Bezeichnung „Antisemit“ verletzt allgemeines Persönlichkeitsrecht

04. Oktober 2018
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Frau an Sprecherpult Urteil des LG Regensburg vom 26.06.2018, Az.: 62 O 1925/17

Die öffentliche Bezeichnung eines Sängers als „Antisemit“ aufgrund der Inhalte seiner Liedtexte, stellt eine unzulässige Meinungsäußerung dar, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Die Äußerung ist schon deshalb nicht als Tatsachenbehauptung einzustufen, weil es keine allgemein gültige und allgemein anerkannte Definition für den Begriff des „Antisemitismus“ gibt. Eine Definition dieses Begriffs ist immer von einer persönlichen Bewertung abhängig, die gerade nicht dem Beweis zugänglich ist. Im Rahmen einer Abwägung zwischen dem grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf freie Meinungsäußerung muss hier Letzteres zurücktreten. Auch wenn der öffentliche Diskurs über verdeckte antisemitische Tendenzen in der heutigen Gesellschaft wichtig ist, stellt die Bezeichnung als „Antisemit“ gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte einen erheblichen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar, da sie als besonders herabwürdigend und ehrverletzend zu bewerten ist. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass die Aussage nicht „im Eifer des Gefechts“ getroffen, sondern im Rahmen eines Vortrags wohl überlegt und bewusst getätigt wurde.

Landgericht Regensburg

Urteil vom 26.06.2018

Az.: 62 O 1925/17

 

1. Die Beklagte hat es bei Meidung eines vom Gericht für den Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß die Behauptung aufzustellen und/oder zu verbreiten

„Er (…) ist Antisemit, das darf ich, glaube ich, aber gar nicht so offen sagen, (…). Aber das ist strukturell nachweisbar.“

insbesondere, wie bei dem Vortrag (…) am 05.07.2017 im Foyer des Theaters S. geschehen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 526,58 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über den Basiszinssatz seit 19.12.2017 zu bezahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.029,35 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über den Basiszinssatz seit 19.12.2017 zu zahlen.

4. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages in den Ziffern 2) und 3) und bezüglich Ziffer 1) gegen Sicherheitsleistung in Hö­he von 15.000,00 € vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, ihn als Antisemiten zu bezeichnen und die Behauptung aufzustellen, dass dies strukturell nachweisbar sei. Darüber hinaus macht der Kläger mit der Klage die Zahlung von außergerichtlichen Kosten für die Abmahnung und die Auf­ forderung zur Abgabe einer Abschlusserklärung geltend.

Der Kläger ist ein deutscher Sänger. Er ist Gründungsmitglied der deutschen Musikgruppe (…), mit denen er auftritt, er tritt aber auch als Solokünstler auf. Er hat im Jahr 2009 das Lied (…) verfasst, veröffentlicht und zur Aufführung gebracht. Im Jahr 2017 hat er zusammen mit (…) das Lied (…) verfasst, das auch veröffentlicht und zur Aufführung gebracht wird.

Die Beklagte ist Bildungsreferentin. Sie beschäftigt sich mit Verschwörungsideologien unter Berücksichtigung des reichsideologischen Milieus.

Die Beklagte hielt am 05.07.2017 in S. im Theater  als Fachreferentin der (…) Stiftung mit Sitz in Berlin einen Vortrag zum Thema (…). Sie hielt diesen Vortrag im Rahmen des Projekts der Stadt S. (…) . Nach dem Vortrag kam es zu einer Diskussion zwischen der Beklagten und dem Publikum. Auf eine explizite Publikums-Nachfrage, wie die Beklagte den Kläger einstufe, sagte die Beklagte: „Ich würde ihn zu den Souveränisten zählen, mit einem Bein bei den Reichsbürgern. Er ist Antisemit, das darf ich, glaub ich, aber gar nicht so offen sagen, weil er gerne verklagt. Aber das ist strukturell nachweisbar“. Eine weitere Begründung ihrer Aussage gab die Beklagte im Rahmen der Diskussion nicht ab.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 20.07.2017, zugestellt an die Wohnadresse der Beklagten, forderte der Kläger die Beklagte auf, die streitgegenständliche Behauptung einzustellen und zukünftig zu unterlassen, sowie eine strafbewehrte Unterlassungs- und Verpffichtungserklärung abzugeben. Die Beklagte wurde auch zur unverzüglichen Richtigstellung ihrer Behauptungen aufgefordert. Wegen der näheren Einzelheiten des Schreibens vom 20.07.2017 wird auf die Anlage K 5 Bezug genommen. Die Beklagte gab die gewünschten Erklärungen nicht ab.

Daraufhin erwirkte der Kläger beim Landgericht Regensburg unter dem Az. 62 0 1240/17 mit Antrag vom 31.07.2017 eine einstweilige Verfügung. In dem entsprechenden Beschluss vom 07.08.2017 wurde der Beklagten untersagt, wörtlich oder sinngemäß die streitgegenständliche Behauptung aufzustellen und/oder zu verbreiten. Wegen der näheren Einzelheiten des Beschlusses vom 07.08.2017 wird auf die Anlage K 7 Bezug genommen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 07.09.2017 wurde die Beklagte unter anderem aufgefordert, zu erklären, dass sie die einstweilige Verfügung als endgültige Regelung anerkenne. Wegen der Einzelheiten des Schreibens vom 07.09.2017 wird auf die Anlage K 9 Bezug genommen. Die Beklagte gab die geforderten Erklärungen nicht ab.

