleiterin V. den Antragsteller nach den Angaben im Widerspruch zwischenzeitlich wegen Beleidigung bei der Polizei angezeigt hat. Die Besonderheit des vorliegenden Einzelfalles liegt jedoch in dem Umstand, dass das Staatliche Schulamt von der Schulleiterin V. offenbar direkt nach Kenntnisnahme der Vorfälle eingeschaltet sowie über einen anvisierten Unterrichtsausschluss informiert worden ist und der Schulleiterin empfahl, polizeiliche Maßnahmen einzuleiten. Das Vorgehen der Schulleiterin war mithin vom Staatlichen Schulamt gedeckt, ja teilweise sogar angeregt worden (vgl. § 21 Abs. 1 Satz 2 LVwVfG).

Selbst wenn dennoch eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 21 Abs. 1 LVwVfG angenommen würde, könnte der angefochtene Bescheid deswegen hier gemäß § 46 LVwVfG nicht aufgehoben werden. Denn es ist für die Kammer offensichtlich, dass dieser Umstand die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Nach Aktenlage war gegen den Antragsteller schon im März 2013 ein dreitägiger Unterrichtsausschluss und im April 2015 ein fünftägiger Unterrichtsausschluss verhängt worden; im Juli 2015 durfte er zudem weder an einer Flughafen-Exkursion noch einem Schullandheim-Aufenthalt teilnehmen. Wie das Klassentagebuch anhand der Eintragungen am 02.10., 09.10., 12.10. und 30.10.2015 zeigt, sind bei ihm dennoch offenbar keine wesentlichen Verhaltensbesserungen eingetreten. Vor diesem Hintergrund sowie aufgrund der zahlreichen Vorfälle, die bis in das Schuljahr 2012/13 (teilweise auf der Vorgängerschule, der Realschule S.-H.) zurückreichen, wäre aufgrund des gravierenden Fehlverhaltens vom 12./13.11.2015 „im Sinne eines besonderen Warnschusses“ selbst ein vierwöchiger Unterrichtsausschluss mit Schulausschlussandrohung angezeigt gewesen, jedenfalls nicht der vom Antragsteller als verhältnismäßig angesehene Unterrichtsausschluss von nur zwei Unterrichtswochen. Auch ein Bescheiderlass durch die Konrektorin, die im Übrigen schon am 13.11.2015 in die Vorgänge eingeschaltet wurde, hätte aufgrund der besonderen Gesamtumstände hier mithin offensichtlich zu keiner „milderen“ Maßnahme geführt.

2. Der Unterrichtsausschluss ist auch materiell rechtmäßig. Denn es liegt die für den zeitweiligen Ausschluss vom Unterricht gemäß § 90 Abs. 6 Satz 1 SchG erforderliche Pflichtverletzung des Schülers durch ein schweres sowie wiederholtes Fehlverhalten vor. Auch sind hierdurch Rechte anderer im Sinne des Schulgesetzes gefährdet worden. Mit den „What’s App“-Äußerungen im Klassenchat vom 12.11.2015 bezüglich der Schulleiterin V. („Fr v muss man schlagen <zuschlagende Faust>“ und „Ich schwör Fr v soll weg die foatze“ und – Also du hast ja nur gesagt das fr v scheise ist – „ja ich weis gebe ich auch zu aber nicht das ich sie umbringen möchte“) sowie der Äußerung vom 13.11.2015 gegenüber einem Mitschüler auf den Hinweis, so etwas schreibe man doch nicht auf What’s app („Die kleine Hure soll sich abstechen“) ist ein schweres und wiederholtes Fehlverhalten gegeben, das zu einer Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Frau V. sowie zu einer schweren Störung des schulischen Friedens geführt hat. Dass der Antragsteller diese Äußerungen nicht selbst getätigt haben will, erscheint der Kammer nach den vorliegenden Screenshots ganz fernliegend, auch weil sie in jeder Hinsicht zu früherem, vergleichbar schwerem Fehlverhalten passen (vgl. etwa den Unterrichtsausschluss vom April 2015 wegen Beschimpfung einer Aufsichtsperson im Mittagspausenbereich als „Hurenfotze“, was auch nicht aufgrund Ziehens an der Jacke verharmlost werden kann; vgl. aber die Gegendarstellung vom 30.11.2015).

