Abgrenzung von Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung

28. April 2022
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Richterin schlägt mit Richterhammer auf den Tisch Urteil des OLG Frankfurt a. M. vom 10.02.2022, Az.: 16 U 87/21

Bei der Frage, ob eine Aussage als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung zu bewerten ist, kommt es auf den objektiven Gehalt der Aussage im Gesamtkontext an. Im konkreten Fall ging es um die Deutung bzw. Wiedergabe eines Gedichts. Die Klägerin, die das Gedicht ursprünglich in den sozialen Medien geteilt hatte, fühlte sich durch eine Äußerung der Beklagten, die diese in Bezug auf das Gedicht getätigt hatte, in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Das OLG Frankfurt am Main stellte jedoch klar, dass sich die Aussage der Beklagten als Deutung des Gedichts und damit als Meinungsäußerung darstellt, weshalb der Klägerin ein Unterlassungsanspruch nicht zustehe.

Oberlandesgericht  Frankfurt a. M.

Urteil vom 10.02.2022

Az.: 16 U 87/21

 

Tenor

Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hanau vom 28.4.2021, Az. 2 O 391/21, wird zurückgewiesen.

Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO i.V.m. § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung der Verfügungsklägerin (nachfolgend Klägerin) ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 511, 517, 519 ZPO).

In der Sache hat sie keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Landgericht den Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mangels Verfügungsanspruchs zurückgewiesen.

Der Klägerin steht kein Unterlassungsanspruch § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGBzu, denn ihr Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 2, Art. 1 Abs. 2 GG) wurde durch die angegriffene Äußerung nicht rechtswidrig verletzt.

1. Entgegen der Ansicht der Berufung handelt es sich bei der Äußerung der Verfügungsbeklagten (nachfolgend Beklagte) vom 1.3.2021 auf der Internetseite der Initiative „X Stadt1“ (vgl. Anlage 3) nicht um eine Tatsachenbehauptung. Vielmehr ist diese bei Zugrundelegung des Gesamtkontextes als Meinungsäußerung zu qualifizieren, die dem Schutzbereich des Art. 5. Abs. 1 GG unterfällt.

a. Ohne Erfolg rügt die Berufung, dass das Landgericht seiner Würdigung eine Äußerung zugrunde gelegt hat, die die Beklagte bei zutreffender Sinndeutung nicht aufgestellt und verbreitet hat.

aa. Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Für die Ermittlung des objektiven Sinngehalts ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut, der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann, und dem allgemeinen Sprachgebrauch sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für das Publikum erkennbar sind. Zur Erfassung des vollständigen Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden. Fernliegende Deutungen sind auszuschließen [st. Rspr. vgl. BGH Urt. v. 26.1.2021 – VI ZR 437/19 – mwN].

bb. Nach diesen für die Ermittlung des Aussagegehaltes einer Äußerung maßgeblichen Grundsätzen ist der angegriffenen Äußerung in dem Gesamtzusammenhang des Textes der Sinngehalt zu entnehmen, dass die Beklagte und Herr A als Initiatoren und Sprecher der Initiative „X“ ihr Verständnis des von der Klägerin in Reaktion auf die Anzeige ihrer unangemeldeten Montagstreffen veröffentlichten Gedichts „B“ wiedergeben.

Die streitgegenständliche Äußerung befindet sich in einem auf der Internetseite der Initiative „X“ veröffentlichten Text, welche sich als Gegenbewegung zu der von der Klägerin mitinitiierten Initiative „Y“ versteht. Darin wird die Klägerin von der Beklagten und Herrn A in ihrer Funktion als Initiatoren von „X“ zunächst direkt als Anmelderin der „Querdenker“-Aufmärsche in Stadt1 angesprochen und verschiedene Forderungen an sie erhoben. Hierzu gehört auch, sich gegenüber den Bürgern von Stadt1 öffentlich zu erklären, was sie mit ihrem nach der subjektiven Bewertung von der Beklagten und Herrn A „unfassbaren“ Statement in den sozialen Medien sagen wollte. Durch diese der streitgegenständlichen Äußerung unmittelbar vorausgehende Aufforderung wird für den unvoreingenommenen Durchschnittsrezipienten deutlich, dass aus dem Wortlaut des Statements, auf welches sich die angegriffene Äußerung bezieht, für die Beklagte und Herrn A gerade nicht eindeutig hervorgeht, was die Klägerin damit zum Ausdruck bringen möchte, andernfalls es der ausdrücklich von ihnen eingeforderten öffentlichen Erklärung nicht bedurft hätte. In diesem Kontext versteht der Leser die angegriffene Äußerung dahingehend, dass diese die Deutung seitens der Beklagten und Herrn A wiedergibt. Dass es hierbei um deren Lesart geht, wird dem Leser zusätzlich durch die Formulierung „sinngemäß“ verdeutlicht.