Für das Abmahnungsschreiben vom 20.07.2017 entstanden dem Kläger, berechnet aus einem Gegenstandswert von 15.000,00 €, Kosten in Höhe von 526,58 €. Für das anwaltliche Schreiben zur Aufforderung zur Abgabe einer Abschlusserklärungvom 07.09.2017 entstanden dem Beklagten, wieder berechnet aus einem Gegenstandswert von 15.000,00 €, Kosten in Höhe von 1.029,35 €.

Der Kläger gab im Jahre 2005 in der Oper in T.A. anlässlich des 40jährigen Jubiläums der deutsch-israelischen Beziehungen ein Konzert. Er unterstützt Initiativen gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass, z.B. die Initiative „B. K.“ oder „R. g. R.“. Im Jahr 2014 hielt der Kläger eine Rede bei einer Versammlung der „Reichsbürger“ in Berlin.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Behauptung, er sei Antisemit, eine Tatsachenbehauptung sei. Bei dem Begriff „Antisemit“ handele es sich um einen Begriff, der eine allgemein gültige Bedeutung habe und sich definieren lasse. Die Behauptung sei einem Beweis zugänglich. Die Äußerung sei eine Feststellung, aber keine Wertung oder Meinung.
Die Tatsachenbehauptung sei falsch. Der Kläger sei kein Antisemit. Es bestünde kein Anknüpfungstatbestand für diese Tatsache. Der Kläger denke und handle nicht antisemitisch, er habe sich nie feindselig gegen das Judentum, Juden, den Staat Israel oder jüdische Einrichtungen geäußert und nie den Holocaust geleugnet. Er habe sich stets für Frieden, Freiheit, Integration und Toleranz eingesetzt. Er habe sich mehrfach öffentlich gegen Antisemitismus ausgesprochen, was ihm auch Morddrohungen eingebracht habe, so z.B. im Rahmen eines Interviews mit dem TV-Sender (…).
Die Behauptung, er sei Antisemit, sei ehrverletzend, weil darin auch zum Ausdruck komme, dass er Menschen allein wegen ihrer Religionszugehörigkeit angreife und für das Übel der Welt verantwortlich mache und auch die Überzeugung derjenigen teile, die zur Ermordung der 6 Millionen Juden geführt habe. Die Bezeichnung als Antisemit werde in Deutschland ehrverletzend negativ und diskreditierend verstanden.
Die einmalige Verwendung des Begriffes (…) in dem aus dem Jahr 2009 stammenden Song (…), sei zu wenig, weitere Belege könne die Beklagte nicht vorlegen. Dass es sich bei dem in dem Lied (…) verwendeten Begriff (…) um ein Codewort gehandelt haben solle, sei dem Kläger nicht bekannt gewesen und werde bestritten. Der Song sei in der Bankenkrise geschrieben worden und übe generell wegen der Abhängigkeit von Banken Kritik. Die Kritik richte sich aber nicht gegen jüdische Menschen oder jüdische Bankiers.
Der Kläger ist des weiteren der Ansicht, dass, selbst wenn man die streitgegenständliche Äußerung der Beklagten als Werturteil verstehen würde, oder ihr wertenden Charakter beimesse, der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers höher zu gewichten sei, weil die Äußerung gerade vor dem Hintergrund der Nazidiktatur besonderes Gewicht habe und keine Anhaltspunkte für die Rechtfertigung der Bezeichnung bestünden. Zu berücksichtigen sei, dass der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers von der Beklagten vorsätzlich geschehen sei.
Der Kläger verweist darauf, dass er sich mehrfach auch öffentlich von der Reichsbürgerszene distanziert habe. So z.B. schon in einem Interview des Magazins (…) aus dem Jahr 2015 (vgl. Anlage K 14) oder auch gegenüber anderen Medien, was z.B. eine e-mail aus dem Jahr 2016, die unter dem Betreff (…) an die e-mail Adresse (…), gesandt und mit Anlage K 20 vorgelegt wurde, belegten könne.

Der Kläger beantragt niit seiner Klage (zugestellt am 18.12.2017)

1. Die Beklagte hat es bei Meidung eines vom Gericht für den Fall der Zuwider ­ handlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft , oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß die Behauptung aufzustel­len und/oder zu verbreiten

„Er (…) ist Antisemit, das darf ich, glaube ich, aber gar nicht so offen sagen, (…). Aber das ist strukturell nachweisbar.“

