Die Veröffentlichung von Bewertungen von Lebensmittelbetrieben ohne entsprechende Rechtsgrundlage ist unzulässig

02. April 2014
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Beschluss des VG Berlin vom 19.03.2014, Az.: VG 14 L 35.14

Die Veröffentlichung von sog. Smiley-Listen in einem Online-Portal von zwei Berliner Bezirken ist unzulässig, wenn damit Lebensmittelbetriebe dieser Bezirke bewertet werden. Zwar scheint der Verbraucher hier ein schutzwürdiges Interesse daran zu haben, über etwaige Mängel aufgeklärt zu werden, allerdings kann dies nicht erfolgen, wenn es im Bereich von Lebensmittelmärkten – anders als bei der Warnung vor konkreten Erzeugnissen - keine entsprechende Rechtsgrundlage für die Rechtfertigung einer derartige Bekanntgabe gibt.

Verwaltungsgericht Berlin

Beschluss vom 19.03.2014

Az.: VG 14 L 35.14

In der Verwaltungsstreitsache der

Antragstellerin,

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte

gegen

das Land Berlin,
vertreten durch das Bezirksamt Pankow von Berlin, – Rechtsamt -,
Breite Straße 24 A-26, 13187 Berlin,

Antragsgegner,

hat die 14. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin durch

die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht …, die Richterin am Verwaltungsgericht … und
die Richterin am Verwaltungsgericht …

am 19. März 2014 beschlossen:

Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, die mit Schreiben vom 7. Juni 2013 angekündigte Mitteilung über das Ergebnis einer amtlichen Kontrolle des Betriebes der Antragstellerin im Internetportal „Das Smiley Projekt im Bezirk Pankow“ zu veröffentlichen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Antragstellerin betreibt Selbstbedienungsmärkte für Lebensmittel und andere Waren. Der R unterliegt der lebensmittelrechtlichen Überwachung durch das Bezirksamt Pankow von Berlin, den Vertreter des Antragsgegners. Die Beteiligten streiten um eine vom Antragsgegner geplante Veröffentlichung eines sog. Kontrollergebnisses auf der Internetseite des Bezirks unter dem Stichwort „Das Smiley Projekt im Bezirk Pankow“.

Zum Schluss einer Routinekontrolle vom 7. Juni 2013 war der stellvertretenden Marktleiterin ein von der Kontrolleurin handschriftlich ausgefülltes „Protokoll zur Betriebsüberprüfung“ ausgehändigt worden. Unter der vorgedruckten Überschrift „Feststellungen/Mängel‘ hieß es:

Convenience: HWB defekt, Wasser sprudelt am Ventil raus, spritzt
Backshop (Harry): leichte oberflächliche Verschmutzungen
Fleisch: Übergang Vorbereitung, Tür falscher „Mäusebesen“
Leergutannahme Raum I: massive Geruchsbildung aufgrund fehlender Lüftung
Obst/Gemüse: Conveniencetruhen oben offen = Info: schwierig, T. zu halten
Umkleide (allgemein): Asseln gefunden (lebend), Spinnen im Fensterbereich, Zugänge nicht alle ordentlich verschlossen (Kabelkanal z.8.)

Die vorgedruckten Passagen „Es wurden erhebliche Mängel festgestellt …“, „Bei den genannten Feststellungen handelt es sich um Verstöße gegen lebensmittel-/futtermittelrechtliche Vorschriften …“ sowie „Zum Ende der genannten Frist werde ich den Betrieb erneut überprüfen …“wurden nicht angekreuzt bzw. ausgefüllt.

Mit Schreiben vom selben Tag teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, bei der Kontrolle habe der Betrieb eine Smiley-Punktzahl von 11 erreicht. Es sei beabsichtigt, die Verbraucherschaft gemäß § 6 des Verbraucherinformationsgesetzes (VIG) über das Kontrollergebnis zu informieren. Innerhalb der kommenden 14 Tage werde es auf der lnternetseite des Bezirkes unter dem Stichwort „Smiley-System“ veröffentlicht. Dort finde die Antragstellerin auch weitere Informationen bezüglich des Punktesystems und der Art und Weise der Veröffentlichung der Kontrollergebnisse. Rechtsbehelfe könnten lediglich gemäß § 123 VwGO (Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz) oder § 81 VwGO (Klage) beim Verwaltungsgericht Berlin eingelegt werden.

Dass daneben eine Veröffentlichung auf andere Weise beabsichtigt sein könnte, ist nicht ersichtlich.