Demnach wird der Klägerin nicht, wie sie befürchtet, in der Öffentlichkeit eine Äußerung „in den Mund gelegt“, die sie so nicht getan hat. Vielmehr enthält die angegriffene Äußerung nach zutreffender Sinndeutung kein objektiv falsches Zitat der Klägerin, sondern die Interpretation eines Dritten, nämlich der Beklagten und Herrn A.

Ebenso wenig liegt eine mehrdeutige Äußerung vor, so dass auch nicht der Hinweis des Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf die sog. „Stolpe-Rechtsprechung“ zum Bestehen eines Unterlassungsanspruchs bei einer Aussage mit nicht eindeutigem Inhalt verfängt [vgl. hierzu BVerfG AfP 2005, 544 ff. = NJW 2006, 207 ff. sowie Beschl. v. 24.5.2006 – 1 BvR 49/00, 1 BvR 55/00 und 1 BvR 2031/00].

b. Mit dem vorstehend dargestellten Sinngehalt ist die Äußerung der Beklagten bei Zugrundelegung des Gesamtkontextes als Meinungsäußerung zu qualifizieren, die dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unterfällt.

c. Dem Landgericht ist auch darin zu folgen, dass die vorzunehmende Gesamtabwägung der berührten Rechtspositionen zugunsten der Beklagten ausfällt und damit der Eingriff in die Ehre und das Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht rechtswidrig ist.

aa. Die Beklagte kann die angegriffene Äußerung auf objektive Anhaltspunkte zurückführen. Dieser liegt das mit „B“ überschriebene Gedicht zugrunde, das die Klägerin dem unstreitigen Tatbestand des angefochtenen Urteils zufolge kommentarlos unter Angabe der Quelle www.(…) in den sozialen Medien veröffentlichte, um sich, wie sie selbst in ihrer Antragsschrift ausgeführt hat, gegen die Denunziationen ihrer nicht angemeldeten „Spaziergänge“ in Stadt1 beim Ordnungsamt der Stadt zur Wehr zu setzen. Auf dieses nimmt die Beklagte erkennbar Bezug. Denn das von ihr angesprochene Statement wird durch die Konjunktion „nachdem“ in einen zeitlichen und kausalen Zusammenhang damit gesetzt, dass Altstadtbewohner den Bürgermeister von Stadt1 auf die bis dahin unangemeldeten Montagstreffen der Klägerin in der Altstadt aufmerksam gemacht hatten. In diesem Gedicht finden sich die Worte, die die Beklagte in der angegriffenen Äußerung aufgegriffen hat. Darin heißt es am Ende des 8. Absatzes „daraufhin ein Drei-Mann-Standgericht ein kurzes, knappes Urteil spricht: „Für die Verräter – so wie diesen – gibt es nur eins: Tod durch Erschießen!“, wobei aus dem Satzanfang hervorgeht, dass mit Verräter derjenige gemeint ist „der genüsslich denunzierte“.

bb. Zudem ist bei der Bewertung des Gewichts, das vorliegend dem Recht auf Meinungsfreiheit zukommt, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es sich bei der Veröffentlichung der Beklagten um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelte. Die verschiedenen Interessengruppen im Zusammenhang mit den hoheitlichen Coronamaßnahmen stellen ebenso wie Frage, welche Forderungen und Ansichten diese jeweils vertreten, aufgrund des Informationsinteresses der Öffentlichkeit fraglos eine diese wesentlich berührende Frage dar. Dies gilt auch für die hier thematisierte Frage, wie veröffentlichte Statements von Vertretern der jeweiligen Interessengruppen zu verstehen sind. Je weniger es sich aber um eine Äußerung im privaten Bereich zur Verfolgung eigennütziger Ziele handelt, sondern um einen Beitrag zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, umso mehr tritt der Schutz des betroffenen Rechtsguts – hier das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Ehre des Betroffenen – zurück. In diesem Fall spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede [BVerfG Beschl. v. 10.3.2016 – 1 BvR 2844/13 – Rn. 24].
Nach alledem hat das Interesse der Klägerin am Schutz ihres sozialen Geltungsanspruchs hinter dem Recht der Beklagten auf Meinungsfreiheit zurückzutreten, Art. 5 Abs. 1 GG. Die Meinungsfreiheit der Beklagten würde im Kern betroffen, wenn ihr die Äußerung ihrer Interpretation, die sie aus dem von der Klägerin veröffentlichten Gedicht ableitet, versagt würde.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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