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 526,58 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über den Basiszinssatz seit 19.12.2017 zu bezahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.029,35 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten Ober den Basiszinssatz seit 19. 12.2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Bewertung eines Menschen als Antisemit eine Meinungsäußerung sei, sie sei mit Mitteln des Beweises letztlich nicht aufklärbar. Die Qualifikation einer politischen Einstellung eines Dritten sei eine Meinung des Äußernden. Hinzukomme, dass es keine allgemein gültige Definition für Antisemitismus gebe. Zu berücksichtigen sei, dass es einen modernen, sekundären Antisemitismus gebe, der von der Annahme eines gewissen Weltbildes und den Glauben an Verschwörungstheorien geprägt sei, beispielsweise würden die Juden als kapitalistische übermacht wahrgenommen, die nach Weltherrschaft strebten. Für den modernen Antisemitismus sei kennzeichnend, dass sich eine „Umweg-Kommunikation“ herausgebildet habe, da Antisemitismus gesellschaftlich tabuisiert sei. Man äußere sich nicht mehr offensiv oder ausdrücklich antisemitisch, um die antisemitische Weitsicht zu propagandieren.
Die Beklagte habe das Recht, ihre Meinung zu äußern. Bei der Bezeichnung als Antisemit handle es sich nicht um eine reine Schmähkritik. Es bestünden zahlreiche Anknüpfungspunkte für den Vorwurf, weil der Kläger antisemitische Sprachcodes in seinen Liedern verwende und darin ein Weltbild vertrete, welches mit den antisemitischen Verschwörungstheorien in Einklang stehe. Beispielsweise habe der Kläger in seinem Lied (…) aus dem Jahre 2009 folgenden Text verwendet (…).
Die Beklagte behauptet, dass die Textzeilen einen deutlichen antisemitischen Code transportierten, da der Begriff (…) auf die (…), eine jüdische Familie, der nachgesagt werde, sie würde die Finanzwelt dominieren, verweise. Auch mit der Anspielung auf den hinterlistigen Fuchs würden antisemitische Ressentiments bedient.
Der Kläger habe sich mehrfach darüber ausgelassen, dass er davon ausgehe, dass Deutschland nur ein besetztes Land und nicht frei sei. Auch diese Außerung sei sekundär antisemitisch zu verstehen.
Schließlich habe der Kläger in dem 2017 veröffentlichten Song (…) die Textzeile verwendet (…).
Mit der Verwendung des Begriffes des „Puppenspielers“, der im Hintergrund die Fäden ziehe, werde ein altes antisemitisches Klischee bedient. Mit dem Text würden Verschwörungstheorien verbreitet.
Schließlich verweist die Beklagte darauf, dass der Kläger im Jahre 2014 eine Rede bei den Reichsbürgern gehalten habe. Es sei möglich, antisemitische Ressentiments und ein bestimmtes Weltbild zu verbreiten, ohne dies allumfassend zu verstehen oder Ausnahmen zu machen, deswegen könne es durchaus sein, dass sich der Kläger auch gegen Antisemitismus einsetze.

Das Gericht hat am 26.06.2018 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen. Die Beklagte äußerte in der mündlichen Verhandlung, dass sie im Rahmen des von ihr zum Thema „Reichsbürger“ gehaltenen Vortrags 2017 ihre Auffassung von „Antisemitismus“ hergeleitet habe. Da sie vom Publikum um eine Einschätzung zu Herrn (…) gebeten worden sei, habe sie ihre Einschätzung abgegeben, das Thema aber nicht weiter vertieft.
Um den Begriff (…) habe sich dann im Publikum eine kurze Diskussion ergeben. Die Beklagte erläuterte, dass sie unter Antisemitismus eine Form von ideologischer Verschwörungstheorie, wonach die Geschicke der Welt von einer kleinen Gruppe gelenkt werden, verstehe. Die Formen der Weltverschwörung, die in den streitgegenständlichen Liedern des Klägers angesprochen würden, passten zu ihrem Verständnis von Antisemitismus. Der Kläger verwende Begriffe und Chiffren, die sich als Stellvertreterbegriffe verstehen ließen und in die Artikel der Welterklärung im Sinne einer Verschwörungstheorie passten. So äußere sich der Kläger auch dahingehend,dass Deutschland nicht frei, sondern ein besetztes Land sei.

Der Kläger erklärte in der mündlichen Verhandlung, dass er für Friede und Liebe stehe, er sei kein Antisemit in dem Sinne, wie er es verstehe. Er verstehe unter Antisemitismus, wenn Menschen im Hinblick auf ihren Glauben und ihre semitische Herkunft aktiv diffamiert und verunglimpft würden.
Bei dem Lied (…) habe er mit der Verwendung des Begriffes (…) den Eintritt des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder in die (…)-bank kritisieren wollen. Den Begriff (…) habe er verwendet, weil er das Verhalten der Commerzbank auch aufgrund seiner persönlichen Erfahrung kritisieren wollte. Ihm sei wichtig, dass durch die Wahl der Worte die Kritik auch ankomme, daher habe er auch das Wort „Schmock“ verwendet, das er als jüdisches Schimpfwort kenne.
Mit dem Lied (…) habe er hauptsächlich Kritik an dem aus seiner Sicht überbordenden Lobbyismus üben wollen. Politiker würden aus seiner Sicht sich mehr nach den hinter ihnen stehenden Einflüsterern richten, als nach dem Volk, das sie gewählt habe. Bei dem Lied sei es ihm um Darstellung internationaler Abhängigkeiten insgesamt gegangen. Dass ein Kontext zu einem antijüdischen Klischee hergestellt werden könne, sei ihm nicht bewusst gewesen. Der Kläger erläuterte, dass es sich bei sozialen Initiativen, z.B. auch noch bei den „B. K.“ engagiere, derzeit habe er ein musikalisches Projekt gegen Rassismus in Vorbereitung.