Dem Verwaltungsvorgang ist zu entnehmen, dass der Punktzahl von 11 Angaben zugrundeliegen, die die Kontrolleurin in das verwaltungsinterne Formblatt „Risikobeurteilung“ eingetragen hatte:
– Unter der Überschrift „Bauliche Beschaffenheit (Instandhaltung)“ ist die Bemerkung „diverse kleinere Defekte“ eingetragen. Hierfür wurden zwei Punkte vergeben.
Unter der Überschrift „Reinigung und Desinfektion“ findet sich der Eintrag „Bürstensaum Tür Fleisch Altschmutz“. Hierfür wurden ebenfalls zwei Punkte vergeben.
– Unter der Überschrift „Personalhygiene“ findet sich die Bemerkung „Umkleide im Keller, Assel“. Dies wurde mit drei Punkten bewertet.
– Unter der Überschrift „Produktionshygiene“ findet sich die Bemerkung „HWB im Convenienceraum“ defekt. Hierfür wurden vier Punkte vergeben.

Hieran orientiert sich das sog. aktuelle Kontrollergebnis, das der Antragsgegner im Internet veröffentlichen will, wobei nur die vorgenannten Rubriken sowie die Zahlen der jeweils möglichen und der tatsächlich vergebenen Minuspunkte (einschließlich der in weiteren hier nicht erwähnten Rubriken vergebenen „null“ Minuspunkte) gelistet werden sollen. Für die Gesamtpunktzahl 11 lautet das Gesamtergebnis „gut“, wobei diese „Zensur“ vom Antragsgegner für drei bis 20 Minuspunkte vergeben wird.

Am 17. Juni 2013 meldeten sich die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin und baten zunächst um Verschiebung der geplanten Veröffentlichung. Ein zur Klärung der Sache anberaumtes Gespräch der Beteiligten führte nicht zu einer einvernehmlichen Lösung. Mit dem am 18. Februar 2014 bei Gericht eingegangenen Eilantrag begehrt die Antragstellerin daher, dem Antragsgegner die Veröffentlichung zu untersagen.

B.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

I. Die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 123 Abs. 5 VwGO ist erfüllt. Denn die – vorrangige – Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach §§ 80 und 80a VwGO kommt vorliegend nicht in Betracht, weil es sich bei dem die Veröffentlichung ankündigenden Schreiben vom 7. Juni 2013 nicht um einen Verwaltungsakt handelt. Der Antragsgegner hat mit der geplanten Internetveröffentlichung einen sogenannten Realakt angekündigt (siehe auch VG Karlsruhe, Beschluss vom 7. November 2012 – 2 K 2430/12, juris, Rdnrn. 5 ff., 7; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Januar 2013, 9 S 2423/12, juris, Rdnr. 4), ohne dabei eine Abwägung entgegenstehender Belange vorzunehmen und eine Entscheidung über die Rechtsposition der Antragstellerin zu treffen.

Die Antragstellerin kann sich auf einen Anordnungsgrund berufen. Die Internet-Verlautbarung steht unmittelbar bevor. Das Schreiben dient nicht etwa einer Anhörung der Antragstellerin im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz, § 5 Abs. 1 VIG i.V.m. § 28 VwVfG, sondern explizit lediglich der „Information gemäß § 5 Verbraucherinformationsgesetz (VIG)“ über die bereits definitiv beabsichtigte Veröffentlichung.

In der Internet-Liste sind derzeit 682 Betriebe erfasst, worunter sich eine nicht geringe Zahl mit der Benotung „sehr gut“ (null bis zwei Punkte) befindet. Da die beabsichtigte Internetverlautbarung von 11 Mängelpunkten spricht und die Antragstellerin damit weit hinter einem „sehr guten“ Ergebnis zurückbleibt, ist es nachvollziehbar, dass sie deutliche – irreversible – Umsatzeinbußen befürchtet (vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. Juni 2013 – 13 ME 18/13, juris, Rdn. 21), die sie mit der begehrten einstweiligen Anordnung abwehren will.

II. Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch für die begehrte Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Die geplante Verlautbarung ist bei der im Rahmen des vorliegenden Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihrer durch Art. 12 Abs. 1 Satz 2, Art. 19 Abs. 3 des Grundgesetzes geschützten freien unternehmerischen Betätigung und ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG, vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. April 2013, 13 B 192/13, juris, Rdnrn. 8 f. m. w. N.). Gegen einen derartigen Eingriff steht der allgemeine öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch analog §§ 1004, 906 BGB i. V. m. der Abwehrfunktion der Grundrechte zur Verfügung, wonach jeder Bürger von einem Hoheitsträger Unterlassung eines unmittelbar bevorstehenden Eingriffs in seine subjektiven öffentlichen Rechte verlangen kann (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 9. Januar 2012 – 12 CE 11.2685, juris, Rdnrn. 16f.m.w.N.).

1. Da die Internetverlautbarung einen Akt staatlicher Lenkung darstellt, bedarf es dafür einer gesetzlichen Grundlage. In ihrem Urteil vom 28. November 2012 – VG 14 K 79.12 – hat die Kammer hierzu ausgeführt:

„a) Allerdings führt nicht etwa jede im Ergebnis wettbewerbsrelevante staatliche Information bereits zu einer Beeinträchtigung des Schutzbereichs des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Sofern der Einfluss auf wettbewerbserhebliche Faktoren ohne Verzerrung der Marktverhältnisse nach Maßgabe der rechtlichen Vorgaben für staatliches Informationshandeln erfolgt, beeinträchtigen marktbezogene Informationen des Staates den grundrechtlichen Gewährleistungsbereich der betroffenen Wettbewerber nicht (vgl. – zu sog. Glykolwarnung – BVerfG, Urteil vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 558/91, 1 BvR 1428/91, Leitsatz 1 und Rdnr. 49 bei juris). Art. 12 Abs. 1 GG schützt Marktteilnehmer nicht vor der Verbreitung zutreffender und sachlich gehaltener Informationen am Markt, die Rechtsordnung gelt auf Markttransparenz (BVerfG, a. a. 0., Orientierungssatz 1 c, Buchst. aa). Insofern ist nicht für jede wettbewerbsrelevante staatliche Information eine spezifische gesetzliche Grundlage im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG erforderlich, vielmehr wird insbesondere der Aufgabe der Staatsleitung auch die Ermächtigung zum Informationshandeln zugeordnet (BVerfG, a. a. 0., juris, Rdnr. 51, sowie BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 670/91 – Psychosekte, Osho-Bewegung -, juris, Rdnr. 76).

b) Auf diese Freistellung von gesetzgeberischen Vorgaben kann sich der Beklagte jedoch nicht berufen.
Zum einen ist der Bereich staatlicher Information im Lebensmittelsektor inzwischen mit dem Verbraucherinformationsgesetz, auf das sich der Beklagte im Übrigen selbst bezieht, sowie mit § 40 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs – LFGB – vom Gesetzgeber im Einzelnen geregelt worden. Dabei geht mit der Ermächtigung der Verwaltung zu bestimmten belastenden Handlungen die den Schutzbereich des Grundrechts der Berufsfreiheit konkretisierende Gewährleistung für den Bürger einher, jenseits dieser gesetzlichen Grundlagen nicht durch Informationsakte belastet zu werden: Seine Berufsausübungsfreiheit ist durch den Rahmen auch dieser Gesetze mit Relevanz für Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG bestimmt. Zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht in den genannten Entscheidungen ohnehin jeweils betont, dass die staatliche Informationstätigkeit dann eine Beeinträchtigung im Gewährleistungsbereich des Grundrechts sein kann, wenn sie in der Zielsetzung und ihren Wirkungen Ersatz für eine staatliche Maßnahme ist, die als Grundrechtseingriff zu qualifizieren wäre. Durch Wahl eines solchen funktionalen Aquivalents eines Eingriffs könnten die besonderen Bindungen der Rechtsordnung nicht umgangen werden; vielmehr müssten die für Grundrechtseingriffe maßgebenden rechtlichen Anforderungen erfüllt sein (vgl. die sog. Glykolentscheidung, juris, a. a. 0., Rdnr. 62, sowie die sog. Osho-Entscheidung, a. a. O., juris, Rdnr. 76). So liegt der Fall hier: Mit der Information über – angebliche – Hygienemängel geht es nicht um Krisenbewältigung in unvorhergesehenen Fällen, sondern um administrative Maßnahmen des Verbraucher- und Gesundheitsschutzes, die auf eine Behandlung einer Vielzahl konkreter Einzelfälle und die Beseitigung daraus resultierender Nachteile zielen. Die Veröffentlichungen haben Wirkungen, die denen eines ordnungsrechtlichen Instruments entsprechen: Der betroffene Gastronom wird an den „elektronischen Pranger“ gestellt, was deutlich belastender ist als eine ordnungsbehördliche Aufforderung zur Beseitigung der monierten Mängel, so dass die Veröffentlichung nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Grundrechtseingriff zu qualifizieren ist (so auch – zur Veröffentlichung von Prüfberichten der Heimaufsicht im Internet – Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 9. Januar 2012 – 12 CE 11.2685, juris, Rdnrn. 34 ff., 37).“

Hieran hält die Kammer fest.

