Schadensersatz wegen unberechtigter Abmahnung
Oberlandesgericht Frankfurt a. M.
Urteil vom 10.02.2022
Az.: 6 U 126/21
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 31.5.2021 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.348,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.822,96 € seit 25.4.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens erster Instanz tragen die Klägerin 36 % und der Beklagte 64 %; von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 32 % und die Beklagte 68 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um die Erstattung vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit einer Abmahnung.
Die Parteien sind Wettbewerber im Bereich kieferorthopädischer Leistungen und bieten unter anderem die Versorgung mit sog. „Invisaling“- Zahnschienen an.
Zu einem nicht genau benannten Zeitpunkt vor dem 11.10.2019 war bei Eingabe des Suchwortes “X“ (Name des Beklagten) in der Internet-Suchmaschine Google die folgende Bildschirmansicht zu sehen:
[Abbildung]
Der Beklagte ließ daraufhin die Klägerin mit Schreiben vom 11.10.2019 (Anlage K1) sowie erneut mit inhaltsgleichem Schreiben vom 25.10.2019 (Anlage K2) abmahnen und sie zur Abgabe einer Unterlassungserklärung wegen Verletzung der Rechte aus seinem Unternehmenskennzeichen „Polzar“ auffordern.
Mit Schreiben vom 15.11.2019 ließ die Klägerin die Ansprüche zurückweisen (Anlage K3B). Mit weiterem Schreiben vom 14.4.2020 ließ die Klägerin die Beklagte zum Verzicht auf die geltend gemachten Ansprüche auffordern.
Hinsichtlich dieser beiden anwaltlichen Tätigkeiten fordert die Klägerin den Ersatz der Rechtsanwaltsgebühren aus einem Streitwert von jeweils 50.000 €.
Das Landgericht hat durch Urteil vom 31.5.2021, auf das gemäß § 540 Abs. 1 ZPO im Hinblick auf die tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, die Beklagte zur Zahlung von 3.645,92 € verurteilt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Abmahnung vom 11.10.2019 stellte einen rechtswidrigen und schuldhaften Eingriff des Beklagten in den von der Klägerin eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar. Dem Beklagten habe kein markenrechtlicher Unterlassungsanspruch zugestanden, da die Klägerin weder als Täterin noch als Störerin hafte. Nicht die Klägerin selbst, sondern Google habe eine Verknüpfung zwischen dem Suchwort „Polzar“ und der Anzeige der Klägerin hergestellt. Auch eine Haftung nach § 14 Abs. 7, 15 Abs. 6 MarkenG bestehe nicht. Auch eine Haftung als Störerin scheide aus, da nicht vorgetragen sei, dass die Klägerin vor den Abmahnungen Kenntnis von der Verwendung gehabt habe. Im Übrigen fehle es bereits an einer markenmäßigen Benutzung des Unternehmenskennzeichens. Der Eingriff in den Gewerbebetrieb sei auch rechtswidrig, da der Beklagte den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt habe.
Der Klägerin stehe weiterhin Anspruch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten für die Gegenabmahnung vom 14.4.2021 zu. Eine Gegenabmahnung sei ausnahmsweise veranlasst, weil der Beklagte seine Forderungen über ein halbes Jahr nicht geltend gemacht habe und im Übrigen die Abmahnung in tatsächlicher Hinsicht auf der offensichtlich unzutreffenden Annahme beruht habe, die Klägerin selbst habe das Keyword für ihre Anzeige genutzt.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er seinen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt, soweit ein Betrag in Höhe von 1.722,96 € überschritten wird. Er ist der Auffassung, die Klägerin habe jedenfalls als Störerin gehaftet, da sie nach der Abmahnung am 11.10.2019 nicht reagiert habe. Jedenfalls aber fehle es hinsichtlich des Eingriffs in den Gewerbebetrieb an einem Verschulden, da der Beklagte nicht habe erkennen können, dass die Klägerin das Keyword nicht selbst gesetzt habe. Schließlich sei auch bei der Abwägung im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit zu berücksichtigen, dass für den Beklagten diese Tatsache im Zeitpunkt der Abmahnungen nicht erkennbar gewesen sei. Im Übrigen liege nur eine Angelegenheit in gebührenrechtlichem Sinne vor.
Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 Abs. 2 i.V.m. 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.
II.
Der Beklagte hat mit seiner zulässigen Berufung teilweise Erfolg. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Ersatz der zur Abwehr der Abmahnungen und zur Gegenabmahnung aufgewendeten Rechtsanwaltskosten nur in Höhe von 2.348,94 € zu, wovon 1.722,96 € wegen der beschränkten Berufung durch das Landgericht bereits rechtskräftig ausgeurteilt worden sind.
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist der Umfang der Berufung hinreichend deutlich bestimmt.
Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass sich die Berufung gegen beide Gebührenforderungen richtet, er die Berufung jedoch hinsichtlich der zeitlich ersten Gebühr aus Kostengründen auf die Verurteilung beschränkt hat, die einen Betrag vom 1.722,96 € überschreitet.
2. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB, da die unberechtigte Abmahnung des Beklagten vom 11.10.2019 einen Eingriff in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt. Dabei kann sowohl dahinstehen, ob die Klägerin zu Unrecht als Täterin in Anspruch genommen worden ist, obwohl insoweit davon auszugehen ist, dass Google die Zuordnung zwischen dem Suchwort „Polzar“ und der Anzeige der Klägerin autonom hergestellt hat, als auch ob Google als Beauftragte nach § 15 Abs. 6 MarkenG haften würde, da sich die Abmahnung des Beklagten schon allein deshalb als rechtswidrig erweist, weil es der Anzeige an einer kennzeichenmäßigen Verwendung im Sinne von § 15 Abs. 2 MarkenG fehlt.
a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in aller Regel keine Beeinträchtigung der herkunftshinweisenden Funktion vor, wenn die Werbeanzeige in einem von der Trefferliste eindeutig getrennten und entsprechend gekennzeichneten Werbeblock erscheint und selbst weder die Marke noch sonst einen Hinweis auf den Markeninhaber oder die unter der Marke angebotenen Produkte enthält (vgl. BGH GRUR 2014, 182, Rn 20 ff. – Fleurop; BGH GRUR 2013, 290 Rn 26 – MOST-Pralinen, m.w.N.).
Der verständige Internetnutzer erwartet in einem von der Trefferliste räumlich, farblich oder auf andere Weise deutlich abgesetzten und mit dem Begriff „Anzeigen“ gekennzeichneten Werbeblock nicht ausschließlich Angebote des Markeninhabers oder mit ihm verbundener Unternehmen. Ihm ist klar, dass eine notwendige Bedingung für das Erscheinen der Anzeige vor allem deren Bezahlung durch den Werbenden ist. Ihm ist zudem bekannt, dass regelmäßig auch Dritte bezahlte Anzeigen bei Suchmaschinen schalten. Er hat daher keinen Anlass zu der Annahme, eine bei Eingabe einer Marke als Suchwort in der Anzeigenspalte erscheinende AdWords-Anzeige weise allein auf das Angebot des Markeninhabers oder eines mit ihm wirtschaftlich verbundenen Unternehmens hin. Rechnet der Internetnutzer mit Angeboten, die nicht vom Markeninhaber oder von mit ihm verbundenen Unternehmen stammen, bedarf es daher keines Hinweises auf das Fehlen einer wirtschaftlichen Verbindung zwischen dem Werbenden und dem Markeninhaber, um eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion auszuschließen.
Für geschäftliche Bezeichnungen kann insoweit nichts anderes gelten.
Diese Voraussetzungen sind bei der streitgegenständlichen Anzeige erfüllt. Sie befand sich in einem vom generischen Suchergebnis abgetrennten Bereich und war mit „Anzeige“ gekennzeichnet.
Soweit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Vorliegen besonderen Umstände ausnahmsweise auch für den Fall, dass die Werbeanzeige in einem von der Trefferliste eindeutig getrennten und entsprechend gekennzeichneten Werbeblock erscheint und selbst weder die Marke noch sonst einen Hinweis auf den Markeninhaber oder die unter der Marke angebotenen Produkte enthält, ein Hinweis auf das Fehlen einer wirtschaftlichen Verbindung zwischen dem Werbenden und dem Markeninhaber erforderlich ist, um eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion der Marke auszuschließen, liegen diese Umstände hier nicht vor.
