Englische Übersetzung eines Gerichtsschreibens nicht notwendig

22. Juli 2019
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Tablet mit verschiedenen Sprachen Urteil des OLG Köln vom 09.05.2019, Az.: 15 W 70/18

Auch wenn ein deutsches Gericht einen Schriftsatz ohne englische Übersetzung ins Ausland schickt, kann einer großen Firma zugemutet werden, diesen an die vorhandene deutsche Abteilung zu übermitteln und übersetzen zu lassen. Die Zustellung ist deswegen nicht unwirksam und die, in diesem Fall, Gelegenheit zur Stellungnahme war genügend vorhanden, insbesondere, da die Firma zahlreiche deutsche Kunden hat und diese auch in der deutschen Sprache umfassend berät. Die Sperrung eines Beitrags in einem Online-Forum war, wie die Betreiberin vorher schon selbst zugegeben hat, nicht rechtmäßig, da der Beitrag den Richtlinien entsprach und es auf eine Gesamtwürdigung nicht ankommt.

Oberlandesgericht Köln

Urteil vom 09.05.2019

Az.: 15 W 70/18

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird unter Abänderung des Beschluss des Landgerichts Köln vom 26.11.2018 – 30 O 563/18 – der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, es zu unterlassen, den Antragsteller für das Einstellen des nachfolgend genannten Textes

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auf www.A.com zu sperren (insbesondere ihm die Nutzung der Funktionen von www.A.com wie Posten von Beiträgen, Kommentieren fremder Beiträge und Nutzung des Nachrichtensystems vorzuenthalten) oder den Beitrag zu löschen.

Für den Fall der Zuwiderhandlung wird der Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft angedroht, Ordnungshaft zu vollziehen an ihren Vorständen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich mit seinem am 23.11.2018 bei Gericht über das besondere elektronische Anwaltspostfach eingereichten Verfügungsantrag, auf den wegen der weiteren Details hier Bezug genommen wird (Bl. 3 ff. d.A.), gegen eine von der Antragsgegnerin auf der von dieser betriebenem sozialen Netzwerk vorgenommene Sperrmaßnahme vom 23.10.2018. Auf sofortige Rüge des Antragstellers bestätigte die Antragsgegnerin seinerzeit zwar sogleich, dass der die Maßnahme auslösende und im obigen Tenor eingeblendete Post tatsächlich doch den sog. Gemeinschaftsstandards der Antragsgegnerin entspreche, allerdings blieb der Antragsteller entgegen der Ankündigung weiter gesperrt. Nachdem eine außergerichtliche Abmahnung unbeantwortet blieb, leitete der Antragsteller das hiesige Verfahren ein. Das Landgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 26.11.2018 (Bl. 63 ff. d.A.) zurückgewiesen, weil der Antragsteller mit der Antragstellung (angeblich) länger als einen Monat zugewartet und so die Vermutung der Dringlichkeit selbst widerlegt habe. Der sofortigen Beschwerde vom 16.12.2018, mit der der Antragsteller darauf hinwies, dass er angesichts der elektronischen Einreichung tatsächlich die Monatsfrist eingehalten habe, half das Landgericht mit Nichtabhilfebeschluss vom 18.12.2018 (Bl. 73 d.A.) unter Verweis darauf, dass die Monatsfrist ohnehin nicht starr zu handhaben sei und auch dann hier kein Grund für ein entsprechend langes Zuwarten erkennbar gewesen sei, nicht ab. Der Senat hat – nach Übertragung der Sache gemäß § 568 S. 2 ZPO – mit Beschluss vom 19.12.2018, auf den im Übrigen verwiesen wird (Bl. 79 f. d.A.), den Antragsteller darauf hingewiesen, dass hier ein Verfügungsgrund bestehe, aber ggf. der weitere Kontext der konkreten Äußerung zur gebotenen Bewertung der Rechtswidrigkeit im Gesamtzusammenhang darzulegen sei. Mit Schriftsatz vom 28.12.2018, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 87 ff. d.A.), teilte der Antragsteller mit, dass ihm wegen des zwischenzeitlichen Löschen des maßgeblichen Drittprofils weiterer Vortrag dazu nicht möglich sei, aber zum einen die Antragsgegnerin selbst zugestanden habe, dass die Gemeinschaftsstandards tatsächlich eingehalten worden seien und zudem kein rechtwidriger Kontext denkbar sei, weil es sich in jedem Fall nur um eine zulässige Bewertung auf Basis unstreitig wahrer Tatsachen betreffend die Familie der genannten Politikerin handele. Der Senat hat daraufhin am 07.01.2019 (Bl. 117 f. d.A.) angeordnet, dass nicht ohne Gewährung rechtlichen Gehörs für die Antragsgegnerin im schriftlichen Verfahren entschieden werden solle und dazu eine Auslandszustellung des Beschlusses sowie diverser Schriftstücke zu erfolgen habe. Diese wurde im Folgenden veranlasst, wobei unter Verweis auf Art 8 Abs. 1 lit. a) der Zustellungs-VO/VO (EG) Nr. 1393/2007 (EuZVO) auf eine Übersetzung verzichtet werden sollte. Ein Rückschein des ersten Zustellversuchs ist nicht in Rücklauf zu Gericht geraten. Auf einen zweiten Zustellversuch reichten die irischen Anwälte B pp. mit Schriftsatz vom 16.04.2019 für die Antragsgegnerin die zugesandten Unterlagen unter Verweis auf die fehlenden Sprachkenntnisse der Antragsgegnerin zurück (Fax Bl. 127 ff., Original Bl. 232 ff. d.A.). Unter dem 25.04.2019 hat die Antraggegnerin über die irischen Anwälte B pp. zudem ergänzend die Ansicht vertreten, dass die Zustellung unwirksam sei, weil insbesondere auch die irische Rechtsabteilung kein Deutsch verstehe und keine weiteren Maßnahmen zu erwarten seien. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den – auch ins Deutsche übersetzten – Schriftsatz vom 25.04.2019 nebst Anlagen Bezug genommen (Bl. 364 ff. d.A.).