2. Dem Antragsgegner steht indes mit hoher Wahrscheinlichkeit keine hinreichende gesetzliche Grundlage zur Seite.

Soweit es dem Antragsgegner um Informationen über lebensmittelrechtliche Beanstandungen geht, sind grundsätzlich die Vorschriften des Verbraucherinformationsgesetzes (VIG) heranzuziehen. Dass diese durch § 40 Abs. 1a LFGB für Fälle unterhalb der dort geregelten qualifizierten Voraussetzungen verdrängt sein könnten (so z. B. Theis, DVBI. 2013, S. 627, 633, insbes. Fn. 90.), ist bei summarischer Prüfung deswegen nicht plausibel, weil das VIG und § 40 LFGB vom Bundesgesetzgeber mit demselben Gesetz – dem Gesetz zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 15. März 2012 (BGBl. I S. 476) – neugefasst wurden und sich den Materialien ein solcher Vorrang ebenso wenig entnehmen lässt wie den Bestimmungen des LFGB und des VIG selbst. § 2 Abs. 4 VIG räumt Vorschriften „in anderen Rechtsvorschriften“ zwar den Vorrang ein, wenn sie denen des VIG entsprechen oder weiter gehen. Dieses „Weiter Gehen“ meint aber einen stärkeren Verbraucherschutz und mithin eine niedrigere Eingriffsschwelle als diejenige des VIG, nicht die höhere des § 40 LFGB. Das ergibt sich eindeutig aus der (zustimmenden) Gegenäußerung der Bundesregierung zu dem entsprechenden Vorschlag des Bundesrates zu § 2 Abs. 4 VIG, der schließlich Gesetz geworden ist (vgl. BT-Drs. 17/7374, S. 22 sowie S. 26, jeweils zu Nr. 5).

Dabei kann hier offen bleiben, ob die Regelungen des VIG verfassungsrechtlich fragwürdig sind, weil sie – von der nur das öffentliche Interesse konkretisierenden Regelung in § 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e VIG über eine Fünfjahres-Grenze abgesehen – keinerlei Vorgaben zu Löschungsfristen enthalten (vgl.- primär zu § 40 LFGB – OVG Nordrhein-Westfalen, aaO, sowie OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. Juni 2013, 13 ME 18/13, juris und VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Januar 2013 – 9 S 2423/12, juris, Rdn. 24). Ebenfalls dahinstehen kann, ob europarechtliche Vorschriften die in Rede stehenden Informations-Regelungen verbieten oder die diesbezügliche Diskussion inzwischen durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 11. April 2013 – C – 636/11 – zu Art. 10 VO (EG) Nr. 178/2002 beendet ist und nationalstaatliche Regelungen der hier fraglichen Art danach zulässig sind.

Denn die Vorschriften des Verbraucherinformationsgesetzes vermögen bei summarischer Prüfung die geplante Internetveröffentlichung nicht zu rechtfertigen. Nach § 6 Abs. 1 Satz 3 VIG kann die informationspflichtige Stelle Informationen, zu denen Zugang zu gewähren ist, auch unabhängig von einem Antrag nach § 4 Abs. 1 über das Internet oder in sonstiger öffentlich zugänglicher Weise zugänglich machen; § 5 Abs. 1 gilt entsprechend. Damit wird auf § 2 VIG, die Regelung über den Anspruch auf Zugang zu Informationen, verwiesen, so dass die Berechtigung zur Internet-Veröffentlichung zunächst davon abhängt, dass es sich um Informationen im Sinne dieser Bestimmung handelt. Dies ist bei summarischer Prüfung nicht der Fall.