Des Weiteren wird wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

1. Es verletzt den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, dass die Beklagte im Rahmen einer Diskussion, die sich an einen Vortrag von 2017 in S. ergeben hat, in Bezug auf den Kläger erklärt hat, „Er (…) ist Antisemit, das darf ich, glaube ich, aber gar nicht so offen sagen, (…). Aber das ist strukturell nachweisbar.“ Da die Beklagte weder im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens, das diesm Hauptsacheverfahren vorangegangen ist, noch im Rahmen der mündlichen Verhandlung bereit war, sich zu verpflichten, die streitgegenständliche Außerung nicht mehr zu tätigen, besteht Wiederholungsgefahr. Daher hat der Kläger gegenüber der Beklagten gemäß §§ 1004 analog, 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Unterlassung dieser Äußerung.

Der Kläger ist in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG verletzt, weil die streitgegenständliche Äußerung der Beklagten eine Meinungsäußerung ist, und im Rahmen der Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Klägers und dem Recht auf freie Meinungsäußerung der Beklagten, letzteres zurücktreten musste.

Grundsätzlich kann derjenige einen Unterlassungsausspruch nach § 1004 Abs. 1 analog in Verbindung mit § 823 BGB geltend machen, dem gegenüber eine ehrverletzende falsche Tatsachenbehauptung aufgestellt wurde oder dessen Persönlichkeitsrecht in Abwägung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG bei einer Meinungsäußerung überwiegt.

1.1 Zunächst ist festzustellen, dass die Bezeichnung als Antisemit grundsätzlich eine Bezeichnung ist, die geeignet ist, das Persönlichkeitsrecht des Klägers zu verletzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gerade vor dem Hintergrund der Verbrechen der Nazidiktatur sowie des Holocaust die Bezeichnung als Antisemit in besonderer Weise geeignet ist, den so Bezeichneten herabzuwürdigen und in seiner Ehre zu verletzen. Die Verwendung des Begriffes „Antisemit“ kann in Deutschland nicht ohne Bezug zur deutschen Geschichte verstanden werden. In dieser Bezeichnung kommt nach dem allgemeinen Verständnis zumindest auch zum Ausdruck, dass derjenige die Überzeugungen teilt, die zu der Ermordung von 6 Millionen Juden unter der Nationalsozialistischen Schreckensherrschaft geführt haben, und die Menschen allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft angreift und für das Übel der Welt verantwortlich macht.

1.2 Nach Überzeugung des Gerichts handelt es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung der Beklagten um eine Meinungsäußerung, die unter den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG fällt.
Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist bei der Abgrenzung, ob es sich bei einer Äußerung um eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung handelt, die Äußerung daraufhin zu untersuchen, ob die Aussage mit den Mitteln des Beweises auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden kann – dann liegt eine Tatsachenbehauptung vor – oder ob sie vielmehr durch eine subjektive Beziehung des Äußernden geprägt und damit durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet ist. Im letzteren Fall liegt eine Meinungsäußerung vor. Enthält eine Äußerung sowohl Aussagen in tatsächlicher Hinsicht als auch eine subjektive Wertung ist sie als Werturteil zu behandeln, wenn sie in nicht trennbarer Weise sowohl tatsächlich als auch wertende Bestandteile aufweist und sie durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist (vgl. BGH, Urteil vom 23.02.1999, VI ZR 140/1998 , BVerfG Ent­scheidung vom 13.04.1994, 1 BvR 23/94).

Vor diesem Hintergrund ist die streitgegenständliche Äußerung der Beklagten als Meinungsäußerung zu werten, da die Äußerung maßgeblich von der Bewertung der Beklagten geprägt war.
Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die Frage, wann jemand ein Antisemit ist, von einer Bewertung und Einordnung seiner Äußerungen und Handlungen abhängig ist.
Es gibt keine allgemein gültige und allgemein anerkannte Definition für den Begriff des „Antisemitismus“. Dies ist auch in diesem Verfahren deutlich geworden. Während die Beklagte in der mündlichen Verhandlung ihr differenziertes Verständnis von Antisemitismus im Sinne eines nach ihrer Auffassung heute vorliegenden sekundären Antisemitismus erklärte, der Elemente einer allgemeinen Weitsicht im Sinne des Einflusses einer kleinen Gruppe auf die Geschicke der Welt umfasst, erklärte der Kläger, dass er unter Antisemitismus eine aktive Diffamierung und Verunglimpfung von Menschen mit semitischer Herkunft verstehe.