II.

Die nach §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg.

1. Entgegen dem Landgericht fehlt es nicht aufgrund einer sog. Selbstwiderlegung an einem Verfügungsgrund (Dringlichkeit). Auf die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 19.12.2018 (Bl. 79 d.A.) wird zur Meidung von Wiederholungen hier Bezug genommen. Die Frage, wie lange ein Antragsteller zuwarten darf, ohne dass es an der für den Verfügungsgrund erforderlichen zeitlichen Dringlichkeit fehlt, hängt zwar stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, doch kann in der Regel nur ein Zuwarten von mehr als einem Monat als dringlichkeitsschädlich angesehen werden (vgl. zuletzt auch OLG Nürnberg v. 13.11.2018 – 3 W 2064/18, CR 2019, 332 ff.).

2. Es besteht auch ein Verfügungsanspruch. Es bedarf dabei im konkreten Fall keiner Auseinandersetzung des Senats damit, dass eine Äußerung auch in Fällen wie dem vorliegenden grundsätzlich nur im Gesamtzusammenhang zu würdigen ist und daher im Zweifel auch dazu vorzutragen ist unter Glaubhaftmachung des Vorbringens (vgl. Senat v. v. 18.10.2018 – 15 W 57/17, n.v.). Denn darauf kommt es im konkreten Fall ebenso wenig an wie auf die in der Antragsschrift erörterten Rechtsfragen einer AGB-Kontrolle der Gemeinschaftsstandards und der Nutzungsbedingungen der Antragsgegnerin, eines „virtuellen Hausrechts“ usw. (vgl. dazu jeweils die Nachweise bei Senat a.a.O.). Denn auch unter Zugrundlegung der Gemeinschaftsstandards und Nutzungsbedingungen und einer strengen Lesart im Sinne der Antragsgegnerin war die Löschung hier unberechtigt, wie die Antragsgegnerin – wie glaubhaft gemacht ist – auch selbst ausdrücklich gegenüber dem Antragsteller auf dessen Rüge hin eingestanden hat. Daran muss sie sich jedenfalls dann festhalten lassen, wenn – wie hier – in der Sache nichts weiter zu Ihren Gunsten vorgebracht wird.