a. § 6 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VIG lassen sich als Rechtsgrundlage nicht heranziehen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 VIG gilt der freie Zugang auch zu Informationen über Überwachungsmaßnahmen oder andere behördliche Tätigkeiten oder Maßnahmen zum Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern, einschließlich der Auswertung dieser Tätigkeiten und Maßnahmen, sowie Statistiken über Verstöße gegen in § 39 Abs. 1 Satz 1 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches und § 26 Abs. 1 Satz 1 des Produktsicherheitsgesetzes genannte Rechtsvorschriften, soweit sich die Verstöße auf Erzeugnisse oder Verbraucherprodukte beziehen. Diese Regelung bezieht sich wie bereits ihr Vorläufer § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VIG a. F. nicht auf die Veröffentlichung von Daten über konkrete Betriebe, sondern auf generelle Maßnahmen, die dem Verbraucherschutz dienen, wie z. B. Informationskampagnen oder die Förderung von Verbraucherorganisationen sowie die Veröffentlichung von Statistiken (vgl. die Ausführungen in der Bundestagsdrucksache 16/1408, S. 10 zu der Ursprungsregelung).

b. § 6 Abs. 1 Satz 3, § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG beziehen sich zwar auf Auskünfte, die konkrete Betriebe betreffen, erlauben aber nur die Verlautbarung von Informationen über festgestellte nicht zulässige Abweichungen von lebensmittelrechtlichen Vorgaben.

Die beabsichtigte Verlautbarung liefert jedoch keine Aufklärung der Verbraucher über die seitens der Behörde angenommenen Verstöße. Hier handelt es sich vielmehr um zusammenfassende Bewertungen (dazu nachfolgend unter (1)). Ferner fehlt in der geplanten Verlautbarung ein Bezug zu konkreten Lebensmitteln (dazu unter (2).)

(1) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes Anspruch auf freien Zugang zu allen Daten über von den nach Bundes- oder Landesrecht zuständigen Stellen „festgestellte nicht zulässige Abweichungen von Anforderungen“ der dort genannten lebensmittelrechtlichen Regelwerke; gleichfalls besteht der Anspruch auf Zugang zu allen Daten über Maßnahmen und Entscheidungen, die im Zusammenhang mit den genannten Abweichungen getroffen worden sind. Diese Bestimmung hat die vorher in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG a. F. enthaltene Regelung über den Zugang zu allen Daten über „Verstöße … sowie Maßnahmen und Entscheidungen, die im Zusammenhang mit solchen Verstößen getroffen worden sind“ abgelöst. Eine Mitteilung von Werturteilen wird hiervon nicht umfasst. Es ist insoweit auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Dezember 1995 – 3 C 23/94 – hinzuweisen. Dort wird ausgeführt (siehe bei juris, Rdnr. 26): „Wenn der Gesetzgeber die Veröffentlichung von Warentests mit ihren nachteiligen Folgen für die betroffenen Unternehmen gestatten will, muss er dies eindeutig und klar zum Ausdruck bringen. Dazu ist er auch in der Lage.“

Die Minuspunktvergabe mit der Gesamtnote „Gut“, über die der Antragsgegner informieren will, entspricht dem System, das sich aus der „Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über Grundsätze zur Durchführung der amtlichen Überwachung der Einhaltung lebensmittelrechtlicher, futtermittelrechtlicher und tabakrechtlicher Vorschriften“ (AAV Rahmen-Überwachung – AAV RÜb) ergibt und dem die europarechtliche Verordnung (EG) Nr. 882/2004 zugrundeliegt. Die auf § 6 AVV RÜb beruhende Beurteilung dient allein dazu, die notwendige Häufigkeit der amtlichen Kontrollen festzulegen, und bezieht deshalb auch Gesichtspunkte mit ein, die deutlich im Vorfeld von „festgestellten nicht zulässigen Abweichungen“ von lebensmittelrechtlichen Vorschriften liegen.

Es kann hier offen bleiben, ob sich, wie der Antragsgegner geltend macht, jeder einzelne von ihm für die Veröffentlichung vorgesehene Minuspunkt auf eine „nicht zulässige Abweichung“ zurückführen lässt. Denn Mitteilungen über in diversen Kategorien vergebene Minuspunkte ermöglichen dem durchschnittlichen, nicht den Fachkreisen angehörenden Leser einen zutreffenden Rückschluss auf den zugrundeliegenden Vorwurf weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht. Solche Minuspunkte haben für ihn vielmehr den Charakter einer reinen Bewertung. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG betrifft indes nur Informationen über tatsächliche Erkenntnisse. Diese sollen zudem für den Verbraucher verständlich dargestellt werden (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 4 VIG).