Nach einer Definition im Duden (www.duden.de) bedeutet Antisemitismus eine Abneigung oder Feindschaft gegenüber Juden oder eine (politische) Bewegung mit ausgeprägten antisemitischer Tendenzen.
Auch im Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus gegenüber der Bundesregierung aus dem Jahr 2017 (vgl. Bundestagsdrucksache 18/11970, Seite 23, 24) wird festgestellt, dass es keine allgemein gültige Definition von Antisemitismus gebe. Im Bericht wird erklärt, dass der Kern des Phänomens terminologisch treffend mit Judenfeindschaft gleichzusetzen sei. Der Expertenkreis verwies auf eine vom European Monitoring Center on Racism and Xenophobia (EUMC) im Jahre 2005 zusammen dem Office for Democratic lnstitutions and Human Rights (ODIHR) der OSZE entwickel­ te Arbeitsdefinition, die im Frühjahr 2016 auch von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), der 31 Staaten angehören, als „Working Definition“ akzeptiert wurde. Nach dieser Definition ist Antisemitismus eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich nach dieser Definition in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum,sowie gegenüber jüdischen Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Auch der Staat Israel, verstanden als jüdisches Kollektiv, könne Ziel der Angriffe sein. Oft enthalten antisemitische Äußerungen die Anschuldigungen, die Juden betrieben eine gegen die Menschheit gerichtete Verschwörung und seien dafür verantwortlich, dass „die Dinge nicht richtig laufen“. Der Antisemitismus manifestiere sich in Wort, Schrift und Bild sowie in anderen Handlungsformen, er benutze negative Stereotype und unterstelle negative Charakterzüge. Aktuelle Beispiele von Antisemitismus im öffentlichen Leben, in den Medien seien dabei unter anderem falsche entmenschlichende, dämonisierende oder stereotype Anschuldigungen gegen Juden oder die Macht des Juden als Kollektiv – insbesondere die Mythen über eine jüdische Weltverschwörung oder über die Kontrolle der Medien, Wirtschaft, Regierung oder andere gesellschaftliche Institutionen durch die Juden (vgl. insofern auch www.european-forum-on-antisemitism.org/definition-of-antisemitism/deutsch-german).
Der unabhängige Expertenkreis Antisemitismus verstand unter Antisemitismus eine Sammelbezeichnung für alle Einstellungen und Verhaltensweisen, die den als Juden wahrgenommenen Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen aufgrund dieser Zugehörigkeit negative Eigenschaften unterstellen. Es gehe um die Feindschaft gegen Juden als Juden (vgl. Bundestagsdrucksache 18/11970, Seite 24).
In einem Aufsatz von Prof. Dr. Werner Bergmann zum Thema „Was heißt Antisemitismus?“ wird Antisemitismus als mehr als Fremdenfeindlichkeit, auch mehr als ein soziales oder religiöses Vorurteil definiert. Prof.Dr. Bergmann definiert den Antisemitismus als Anti-Moderne-Welt-Anschauung, die in der Existenz der Juden die Ursache aller Probleme sieht (www.bpb.de/Politik/Extremismus/Antisemitismus/37945/Antisemitismus) .

Um den Schluss ziehen zu können, ob eine Person eine „Antisemit“ ist oder nicht, ist also zum einen eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlich differenziert ausgestalteten Definitionen und sodann zum anderen eine Einordnung der Außerungen und Handlungen der Person im Rahmen dieser Definitionen nötig. Dies setzt immer Bewertun­gen und ein Dafürhalten voraus, das gerade nicht dem objektiven Beweis zugänglich ist, sondern typischerweise durch die subjektive Beziehung des Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt ist, also eine Meinungsäußerung ist.

Im vorliegenden Fall spricht des Weiteren der Kontext der Äußerung der Beklagten dafür, dass ihre streitgegenständliche Aussage eine Meinungsäußerung ist.
Insoweit ist es unstreitig, dass die Beklagte im Rahmen einer Diskussion, die sich an ihren Vortrag in S. angeschlossen hat, von einem Mitglied des Publikums gefragt wurde, wie sie den Kläger „einstufe“. Schon diese Frage zielte darauf ab, dass der Fra­ gende eine Bewertung der Beklagten erwartete, also eine Meinung von ihr hören wollte. Die Beklagte hat die Frage ausweislich ihrer Einlassung in der mündlichen Verhandlung auch als Frage nach ihrer Bewertung verstanden und eine zusammenfassende Ein­ schätzung abgegeben, die sie nicht weiter begründet hat.
Dass die Beklagte gleichzeitig erklärte, dass die Einstufung des Klägers als Antisemit strukturell nachweisbar sei, führt alleine nicht dazu, dass die Außerung insgesamt den Charakter einer Tatsachenbehauptung bekommt, da der Schwerpunkt der Außerung der Beklagten in ihrer Bewertung und Einschätzung des Klägers lag.

1.3 Die von der Beklagten abgegebene Meinungsäußerung erfolgte nicht ohne jegliche tatsächliche Grundlage und ist deshalb grundsätzlich vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst.
Eine Meinungsäußerung ist grundsätzlich von Art. 5 Abs. 1 GG umfasst, wenn derjenige, der eine Meinung äußert, in der Lage ist. die tatsächlichen Bezugspunkte, auf die er seine Meinung stützt, mitzuteilen und ggf. zu beweisen (vgl. BGH a.a.O).
Zwar hat die Beklagte im Rahmen ihrer Antwort auf die Frage aus dem Publikum ihre Meinung nicht näher begründet, was sie im Rahmen der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG auch nicht tun muss. Die Beklagte hat jedoch ausreichend nachvollziehbar ausgeführt, dass sie sich bei ihrer Äußerung auf die Verwendung von Codes und Chiffren in den Lieder (…) und (…) beziehe, mit denen der Kläger ihrer Ansicht nach die Welt im Sinne einer Verschwörung erkläre, bei der die Welt von einer kleinen Gruppe gelenkt werde. Die Beklagte führte außerdem an, dass der Kläger sich dahingehend äußere, dass Deutschland kein freies, sondern ein besetztes Land sei.
Mit dieser Begründung hat die Beklagte grundsätzlich ausreichend Tatsachen zur Untermauerung ihrer Äußerung angeführt, so dass ihre Äußerung vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst ist.