3. Verfahrensmäßig hat der Senat – was möglich ist (BVerfG v. 30.09.2018 – 1 BvR 1783/17, NJW 2018, 3631 sowie v. 30.09.2018 – 1 BvR 2421/17, NJW 2018, 3634) – vor Erlass der Beschlussverfügung der Antragsgegnerin Gelegenheit zur Stellungnahme im schriftlichen Verfahren gegeben. Soweit diese rügt, dass die Zustellung nach Art 14, 8 Abs. 1, 3 EuZustVO (VO (EG) Nr. 1393/2007) unwirksam und von ihr mangels Vorlage einer englischsprachigen Übersetzung zu Recht zurückgewiesen worden sei, trägt das nicht; die Antragsgegnerin hatte ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme. Denn die Annahmeverweigerung der unter Verwendung der Formblätter (dazu EuGH v. 28.04.2016, C-384/14, Celex-Nr. 62014CO0384, juris Rn. 59 ff. m.w.N.) ordnungsgemäß durchgeführten Zustellung erfolgte ersichtlich zu Unrecht, so dass bei der Prüfung vom Amts wegen nachArt. 19 EuZustVO auf die lex fori abzustellen ist und die Zustellung daher nach § 179 S. 3 ZPO, § 242 BGB als wirksam gilt (statt aller Fabig/Windau, NJW 2017, 2502, 2503 f. m.w.N.). Europarechtlich ist eine solche Zustellungsfiktion nicht zu beanstanden (EuGH v. 28.04.2016, C-384/14, Celex-Nr. 62014CO0384, juris Rn. 81 ff.).

