Werbung für Medizinprodukte bei fehlendem Wirksamkeitsnachweis irreführend
Oberlandesgericht Celle
Urteil vom 05.12.2013
Az.: 13 W 77/13
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Verfügungsklägers wird der Beschluss der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover vom 20. September 2013 abgeändert.
Die Verfügungsbeklagte wird bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der zukünftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten
untersagt,
im geschäftlichen Verkehr
1. für ein C. zu werben:
1.1. „Das C.“ unterstützt … die Verbesserung von Mikrozirkulation“,
1.2. „Das C. … aktiviert das Lymph- und endogene analgetische System“,
1.3. mit dem Anwendungsgebiet:
1.3.1. „Schmerzbehandlungen“,
1.3.2. „Lymphdrainage“,
2. für ein „C.“ zu werben:
2.1. „24 Stunden trainierende Wirkung der Gelenkfunktion“,
2.2. „Verbesserung von Mikrozirkulation“,
2.3. „aktiviert das Lymph- und endogene analgetische System“,
2.4. mit dem Anwendungsgebiet:
2.4.1. „Schmerzbehandlungen“,
2.4.2. „Lymphdrainage“,
jeweils sofern dies geschieht wie in der diesem Urteil beigefügter Anlage A 1 wiedergegeben.
Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 20.000 € festgesetzt.
Tatbestand
I.
Von einer Darstellung des Sach- und Streitstandes wird gemäß §§ 542 Abs. 2 Satz 1, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
II.
A. Die sofortige Beschwerde des Verfügungsklägers ist nach §§ 936, 922 Abs. 1 Satz 1 1.2, 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen (§ 569 Abs. 1 u. 2 ZPO) zulässig.
B. Die sofortige Beschwerde ist begründet.
1. Der Verfügungsanspruch besteht.
Der Verfügungskläger hat die für einen Anspruch nach §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Nr. 11 UWG, § 3 Satz 2 Nr. 1 HWG bzw. § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 MPG auf Unterlassen der streitgegenständlichen Werbeaussagen erforderlichen Voraussetzungen glaubhaft gemacht.
a) Die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr kann nicht im Hinblick auf die von der Verfügungsbeklagten am 16. September 2013 abgegebenen Unterlassungserklärung (Anlage A 3) verneint werden.
Eine Unterlassungserklärung muss, um die durch eine Verletzungshandlung begründete Gefahr der Wiederholung entsprechender Wettbewerbsverstöße auszuräumen, eindeutig und hinreichend bestimmt sein und den ernstlichen Willen des Schuldners erkennen lassen, die betreffende Handlung nicht mehr zu begehen, und daher durch ein angemessenes Vertragsstrafeversprechen abgesichert sein. Sie muss außerdem den bestehenden gesetzlichen Unterlassungsanspruch nach Inhalt und Umfang voll abdecken und dementsprechend uneingeschränkt, unwiderruflich, unbedingt und grundsätzlich auch ohne die Angabe eines Endtermins erfolgen (BGH, Urteil vom 21. Februar 2008 – I ZR 142/05 – Buchführungsbüro, juris Rn. 14; Senat, Urteil vom 2. April 2009 – 13 W 16/09, juris Rn. 25; Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl., § 8 Rn. 1.38).
Die Wiederholungsgefahr kann nur durch eine Unterwerfung nur ausgeräumt werden, wenn die einem Gläubiger abgegebene strafbewehrte Unterlassungserklärung geeignet erscheint, den Verletzer wirklich und ernsthaft von Wiederholungen abzuhalten. An den Fortfall der Wiederholungsgefahr werden strenge Anforderungen gestellt. Bestehen an der Ernstlichkeit der übernommenen Unterlassungsverpflichtung auch nur geringe Zweifel, ist sie grundsätzlich nicht geeignet, die Besorgnis künftiger Verstöße auszuräumen (KG, Urteil vom 19. Februar 2013 – 5 U 56/11, juris Rn. 11; OLG Bamberg, Beschluss vom 19. März 2013 – 3 U 23/13, juris Rn. 41). Ob dies der Fall ist, ist anhand einer umfassenden Würdigung aller hierfür in Betracht kommender Umstände des Einzelfalls und unter Auslegung der gebotenen strengen Maßstäbe zu prüfen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 1984 – I ZR 123/82 – Vertragsstrafe bis zu …, juris Rn. 11; Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl., § 8 Rn. 18).