(1) Der EuGH hat in der Sache „Interflora“ ausgeführt, es könne in Fällen, in denen das Vertriebsnetz des Markeninhabers aus zahlreichen Einzelhändlern zusammengesetzt sei, für den normal informierten und angemessen aufmerksamen Internetnutzer besonders schwer sein, ohne Hinweis des Werbenden zu erkennen, ob dieser zu diesem Vertriebsnetz gehöre oder nicht (EuGH GRUR 2011, 1124 Rn 52 – Interflora/M&S). Deshalb habe das nationale Gericht unter Berücksichtigung dieses Umstands und anderer Faktoren, die es als relevant erachte, zu beurteilen, ob ein solcher Internetnutzer, der in seinem Suchbegriff die Marke verwende, auf Grund der in der Werbeanzeige verwendeten Formulierungen erkennen könne, dass der Einzelhändler nicht zum Vertriebsnetz des Markeninhabers gehöre (EuGH GRUR 2011, 1124 Rn 53). Die Rechtsprechung des EuGH ist zwar für das rein nationale Recht des Unternehmenskennzeichens nicht bindend; indes verlangt der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kennzeichenrechte bei der Anwendung originär dem Schutz geschäftlicher Bezeichnungen gewidmeter Normen die Berücksichtigung originär markenrechtlicher Wertungen (vgl. BGH GRUR 2001, 344, 345 – DB Immobilienfonds).
(2) Der Senat hat in einer Parallelsache (…/19) – in der zwar nicht der Markeninhaber das Vertriebsnetz betrieb, sondern der Verantwortliche für die AdWords-Anzeige – eine kennzeichenmäßige Verwendung bejaht. Auch in dieser Konstellation komme es dazu, dass der Verkehr keinen Aufschluss darüber erhalte, ob eine wirtschaftliche Verbindung zwischen Markeninhaber und Nutzer der Marke besteht (vgl. EuGH GRUR 2011, 1124, Rn 49 – Interflora/M&S). Für eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion sei ausreichend, dass die Ad-Words-Anzeige hinsichtlich der Herkunft der fraglichen Ware oder Dienstleistung so vage gehalten sei, dass ein normal informierter und angemessen aufmerksamer Internetnutzer auf Grund des Werbelinks und der ihn begleitenden Werbebotschaft nicht erkennen könne, ob der Werbende im Verhältnis zum Markeninhaber Dritter oder mit ihm wirtschaftlich verbunden ist (vgl. EuGH GRUR 2010, 445 Rn 89 f. – Google France und Google; EuGH GRUR 2011, 1124 Rn 45 – Interflora/M&S). Dieser Effekt trete sowohl in der der Fleurop-Rechtsprechung zugrunde liegenden Konstellation eines Vertriebssystems auf der Markeninhaberseite als auch in einem gleichsam „umgedrehten“ Fall auf, indem der Markeninhaber einem Vertriebssystem zugeordnet werde, dem er tatsächlich nicht angehöre. Der Verkehr nehme an, der – offensichtlich mit dem Markeninhaber nicht identische – Werbende stehe mit diesem in wirtschaftlicher Verbindung.
Allerdings hat der Senat die Anwendung der „Fleurop“-Grundsätze nur für möglich gehalten, wenn der Verkehr auch Kenntnis von dem Vertriebssystem hat, zu dem fälschlich eine Zuordnung erfolgen soll. In der Fleurop-Entscheidung war dem Verkehr das Vertriebssystem „bekannt“; in der Senatsentscheidung ergab sich dies aus der Anzeige selbst, da dort das Vertriebssystem des Werbenden ausdrücklich erwähnt wurde und so für den Verkehr erkennbar war. Derartiges findet sich in der Anzeige der Klägerin nicht. Die Anzeige beschränkt sich auf eine allgemeine Bewerbung von „unsichtbaren Zahnspangen“, so dass eine Ausnahme von den Adwords-Grundsätzen ausscheidet und es dabei bleibt, dass hier eine kennzeichenmäßige Benutzung nicht vorliegt.
b) Es fehlt auch nicht an der erforderlichen Rechtswidrigkeit des Eingriffs in den Gewerbebetrieb der Klägerin.