(2) Hinzu kommt, dass die vom Antragsgegner geplante Internetveröffentlichung einen Bezug auf konkrete Erzeugnisse vermissen lässt. Mit der Neufassung wurde in § 1 VIG der Anwendungsbereich des Gesetzes präzisiert: Nach § 1 VIG erhalten Verbraucherinnen und Verbraucher „freien Zugang zu den bei informationspflichtigen Stellen vorliegenden Informationen über Erzeugnisse im Sinne des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (Erzeugnisse), … damit der Markt transparenter gestaltet und hierdurch der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor gesundheitsschädlichen oder sonst unsicheren Erzeugnissen … sowie vor Täuschung beim Verkehr mit Erzeugnissen … verbessert wird.“ Eine Verlautbarung von Informationen ohne Bezug auf konkrete Erzeugnisse dürfte jenseits des in § 1 Nr. 1 VIG neu definierten Anwendungsbereichs liegen (anders zur alten Fassung des VIG: OVG Saarland, Beschluss vom 3. Februar 2011 – 3 A 270.10 -, juris, Rdnr. 35). In den Gesetzesmaterialien – der Regierungsvorlage in der Bundestagsdrucksache 17/7374, S. 14 – heißt es zur Begründung des neuen § 1 VIG: „Der bisher nur aus der Gesetzesbegründung ersichtliche Anwendungsbereich des Gesetzes wird im Rechtstext selbst definiert, um die Auslegung des Gesetzes zu erleichtern und den zuständigen Vollzugsbehörden eine Rechtsanwendung ohne Rückgriff auf die Gesetzesmaterialien zu ermöglichen.“ Diese Passage bezieht sich offenbar auf die Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 1 Satz 1 VIG a. F. in der Bundestagsdrucksache 16/1408, S. 9, wo explizit von Zugang zu Informationen über Erzeugnisse im Sinne des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches gesprochen wird.

Im Hinblick auf die oben stehenden Ausführungen, aus denen sich bereits die Rechtswidrigkeit der geplanten Veröffentlichung ergibt, kann es offen bleiben, ob es sich bei den protokollierten Beanstandungen tatsächlich um konkrete Verstöße gegen Rechtsvorschriften handelt und ob deren Feststellung den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen entspricht.

III. Die Abwägung der im vorliegenden Fall berührten Interessen unter Berücksichtigung der Folgen, die sich voraussichtlich an die Gewährung oder Versagung des beantragten vorläufigen Rechtsschutzes knüpfen würden, führt zum Überwiegen des Interesses der Antragstellern. Mit der gegenständlichen Veröffentlichung im Internet wird ohne Zweifel in ihre Grundrechte eingegriffen. Die Rechtmäßigkeit des Eingriffs ist bei summarischer Prüfung zu verneinen. Verwaltungshandeln durch amtliche Information ist irreversibel; daran vermögen bei Fehlinformationen auch spätere Gegendarstellungen, Richtigstellungen oder sonstige Korrekturen nichts zu ändern, da die faktischen Wirkungen von Information, zumal im Internet, regelmäßig nicht mehr eingefangen und umfassend beseitigt werden können (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Januar 2013, 9 S 2423/12, juris, Rdn.6). Ein Schutz gesundheitlicher Belange steht nicht in Rede, die Verlautbarung dient nur allgemein dem Verbraucherschutz. Dem Interesse der Antragstellerin an deren Untersagung gebührt der Vorrang.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1, 2 GKG, wobei der Auffangwert angesetzt und von einer Reduzierung des Betrags im Eilverfahren abgesehen worden ist.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen die Sachentscheidung ist die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zulässig.

Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz im Lande Berlin vom 27. Dezember 2006, GVBI. S. 1183, in der Fassung der Zweiten Änderungsverordnung vom 9. Dezember 2009, GVBI. S. 881) einzulegen. Die Frist für die Einlegung der Beschwerde endet zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses schriftlich oder in elektronischer Form zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.

Vor dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus kö nnen auch die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneten Personen und Organisationen auftreten. Ein als Bevollmächtigterzugelassener Beteiligter kann sich selbst vertreten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen; das Beschäftigungsverhältnis kann auch zu einer anderen Behörde, juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem der genannten Zusammenschlüsse bestehen. Richter dürfen nicht vor dem Gericht, ehrenamtliche Richter nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören.

Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 Euro übersteigt. Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin, schriftlich oder in elektronischer Form oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen. Sie ist innerhalb von sechs Monaten einzulegen, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat. Der Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten bedarf es nicht.

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