Das Fehlverhalten des Antragstellers vom 12.11.2015, das – im Klassenchat getätigt und gegen die Schulleiterin gerichtet – nicht ernsthaft als „außerschulisches Verhalten“ bewertet bzw. verharmlost werden kann, wiegt nach Überzeugung der Kammer bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage auch deshalb besonders schwer, weil es sich – schon bei Studium der vielen Klassentagebucheinträge seit Klasse 5 – an zahlreiche Vorfälle und Erziehungsmaßnahmen anschließt, die offenbar allesamt hinsichtlich des schulischen Verhaltens des Antragstellers weitgehend folgenlos geblieben sind. Ob dies ursächlich auch daran liegt, dass die Mutter des Antragstellers gegenüber der Schulleitung immer wieder „unbeherrscht“ auftritt und insbesondere der Vater des Antragstellers „alles Fehlverhalten entschuldigt“, was sich auch etwa aus seinen inhaltlich durchaus befremdlichen Schreiben vom 18.06.2013, 12.12.2014, 17.12.2014, 18.12.2014 ergibt, die Eltern also erziehungsmäßig kontraproduktiv agieren und mit der Schule alles andere als an einem Strang ziehen, kann dahinstehen. Möglicherweise kann das informierte Jugendamt Hilfestellungen leisten hinsichtlich des angemessenen Umgangs mit dem wohl schwer erziehbaren Antragsteller.

Das offenbar immer wiederkehrende Fehlverhalten des Antragstellers („Angrinsen der Lehrkräfte“, „permanente Provokation“, „Nichterscheinen zum Nachsitzen“ etc.) jedenfalls muss eine Schule nicht dauerhaft hinnehmen. Auch zum Schutze des Schulfriedens darf vielmehr konsequent durchgegriffen werden, wie dies im angegriffenen Bescheid getan worden ist. Zwar sollen Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 SchG nur dann angewendet werden, wenn pädagogische Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichen. Angesichts der besonderen Schwere des wiederholten Fehlverhaltens des Antragstellers ging die Schulleiterin aber zu Recht davon aus, dass pädagogische Maßnahmen im konkreten Einzelfall nicht ausreichend sind. Dies gilt auch für die von den Eltern erwünschte Versetzung in eine Parallelklasse, die hier keine angemessen Reaktion darstellen würde.

Auch im Übrigen sind keine Rechtsfehler erkennbar. Die Schulleiterin stützt den Unterrichtsausschluss zu Recht auf das schwere und wiederholte Fehlverhalten des Antragstellers. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 SchG ist hinreichend beachtet worden, weil bei einem solchen Fehlverhalten keine milderen Mittel ersichtlich sind, die geeignet wären, dieses in angemessener Weise zu ahnden.

3. Vor diesem Gesamthintergrund ist schließlich auch die verfügte Androhung des Ausschlusses aus der Schule materiell rechtmäßig und insbesondere verhältnismäßig. Denn würde der Antragsteller selbst nach diesem dreiwöchigen Unterrichtsausschluss wiederum keine durchgreifende Verhaltensänderung zeigen, ist für die Kammer nachvollziehbar, dass schon zum Schutze von Erziehung und Unterricht der Mitschüler bei seinem nächsten schweren Fehlverhalten eventuell ein Schulausschluss in Betracht kommen könnte.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 39 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG (2.500,00 EUR je Streitgegenstand; vgl. Kammerbeschluss vom 06.07.2009 – 12 K 2459/09).

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