1.4 Die Meinungsäußerung der Klägerin fällt auch nicht deshalb aus dem Schutzbereich des Art.5 Abs. 1 GG, weil es sich um eine reine Schmähkritik gehandelt hätte.
Reine Schmähkritiken, bei denen es nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache, sondern um die Diffamierung der Person des Gegners geht und die jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person des Gegners ihren Schwerpunkt hat, sind vom Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art.5 Abs. 1 GG nicht mehr erfasst.
Dies liegt hier aber nicht vor. Die Beklagte hat ihre Äußerung vor dem Hintergrund des von ihr gehaltenen Vortrags getätigt. Es ging ihr ersichtlich nicht um eine reine Diffamierung des Klägers, vielmehr wollte sie nach Überzeugung des Gerichts vor dem Hintergrund des von ihr vertretenden Begriffes des Antisemitismus einen Beitrag in der Auseinandersetzung mit den modernen Erscheinungsformen des Antisemitismus leisten.

1.5 Letztlich führt die gebotene Abwägung des grundgesetzlich geschützten Rechts der Beklagten auf freie Meinungsäußerung auf der einen und des grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht des Klägers unter Berücksichtigung des ebenso grundrechtlich geschützten Rechts auf freie Ausübung der Kunst auf der anderen Seite dazu, dass dem Persönlichkeitsrecht des Klägers im vorliegenden Fall der Vorrang zukommt und daher dem Kläger der Unterlassungsanspruch zusteht.
Auch wenn die von der Beklagten getätigte Meinungsäußerung grundsätzlich nach Art. 5 Abs. 1 GG geschützt ist, überwiegt die Meinungsäußerungsfreiheit nicht injedem Fall.
Auf Seiten des Klägers ist nämlich zu berücksichtigen, dass die Äußerung der Beklagten, wie bereits ausgeführt, in sein durch Art. 1 und 2 GG geschütztes Persönlichkeitsrecht eingreift. Gleichzeitig ist, da die Beklagte bei ihrer Bewertung, ob der Kläger ein Antisemit ist oder nicht, auf von ihm verfasste Liedtexte Bezug nimmt, auch sein Recht auf Kunst­ freiheit nach Art.5 Abs. 3 GG zu beachten.
Stehen sich mehrere grundgesetzlich geschützte Rechte gegenüber, ist im Rahmen einer Abwägung der sich gegenüberstehenden widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange zu bestimmen, welchem Grundrecht im Einzelfall der Vorrang zukommt. Dabei sind die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie die betroffenen Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen sind (vgl. BGH Urteil vom 09.12.2003, VI ZR 373/02). Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist dann rechtswidrig, wenn das Schutz­ interesse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der andern Seite überwiegt.

Im Rahmen dieser Abwägung hat das Gericht zum einen berücksichtigt, dass die Bezeichnung als „Antisemit“ vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ein erheblicher und weitreichender Eingriff ist, der grundsätzlich auch geeignet ist, rufschädigend zu wirken. Dies gibt dem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers ein hohes Gewicht.
Zum anderen ist zu sehen, dass der Kläger sich als Künstler selbst in die Öffentlichkeit stellt und er sich daher auch verstärkt Diskussion über seine Außerungen stellen muss.

Das Gericht hat weiter in die Abwägung eingestellt, dass ein offener Diskurs über verdeckte antisemitische Tendenzen in der heutigen Gesellschaft gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte wichtig ist. was wiederum dem Recht auf Meinungs­ äußerungsfreiheit ein hohes Gewicht verleiht. Andererseits ist zu sehen, dass der Be­klagte die Außerung nicht in einer hitzigen Debatte, in der ein Wort das andere gibt, also sozusagen „im Eifer des Gefechtes“ herausgerutscht ist, was wiederum verstärkt für den Schutz der freien Rede sprechen würde. Vielmehr hat die Beklagte, wie sich aus der von ihr gewählten Formulierung „das darf ich glaub ich gar nicht so sagen“ ergibt, die Bewertung überlegt und bewusst abgegeben.

Entscheidend war aber letztlich, dass die Beklagte nicht ausreichend gewichtige Anhaltspunkte dafür vortragen konnte, dass die ganze Persönlichkeit des Klägers die Bezeich­ nung als Antisemit rechtfertigt. Unter diesen Umständen hatte die Meinungsäußerungs freiheit letztlich hinter dem Persönlichkeitsrecht des Klägers zurückzustehen.