Soweit die Verfügungsbeklagte für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung erklärt hat, eine Vertragsstrafe von 1.000 € zu zahlen, bleiben erhebliche Zweifel an der Ernstlichkeit ihrer Unterlassungserklärung.
Das Vertragsstrafeversprechen soll zum einen als Zwangsmittel den Schuldner zur Erbringung der geschuldeten Leistung anhalten, zum anderen aber auch dem Gläubiger im Verletzungsfall die Möglichkeit einer erleichterten Schadloshaltung eröffnen (Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza, a. a. O., § 8 Rn. 16). Die Vertragsstrafe muss so bemessen sein, dass der Schuldner von einem weiteren Verstoß künftig absieht. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an. Dabei können vor allem Art, Schwere und Ausmaß der Zuwiderhandlung, das Verschulden des Verletzers sowie die Gefährlichkeit des Verstoßes für den Gläubiger eine Rolle spielen (BGH, Urteil vom 31. Mai 2001 – I ZR 82/99 – Weit – vor – Winter – Schluss -Verkauf, juris Rn. 25); dazu gehören aber auch die Art und Größe des Unternehmens sowie der Umsatz und mögliche Gewinn mit den beworbenen Waren (Bornkamm in Köhler/Bornkamm, a. a. O., § 12 Rn. 1.139; Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza, a. a. O., § 8 Rn. 16). Dabei ist im Geschäftsbereich normaler wirtschaftlicher Bedeutung die Spanne einer ausreichenden Vertragsstrafe zwischen 2.500 € bis 10.000 € zu bemessen; Beträge bis 2.000 € reichen insoweit nicht aus (OLG Oldenburg, Beschluss vom 12. August 2009 – 1 W 37/09, juris Rn. 9). Geringere Vertragsstrafen können lediglich bei einer wettbewerbsrechtlich relevanten Geschäftstätigkeit im wirtschaftlichen Bagatellbereich ausreichend sein (OLG Oldenburg, Beschluss vom 12. August 2009, a. a. O.; Ahrens/Deutsch, Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl., Kap. 1 Rn. 65 m. w. N.). Der Verfügungskläger hat glaubhaft gemacht, dass die Verfügungsbeklagte einen Fachhandel für den Klinik-, Praxis- und Laborbedarf betreibt und sich selbst als führenden Versandhändler von Akupunkturnadeln und Akupunkturbedarf bezeichnet, dessen Webshop inzwischen über 6.500 Produkte umfassen würde. Weiterhin spricht das umfangreiche Sortiment von 6.500 angebotenen Artikeln für die Umsatzstärke der – nach eigener Aussage – seit vielen Jahren am Markt tätigen Verfügungsbeklagten. Zwar hat die Verfügungsbeklagte glaubhaft gemacht, dass sie mit den beworbenen C. und C. in den Jahren 2012 und 2013 einen nur geringfügigen Umsatz von 47,93 € bzw. 23,98 € erzielt habe. Entscheidend ist aber vor allem auf die Größe und wirtschaftliche Stärke der Verfügungsbeklagten abzustellen, um den Zweck einer Vertragsstrafe erreichen zu können. Dabei bewegt sich die Geschäftstätigkeit der Verfügungsbeklagten ihrem Auftreten nach auch nicht im Bagatellbereich. Vor diesem Hintergrund ist die zugesagte Vertragsstrafe als zu gering anzusehen, um als Sanktion für das zukünftige Unterlassen des Wettbewerbsverstoßes abschreckend zu wirken.
b) Die beanstandeten Werbeaussagen zu den beiden angebotenen Produkten C. und C. verstoßen gegen § 4 Abs. 11 UWG i. V. mit § 3 Satz 2 Nr. 1 HWG bzw. § 4 Abs. 2 Satz 1 MPG.
Gemäß §§ 1 Abs. 1 Nr. 1a, 3 Satz 1 HWG i. V. mit § 3 Nr. 1a und b MPG bzw. § 4 Abs. 2 Satz 1 MPG ist eine irreführende Werbung für Medizinprodukte verboten. Eine Irreführung liegt nach § 3 Satz 2 Nr. 1 HWG bzw. § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 MPG insbesondere vor, wenn Medizinprodukte eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen bzw. eine Leistung beigelegt werden, die sie nicht haben. Bei § 3 HWG handelt es sich um eine gesetzliche Regelung, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten i. S. des § 4 Nr. 11 UWG zu regeln (BGH, Urteil vom 21. Juli 2005 – I ZR 94/02 – Ginseng-Päparat, juris Rn. 24; Senat, Urteil vom 4. Oktober 2012 – 13 U 36/12, juris Rn. 16). Dies gilt gleichfalls für das Medizinproduktegesetz (Link in Ullmann jurisPK-UWG, 3. Aufl., § 4 Nr. 11 UWG Rn. 249).
