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Dürfen Verbraucherschutzverbände wegen Datenschutzverletzungen klagen?

02. Juni 2020
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Schloss mit weißer Tastatur Pressemitteilung Nr. 066/2020 des BGH zum Beschluss vom 28.05.2020, Az.: I ZR 186/17

Der BGH hat in einem Verfahren des Bundesverbands der Verbraucherzentralen gegen Facebook das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt. Hierbei geht es um die Frage, ob die einschlägigen Normen der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) die nach nationalem Recht berechtigten Verbände, Einrichtungen und Kammern dazu berechtigen, wegen Verstößen gegen die DSGVO unabhängig von der Verletzung konkreter Rechte einzelner Personen und ohne Auftrag einer betroffenen Person gegen den Verletzer vorzugehen. Konkret bedeutet dies, ob Verbraucherschutzverbände überhaupt dazu befugt sind, wegen Datenschutzverletzungen durch ein Unternehmen gegen dieses zu klagen, auch wenn sie dazu keinen Auftrag von einer betroffenen Person erhalten haben.

Bundesgerichtshof

Pressemitteilung Nr. 066/2020 zum Beschluss vom 28.05.2020

Az.: I ZR 186/17

 

 

Der unter anderem für Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundes-gerichtshofs hat darüber zu entscheiden, ob ein Verstoß des Betreibers eines sozialen Netzwerks gegen die datenschutzrechtliche Verpflichtung, die Nutzer dieses Netzwerks über Umfang und Zweck der Erhebung und Verwendung ihrer Daten zu unterrichten, wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche begründet und von Verbraucherschutzbänden durch eine Klage vor den Zivilgerichten verfolgt werden kann.

Sachverhalt

Die in Irland ansässige Beklagte, die Facebook Ireland Limited, betreibt das soziale Netzwerk „Facebook“. Auf der Internetplattform dieses Netzwerks befindet sich ein „App-Zentrum“, in dem die Beklagte den Nutzern ihrer Plattform kostenlos Online-Spiele anderer Anbieter zugänglich macht. Im November 2012 wurden in diesem App-Zentrum mehrere Spiele angeboten, bei denen unter dem Button „Sofort spielen“ folgende Hinweise zu lesen waren: „Durch das Anklicken von ‚Spiel spielen“ oben erhält diese Anwendung: Deine allgemeinen Informationen, Deine-Mail-Adresse, Über Dich, Deine Statusmeldungen. Diese Anwendung darf in deinem Namen posten, einschließlich dein Punktestand und mehr.“ Bei einem Spiel endeten die Hinweise mit dem Satz: „Diese Anwendung darf Statusmeldungen, Fotos und mehr in deinem Namen posten.“

