Kommentar

Kindeswohlgefährdung durch WhatsApp: Mutter muss schriftliche Zustimmungen einholen

06. Juli 2017
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Mutter sitzt mit ihrem Kind beim Essen; die Tochter starrt auf ihr Smartphone, die Mutter schaut traurig Kommentar zum Beschluss des AG Bad-Hersfeld vom 20.03.2017, Az.: F 111/17 EASO

Infolge der zunehmenden Technisierung kommen junge Menschen immer früher mit digitalen Medien in Berührung. So ist es heute nicht ungewöhnlich, wenn bereits Zehnjährige ein Smartphone besitzen und dadurch Zugriff auf das Internet und die damit verbundenen Dienste haben. Zwar können Instant-Messenger, wie etwa „WhatsApp“, die Kommunikation zu Freunden oder Verwandten fördern. Das AG Bad-Hersfeld sieht allerdings eher die Schattenseiten des Kurznachrichtendienstes und nimmt die Sorgeberechtigten in einem aktuellen Urteil in die Pflicht.

Was ist passiert?

Dem familienrechtlichen Beschluss geht ein Antrag der geschiedenen Kindesmutter voraus, die beklagt, dass sich der Vater während der Umgangszeiten nicht um den gemeinsamen 10-jährigen Sohn kümmere, sondern die Zeit vielmehr für sich selbst nutze, indem er etwa am PC spiele. Nach Aussage des Kindes habe der Vater ihn wohl sogar bei WhatsApp blockiert, wodurch die Kontaktmöglichkeit außerhalb der Umgangszeiten weiter verkürzt würde. Dies nahm das Gericht zum offenbar willkommenen Anlass, sich näher mit der Nutzung digitaler Medien durch den Minderjährigen auseinanderzusetzen und zu erörtern, ob durch die Nutzung von Smartphone inklusive WhatsApp Gefahren für den Zehnjährigen bestehen.

Entscheidung des AG Bad-Hersfeld

Das Gericht sah in der unkontrollierten Nutzung des Messenger-Dienstes WhatsApp durch den minderjährigen Sohn eine Kindeswohlgefährdung, gegen welche es auf Grundlage von § 1666 BGB entsprechende Auflagen erließ. Dafür wurde zunächst die Datennutzung und Datenverwertung der Smartphone-App problematisiert. Stimmt der User den Nutzungsbedingungen und der dazugehörigen Datenschutzrichtlinie von WhatsApp zu, werden dem Unternehmen sämtliche Telefonnummern aus dem Adressbuch des Nutzers übermittelt; unabhängig davon, ob die dahinterstehenden Personen ebenfalls WhatsApp verwenden oder nicht. Zwar verletze der Minderjährige nach Ansicht des Gerichts nicht § 28 BDSG, da das Kind keine geschäftlichen oder geschäftsähnlichen Zwecke verfolge.

Indessen verletze der Nutzer das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht der Personen, die in seinem Adressbuch eingespeichert sind. Denn die ungefragte Übermittlung derer Daten beeinträchtige sie in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das gem. Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG geschützt ist und im Privatrecht über § 823 Abs. 1 BGB als „sonstiges Recht“ Wirkung entfaltet. Die persönliche Telefonnummer stelle ein sensibles Datum dar, durch dessen Bekanntgabe die Möglichkeit bestehe in die Privatsphäre des Inhabers einzudringen. Wenn und soweit der Betroffene keine Zustimmung zur Weitergabe seiner Kontaktdaten erteilt habe, stelle dies nach Auffassung des Gerichts eine unerlaubte Handlung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB dar, die der Minderjährige zumindest fahrlässig verwirklicht habe; das Gericht sah nach der mündlichen Anhörung des Sohnes die Voraussetzungen des § 828 Abs. 3 BGB erfüllt. Die betroffenen Kontakte hätten keine ausdrückliche Zustimmung zur dauerhaften Weitergabe ihrer Daten an das Unternehmen WhatsApp erteilt. Gegen eine konkludente Zustimmung derjenigen Kontakte, die selbst WhatsApp nutzen, spreche die Komplexität der Datenverwertung, die nach Auffassung des Gerichts nur bei tatsächlicher Lektüre der Nutzungsbedingungen verstanden werden könne. Da diese aber überwiegend nicht zur Kenntnis genommen würden, könne eine konkludente Einwilligung in die Weitergabe der eigenen Daten nicht angenommen werden. Deshalb handele der Minderjährige deliktisch und setze sich der Gefahr von kostenpflichtigen Abmahnungen und Unterlassungsklagen aus. Die damit einhergehende Belastung sei geeignet, das Kindeswohl zu gefährden, weshalb das Gericht der Mutter des Zehnjährigen umfangreiche Auflagen erteilte, da sie wohl selbst nicht in der Lage sei, die Gefahr abzuwehren.