Es ist zu Art 8 EuZustVO allgemein anerkannt, dass es weder auf die Sprachkenntnis der Organe der betroffenen juristischen Person ankommen kann noch auf diejenigen der Person, die die Zustellung im Ausland unmittelbar annimmt. Es genügt, wenn im Rahmen einer üblichen dezentralen Organisationsstruktur eines Unternehmens die mit der Sache befasste Abteilung über einen entsprechenden Sprachkundigen verfügt, dessen Einschaltung in die Übersetzung des Schriftstücks nach den gesamten Umständen erwartet werden kann. Zu würdigen ist dabei, ob auf Grund des Umfangs der Geschäftstätigkeit in einem bestimmten Land davon ausgegangen werden kann, dass im Unternehmen Mitarbeiter vorhanden sein müssten, welche sich um rechtliche Auseinandersetzungen mit den jeweiligen Kunden kümmern (vgl. mit Nuancen im Detail OLG Frankfurt v. 01.07.2014 – 6 U 104/14, GRUR-RR 2015, 183; LG Düsseldorf v. 10.03.2016 – 14 c O 58/15, GRUR-RR 2016, 228 Rn. 39 sowie – speziell zur Antragsgegnerin und Zustellungen in Irland – LG Heidelberg v. v. 04.10.2018 – 1 O 71/18; juris mit zust. Anm. Jungemeyer, jurisPR-IWR 8/2018 Anm. 6; LG Offenburg v. 26. 09.2018 – 2 O 310/18, juris Rn. 35 f. m. zust. Anm. Tönies-Bambalska, jurisPR-IWR 6/2018 Anm. 5 sowie AG Berlin-Mitte v. 08.03.2017 – 15 C 364/16, MMR 2017, 497 m. zust. Anm. Pickenpack/Zimmermann, IPrax 2018, 364; siehe allgemein zudem etwa MüKo-ZPO/Rauscher, 5. Aufl. 2017, Art 8 EuZustVO Rn. 12; Okonska, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 56. EL. September 2018, Art 8 Rn. 26; Musielak/Stadler, ZPO, 16. Aufl. 2019, Art 8 EuZustVO Rn. 4; Zöller/Geimer, ZPO, 32. Aufl. 2018, Art 8 EuZustVO Rn. 3). Zwar genügt eine einvernehmlich verwendete Vertragssprache etc. allein noch nicht für die Annahme ausreichender Sprachkenntnisse, sondern ist nur ein (wenn auch wichtiger) Anhaltspunkt (EuGH v. 08.05.2008 – C-14/07, NJW 2008, 1721 Rn. 85 ff. – Ingenieurbüro C und Partner GbR/D E). Das nationale Gericht hat alle in den Akten enthalten Informationen gebührend zu berücksichtigen, um zum einen die Sprachkenntnisse des Empfängers des Schriftstücks festzustellen und zum anderen zu entscheiden, ob in Anbetracht der Art des betreffenden Schriftstücks seine Übersetzung erforderlich ist, wobei in jedem Einzelfall für einen ausgewogenen Schutz der jeweiligen Rechte der betroffenen Parteien Sorge tragen ist, indem es das Ziel der Wirksamkeit und Schnelligkeit der Zustellung im Interesse des Antragstellers und das Ziel eines effektiven Schutzes der Verteidigungsrechte des Empfängers gegeneinander abwägt (EuGH v. 28.04.2016, C-384/14, Celex-Nr. 62014CO0384, juris Rn. 57 f., 78 ff. m.w.N.). Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin nicht nur Millionen deutsche Kunden hat und diese – wie der aktenkundige außergerichtliche Kommunikationsverkehr eindrucksvoll belegt – auch durchgehend auf Deutsch selbst auch in Fragen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes umfassend „bedient“. Die Antragsgegnerin ist zudem schon wegen der öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen aus dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz gehalten, entsprechende Stellen im Unternehmen zu ertüchtigen und vorzuhalten – womit sie im Übrigen auch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit betreibt (vgl. nur den letzten Transparenzbericht bei https://F.pdf). Angesichts dessen ist es der Antragsgegnerin – mag sie sich auch mit Erfolg dagegen wehren können, dass ihre inländischen Zustellungsvertreter nach § 5 NetzDG als allgemein zustellungsbevollmächtigt auch in Sachen wie den vorliegenden gelten (Senat v. 11.01.2019 – 15 W 59/18 und 15 W 1/19, zur Veröffentlichung bestimmt) – zuzumuten, ihren Betrieb in Irland entsprechend aufzustellen und die – organisatorisch vorhandenen und sachkundigen – Stellen dann intern mit Zustellungen wie den vorliegenden zu befassen. Für die Antragsgegnerin, deren Algorithmen die öffentliche Meinungsbildung weltweit zu nachhaltig zu beeinflussen in der Lage sein dürfen, erscheint es insofern zumutbar, eine Zustellung eines G´er Gerichts der entsprechenden deutschsprachigen Abteilung zuzuordnen, der es dann wiederum möglich sein müssen, hier festzustellen, warum man sich an die eigene außergerichtliche Zusage gegenüber dem Antragsteller nicht gehalten hat.

4. Die Zustellung der Beschlussverfügung erfolgt angesichts der Beteiligung der Antragsgegnerin von Amts wegen. Dies berührt die Pflichten aus §§ 936, 929 ZPO (Vollziehung, vgl. § 1069 ZPO) nicht.

5. Die Kostenentscheidung basiert auf § 91 ZPO. Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist bei der Beschlussverfügung nicht geboten. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde scheidet nach §§ 574 Abs. 1 S. 2, 542 Abs. 2 ZPO aus. Eine Pflicht zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art 267 AEUV mit Blick auf die erörterten Fragen zur VO (EG) 1393/2007 besteht in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht (EuGH v. 27.10.1982 – C-35/82, C-36/82, BeckRS 2004, 70935 – Morson; BVerfG v. 19.10.2006 – 2 BvR 2023/06, EuR 2006, 0814; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016 , Art 267 AEUV Rn. 31) und erst recht nicht im hiesigen einseitig gebliebenen Verfahren.

Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis 7.500 EUR

 

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