Der Kläger ist der Dachverband der Verbraucherzentralen der Bundesländer. Er beanstandet die Präsentation der unter dem Button „Sofort spielen“ gegebenen Hinweise im App-Zentrum als unlauter unter anderem unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs wegen Verstoßes gegen gesetzliche Anforderungen an die Einholung einer wirksamen datenschutzrechtlichen Einwilligung des Nutzers. Ferner sieht er in dem abschließenden Hinweis bei einem Spiel eine den Nutzer unangemessen benachteiligende Allgemeine Geschäftsbedingung. Er hält sich zur Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen im Wege der Klage vor den Zivilgerichten gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG und § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG für befugt.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, es zu unterlassen, auf ihrer Internetseite in einem App-Zentrum Spiele so zu präsentieren, dass Nutzer der Internetplattform mit dem Betätigen eines Buttons wie „Spiel spielen“ die Erklärung abgeben, dass der Betreiber des Spiels über das von der Beklagten betriebene soziale Netzwerk Informationen über die dort hinterlegten personenbezogenen Daten erhält und ermächtigt ist, Informationen im Namen der Nutzer zu übermitteln (posten). Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die in Kapitel VIII, insbesondere in Art. 80 Abs. 1 und 2 sowie Art. 84 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutzgrundverordnung) getroffenen Bestimmungen nationalen Regelungen entgegenstehen, die – neben den Eingriffsbefugnissen der zur Überwachung und Durchsetzung der Verordnung zuständigen Aufsichtsbehörden und den Rechtsschutzmöglichkeiten der betroffenen Personen – einerseits Mitbewerbern und andererseits nach dem nationalen Recht berechtigten Verbänden, Einrichtungen und Kammern die Befugnis einräumen, wegen Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung unabhängig von der Verletzung konkreter Rechte einzelner betroffener Personen und ohne Auftrag einer betroffenen Person gegen den Verletzer im Wege einer Klage vor den Zivilgerichten vorzugehen. Diese Frage ist in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und der rechtswissenschaftlichen Literatur umstritten. Es wird die Auffassung vertreten, dass die Datenschutzgrundverordnung eine abschließende Regelung zur Durchsetzung der in dieser Verordnung getroffenen datenschutzrechtlichen Bestimmungen enthält und eine Klagebefugnis von Verbänden deshalb nur unter den – im Streitfall nicht erfüllten – Voraussetzungen des Art. 80 der Datenschutzgrundverordnung besteht. Andere halten die in der Datenschutzgrundverordnung zur Rechtsdurchsetzung getroffenen Regelungen nicht für abschließend und Verbände daher weiterhin für befugt, Unterlassungsansprüche wegen des Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen unabhängig von der Verletzung konkreter Rechte einzelner betroffener Personen und ohne Auftrag einer betroffenen Person im Wege der Klage vor den Zivilgerichten durchzusetzen. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zwar bereits entschieden, dass die Regelungen der – bis zum Inkarafttreten der Datenschutzgrundverordnung am 25. Mai 2018 geltenden – Richtlinie 95/46/EG (Datenschutzrichtlinie) einer Klagebefugnis von Verbänden nicht entgegenstehen (Urteil vom 29. Juli 2019 – C-40/17). Dieser Entscheidung ist aber nicht zu entnehmen, ob diese Klagebefugnis unter Geltung der an die Stelle der Datenschutzrichtlinie getretenen Datenschutzgrundverordnung fortbesteht.

Vorinstanzen

LG Berlin – Urteil vom 28. Oktober 2014 – 16 O 60/13

Kammergericht Berlin – Urteil vom 22. September 2017 – 5 U 155/14

Die maßgebliche Vorschrift lautet

Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutzgrundverordnung)

Artikel 80 Vertretung von betroffenen Personen

(1) Die betroffene Person hat das Recht, eine Einrichtung, Organisationen oder Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht, die ordnungsgemäß nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet ist, deren satzungsmäßige Ziele im öffentlichem Interesse liegen und die im Bereich des Schutzes der Rechte und Freiheiten von betroffenen Personen in Bezug auf den Schutz ihrer personenbezogenen Daten tätig ist, zu beauftragen, in ihrem Namen eine Beschwerde einzureichen, in ihrem Namen die in den Artikeln 77, 78 und 79 genannten Rechte wahrzunehmen und das Recht auf Schadensersatz gemäß Artikel 82 in Anspruch zu nehmen, sofern dieses im Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen ist.

(2) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass jede der in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Einrichtungen, Organisationen oder Vereinigungen unabhängig von einem Auftrag der betroffenen Person in diesem Mitgliedstaat das Recht hat, bei der gemäß Artikel 77 zuständigen Aufsichtsbehörde eine Beschwerde einzulegen und die in den Artikeln 78 und 79 aufgeführten Rechte in Anspruch zu nehmen, wenn ihres Erachtens die Rechte einer betroffenen Person gemäß dieser Verordnung infolge einer Verarbeitung verletzt worden sind.

Artikel 84 Sanktionen

(1) Die Mitgliedstaaten legen die Vorschriften über andere Sanktionen für Verstöße gegen diese Verordnung – insbesondere für Verstöße, die keiner Geldbuße gemäß Artikel 83 unterliegen – fest und treffen alle zu deren Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

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