Zunächst müsse sie ganz generell die Nutzung des Smartphones durch den Minderjährigen beaufsichtigten und begleiten, bis das Kind volljährig ist. Dabei sei ohne Belang, dass sich die Mutter im konkreten Fall mit der Technik nicht genügend auskennt. Das Gericht gab ihr deshalb auf, sich entsprechend zu informieren und ausreichend Kenntnisse anzueignen. Insbesondere müsse die sorgeberechtigte Mutter von sämtlichen Kontakten des Kindes eine schriftliche Zustimmung einholen, um der Gefahr von etwaigen Abmahnungen zu entgehen. Ferner solle das Adressbuch des Kindes monatlich überprüft werden, um von etwaigen neu hinzugefügten Kontakten ebenfalls eine entsprechende Einwilligung einzuholen. Die Mutter müsse die Zustimmungserklärungen dem Gericht vorlegen. Verweigere ein Kontakt die Erteilung der Zustimmung, müssen dessen Daten vom Smartphone gelöscht werden. Das Gericht hielt sich ferner vor, die Löschung der App einstweilen anzuordnen, wenn die Mutter der Auflagen nicht nachkommt. Alternativ regte das Gericht an, durch technische Beschränkungen die Weitergabe der Daten an WhatsApp zu verhindern. Dieser Vorgang könne etwa durch weitere Apps blockiert werden; indessen sei dabei Vorsicht geboten, da dadurch eine Verletzung der Nutzungsbedingungen von WhatsApp möglich ist. Ferner wies das Gericht auf vergleichbare Messenger-Dienste hin, bei denen keine Daten-Weitergabe erfolgt und deshalb die Gefahr von Abmahnungen und dergleichen nicht auftritt.

Fazit

Die Entscheidung des AG Bad-Hersfeld ist die erste, bei der die Gefahr möglicher Abmahnungen durch die Nutzung von WhatsApp ernsthaft in Betracht gezogen wird. Die bereits seit längerem bekannte Gefahr einer entsprechenden Abmahnwelle wird durch das Urteil vermutlich nicht signifikant erhöht. Schließlich müssten überwiegend Bekannte und Freunde sich gegenseitig abmahnen, wovon nicht auszugehen ist. Jedoch hat das Urteil Signalwirkung, indem es deutlich macht, was – jedenfalls nach Ansicht des AG Bad-Hersfeld – tatsächlich zu leisten ist, um sich rechtmäßig zu verhalten. Jeder Nutzer müsste – offensichtlich kaum realisierbar – von jedem seiner Kontakte eine Zustimmungserklärung einholen, um nicht deliktisch zu handeln.

Kommentar RA Pakroo

Ob die strengen Auflagen für die Mutter wirklich nötig sind, um das Kind vor der äußerst theoretischen Gefahr einer Abmahnung zu schützen, ist zweifelhaft. Wer das Urteil liest, kommt eher zu dem Eindruck, dass das Gericht dankend die Chance genutzt hat, sich ausgiebig mit den rechtlichen Problemen in Verbindung mit der Nutzung von WhatsApp auseinanderzusetzen. Dass diese gegeben sind, steht außer Frage. Allerdings sollte hier wohl eher WhatsApp selbst in Anspruch genommen werden.

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