Die Äußerung „Er ist Antisemit“ bezieht sich im abgegebenen Kontext dem Wortlaut nach und auch nach dem allgemeinen Verständnis auf die ganze Person des Klägers.

Sie ist nicht auf das musikalische Wirken des Klägers beschränkt und umfasst nicht nur eine Einstufung seiner Texte.
Die Beklagte führt als Beleg dafür, dass der Kläger ihrer Ansicht nach ein Antisemit sei, zum einen zwei von ihm verfasste Liedtexte an. Das Gericht hatte insofern zu berücksichtigen, dass die Liedtexte im Rahmen der durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützten Kunstfreiheit einer besonderen Würdigung bedürfen. Ein automatischer Schluss von Formulierungen in Liedtexten auf die gesamte politische und weltanschauliche Einstellung des Klägers ist nicht ohne weiteres möglich.
Die Beklagte führt zur Begründung ihrer Auffassung an, dass der Kläger in dem Lied (…) einen antisemitischen Code und antisemitische Chiffren verwendet habe. Dabei greift die Beklagte einen Absatz des aus vier Strophen bestehenden Liedes (…) heraus, und argumentiert, dass der Kläger hier mit den Begriffen (…) auf die jüdische Familie (…) anspiele, die öfter Gegenstand antijüdischer Hetzkampagnen sei. „Schmock“ sei ein jüdisches Schimpfwort und eine Bezeichnung für einen unangenehmen Mann aus der gehobenen Gesellschaft. Dem Fuchs werde gemeinhin unterstellt, gewieft und hinterlistig zu sein. Die Beklagte argumentiert, dass man aus der Verwendung der Begriffe lesen könne, dass der Kläger die Juden für die von ihm geäußerte Kritik an dem Bankensystem verantwortlich mache, was wiederum ein Beleg für die von ihm vertretenen Verschwörungstheorien sei.
Das Gericht verkennt nicht, dass diese Textzeile, auf die die Beklagte Bezug nimmt, auch vom unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus des Deutschen Bundestages im Zusammenhang mit dem Vorhandensein von antisemitischen Ressentiments kritisch ge­ sehen wird (vgl. Bundestagsdrucksache 18/11970 S. 174/175). Allerdings ist der Expertenkreis nicht zu dem Schluss gekommen, der Kläger sei Antisemit.
Der Kläger hat sich zu seinem Text in der mündlichen Verhandlung geäußert und erklärt, dass er mit dem Begriff (…) zwar auf die (…)-bank anspielen wollte, die Kritik habe aber den Hintergrund gehabt, dass er sich über den Eintritt des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder nach seinem Ausscheiden aus der Bundesregierung geärgert habe. Er habe Kritik im Zusammenhang mit der drohenden Finanzkrise üben wollen, die Kritik sei nicht gegen Juden gerichtet gewesen. Er denke nicht judenfeindlich.
Im Lichte der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG ist es dem Gericht nicht erlaubt, die vier Textzeilen des Liedes (…) einseitig so auszulegen, wie es die Beklagte tut. Der Kläger hat die Interpretation der Beklagten zurückgewiesen, was vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das Lied insgesamt vier lange Strophen hat und sich insgesamt mit einer Kritik an allen Politikern und Banken befasst, ausreichend glaubwürdig ist. Aus dem Gesamtkontext des Liedes ergibt sich nicht zwingend, dass der Kläger nur die Juden für die von ihm gesehenen Probleme verantwortlich machen will.

Die Beklagte nimmt als weitere Begründung ihres Vorwurfes auf das 2017 verfasste Lied (…). Sie erläutert, dass das Bild des Puppenspielers antisemitische Klischees bediene, nach denen die Welt von einem jüdischen Puppenspieler gelenkt und gesteuert werde. Aus Sicht der Beklagten belege dieses Bild wiederum, dass der Kläger eine Weltverschwörungstheorie vertrete.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass ihm der Kontext mit dem antisemitischen Klischees des Puppenspielers und Weltlenkers bei der Verfassung des Textes nicht bewusst gewesen sei. Er habe den Puppenspieler als Synonym für einen „Drahtzieher“ verwendet und wollte mit dem Lied allgemein den Einfluss von Lobbyisten und Einflüsterern auf die Politiker kritisieren. Diese Erklärung ist für das Gericht ausreichend glaubwürdig, wenn man den gesamten Text berücksichtigt, der insgesamt eine Kritik an Politikern beinhaltet.
Das Gericht verkennt zwar nicht, dass das Bild des Puppenspielers als antijüdische Metapher verwendet wurde, es ist dem Gericht jedoch im lichte von Art. 5 Abs. 3 GG wiederum verwehrt, den Kläger auf eine bestimmte Deutung seines Liedtextes festzulegen, von der er sich selbst distanziert.

Demnach belegen allein die von der Beklagten herangezogenen beiden Liedtexte den gegen den Kläger erhobenen Vorwurf, er sei ein Antisemit, nicht ausreichend.