Eine Irreführung ist dann gegeben, wenn in der Werbung einem Produkt eine therapeutische Wirksamkeit als objektiv richtig beigemessen wird, diese Wirksamkeit aber fachlich (noch) umstritten ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2000 – I ZR 260/98 – Eusovit, juris Rn. 33). Stützt sich der Werbende auf eine – wie hier glaubhaft gemacht – fachlich umstrittene Behauptung, ohne die Gegenansicht zu erwähnen, hat er damit auch die Verantwortung für die fachliche Richtigkeit seiner Angaben übernommen; er muss sie im Streitfall auch beweisen (Senat, Urteil vom 4. Oktober 2012, a. a. O., juris Rn. 17). Trägt der Verfügungskläger das Fehlen einer wissenschaftlichen Grundlage einer gesundheitsbezogenen Werbeaussage substantiiert vor, so ist es Aufgabe des Verfügungsbeklagten, die wissenschaftliche Absicherung zu beweisen (Senat, Urteil vom 4. Oktober 2012, a. a. O.). So liegt es hier.
Der Verfügungskläger hat durch Vorlage eines Auszugs aus dem Handbuch „D.“ der S. W. sowie des Artikels der C. S. aus der „Ä. Z.“ vom 7. August 2012 glaubhaft gemacht, dass trotz zahlreicher Studien handfeste wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit des Kinesiologie-Tapings bisher ausstehen und weder die angesprochene Verbesserung der Mikrozirkulation stattfindet noch eine Aktivierung des Lymphsystems zu belegen sei (vgl. nur LG Ulm, Urteil vom 8. Mai 2013 – 10 O 35/13 KFH, juris Rn. 106; LG Konstanz, Urteil vom 8. Juli 2013 – 9 O 26/13 KFH). Auch die Aussage einer gelenkentlastenden bzw. einer gelenktrainierenden Wirkung sei wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert; Studien zu einer derartigen Beeinflussung des Gelenkmechanismus würden nicht existieren. Der Senat bezieht sich insoweit auch auf die in der Zeitschrift „S. M.“ in der 42. Ausgabe vom 1. Februar 2012 auf Seiten 153 bis 164 veröffentliche Metaanalyse, deren inhaltliche Zusammenfassung der Verfügungskläger wiedergegeben hat. Eine hinreichende wissenschaftliche Absicherung der angepriesenen Wirkungen und Wirksamkeit der Kinesiologie-Tapes lässt sich danach gerade nicht feststellen. Dagegen hat sich die Verfügungsbeklagte auch nicht gewandt.
Soweit sie behauptet, die Werbeaussagen den Produktbeschreibungen entnommen zu haben, ist dies unerheblich. Für die auf ihrer Internetseite eingestellten Werbeaussagen ist die Verfügungsbeklagte verantwortlich; es ist auch nicht erkennbar, dass es sich dabei um Aussagen eines Dritten handeln würde.
2. Der Verfügungsgrund ist gegeben. Die Dringlichkeit wird gem. § 12 Abs. 2 UWG vermutet.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Soweit das Beschwerdegericht Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt, leitet es in das Urteilsverfahren über und entscheidet folglich durch Endurteil wie auf eine Berufung hin (Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 922 Rn. 14; Musielak/Huber, ZPO, 10. Aufl., § 922 Rn. 10b).
Das Urteil ist unanfechtbar (§ 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
IV.
Der Streitwert war nach den Angaben des Verfügungsklägers in der Antragsschrift auf 20.000 € festzusetzen. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch bezieht sich auf insgesamt 7 Werbeaussagen für die beiden Produkte C. und C. Es erscheint im einstweiligen Verfügungsverfahren angemessen, pro irreführender Werbeaussage einen Wert von 3.000 € anzunehmen, so dass im Hinblick auf die Einheitlichkeit der Werbung in dem Internetauftritt der Verfügungsbeklagten auch unter Berücksichtigung der Vorgaben des § 12 Abs. 4 UWG eine Reduzierung auf insgesamt 20.000 € unbedenklich erscheint.