Ein Schadensersatzanspruch setzt neben einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit eine Interessenabwägung voraus (BGH GRUR 2009, 878 – Fräsautomat; BGH GRUR 2006, 432 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; BGH GRUR 2006, 433 – unbegründete Abnehmerverwarnung), da das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein offener Tatbestand ist, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung mit der im Einzelfall konkret kollidierenden Interessensphäre anderer ergeben. Diese geht hier zu Lasten des Beklagten aus.
Zugunsten des Abgemahnten ist grundsätzlich sein Interesse zu berücksichtigen, davor geschützt zu werden, zur Vermeidung von Schadenersatzansprüchen wegen der vermeintlichen Verletzung der Schutzrechte einschneidende unternehmerische Entscheidungen zu treffen, wie etwa die Einstellung oder Modifizierung von Herstellung und Vertrieb. Hier hätte die Klägerin zur Einstellung der behaupteten Verletzungshandlung zwar lediglich das Wort „Polzar“ bei Google auf die Blacklist setzen lassen müssen, so dass die Interessen der Klägerin durch die unberechtigte Abmahnung nicht so schwerwiegend beeinträchtigt wurden, wie in Fällen, in denen es um die Einstellung von Produktion oder Vertrieb schlechthin geht. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass derjenige, der fahrlässig zu Unrecht ein Ausschließlichkeitsrecht geltend macht und damit schuldhaft unberechtigterweise mit einschneidenden Rechtsfolgen droht, die das Gesetz zugunsten des Inhabers eines solchen vorsieht, „näher dran“ ist als derjenige, der – und sei es gleichfalls fahrlässig – nicht erkannt hat, dass das Ausschließlichkeitsrecht zu Unrecht geltend gemacht worden ist (BGH, NJW 2005, 3141, 3144 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung).
c) Schließlich hat der Beklagte auch schuldhaft, nämlich fahrlässig, gehandelt.
Für unberechtigte Schutzrechtsverwarnungen gilt wegen der damit verbundenen weitreichenden Konsequenzen ein strenger Verschuldensmaßstab (BGH GRUR 2006, 432, 433 – Verwarnung aus Kennzeichenrechten II). Darin liegt der Ausgleich für den strengen Sorgfaltsmaßstab, dem Dritte zur Vermeidung von Schutzrechtsverletzungen unterliegen. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Verwarners dürfen andererseits nicht so groß sein, dass er wegen des drohenden Haftungsrisikos von der Geltendmachung berechtigter Ansprüche abgehalten wird.
Art und Umfang der Sorgfaltspflichten eines Verwarners werden maßgeblich dadurch bestimmt, inwieweit er auf den Bestand und die Tragfähigkeit seines Schutzrechts vertrauen darf (BGH GRUR 2006, 432 Rn 25 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; BGH WRP 2018, 950 Rn 89 – Ballerinaschuh). Bei geprüften wie ungeprüften Rechten handelt schuldhaft, wer bei sorgfältiger Prüfung zu der Erkenntnis gelangen muss, dass kein Eingriff in sein Schutzecht vorliegt. Allerdings gilt bei der Beurteilung, ob in den Schutzumfang des Rechts eingegriffen wird, ein etwas großzügigerer Maßstab als bei der Prüfung, ob überhaupt ein Schutzrecht besteht (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Omsels UWG, 5. Aufl. 2021, § 4 Rn 506 – 509).