Die Beklagte führt zur Untermauerung der streitgegenständlichen Außerung weiter an, dass der Kläger in der Öffentlichkeit mehrfach geäußert habe, Deutschland sei kein freies, sondern ein besetztes Land. Auch dies sei ein Kennzeichen des sekundären Antisemitismus. Zwar legt die Beklagte für ihre Behauptung keine Belege vor. Aus dem vom Kläger mit Anlage K 14 vorgelegten Interview mit dem Magazin (…), das in der Ausgabe vom12.03.2015 veröffentlicht wurde, nimmt der Kläger zu einer Frage zu einem Konzert in Mannheim am 15.08.2014 Stellung. wo er gesagt habe, Deutschland sei noch besetzt. Der Kläger stritt die Tatsache nicht ab, sondern bestätigte, dass Deutschland kein souveränes Land sei, weil es von den Amerikanern aufgrund eines Geheimabkommens überwacht werde.
Das Gericht kann sich der Meinung der Beklagten, die Behauptung, Deutschland sei kein freies Land, sei ein Kennzeichen des sekundären Antisemitismus, nicht anschließen. Die Haltung, dass Deutschland kein freier Staat sei, hat nicht automatisch einen speziell judenfeindlichen Hintergrund, weil damit nicht gleichzeitig automatisch auf eine jüdische Weltverschwörung bzw. Kontrolle der Bundesrepublik durch einzelne Juden oder eine jüdische Gruppe Bezug genommen wird.

Der Kläger stritt in dem erwähnten Interview des Magazins (…) nicht ab, am 03.10.2014 als Redner bei einer Veranstaltung der Reichsbürger in Berlin aufgetreten zu sein.
In diesem Zusammenhang ist jedoch zu sehen, dass der Kläger schon bei dem Interview mit dem Magazin (…) erklärte, dass er die Auffassung der Reichsbürger nicht teile. Der Kläger hat als weiteren Beleg für die Tatsache, dass er sich von dem Milieu der Reichsbürger, deren Ansichten und Thesen bzw. Ideologien distanziere, ein e-Mail aus dem Jahre 2016 an den (…) Verlag vorgelegt. Das Gericht hatte keinen Anlass an der Darstellung des Klägers zu zweifeln. Außerdem ist aus Sicht des Gerichts der Schluss von einer Angehörigkeit zum Milieu der Reichsbürger auf antisemitisches Gedankengut nicht zwingend, da die Reichsbürger zwar mit einer Ablehnung des Staatsgefüges der Bundesrepublik Deutschlard auffallen, dies aber nicht zwingend immer mit antijüdischen Weltverschwörungstheorien verbinden. Dies gesteht auch die Beklagte zu, die das Milieu der Reichsbürger in der mündlichen Verhandlung als heterogen und zerfasert beschrieben hat.

Der Kläger selbst distanzierte sich im Rahmen des Verfahrens vom Vorwurf, er sei ein Antisemit. Es ist unstrittig, dass er im Jahre 2005 in der Oper in T.A. anlässlich des 40jährigen Jubiläums der deutsch-israelischen Beziehungen ein Konzert gegeben hat und Initiativen gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass, z.B. die Initiative „B. K. “ oder „R. g. R.“unterstützt. Die Beklagte hat keine ausreichenden Belege dafür vorgelegt, dass der Kläger in seiner ganzen Person antisemitische, also judenfeindliche Postionen vertritt. Auch wenn man unterstellt, dass der Kläger in den streitgegenständlichen Liedern zumindest auch antisemitische Ressentiments bedient, bleibt doch offen und lässt sich nicht nachweisen, dass der Kläger sich auch persönlich mit dem Antisemitismus identifiziert.

Mangels ausreichend belegter Tatsachengrundlage musste die Meinungsäußerungsfreiheit der Beklagten hinter dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des Klägers zurückstehen. Daher verletzte die steitgegenständliche Äußerung den Kläger rechtswidrig in sei­ nem Persönlichkeitsrecht, so dass ihm nach § 1004 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG ein An­spruch·auf Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerung zustand.

2. Da der, der Abmahnung zugrundeliegende, Unterlassungsanspruch des Klägers gegeben ist, hat der Kläger gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Erstattung der ihm ent­ standenen Abmahnkosten aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Artikel 2 Abs. 1 GG in der geltend
gemachten Höhe von 526,58 € aus dem Gegenstandwert von 15.000,00 €, der nicht zu be­
anstanden ist.

3. Der Kläger hat darüber hinaus nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG einen An­ spruch auf Erstattung der Kosten für die Einschaltung seines Rechtsanwalts zur Aufforderung der Beklagten, eine Abschlusserklärung abzugeben. Oie vom Kläger dafür geltend gemachten Kosten in Höhe von 1.029,35 € waren angesichts des herangezogenen Gegenstandswertes von ebenfalls 15.000,00 € nicht zu beanstanden.

4. Der Antrag der Beklagten aus der mündlichen Verhandlung vom 26.06.2018 auf Gewäh­ rung einer Frist zur Stellungnahme auf den Schriftsatz des Klägervertreters vom 07.06.2018 war abzulehnen, da im Schriftsatz vom 07.06.2018 keine neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel, sondern im wesentlichen zusammenfassende Rechtsausführungen enthalten waren.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Da die Beklagte unterlegen ist, hat sie die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

6. Die Regelung zur vorläufigen Vollstreckba rkeit beruht auf § 709 ZPO.

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