Danach kann hier ein Verschulden nicht verneint werden. Die fehlende Berechtigung der Abmahnung ergibt sich nicht aus einem fehlenden Bestand des Schutzrechts, sondern aus der fehlenden markenmäßigen Benutzung. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur markenmäßigen Nutzung in Adword-Fällen ist seit Jahren bekannt und gefestigt. Soweit für Fälle von Vertriebssystemen Ausnahmen gemacht werden, liegt ein solcher Ausnahmefall ersichtlich nicht vor. Bei einer sorgfältigen und gewissenhaften Prüfung wäre diese fehlende Rechtsverletzung zu erkennen gewesen.
Soweit nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1974 (BGH GRUR 1974, 290, 292 – Maschenfestser Strumpf) ein Verschulden zu verneinen sein kann, wenn sich der Abmahnende auf den Rat seiner fach- und rechtskundigen Berater verlassen hat, die nach eingehender Untersuchung die der Verwarnung zugrunde liegenden Schutzrechte für schutzfähig gehalten und die abgemahnte Handlungsweise als schutzrechtsverletzend angesehen habe, fehlt es hier an entsprechendem Vortrag zu Art und Umfang der fachkundigen Prüfung. Insbesondere ist nicht vorgetragen, ob und warum bei einer Prüfung durch einen Rechtsanwalt die Problematik der markenmäßigen Nutzung nicht erkannt worden wäre, die rechtlich hier nicht einmal als umstritten angesehen werden kann.
3. Im Hinblick auf die Gegenabmahnung vom 14.4.2020 sind die hierdurch entstandenen Kosten dem Grunde nach ebenfalls ersatzfähig.
a) Allerdings sind grundsätzlich die Kosten der Gegenabmahnung unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht ersatzfähig, da der Abgemahnte bei der Gegenabmahnung ausschließlich im eigenen Interesse handelt und nicht zugleich im Interesse des Abmahners (Harte/Henning/Brüning UWG, § 12 Rn 112.; MüKoUWG/Ottofülling UWG, 2. Aufl. 2014, § 12 Rn 111 – 113).
Eine Gegenabmahnung kann jedoch vor Erhebung einer negativen Feststellungsklage ausnahmsweise dann erforderlich sein, wenn dafür ein besonderer Grund vorliegt. Ein solch besonderer Anlass für die Gegenabmahnung ist z.B. in Fällen bejaht worden, in denen der Abmahnende erkennbar von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen war (BGH GRUR 2004, 790, 792 – Gegenabmahnung; OLG München WRP 1996, 928, 929; OLG München WRP 1997, 979, 80) oder in denen seit der Abmahnung ein längerer Zeitraum verstrichen ist und der Abmahnende in diesem entgegen seiner Androhung keine gerichtlichen Schritte eingeleitet hat. Denn nur in solchen Fällen entspricht eine Gegenabmahnung dem mutmaßlichen Willen und dem Interesse des Abmahnenden und kann der Abgemahnte daher die Kosten der Gegenabmahnung erstattet verlangen (BGH GRUR 2004, 790).
b) Ein solcher Fall, in dem eine Abmahnung ausnahmsweise dem mutmaßlichen Willen und Interesse des Beklagten entsprach, lag hier vor.
Seit der Abmahnung durch den Beklagten war bereits ein längerer Zeitraum verstrichen (fünf Monate), ohne dass der Beklagten die angedrohte gerichtliche Geltendmachung vorgenommen hatte oder von der Abmahnung ausdrücklich Abstand genommen hatte. Die Klägerin musste daher davon ausgehen, dass es im Interesse des Beklagten lag, ihm durch eine Abmahnung den Weg zu weisen, von seiner Berühmung ohne Durchführung eines Gerichtsverfahrens Abstand zu nehmen.
Die Behauptung des Beklagten, sein Prozessbevollmächtigter hätte bereits direkt nach der Abmahnung mündlich erklärt, die Ansprüche nicht weiter geltend machen zu wollen, ist zum einen bestritten und nicht mit einem Beweisangebot unterlegt; zum anderen ist die allein mündliche Verzichtserklärung nicht geeignet, der Klägerin die nötige Rechtssicherheit zu verschaffen.
4. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch allerdings nur in Höhe von 2.348,94 €, basierend auf einer 1,3 Gebühr aus 100.000 € zu, da die Abmahnung vom 11.10.2019 und die Gegenabmahnung vom 14.4.2020 zwei Gegenstände anwaltlicher Tätigkeit, aber eine Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG darstellen.
a) Gemäß § 15 Abs. 2 RVG kann der Rechtsanwalt die Gebühren „in derselben Angelegenheit nur einmal fordern“. Weisungsgemäß erbrachte anwaltliche Leistungen sind in der Regel dieselbe Angelegenheit, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann (BGH GRUR 2019, 1044 Rn 24 – Der Novembermann; BGH GRUR 2019, 763 Rn 17 – Ermittlungen gegen Schauspielerin). Die Angelegenheit ist von dem Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit abzugrenzen, der das konkrete Recht oder Rechtsverhältnis bezeichnet, auf das sich die anwaltliche Tätigkeit bezieht. Eine Angelegenheit kann durchaus mehrere Gegenstände umfassen (BGH GRUR 2019, 1044 Rn 24 – Der Novembermann; BGH GRUR 2019, 763 Rn 17 – Ermittlungen gegen Schauspielerin). Für einen einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit reicht es grundsätzlich aus, wenn die verschiedenen Gegenstände in dem Sinn einheitlich vom Anwalt bearbeitet werden können, dass sie verfahrensrechtlich zusammengefasst oder in einem einheitlichen Vorgehen geltend gemacht werden können. Ein innerer Zusammenhang zwischen den anwaltlichen Leistungen ist zu bejahen, wenn die verschiedenen Gegenstände bei objektiver Betrachtung und unter Berücksichtigung des mit der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Inhalt des Auftrags erstrebten Erfolgs zusammengehören (BGH GRUR 2019, 1044 Rn 24 – Der Novembermann; BGH GRUR 2019, 763 Rn 17 – Ermittlungen gegen Schauspielerin).
Eine Angelegenheit kann auch vorliegen, wenn ein dem Rechtsanwalt zunächst erteilter Auftrag vor dessen Beendigung später ergänzt wird. Ob eine Ergänzung des ursprünglichen Auftrags vorliegt oder ein neuer Auftrag erteilt wurde, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen (BGH GRUR 2019, 1044 Rn 25 – Der Novembermann). Allerdings kann es an einem inneren Zusammenhang und damit einer einheitlichen Angelegenheit dann fehlen, wenn ein großer zeitlicher Abstand zwischen den einzelnen Abmahnungen liegt.
b) Nach diesen Grundsätzen ist hier von einer Angelegenheit auszugehen.
Der notwendige innere Zusammenhang besteht. Dem Betroffenen einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung ist mit der Abwehr der Abmahnung allein nicht gedient. Vielmehr gewinnt er die nötige Rechtssicherheit nur dadurch, dass der Gegner entweder auf seinen Unterlassungsanspruch verzichtet oder im Wege der negativen Feststellungsklage rechtskräftig festgestellt wird, dass der begehrte Unterlassungsanspruch nicht besteht.
Die für die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat jedenfalls nicht vorgetragen, dass abweichend hiervon zunächst nur ein Auftrag zur Abwehr der Abmahnung erteilt worden wäre und später die Klägerin erneut beauftragt hätte. Selbst in diesem Fall wäre aber eine nachträgliche Erweiterung des bereits bestehenden Auftrages anzunehmen, so dass auch in diesem Fall nur eine Angelegenheit vorliegen würde.
Der Annahme einer Angelegenheit steht auch nicht ein zu großer zeitlicher Abstand entgegen. Die Abwehr der Abmahnung erfolgte am 15.11.2019, die Gegenabmahnung am 14.4.2020. Der hierin liegende Abstand von fünf Monaten ist nicht geeignet, den notwendigen Zusammenhang aufzulösen.
c) Dies führt dazu, dass der Wert des Abwehrschreibens in Höhe von 50.000 € sowie der Gegenabmahnung in Höhe von 50.000 € zu addieren sind. Der sich hieraus ergebende Wert der Angelegenheit in Höhe von 100.000 € bildet die Grundlage für die Berechnung einer 1,3 Gebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer; dies führt zu einem Betrag in Höhe von 2.348,94 €.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.